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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 07.08.2002
Aktenzeichen: 10 Ta 306/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 141 Abs. 3 Satz 2
1.

Ein Ordnungsgeld gegen die Partei, die der Anordnung zum persönlichen Erscheinen nicht nachgekommen ist, kann nur verhängt werden, wenn die ordnungsgemäße Ladung zum persönlichen Erscheinen dokumentiert ist.

2.

Die Verhängung von Ordnungsgeld ist keine Sanktion für die Missachtung der richterlichen Anordnung des persönlichen Erscheinens oder für das Scheitern von Vergleichsverhandlungen. Sanktionsgrund ist lediglich die pflichtwidrige Behinderung der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung und die Vereitelung des Vorantreibens des gerichtlichen Verfahrens.

3.

Die Verhängung eines Ordnungsgeldes scheidet aus, wenn das Gericht ungeachtet der Abwesenheit der Partei oder ihrer nicht ordnungsgemäßen Vertretung im Sinne des § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO den Rechtsstreit in dem Termin, zu dem das persönliche Erscheinen angeordnet worden ist, durch Urteil entscheiden kann. Daran hat sich durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27.07.2001 (BGBl. I S. 1887) nichts geändert.


Landesarbeitsgericht Niedersachsen Beschluss

10 Ta 306/02

In dem Rechtsstreit

Tenor:

wird auf die sofortige Beschwerde der Beklagten der Ordnungsgeldbeschluss des Arbeitsgerichts Nienburg vom 12. Juli 2002 - 2 Ca 810/01 - aufgehoben.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 250,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die sofortige Beschwerde richtet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes.

Das Arbeitsgericht ordnete das persönliche Erscheinen der Geschäftsführerin der Beklagten zum Kammertermin vom 14. März 2002 an. Diese erschien nicht, sondern bevollmächtigte den zuständigen Sachbearbeiter B, sie im Termin zu vertreten. Das Arbeitsgericht verkündete am Schluss der Sitzung in Abwesenheit der Parteien ein Teil-Anerkenntnis und End-Urteil und beraumte Termin zur Fortsetzung der Verhandlung auf den 6. Juni 2002 an. Es ordnete unter Hinweis auf die Möglichkeit der Anordnung eines Ordnungsgeldes das persönliche Erscheinen "der Beklagten" an. Zu diesem Termin erschien für die Beklagte neben ihrem Prozessbevollmächtigten abermals nur der Angestellte B unter Vorlage einer Vollmacht, wonach er bevollmächtigt sei, die Beklagte zu vertreten und Vergleiche entgegen zu nehmen. Die Parteien verhandelten zur Sache und über den Abschluss eines Vergleichs, der nicht zustande kam. Das Arbeitsgericht setzte am Schluss der Sitzung ein Ordnungsgeld von 250,-- € gegen die Geschäftsführerin der Beklagten fest und verkündete ein Schlussurteil. Auf die Beschwerde der Beklagten hob das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 12. Juli 2002 den Ordnungsgeldbeschluss vom 6. Juni 2002 auf und setzte gegen die Beklagte ein Ordnungsgeld von 250,-- € fest. Der Vortrag des Angestellten B sei zur Förderung des Rechtsstreits gänzlich untauglich gewesen. Weiter führte es aus:

Auch wenn die Beklagten-Geschäftsführerin trotz ihrer Stellung als gesetzliche Vertreterin der Beklagten möglicherweise über ebenso wenig Kenntnisse oder noch weniger Kenntnisse als der Mitarbeiter B im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers verfügte, wäre ihre Anwesenheit gerade im Hinblick auf den von dem Gericht und der Klägerseite angestrebten Vergleichsabschluss sinnvoll gewesen. Der Vorsitzende weist darauf hin, dass ein Vergleichsabschluss mit Zahlung eines Betrages von 2.000,-- € an den Kläger nahezu greifbar war, jedoch letztendlich daran scheiterte, dass Herr B nach telefonischer Rücksprache mit der Beklagten-Geschäftsführerin oder weiteren Mitarbeitern der Beklagten, die bereits durch rechtskräftiges Teil-Urteil vom 14.03.2002 ausgeurteilten Beträge (= 632,39 €) überraschenderweise mit von der vorgenannten Vergleichssumme erfasst wissen wollte.

Gegen diesen ihr am 17. Juli 2002 zugestellten Beschluss wendet sich die Beklagte mit ihrer am 23. Juli 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Sie macht geltend, der Angestellte B sei ein ordnungsgemäß bevollmächtigter Vertreter gewesen. Die Geschäftsführerin der Beklagten hätte zur Aufklärung des Sachverhalts nichts beitragen können. Die Weigerung, einen Vergleich abzuschließen, lasse keinen Rückschluss auf die fehlende Ermächtigung zum Abschluss eines Vergleichs zu. Auch wenn die Geschäftsführerin der Beklagten selbst im Termin anwesend gewesen wäre, wäre es nicht zum Vergleich gekommen, weil die Beklagte zur Zahlung von 2000,-- € zuzüglich des bereits ausgeurteilten Betrages nicht bereit gewesen sei.

Mit Beschluss vom 29. Juli 2002 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die statthafte sofortige Beschwerde (§ 51 Abs. 1 Satz 2 ArbGG, § 141 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 380 Abs. 3 ZPO) ist begründet.

1. Das Arbeitsgericht hat allerdings mit dem angegriffenen Beschluss das Ordnungsgeld zutreffend gegen die Beklagte selbst und nicht gegen deren Geschäftsführerin festgesetzt (vgl. LAG Hamm, 25.1.1999, 1 Ta 727/98, LAGE § 51 ArbGG 1979 Nr. 6; Vonderau, NZA 1991, S. 336 <339>; a.A. Zöller-Greger, ZPO, 23. Auflage, 2002, § 141, Rz. 14; Stein/Jonas-Leipold, 21. Auflage, 1993, § 141, Rz. 33).

2. Das Arbeitsgericht hätte schon deshalb kein Ordnungsgeld gegen die Beklagte verhängen dürfen, weil es nicht feststellen konnte, ob überhaupt eine ordnungsgemäße Ladung zum persönlichen Erscheinen erfolgt war. Es hat die erforderlichen Formalien nicht dokumentiert. Es hat lediglich am Schluss der Sitzung vom 14. März 2002 in Abwesenheit der Parteien das persönliche Erscheinen "der Beklagten" angeordnet. Auch wenn damit das persönliche Erscheinen der Geschäftsführerin der Beklagten angeordnet worden sein sollte, so lässt sich der Akte nicht entnehmen, dass die Geschäftsführerin zum Termin gesondert geladen worden (§ 141 Abs. 2 ZPO) und auf die Folgen ihres Ausbleibens hingewiesen worden ist (§ 141 Abs. 3 Satz 3 ZPO). Verfügt ist unter dem Protokoll vom 16. März 2002 nur die Zusendung von Protokollabschriften an die Parteivertreter und die Fertigung von Kopien des Inhalts der Hülle Bl. 48 an den Beklagtenvertreter. Die gesonderte Ladung der (Geschäftsführerin) der Beklagten zum persönlichen Erscheinen ist nicht verfügt und auch sonst aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich.

3. Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen die Beklagte war darüber hinaus auch ermessensfehlerhaft.

a) Der oder die Vorsitzende der Kammer des Arbeitsgerichts kann das persönliche Erscheinen der Parteien in jeder Lage des Rechtsstreits anordnen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Dies soll geschehen, soweit es sachdienlich erscheint, um die streitige Verhandlung so vorzubereiten, dass sie möglichst in einem Termin zu Ende geführt werden kann (§ 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ArbGG). Die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Parteien ist daher kein Selbstzweck, sondern dient in Konkretisierung des im arbeitsgerichtlichen Verfahren generell geltenden Beschleunigungsgrundsatzes (§ 9 Abs. 1 ArbGG) dem Ziel, die Aufklärung des Sachverhalts zu erleichtern und zu beschleunigen (vgl. Stein/Jonas-Leipold, a.a.O., Rz. 35). Allein dieses Ziel hat das Gericht bei der Ausübung des ihm bei der Entscheidung über den Erlass eines Ordnungsgeldes zustehenden Ermessens zugrunde zu legen. Die Verhängung von Ordnungsgeld ist dagegen keine Sanktion für die Missachtung der richterlichen Anordnung des persönlichen Erscheinens (vgl. OLG Hamm, 14.5.1997, 12 W 5/97, MDR 1997, S. 1061; Zöller-Greger, a.a.O., Rz. 12) oder für das Scheitern von Vergleichsverhandlungen. Sanktionsgrund ist vielmehr einzig und allein die pflichtwidrige Behinderung der gerichtlichen Sachverhaltsaufklärung und die Vereitelung des Vorantreibens des gerichtlichen Verfahrens (LAG Niedersachsen, 24.7. 2002, 4 Ta 174/02, n.v.; OLG Hamm, a.a.O.; OLG Frankfurt, 14.5.1986, 22 W 12/86, NJW-RR 1986, S. 997). Die Verhängung eines Ordnungsgeldes scheidet daher aus, wenn das Gericht ungeachtet der Abwesenheit der Partei oder ihrer nicht ordnungsgemäßen Vertretung i.S. des § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO den Rechtsstreit in dem Termin, zu dem das persönliche Erscheinen der Partei angeordnet worden ist, durch Urteil entscheiden kann (LAG Sachsen, 25.3.1998, 2 Sa 1071/97, juris; OLG Frankfurt, a.a.O.; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 4. Aufl., 2002, § 51, Rz. 22; Stein/Jonas-Leipold, a.a.O., Rz. 35 a).

Daran hat sich entgegen der vom Arbeitsgericht vertretenen Auffassung durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) nichts geändert. Zwar hat das Gericht nunmehr noch stärker als bisher darauf hinzuwirken, dass sich der Rechtsstreit auf die wesentlichen Fragen konzentriert und ist dabei nach dem Willen des Gesetzgebers durch die Ausweitung der Pflicht zur materiellen Prozessleitung stärker als bisher in die Klärung des Streitstoffes eingeschaltet (Zöller-Greger, a.a.O., § 139, Rz. 1). Will oder kann eine Partei aber im Termin zur Sachverhaltsaufklärung nichts beitragen oder scheitert das Zustandekommen eines aus Sicht des Gerichts auch noch so sinnvollen Vergleichs aus welchen Gründen auch immer, ist der Rechtsstreit jedoch ungeachtet des prozessualen Verhaltens der Partei entscheidungsreif, ist das mit der Anordnung nach § 141 ZPO verfolgte Ziel erreicht. Jede Partei hat etwaige sich aus ihrem Verhalten ergebenden prozessualen Nachteile hinsichtlich des sachlichen Ausgangs des Prozesses (§§ 138, 286 ZPO) zu tragen. Eine Befugnis des Gerichts, zusätzlich ein Ordnungsgeld zu verhängen, besteht nach wie vor nicht (a.A. wohl Zöller-Greger, a.a.O., Rz. 12).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze war die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen die Beklagte im Termin vom 6. Juni 2002 ermessensfehlerhaft. Das Landesarbeitsgericht kann als Beschwerdegericht die Ermessensausübung des Arbeitsgerichts in vollem Umfang nachprüfen (Stein/Jonas-Leipold, a.a.O., Rz. 36).

Das Arbeitsgericht hat das Ordnungsgeld gegen die Beklagte erst nach Schluss der Sitzung vom 6. Juni 2002 verkündet. Im Zeitpunkt der Fassung dieses Beschlusses war die Sache nach Auffassung des Arbeitsgerichts entscheidungsreif, weil es bereits im Termin vom 6. Juni 2002 das Schlussurteil verkündet hatte. Es hat, wie aus den Urteilsgründen ersichtlich ist, das Vorbringen der Beklagten als unsubstantiiert oder unerheblich angesehen. Ein Ordnungsgeld durfte daher gegen die Beklagte nicht mehr verhängt werden. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts kann auch das Scheitern der Vergleichsverhandlungen nicht sanktioniert werden. Der Ordnungsgeldbeschluss vom 12. Juli 2002 war daher aufzuheben.

4. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Die außergerichtlichen Auslagen der Beklagten werden von der Kostenentscheidung der Hauptsache umfasst (Zöller-Greger, a.a.O., Rz. 15).

5. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Ziffer 2 ZPO) war nicht möglich. Die Rechtsbeschwerde ist nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer durch die ergangene Entscheidung beschwert ist (Zöller-Gummer, a.a.O., § 574, Rz. 6). Da der angegriffene Ordnungsgeldbeschluss aufgehoben worden ist, liegt keine Beschwer einer am Beschwerdeverfahren beteiligten Partei vor.

Gegen diesen Beschluss ist daher kein Rechtsmittel gegeben.

Ende der Entscheidung

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