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Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 17.04.2009
Aktenzeichen: 12 Sa 1553/08
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
1. Eine Beendigungskündigung ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse i. S. von § 1 KSchG bedingt, wenn die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf demselben Arbeitsplatz zu einer geringeren Vergütung besteht.

2. Bietet der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern die Weiterbeschäftigung zu einer (vorliegend 1/3) geringeren Vergütung an und beschäftigt er nur die Arbeitnehmer weiter, die das Angebot angenommen haben, so umgeht er die ihm obliegende Verpflichtung zum Ausspruch einer Änderungskündigung nach § 2 KSchG, wenn er im Wege einer nachfolgenden unternehmerischen Entscheidung beschließt, einen Teil seiner Arbeiten fremdzuvergeben und den Arbeitnehmern eine Beendigungskündigung ausspricht, die das Angebot abgelehnt haben.

3. Eine Betriebsvereinbarung verstößt gegen § 75 Abs. 11 BetrVG, wenn sie Sonderkündigungsschutz nur zu Gunsten der Arbeitnehmer begründet, die das Angebot des Arbeitgebers zu einer Weiterbeschäftigung zu einer geringeren Vergütung angenommen haben. Eine auf dieser Grundlage getroffene Sozialauswahl ist grobfehlerhaft i. S. von § 1 Abs. 5 KSchG.


LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 Sa 1553/08

In dem Rechtsstreit

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 06. März 2009 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Mestwerdt, den ehrenamtlichen Richter Herrn Michalke, die ehrenamtliche Richterin Frau Sachtleben-Reimann für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 25.08.2008 - 6 Ca 85/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2008 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die 56 Jahre alte, verheiratete kinderlose Klägerin trat am 01.06.1995 in die Dienste der Beklagten als Hilfskraft im Versand. Die Beklagte betreibt ein Druckzentrum, in dem vorwiegend Presseerzeugnisse der C-Stadt gedruckt und weiterverarbeitet werden. Es ist ein Betriebsrat gebildet. Die Klägerin wurde in der Nachtschicht beschäftigt mit dem Einlegen von Werbedrucksachen und vertretungsweise mit dem Überwachen von Verpackungsmaschinen. Das monatliche Bruttogehalt betrug € 3282,00 entsprechend einem Grundstundenlohn von € 13,48.

Die Beklagte stand im Frühjahr 2007 vor Investitionsentscheidungen. Die Vornahme der Investitionen wurde u.a. von einer Senkung der Personal- und Lohnkosten abhängig gemacht. Die Beklagte unterbreitete am 05.07.2007 der Klägerin sowie den vergleichbaren Arbeitnehmer/innen das Angebot, das Arbeitsverhältnis mit einer Vergütung von 8,50 € brutto pro Stunde fortzusetzen. Sie setzte eine Annahmefrist bis zum 15.07.2007. Die Kägerin nahm das Vertragsangebot nicht an. Von ca. 50 im Arbeitsbereich der Klägerin tätigen Arbeitnehmer/innen nahmen 12 das Angebot an.

Am 16.07.2007 wurde nach Ablauf der Annahmefrist zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat ein "Interessenausgleich/Sozialplan bezüglich der Änderung der materiellen Arbeitsbedingungen" vereinbart (Bl. 127 - 131). Dieser Sozialplan sieht für die Mitarbeiter, die das Änderungsangebot angenommen haben, eine stufenweise Absenkung der monatlichen Vergütung in zwei Schritten vor. Unter III.2 enthält die Betriebsvereinbarung nachstehende Regelung:

"Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen

Den Druckern, die von Ziffer 1) erfasst werden, kann bis zum 31.12.2011 keine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen werden. Den übrigen Mitarbeitern, die von Ziffer 1) erfasst werden, kann bis zum 31.12.2010 keine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen werden. Dies gilt nicht bei Widersprüchen gegen den Teilbetriebsübergang nach § 613 a BGB gemäß Vereinbarung Teilbetriebsübergang. Sollten betriebsbedingte Kündigungen in unverzichtbaren Situationen erforderlich werden, können diese nur mit Zustimmung des Betriebsrats ausgesprochen werden. Die Zustimmung des Betriebsrats kann durch eine Einigungsstelle ersetzt werden."

Die Betriebsparteien vereinbarten ebenfalls am 16.07.2007 einen "Interessenausgleich/Sozialplan bezüglich Kündigungen". Dort heisst es unter I.1:

"Personalabbau

Das Unternehmen hat mehrere Entscheidungen getroffen, die die Organisationsstruktur ganz erheblich ändern und auch das Entfallen von Arbeitsplätzen zur Konsequenz haben. Insbesondere sind hiervon die Druckhelfer, Überwachung/Bindung, Hausmeister, Reinigung, Einlegerinnen und Lagermitarbeiter betroffen."

Zur Sozialauswahl bestimmt die Vereinbarung unter I.2.2:

"Die durchzuführende Sozialauswahl erfolgt zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern des Betriebs. Hierfür haben die Betriebspartner Vergleichsgruppen gebildet. Bei der Bildung dieser Vergleichsgruppen haben die Betriebspartner den Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer nach den Aufgabenbereichen, den im Arbeitsvertrag vorbehaltenen Versetzungsmöglichkeiten sowie nach dem Aspekt der Austauschbarkeit gebildet. Insbesondere musste der besondere Kündigungsschutz von Mitarbeitern, die auf Grund der im Interessenausgleich/Sozialplan geregelten Maßnahme Änderungsverträge unterschrieben haben, berücksichtigt werden. Die zu kündigenden Arbeitnehmer ergeben sich aus der Anlage 1 zum Interessenausgleich (Namensliste gemäß § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG)."

Dem Interessenausgleich fügten die Betriebsparteien eine Namensliste bei (Blatt 50 der Gerichtsakte). Die Klägerin ist dort namentlich aufgeführt.

Die Beklagte nahm sodann sowohl im Druckbereich wie auch in der Weiterverarbeitung Investitionen vor. U.a. wurden neue Versandlinien am 01.04.2008 und am 01.07.2008 in Betrieb genommen. Der Bereich der Weiterverarbeitung ist auf die neugegründete Versandzentrum C-Stadt GmbH & Co KG (nachfolgend V-Stadt) übertragen worden.

Nach Anhörung des Betriebsrats (Bl. 54 - 62) und Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 KSchG kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 29. Januar 2008 das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30.06.2008. Sie hat im Arbeitsbereich der Klägerin sämtlichen Arbeitnehmern, die keinen Kündigungsschutz aus der Betriebsvereinbarung vom 16.07.2007 herleiten können, gekündigt. Die Tätigkeit des Einlegens der Werbedrucksachen wird seit Inbetriebnahme der neuen Versandlinien auf der Grundlage eines Auftrags durch V-Stadt nunmehr von Mitarbeitern der S. H. GmbH wahrgenommen. Diese Firma hat durch Stellenaushang Fachhelfer oder Produktionshelfer für die Tätigkeit im Versandzentrum C-Stadt gesucht (Bl. 110).

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Ihr Arbeitsplatz sei nicht entfallen. Das Interesse der Beklagten habe von vornherein nur darauf gezielt, die Klägerin zu geänderten Bedingungen weiterzubeschäftigen. Die Beklagte habe ihr eine Änderungskündigung aussprechen müssen. Sie habe nie zum Ausdruck gebracht, dass sie geänderte Arbeitsbedingungen im Fall des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung, angenommen hätte. Die Kündigung sei auch unwirksam nach § 1 Abs. 3 KSchG, weil eine soziale Auswahl nicht stattgefunden habe. Maßgeblich für den Kündigungsentschluss sei ausschließlich gewesen, ob die geänderten Arbeitsbedingungen angenommen worden sein oder nicht. Darin liege auch ein Verstoß gegen das Maßregelverbot des § 612 a BGB. Sie habe in zulässiger Weise von ihrem Recht Gebrauch gemacht, das Änderungsangebot vom 02.07.2007 nicht anzunehmen. Da die Beklagte in Bezug auf die Kündigung der Arbeitsverhältnisse ausschließlich zwischen änderungswilligen und änderungsunwilligen Arbeitnehmern differenziert habe, sei sie wegen der Ausübung ihrer Rechte benachteiligt worden.

Die Klägerin hat, soweit in der Berufungsinstanz noch von Interesse, beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2008 - der Klägerin zugegangen am 29.01.2008 - nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen

und behauptet, nach Fremdvergabe der Einlegetätigkeiten sei der Arbeitsplatz der Klägerin entfallen. Die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchG streite dafür, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei. Eine Sozialauswahl habe nicht vorgenommen werden müssen. Sämtliche Einlegerinnen bzw. Hilfskräfte im Versand seien zwar grundsätzlich vergleichbar. Wegen des Sonderkündigungsschutzes habe eine Sozialauswahl prinzipiell jedoch nur zwischen den Mitarbeiter/innen ohne Sonderkündigungsschutz durchgeführt werden können. Da diesen jedoch sämtlichst gekündigt worden sei, sei eine Sozialauswahl nicht erforderlich gewesen. Die Vereinbarung dieses Sonderkündigungsschutzes sei rechtmäßig, zumindest aber nicht grobfehlerhaft. Die Vereinbarung des besonderen Kündigungsschutzes sei ohne Benachteiligungsabsicht erfolgt, vielmehr hätten sachliche Gründe für eine Differenzierung vorgelegen. Die Mitarbeiter, die einen eigenen Beitrag für der Zukunft des Druckstandortes C-Stadt geleistet hätten, hätten im Gegenzug dafür Kündigungsschutz bis Ende 2010 erhalten. Der Schutz dieser Personengruppe sei ein sachlich gerechtfertigtes Motiv. Auch ein Verstoß gegen § 612 a BGB liege deshalb nicht vor. Eine Änderungskündigung habe der Klägerin gegenüber nicht ausgesprochen werden müssen. Nach der am 16.07.2007 getroffenen unternehmerischen Entscheidung der Fremdvergabe des Aufgabenbereichs des Einlegens habe es keine anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten (mehr) gegeben.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 25. August 2008 -6 Ca 85/08 -, auf welches im Übrigen Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Für das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG streite nach § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG eine gesetzliche Vermutung, weil die Klägerin auf der Namensliste zum Interessenausgleich aufgeführt sei. Eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG liege vor, weil der Personalabbau die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG überschreite. Die gesetzliche Vermutung sei nicht widerlegt. Unerheblich sei, dass Firma S.H. GmbH Stellen ausgeschrieben habe. Die Aufgaben des Einlegens seien an diese Firma fremdvergeben worden. Die Bildung der Vergleichsgruppen im Rahmen der Sozialauswahl sei nicht grobfehlerhaft. Die Unterscheidung zwischen kündbaren und nichtkündbaren Arbeitnehmern sei - ungeachtet sogar des besonderen Prüfungsmaßstabes des § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG - nicht zu beanstanden. Der vereinbarte Sonderkündigungsschutz habe sich nicht gegen andere Arbeitnehmer mit dem Ziel gerichtet, deren Kündigungsschutz zu beschränken; es habe deshalb kein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter vorgelegen. Für die Ungleichbehandlung der betroffenen Arbeitnehmer habe es einen sachlichen Grund gegeben, weil die Arbeitnehmer, denen der Sonderkündigungsschutz zugedacht worden sei, zuvor auf etwa ein Drittel ihres Entgeltes verzichtet hätten. Eine Änderungskündigung habe nicht ausgesprochen werden müssen nach der Entscheidung der Beklagten zur Fremdvergabe der Einlegearbeiten an die S. H. GmbH. Ein Verstoß gegen das Maßregelverbot des § 612 a BGB liege nicht vor. Die Klägerin habe bereits vorab durch Erläuterungen gewusst, dass es bei Annahme des Vertragsangebotes zu einem Sonderkündigungsschutz kommen würde.

Mit der am 13.10.2008 eingelegten und am 28.10.2008 begründeten Berufung gegen das am 24.09.2008 zugestellte Urteil vertieft die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ihr Arbeitsplatz sei nicht weggefallen, da lediglich eine Austauschkündigung vorliege. Die Beschäftigung der Mitarbeiterinnen der Firma S. H. GmbH erfolge im Rahmen des Direktions- und Weisungsrechts der Beklagten. Im Rahmen der Sozialauswahl sei die Unterscheidung zwischen kündbaren und nichtkündbaren Arbeitnehmern rechtswidrig. Sie wirke sich zu Lasten anderer zu kündigender Arbeitnehmer aus und nehme die Mitarbeiter von der Sozialauswahl aus, die einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nicht zugestimmt hätten. Ein sachlicher Grund könne nicht in dem Verzicht auf Gehaltserhöhungen gesehen werden. Dies gelte besonders dann, wenn - wie vorliegend - der Lohn der Klägerin von € 13,48 auf € 8,50 je Stunde abgesenkt werden sollte. Insoweit sei die Beklagte auch verpflichtet gewesen, vor Ausspruch einer Beendigungskündigung eine Änderungskündigung auszusprechen. Schließlich sei die Kündigung auch unwirksam nach § 613 a Abs. 4 BGB. Der 01.04.2008 sei als Datum des Betriebsübergangs willkürlich gewählt worden. Die Beklagte sei nicht mehr kündigungsberechtigt gewesen, weil der Betriebsübergang auf die Versandzentrum C-Stadt GmbH & Co. KG vor dem 01.04.2008 erfolgt sei. Bereits am 15.08.2007 sei bekanntgegeben worden, dass mit Wirkung zum 16. Juli 2007 Herr K.H. B. die Geschäftsführung der V-Stadt übernommen habe (Blatt 214 der Gerichtsakte).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 25.08.2008 - 6 Ca 85/08 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.01.2008 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

und verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Der Übergang des Betriebsteils Weiterverarbeitung auf V-Stadt sei zum 01.04.2008 mit Umstellung der ersten Versandlinie erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt habe die Beklagte ihre wirtschaftliche Betätigung eingestellt und die Leitungsmacht auf die Erwerberin übertragen. Alle vertraglichen Beziehungen hätten bis zum 31.03.2008 mit der Beklagten bestanden; bis zu diesem Zeitpunkt habe sie auch den Betrieb geleitet und alle Gehälter gezahlt. Der Betriebsteilübergang sei lediglich langfristig vorbereitet worden. Die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Da eine nichtausreichende Anzahl der Einlegerinnen das Änderungsangebot vom 05.07.2007 angenommen habe, sei die Fremdvergabe dieses Aufgabenbereichs erst am 16.07.2007 und damit erst nach dem Ergebnis des Rücklaufs der Änderungsangebote getroffen worden. Nach der Fremdvergabe habe es keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr gegeben. Die Mitarbeiter der S. H. GmbH unterstünden nicht dem Direktions- und Weisungsrecht der Beklagten bzw. der Rechtsnachfolgerin V-Stadt. Die Sozialauswahl sei nicht zu beanstanden. Die Vereinbarung des Sonderkündigungsschutzes sei als Gegenleistung zu den veränderten Arbeitsbedingungen sachlich gerechtfertigt, zumindest sei die Differenzierung nicht grobfehlerhaft i. S. von § 1 Abs. 5 KSchG. Ergänzend sei die Sozialauswahl im Ergebnis zumindest nicht grobfehlerhaft, selbst wenn die Mitarbeiterinnen mit Sonderkündigungsschutz in die Sozialauswahl einbezogen worden wären. Nach Auffassung der Beklagten müssten Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern gerade auch bei Alleinerzieherinnen besonders berücksichtigt werden.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung der Klägerin vom 27.10.2008 sowie die Berufungserwiderung der Beklagten vom 27. November 2008 und den weiteren Schriftsatz vom 27. Januar 2009 sowie auf die Erörterung in der mündlichen Verhandlung vom 06. März 2009.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete und damit zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die streitgegenständliche Kündigung vom 29. Januar 2008 ist sozial nicht gerechtfertigt nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG und deshalb rechtsunwirksam.

1. Die Kündigung vom 29. Januar 2008 ist sozial ungerechtfertigt, weil sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die der Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG).

a). Zum Zeitpunkt der Kündigung am 29.01.2008 bestand zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis. Ein Erfolg im Kündigungsschutzprozess setzt nach ständiger Rechtsprechung des BAG voraus, dass zum Zeitpunkt der Kündigung noch oder überhaupt ein Arbeitsverhältnis besteht (BAG 18.04.2002 - 8 AZR 347/01 -). Die Klägerin hat zwar neben etlichen Unwirksamkeitsgründen u. a. auch geltend gemacht, die Kündigung könne auch wegen mangelnder Kündigungsbefugnis unwirksam sein, weil bereits vor der Kündigung ein Teilbetriebsübergang auf V-Stadt erfolgt sei. Sie hat sich dabei auf Aushänge vom 15.08.2007 (Bl. 213) und vom 19.07.2007 (Bl. 214) gestützt, wonach mitgeteilt wurde, V-Stadt werde die gesamte Druckauflage der Beklagten übernehmen. Einen Teilbetriebsübergang, der gegebenenfalls zur Unschlüssigkeit der Kündigungsschutzklage führen könnte, ist damit nicht in ausreichendem Maße dargelegt, da sich aus diesem Vortrag nicht ergibt, dass zu einem Zeitpunkt vor Ausspruch der Kündigung die Leitungsmacht tatsächlich auf V-Stadt übertragen wurde. Im Übrigen hat die Klägerin durch ausführliche Auseinandersetzung mit möglichen Unwirksamkeitsgründen der Kündigung wie auch insbesondere mit Antragstellung im Kammertermin 06.03.2009 zumindest hilfsweise sich das (schlüssige) gleichwertige Parteivorbringen der Beklagten aus der Berufungserwiderung vom 27.11.2008, wonach erst am 01.04.2008 die Leitungsmacht auf das V-Stadt übertragen und bis zu diesem Zeitpunkt die Beklagte alleinige (Teilbetriebs)Inhaberin war, zu Eigen gemacht und verdeutlicht, dass sie ihre Klage auch auf dieses Vorbringen stützen will (vgl. hierzu BGH st. Rspr. 23.06.1989 - V ZR 125/88 - NJW 1989, 2756, BAG 18.04.2002 - 8 AZR 347/01 -).

b). Zu Gunsten der Beklagten streitet im Hinblick auf das Vorliegen dringender betrieblicher Gründe zwar die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG.

(1). Nach § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist, wenn bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind. Die Vermutungsbasis, dass eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vorlag und für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war und dass der Arbeitnehmer ordnungsgemäß in einem Interessenausgleich benannt ist, hat dabei der Arbeitgeber substanziiert darzulegen und ggf. zu beweisen (ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG, 03.04.2008 - 2 AZR 879/06 -).

(2). Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 1 Abs. 5 KSchG liegen vor. Eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG liegt bereits deshalb vor, weil - wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat - vorliegend ca. 50 von etwa 100 Arbeitnehmern von dem Personalabbau betroffen sind und die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG überschritten wurden (vgl BAG, 22.01.2004 - 2 AZR 111/02 - EZA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 11; HaKo/Gallner § 1 KSchG Rn. 654). Die Klägerin ist in der Namensliste des Interessenausgleichs vom 16.07.2007 namentlich aufgeführt.

c). Die Vermutung bewirkt eine Beweislastumkehr. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass dringende betriebliche Erfordernisse die Kündigung nicht bedingt haben, liegt beim Arbeitnehmer. Es ist deshalb Vortrag des Arbeitnehmers dahingehend erforderlich, dass die Betriebsbedingtheit der Kündigung ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 22.01.2004 - 2 AZR 111/02 - EZA § 1 KSchG Interessenausgleich Nr. 11; KR/Griebeling § 1 KSchG Rn. 703 g).

d). Die gesetzliche Vermutung ist vorliegend auf der Grundlage des zwischen den Parteien unstreitigen Sachverhalts wiederlegt, weil die Beklagte der Klägerin anstatt einer Beendigungskündigung nicht eine Änderungskündigung zu den Bedingungen des Angebots vom 05.07.2007 ausgesprochen hat.

(1). Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung liegt nur dann vor, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, der bei Ausspruch der Kündigung bestehenden betrieblichen Lage durch andere Maßnahmen technischer, organisatorischer oder wirtschaftlicher Art als durch eine Beendigungskündigung zu entsprechen. Das Merkmal der Dringlichkeit der betrieblichen Erfordernisse konkretisiert den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (ultima-ratio-Prinzip), aus dem sich ergibt, dass der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine beiden Parteien objektiv mögliche und zumutbare Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, auch zu geänderten Bedingungen, anbieten muss (ständige Rechtsprechung BAG 03.04.2008 - 2 AZR 500/06 -; 21.04.2005 - 2 AZR 132/04 -). Eine bestehende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer anzubieten. Dies gilt auch für eine Beschäftigung zu schlechteren Arbeitsbedingungen wie der Kürzung des Arbeitsentgelts (APS/Kiel § 1 KSchG Rn. 623). Das Angebot kann lediglich in Extremfällen unterbleiben. Macht der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung dem Arbeitnehmer das Angebot, den Vertrag der noch bestehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit anzupassen und lehnt der Arbeitnehmer dieses Angebot ab, so ist der Arbeitgeber regelmäßig nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet, trotzdem eine Änderungskündigung auszusprechen. Eine Beendigungskündigung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen im Falle des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht und auch nicht unter dem Vorbehalt ihrer sozialen Rechtfertigung annehmen (BAG 21.04.2005 - 2 AZR 132/04 -).

(2). Vorliegend bestand eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin zu geänderten Arbeitsbedingungen. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass sämtliche Arbeitnehmer, die das Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu reduzierten Bezügen angenommen haben, nach wie vor - nunmehr nach Teilbetriebsübergang für V-Stadt - in der Weiterverarbeitung tätig sind. Unerheblich ist, dass die Klägerin das entsprechende Angebot der Beklagten vom 05.07.2007 nicht angenommen hatte. Auch wenn im Vorfeld ein Änderungsangebot abgelehnt wurde, so ist der Arbeitgeber gehalten, die geänderten Vertragsbedingungen dem Arbeitnehmer im Wege der Änderungskündigung anzutragen. Lediglich dann, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die geänderten Arbeitsbedingungen in keinem Fall und auch nicht unter Vorbehalt annehmen, kann eine Änderungskündigung unterbleiben (BAG, 05.06.2008 - 2 AZR 107/07 -; 21.04.2005 - 2 AZR 132/04 -). Dies ist nicht erkennbar.

(3). Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass nach einer am 16.07.2007 auf der Grundlage des Rücklaufs der Änderungsangebote getroffenen weiteren unternehmerischen Entscheidung im Hinblick auf die behauptete Fremdvergabe an die Firma S.H. GmbH nunmehr keine anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten (mehr) bestanden. Diesem Einwand der Beklagten folgt die Kammer nicht. Nach Auffassung der Kammer konnte die Beklagte die Verpflichtung zum Ausspruch einer Änderungskündigung nicht dadurch umgehen, dass die unternehmerische Entscheidung in eine "freiwillige Abfrage" und in eine weitere Entscheidung "Fremdvergabe" auf der Grundlage des Ergebnisses dieser freiwilligen Abfrage aufgesplittet wurde. Ziel der Beklagten war es, die Produktion am Druckstandort C-Stadt mit einem reduzierten Lohnniveau fortzusetzen. Sämtliche Arbeitnehmerinnen, die das Angebot auf Lohnabsenkung von € 12,50 - bzw. im Fall der Klägerin von € 13,48 - auf € 8,50 angenommen haben, werden von der Beklagten weiterbeschäftigt. Das Änderungsangebot der Beklagten vom 05.07.2007 an die Klägerin war bereits unterschrieben und bedurfte lediglich noch der Annahme, um eine Weiterbeschäftigung im Betrieb der Beklagten zu ermöglichen. Hätten sämtliche Arbeitnehmerinnen dieses Angebot angenommen, wären unstreitig sämtliche Arbeitnehmerinnen weiterbeschäftigt worden. Dies zeigt, dass es der Beklagten ausschließlich darum ging, zukünftig zu einem reduzierten Lohnniveau (von € 8,50) in der Weiterverarbeitung zu produzieren. Darin lag nach Auffassung der Kammer die eigentliche unternehmerische Entscheidung. Die Arbeitnehmer, die das Angebot nicht annahmen, wurden im Wege der behaupteten Fremdvergabe des Auftrags ersetzt, um wirtschaftlich die gewünschten Produktionsbedingungen zu erreichen. In dieser Aufteilung der unternehmerische Entscheidung der Beklagten in zwei vermeintlich voneinander unabhängige Stufen liegt nach Auffassung der Kammer eine Umgehung des Änderungsschutzes nach § 2 KSchG.

Bestand eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu geänderten Bedingungen, so musste sie der Klägerin nicht nur im Wege einer freiwilligen Abfrage sondern im Wege einer Änderungskündigung angetragen werden, damit sie überprüfen lassen konnte, ob die beabsichtigten Änderungen sozial gerechtfertigt sind.

(4). Es ist naheliegend, dass eine von vornherein geplante "echte" Fremdvergabe der Tätigkeiten des Einlegens dazu geführt hätte, dass die Arbeitsplätze auf der Grundlage einer solchen unternehmerischen Entscheidung entfallen wären. Eine solche unternehmerische Entscheidung hat die Beklagte jedoch nicht getroffen. Sie wollte prinzipiell mit den bei ihr beschäftigten Arbeitnehmerinnen weiter produzieren (möglicherweise auch um vorhandenes Know How der Arbeitnehmerinnen zu nutzen), jedoch nicht zu den ursprünglichen Arbeitsbedingungen.

(5). Die Beklagte war deshalb gehalten, die geänderten Arbeitsbedingungen der Klägerin auch zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung am 29. Januar 2008 noch anzubieten. Zwar kommt es grundsätzlich auf anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung an. Nach vorstehenden Erwägungen führt die Aufteilung der unternehmerischen Entscheidung in eine freiwillige Abfrage und eine nachfolgende behauptete Fremdvergabe der Tätigkeiten nicht dazu, dass der Klägerin gegenüber keine Änderungskündigung mehr ausgesprochen werden musste.

2. Die streitgegenständliche Kündigung ist auch deshalb sozial nicht gerechtfertigt, weil die getroffene soziale Auswahl grobfehlerhaft ist (§ 1 Abs. 5, Abs. 3 KSchG).

a). Grobfehlerhaft ist eine soziale Auswahl nur, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt (BAG, 21.09.2006 - 2 AZR 284/06 -; 03.04.2008 - 2 AZR 879/06 -). Auch die Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises ist nach § 1 Abs. 5 KSchG am Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit zu prüfen. Wegen fehlerhafter Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises ist die soziale Auswahl dann grobfehlerhaft, wenn die Fehlerhaftigkeit ins Auge springt. Solange gut nachvollziehbare und ersichtlich nicht auf Missbrauch zielende Überlegungen für die - etwa sogar auch fehlerhaft - getroffene Eingrenzung des auswahlrelevanten Personenkreises sprechen, ist die Grenze der groben Fehlerhaftigkeit unterschritten (BAG, 03.04.2008 - 2 AZR 879/06 -).

b). Danach war die Bestimmung des auswahlrelevanten Personenkreises vorliegend grobfehlerhaft, weil ausschließliches Kriterium für die Bestimmung des zur Kündigung anstehenden Personenkreises die Annahme bzw. Nichtannahme des Angebots der Weiterarbeit zu erheblich reduzierten Bezügen war.

(1). Die Regelungen über die Sozialauswahl sind grundsätzlich nicht dispositiv, insbesondere ist jeder gezielte Eingriff unwirksam (APS Kiel, § 1 KSchG Rn. 727). Die mittelbare Verschlechterung der kündigungsrechtlichen Position eines Arbeitnehmers ist aber dann zu akzeptieren, wenn sie sich aus einer zulässigen Gestaltung der Arbeitsbedingungen ergibt. Eine im Rahmen der Sozialauswahl zu Lasten anderer Arbeitnehmer wirkende Individualvereinbarung darf jedoch nicht rechtsmissbräuchlich sein und allein eine Umgehung der Sozialauswahl bezwecken. In Anbetracht des Spannungsverhältnisses des verfassungsrechtlich gebotenen Kündigungsschutzes nach Art. 12 Abs. 1 GG einerseits und der Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien andererseits muss für eine solche Vereinbarung - z.B. Anrechnung an sich nicht berücksichtigungsfähiger früherer Betriebszugehörigkeitszeiten - ein sachlicher Grund bestehen (zu Individualvereinbarungen BAG, 02.06.2005 - 2 AZR 480/04 -). Auch ein tariflich vereinbarter Sonderkündigungsschutz - insbesondere ordentliche Unkündbarkeit nach bestimmten Betriebszugehörigkeitszeiten bzw. Erreichen eines bestimmten Lebensalters - ist grundsätzlich zulässig (BAG, 05.06.2008 - 2 AZR 907/06 -); insoweit liegt die Grenze der Regelungsbefugnis dort, wo die Fehlgewichtung durch den durch die ordentliche Unkündbarkeit eingeschränkten Auswahlpool zu einer grobfehlerhaften Auswahl führen würde (BAG a. a. O.).

(2). Ziffer III der Betriebsvereinbarung vom 16.07.2007 (Interessenausgleich bezüglich der Änderung der materiellen Arbeitsbedingungen) ist vorliegend jedoch rechtsunwirksam gem. §§ 75 Abs. 1 BetrVG, 134 BGB, soweit nur zu Gunsten der änderungswilligen Arbeitnehmer Sonderkündigungsschutz begründet wurde.

Die Betriebsparteien sind grundsätzlich berechtigt, in freiwilligen Betriebsvereinbarungen belastende Regelungen zu vereinbaren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besitzen die Betriebsparteien eine umfassende Kompetenz, durch freiwillige Betriebsvereinbarungen Regelungen über den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu treffen. Der Prüfungsmaßstab ist aber bei Betriebsvereinbarungen ein strengerer als bei der gerichtlichen Kontrolle tarifvertraglicher Normen, weil anders als die den Betriebsparteien lediglich durch das BetrVG verliehene Betriebsautonomie die Tarifautonomie durch Art 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützt wird und die Bindung der Tarifunterworfenen anders als diejenige der Adressaten einer Betriebsvereinbarung jedenfalls auch mitgliedschaftlich legitimiert ist (BAG 12.12.2006 - 1 AZR 96/06 -).

Damit sind - z. B. im Rahmen sog. Bündnisse für Arbeit - grundsätzlich auch Bestandsschutzregelungen in Betriebsvereinbarungen im Gegenzug zu einem allgemeinen Verzicht auf betriebliche Vergütungsbestandteile zulässig. Nach § 75 Abs. 1 BetrVG sind die Betriebsparteien dabei aber verpflichtet, alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit sowie dem Grundsatz der Gleichbehandlung zu behandeln. Die vorliegende Gruppenbildung in Bezug auf die Zuerkennung von Sonderkündigungsschutz danach, ob die Arbeitnehmer bereit sind, auf 1/3 der vertraglich zustehenden Bezüge zu verzichten, verstößt aber gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, weil der Verzicht auf vertragliche Bezüge - zumindest in dieser Größenordnung und ohne erkennbare Sanierungsnotlage - kein sachlich zulässiges Differenzierungskriterium darstellt. Der Arbeitnehmer, der eine einvernehmliche Reduzierung seiner vertraglich zugesagten Bezüge ablehnt, macht von seinem Recht auf Vertragsfreiheit Gebrauch. Die Ausübung dieses Rechts dürfen die Betriebsparteien nicht dadurch sanktionieren, dass der Arbeitnehmer von Regelungen des Sonderkündigungsschutzes ausgenommen und ihm - wie vorliegend - faktisch der Kündigungsschutz des § 1 Abs. 3 KSchG entzogen wird. Bei einer Vereinbarung von Sonderkündigungsschutz auf betrieblicher Ebene sind die Betriebsparteien gehalten, auch den gesetzlichen Rahmen des § 1 Abs. 3 KSchG zu beachten. Sämtliche Einlegerinnen im Betrieb der Beklagten sind unstreitig miteinander vergleichbar und austauschbar. Es ist nicht behauptet worden, dass die Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutz wegen besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG ansonsten aus der sozialen Auswahl herausgenommen hätten werden können. Die Differenzierung nach der Bereitschaft, zu schlechteren Arbeitsbedingungen zu arbeiten, findet weder in § 1 Abs. 3 KSchG eine Grundlage noch liegt darin ein sachliches Differenzierungskriterium im Rahmen der gebotenen Gleichbehandlung. Dieser Fehler in der Determinierung des auswahlrelevanten Personenkreises springt ins Auge und ist deshalb grobfehlerhaft.

(3). Die Hilfserwägung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis der Klägerin hätte auch dann hätte gekündigt werden müssen, wenn die im Betrieb verbliebenen Mitarbeiterinnen in die soziale Auswahl einbezogen worden wären, trägt nicht. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich nach obigen Erwägungen, dass das Auswahlverfahren objektiv nicht den gesetzlichen Anforderungen der sozialen Auswahl entsprochen hat, weil der auswahlrelevante Personenkreis verkannt wurde. Bei einer derartigen Fallgestaltung braucht der Arbeitnehmer zunächst nichts weiter darzulegen, vielmehr spricht eine vom Arbeitgeber auszuräumende tatsächliche Vermutung dafür, dass auch die Auswahlentscheidung objektiv fehlerhaft und damit die Kündigung sozialwidrig ist. Der Arbeitgeber muss dann näher darlegen, dass trotz Durchführung eines gegen § 1 Abs. 3 KSchG verstoßenden Auswahlverfahrens gleichwohl der gekündigte Arbeitnehmer nach dem Maßstab des § 1 Abs. 3 KSchG nicht (grob) fehlerhaft ausgewählt worden ist (BAG 24.05.2005 - 8 AZR 398/04). Diese Vermutung hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 27.01.2007 nicht widerlegt. Dass Unterhaltsverpflichtungen bei Alleinerziehenden besonders gewichtet werden können, wie die Beklagte vorträgt, findet in § 1 Abs. 3 KSchG keine Grundlage und hat bei der Auswahlentscheidung der Beklagten auch tatsächlich keine Rolle gespielt. Die Klägerin ist die lebensälteste Mitarbeiterin in ihrem Arbeitsbereich, hat eine Unterhaltspflicht zu erfüllen und verfügt über eine erheblich höhere Betriebszugehörigkeit als etliche der verbliebenen Arbeitnehmerinnen. Die Sozialauswahl ist grobfehlerhaft.

3. Ob die Kündigung auch deshalb rechtsunwirksam ist, weil, wie die Klägerin behauptet, sie lediglich gegen eine Mitarbeiterin der Firma S. H. GmbH unter Beibehaltung gleicher Direktions- und Weisungsstrukturen ausgetauscht worden sei, bedarf keiner Entscheidung. Ebenfalls kann dahinstehen, ob die Kündigung nach § 612a BGB rechtsunwirksam ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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