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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 29.11.2002
Aktenzeichen: 12 TaBV 111/02
Rechtsgebiete: BetrVG, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 102
BetrVG § 111
BetrVG § 111 Satz 1
BetrVG § 111 a
BetrVG § 112
BetrVG § 112 a
BetrVG § 113
BetrVG § 113 Abs. 3
BetrVG § 118 Abs. 1
BetrVG § 121
ArbGG § 87 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

12 TaBV 111/02

Verkündet am: 29. November 2002

In dem Beschlussverfahren

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen aufgrund der Anhörung am 29.11.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Röder und die ehrenamtlichen Richter Kassebeer und Kruska

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerinnen wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 26.11.2002 - 3 BVGa 5/02 - abgeändert.

Der Antrag wird - soweit noch nicht geschehen - zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beteiligte zu 2. gibt eine Tageszeitung heraus und beschäftigt etwa 417 Arbeitnehmer von denen mehr als 100 als Redakteure und Volontäre tätig sind. Die Beteiligte zu 3., welche 96 Mitarbeiter beschäftigt, erbringt in den Bereichen Personal, Gebäudemanagement und Post sowie Rechnungswesen und Buchhaltung Dienstleistungen für Kunden. Die Beteiligten zu 2. und 3. (Antragsgegnerinnen) führen einen gemeinsamen Betrieb. Antragsteller -Beteiligter zu 1. - ist der in diesem Betrieb gebildete Betriebsrat, welcher aus 11 Mitgliedern besteht.

Die Antragsgegnerinnen beabsichtigen insgesamt 97 Arbeitnehmern (66 der Bet. zu 2. und 31 der Bet. zu 3.) betriebsbedingt zu kündigen. Demgemäß haben sie am 19.11.2002 für die betroffenen Mitarbeiter das Anhörungsverfahren für eine ordentliche Kündigung gemäß § 102 BetrVG eingeleitet.

Die Beteiligten des vorliegenden Beschlussverfahrens streiten im Eilverfahren der einstweiligen Verfügung (§ 85 Abs. 2 ArbGG) über das Begehren des Antragstellers, den Antragsgegnerinnen zu untersagen, personelle Maßnahmen, seien es Kündigungen, Änderungskündigungen oder Versetzungen vorzunehmen, bis die Verhandlungen über einen Interessenausgleich entsprechend §§ 111, 112 BetrVG abgeschlossen oder gescheitert sind, hilfsweise die Untersagung personeller Maßnahmen, seien es Kündigungen, Änderungskündigungen oder Versetzungen, bis die Antragsgegnerinnen die geplanten Betriebsänderungen mit dem Antragsteller beraten und die Verhandlungen über einen Sozialplan entsprechend §§ 111, 112, 111 a BetrVG abgeschlossen oder gescheitert sind.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt ihrer vor dem Arbeitsgericht gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen, sowie die erstinstanzliche Sitzungsniederschrift vom 26.11.2002 (Bl. 67, 68 d. A.), verwiesen.

Das Arbeitsgericht Oldenburg hat durch den am 26.11.2002 verkündeten, hiermit in Bezug genommenen Beschluss (Bl. 77 - 83 d. A.) unter Zurückweisung der weitergehenden Anträge und Begrenzung der Verfügungsanordnung bis zum 26.01.2003 den Antragsgegnerinnen untersagt, im Rahmen der geplanten Betriebsänderung Kündigungen auszusprechen, bis die Antragsgegnerinnen die geplante Betriebsänderung mit dem Antragsteller beraten und die Verhandlungen über einen Sozialplan entsprechend §§ 118 Abs. 1, 111, 112, 112 a BetrVG abgeschlossen oder gescheitert sind.

Gegen den ihnen am 28.11.2002 zugestellten Beschluss haben die Antragsgegnerinnen bereits am 27.11.2002 Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.

Sie sind der Auffassung, der begehrte Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bestehe bereits aus Rechtsgründen nicht. Unabhängig davon sei auf jeden Fall in Tendenzunternehmen ein Unterlassungsanspruch zu verneinen, denn potentieller Inhalt eines Sozialplans sei die Milderung von Nachteilen und könne nicht das Nichtaussprechen von Kündigungen, d. h. die Verhinderung von Nachteilen sein. Im übrigen liege im Streitfall auch kein Verfügungsgrund vor.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beschwerdeführerinnen wird auf die Beschwerdeschrift vom 27.11.2002 (Bl. 85 - 100 d. A. nebst Anlagen Bl. 101 - 117 d. A.) sowie den Schriftsatz vom 28.11.2002 (Bl. 152 - 154 d. A. nebst Anlagen Bl. 155 - 186 d. A.) Bezug genommen.

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

I. Die einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 26.11.2002, Aktenzeichen: 3 BVGa 5/02 wird aufgehoben.

II. Die Anträge werden abgewiesen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 28.11.2002 (Bl. 130 - 138 d. A. nebst Anlagen Bl. 139, 140 d. A.).

Er macht insbesondere geltend, auch in Kenntnis der Rechtsprechung der 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen, welche in ständiger Rechtsprechung einen allgemeinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats für den Fall des unterbliebenen Interessenausgleichs verneine, begründeten die Besonderheiten des vorliegenden Falles einen Unterlassungsanspruch. Dies folge aus der besonderen Schutzbedürftigkeit des Betriebsrats in Tendenzbetrieben, in welchen ein Interessenausgleich nicht versucht werden müsse.

Wenn der Betriebsrat in einem Tendenzunternehmen auf den Abschluss eines Sozialplanes beschränkt sei, komme der vorangegangenen Unterrichtungs- und Beratungsverpflichtung des Arbeitgebers ein besonderes Gewicht bei. Da insoweit dem Betriebsrat vom Gesetzgeber nur eingeschränkte Beteiligungsrechte zugestanden würden, sei der Arbeitgeber um so mehr gehalten, die vorgeschalteten Informations- und Beratungsrechte zu wahren. Gebe man dem Betriebsrat keinen Unterlassungsanspruch an die Hand, dann bleibe das Vorgehen des Arbeitgebers im Grunde genommen ohne Konsequenzen. Da vorliegend die Antragsgegnerinnen die Beteiligungsrechte des Antragstellers in Form von Informations-, Unterrichtungs- und Beratungsrechten in eklatanter Art und Weise verletzt hätten, ziehe die erhöhte Schutzbedürftigkeit des Betriebsrats einen entsprechenden Unterlassungsanspruch nach sich.

Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde ist auch sonst zulässig.

Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat zu Unrecht die vom Antragsteller begehrte einstweilige Verfügung zum Teil erlassen. Dem Betriebsrat steht der erstinstanzlich zugesprochene Anspruch auf Unterlassung nicht zu.

Die Frage, ob der Betriebsrat die Durchführung einer Betriebsänderung - hier noch im Streit: Ausspruch von Kündigungen - durch Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks Unterlassung der Maßnahme bis zur Ausschöpfung des Verhandlungsanspruchs nach §§ 111, 112 BetrVG verhindern kann, ist umstritten (vgl. insoweit jeweils m. w. N. über den Streitstand aus Rechtsprechung und Lehre: ErfK,Hanau/Kania, 2. Aufl. 2001, § 111 BetrVG R-Nr. 24; Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Aufl. 2002, § 111 R-Nr. 131; Ehler, Betriebsberater 2000, 978 ff.; Reiserer, Betriebsberater 2000, 2001 f, Lipinski, Betriebsberater 2002, 2226 ff). Die Kammer hat sich bereits im Beschluss vom 29.02.1988 - 12 TaBV 17/88 - der verneinenden Auffassung angeschlossen und dies zuletzt im Beschluss vom 18.12.2001 - 12 TaBV 89/01 - bestätigt. Hiervon abzuweichen steht weiterhin keine Veranlassung. Das Betriebsverfassungsrecht kennt keinen allgemeinen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung etwaiger mitbestimmungswidriger Handlungen. Auch hält es für den Fall des unterbliebenen Interessenausgleichs andere konkrete Sanktionen gegen den rechtswidrig handelnden Arbeitgeber bereit, wie die Nachteilsausgleichsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer nach § 113 BetrVG oder die Geldbuße nach § 121 BetrVG. Wenn sich bereits aus einem abgeschlossenen Interessenausgleich kein Anspruch des Betriebsrats auf dessen Einhaltung ergibt (vgl. BAG, Betriebsberater 91, 2306) und dem Arbeitgeber darüber hinaus ausschließlich vorbehalten bleibt, ob er eine Betriebsänderung vornehmen will, so ist nicht zu erkennen, inwieweit ein durch einstweilige Verfügung sicherbarer Unterlassungsanspruch gegeben ist.

Auch die Besonderheiten des vorliegenden Falles (Tendenzbetrieb) rechtfertigen entgegen der Auffassung des Antragstellers keine andere Beurteilung.

Auch in Tendenzbetrieben - ein solcher kann hier unterstellt werden - kommt ein Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber eine Betriebsänderung durchführt, ohne den Betriebsrat rechtzeitig unterrichtet und Verhandlungen über einen Sozialplan ermöglicht zu haben (vgl. BAG BB 99, 687 f.). Damit ist eine Sanktion gegeben für die Verletzung von Pflichten, die dem Arbeitgeber im Hinblick auf das Zustandekommen eines Sozialplans auferlegt sind. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass mit der Beteiligung bei Betriebsänderungen nach § 111 Satz 1 BetrVG dem Betriebsrat keine echten Mitbestimmungsrechte sondern bloße Mitwirkungsrechte eingeräumt sind, um die Interessen der Arbeitnehmer zu wahren, die infolge wirtschaftlicher Entscheidungen des Unternehmers Nachteile erleiden könnten. Dem Betriebsrat soll von Gesetzes wegen nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, die Umsetzung der Betriebsänderung selbst zu verzögern oder gar zu verhindern, sondern es ist lediglich der Abschluss eines Sozialplans zur Schaffung eines sozialen Ausgleichs mit einem erzwingbaren Mitbestimmungsrecht abgesichert. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats besteht allein im Interesse der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer und soll die Entstehung von Nachteilen zu ihren Lasten verhindern. Zur Wahrung dieses Interesses sieht § 113 Abs. 3 BetrVG entsprechende Sanktionen vor. Der Betriebsrat kann eine Betriebsänderung letztendlich nicht verhindern und seine Mitwirkung erstreckt sich allein auf das Verfahren selbst, so dass die Gewährung eines Unterlassungsanspruchs in Tendenzbetrieben über das gesetzliche Ziel hinausgehen würde. Zwar kann die Ablehnung des Unterlassungsanspruches dazu führen, dass gesetzlich vorgesehene Informations- und Beratungsrechte des Betriebsrats im (hier unterstellten) Tendenzbetrieb mit der Durchführung der Betriebsänderung durch den Arbeitgeber zumindest teilweise hinfällig werden. Dieses Risiko entspricht jedoch der gesetzlichen Systematik und wird mittelbar durch den dem Arbeitgeber drohenden § 113 BetrVG ausgeglichen.

Gewährt deshalb ein reiner Verstoß gegen Informations- und Beratungspflichten im Tendenzbetrieb, keinen Unterlassungsanspruch, so fehlt es vorliegend am notwendigen Verfügungsanspruch, welcher Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist, und der angefochtene Beschluss war demgemäß abzuändern und der Antrag - soweit noch nicht geschehen - zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss findet eine Rechtsbeschwerde nicht statt (§ 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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