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Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 11.06.2002
Aktenzeichen: 13 Sa 53/02
Rechtsgebiete: BGB, AGB-G


Vorschriften:

BGB § 618
BGB § 619
AGB-G § 9
1.

Vom Anwendudngsbereich der §§ 618, 619 BGB wird auch Schutzkleidung erfasst, die auf Grund lebensmittelrechtlicher Vorschriften im Betrieb getragen werden muss. Die Kosten der Schutzkleidung hat der Arbeitgeber zu tragen, eine vertragliche Vereinbarung der Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers ist unwirksam.

2.

Zur Inhaltskontrolle nach § 242 BGB in Verbindung mit § 9 AGB-G.


Landesarbeitsgericht Niedersachsen IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 Sa 53/02

Verkündet am: 11.06.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 11.06.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und den ehrenamtlichen Richter Milkau sowie die ehrenamtliche Richterin Weisbrich

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 05.12.2001, 1 Ca 664/01, abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 858,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.2001 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 858,97 € festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beklagte hat monatlich 40,-- DM als Reinigungskosten für Arbeitskleidung vom Lohn der Klägerin einbehalten. Die Klägerin begehrt für den Zeitraum März 1997 bis April 2001 Auszahlung der einbehaltenen Reinigungskosten in Höhe von 1.680,-- DM.

Die Beklagte unterhält einen Betrieb der lebensmittelverarbeitenden Industrie. Die Klägerin ist als Produktionshelferin beschäftigt, der Bruttostundenlohn beträgt 14,-- DM. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 20.01.1997, Bl. 4 ff. d.A.. In § 6 des Arbeitsvertrages ist unter der Überschrift Arbeitskleidung geregelt:

Für die Bereiche Produktion und Lager wird teilweise Berufskleidung gestellt. Aus sicherheitstechnischen, hygienischen und optischen Gründen muss die Arbeitskleidung auch getragen werden. Die Kosten für die Reinigung werden dem Mitarbeiter anteilig nach Absprache berechnet.

Aufgrund der Lebensmittel- und Fleischhygiene-Verordnung müssen die Arbeitnehmer im Produktionsbetrieb der Beklagten saubere, helle und leicht waschbare Arbeitskleidung tragen. Die Beklagte stellt weiße Baumwollkleidung zur Verfügung, die nur innerhalb des Betriebes getragen werden darf. Die Kleidung wird täglich gewechselt und gereinigt. Die Beklagte hat mit einem Reinigungsunternehmen einen Vertrag abgeschlossen, wonach für die Reinigung der Arbeitskleidung pro Arbeitnehmer pauschal ein Betrag von 67,56 DM pro Monat zu zahlen ist. Weil es sich um eine Pauschale handelt, entstehen die Reinigungskosten pro Arbeitnehmer auch bei dessen krankheits- bzw. urlaubsbedingter Abwesenheit. Entsprechend vertraglichen Regelungen wie § 6 des vorliegenden Arbeitsvertrages belastet die Beklagte die Arbeitnehmer mit monatlich 40,-- DM Reinigungskosten für Arbeitskleidung. Der Betrag wird vom Nettoverdienst einbehalten.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, es handele sich um Schutzkleidung, die von den Arbeitnehmern aufgrund von Hygienevorschriften zu tragen sei. Deshalb sei die Arbeitskleidung vom Arbeitgeber zu stellen und auch von diesem auf seine Kosten zu reinigen. Im Übrigen sei die Kostenpauschale überhöht. Zu beanstanden sei auch, dass die Reinigungspauschale einbehalten werde für Krankheits- und Urlaubstage.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.680,-- DM nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, bei Abschluss des Arbeitsvertrages sei der Klägerin mitgeteilt worden, dass Reinigungskosten in Höhe von 40,-- DM berechnet würden. Die Klägerin sei einverstanden gewesen. Die vertragliche Vereinbarung über die Beteiligung an den Reinigungskosten sei wirksam, es handele sich nicht um Schutzkleidung, die aufgrund von Arbeitnehmerschutzvorschriften getragen werden müsse.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

Mit Berufung wiederholt die Klägerin ihre erstinstanzlich vorgetragene Rechtsauffassung. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung.

Die Klägerin beantragt:

Unter Abänderung des am 05.12.2001 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Nienburg, Az. 1 Ca 664/01, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 858,97 6 (1.680,-- DM) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Juli 2001 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt die erstinstanzlich vorgetragene Rechtsauffassung. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungserwiderung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Das arbeitsgerichtliche Urteil war abzuändern, die Beklagte war entsprechend Klageantrag zu verurteilen.

Die Klägerin hat Anspruch auf Auszahlung der Arbeitsvergütung in Höhe von 1.680,-- DM. Durch Einbehalt von monatlich 40,-- DM Reinigungskosten vom Nettolohn hat die Beklagte Aufrechnung erklärt mit einem Anspruch auf Begleichung anteiliger Reinigungskosten nach § 6 des Arbeitsvertrages. Diese Aufrechnung hat nicht zur Erfüllung des Lohnanspruchs geführt (§ 389 BGB), weil ein Anspruch auf Beteiligung der Klägerin an den Reinigungskosten nicht bestanden hat. Die Klägerin hat Anspruch auf kostenlose Gestellung der Arbeitskleidung gemäß § 618 BGB. Die vertragliche Vereinbarung über die Beteiligung an den Reinigungskosten ist nach § 619 BGB unwirksam.

Im Grundsatz hat der Arbeitnehmer Arbeitskleidung, also die Kleidung, die er während der Arbeit trägt, selbst zu beschaffen und auf eigene Kosten zu reinigen. Besteht nach vertraglicher Vereinbarung für den Arbeitnehmer die Verpflichtung, eine bestimmte einheitliche Berufs- oder Dienstkleidung zur Kenntlichmachung der Funktion oder zur Außendarstellung des Unternehmens zu tragen, sind Kleidungskosten und Reinigungskosten vertraglich regelbar. Zwingende gesetzliche Regelungen wie §§ 618, 619 BGB oder § 670 BGB bestehen insoweit nicht (BAG vom 19.05.1998, 9 AZR 307/96, AP Nr. 31 zu § 670 BGB). Hat der Arbeitnehmer aufgrund von Unfallverhütungsvorschriften Schutzkleidung zu tragen, z.B. Sicherheitsschuhe, dann ist diese Schutzkleidung nach §§ 618, 619 BGB kostenlos zur Verfügung zu stellen. Eine Kostenbeteiligung des Arbeitnehmers ist allenfalls dann zulässig, wenn er die Schutzkleidung auch privat nutzen kann (BAG vom 21.08.1985, 7 AZR 199/83, AP Nr. 19 zu § 618 BGB).

Das LAG Düsseldorf (Urteil vom 26.04.2001, 13 Sa 1804/00, NZA-RR 2001, S. 409) hat § 618 BGB auch angewandt auf Arbeitskleidung, die nicht zum Schutz des Arbeitnehmers, sondern aus hygienischen Gründen zu tragen war. Entsprechend führt das LAG Hamm zur Arbeitskleidung von Krankenhauspersonal, die nur auf der Station getragen werden durfte, aus: Die Grenze zur reinen Berufskleidung werde überschritten, so dass diese Kleidung den Charakter der Schutzkleidung erfahre (Urteil vom 22.05.2001, 7 Sa 140/01, juris - das Urteil befasst sich mit der Auslegung des § 21 Abs. 2 AVR-Caritas, nicht mit der Anwendung des § 618 BGB).

§ 618 BGB verpflichtet den Arbeitgeber nicht nur zur Stellung von Schutzkleidung im engeren Sinne, die Vorschrift erfasst auch Schutzkleidung, die aus hygienischen Gründen getragen werden muss.

Bei der Schutzkleidung im engeren Sinne handelt es sich um Kleidung oder Ausrüstung, die unmittelbar dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers dient.

Auf § 1 der PSA-Benutzungsverordnung vom 04.12.1996 kann verwiesen werden. Für die Schutzkleidung im engeren Sinne ergibt sich bereits aus § 3 Abs. 3 Arbeitssicherheitsgesetz die zwingende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Kostentragung.

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte aufgrund lebensmittelrechtlicher Verpflichtungen (Kap. 5 Nr. 7 der Lebensmittelhygiene-Verordnung vom 05.08.1997; Anlage 2, Kap. II, Nr. 1 der Fleischhygiene-Verordnung) für helle und saubere Arbeitskleidung zu sorgen. Sie muss zur Einhaltung von Hygienevorschriften und allein im betrieblichen Interesse anordnen, dass helle und saubere Arbeitskleidung getragen wird. Die Arbeitskleidung ist damit eine "Vorrichtung" im Sinne des § 618 BGB, die der Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen hat, und zwar auf seine Kosten. Sie ist ebenso wie Schutzkleidung im engeren Sinne zu bewerten.

Für diese Auslegung kann auch auf den Rechtsgedanken des § 670 BGB zurückgegriffen werden. So führt das BAG im Urteil vom 19.05.1998, 9 AZR 307/96, AP Nr. 31 zu § 670 BGB aus: Müsse der Arbeitgeber nach Unfallverhütungsvorschriften Schutzkleidung zur Verfügung stellen, habe der Arbeitnehmer bei Selbstbeschaffung Anspruch auf Aufwendungsersatz. Ein solcher Anspruch bestehe aber nicht, wenn dem Arbeitgeber weder aus Gründen des Gesundheitsschutzes noch aus anderen Gründen gesetzlich auferlegt sei, dem Arbeitnehmer Kleidung zur Verfügung zu stellen. Nach dem Rechtsgedanken des § 670 BGB hat damit der Arbeitgeber Aufwendungen zu erstatten, die der Arbeitnehmer im betrieblichen Interesse macht. Entsprechend ist bei Arbeitskleidung zu differenzieren. MUSS der Arbeitnehmer aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, sei es aus Sicherheitsgründen, sei es aufgrund von Hygienevorschriften, bestimmte Arbeitskleidung tragen, erfolgt dies im betrieblichen Interesse. Die Kosten hat der Arbeitgeber zu tragen. Abweichende vertragliche Vereinbarungen sind nach §§ 618, 619 BGB unwirksam. Hat der Arbeitnehmer Berufs- oder Dienstkleidung zu tragen, ohne dass eine gesetzliche Verpflichtung besteht, kann eine Kostenregelung auf arbeitsvertraglicher Ebene erfolgen.

Die Klägerin hat die Arbeitskleidung, die sie ausschließlich im Betrieb tragen durfte, allein im betrieblichen Interesse aufgrund der Hygienevorschriften getragen. Die Beklagte war damit zur alleinigen Kostentragung verpflichtet. Die vertragliche Vereinbarung über die Beteiligung an den Reinigungskosten ist unwirksam. Weil ein Anspruch auf Erstattung von Reinigungskosten nicht bestand, hat die Beklagte nicht wirksam gegen Lohnansprüche aufgerechnet, so dass der Anspruch der Klägerin auf Restlohnzahlung in Höhe von 1.680,-- DM begründet ist. Der Höhe nach ist der Betrag unstreitig.

Lediglich hilfsweise ist darauf hinzuweisen, dass nach Auffassung der Kammer § 6 des Arbeitsvertrages auch wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin unwirksam sein dürfte. Zwar war das AGB-Gesetz in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung nicht auf das Arbeitsrecht anzuwenden. Trotzdem war gemäß § 242 BGB entsprechend AGB-Recht eine Inhaltskontrolle von arbeitsvertraglichen Vereinbarungen vorzunehmen. Anwendbar war damit auch der Rechtsgedanke aus § 9 AGB-Gesetz. Für eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin durch die Regelung in § 6 des Arbeitsvertrages spricht hier, dass mit dieser Vereinbarung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abgewichen wird. Aus § 618 BGB und aus § 670 BGB ergibt sich, das betrieblich veranlasste Aufwendungen vom Arbeitgeber zu tragen sind. Gemessen an dieser gesetzlichen Wertung schafft § 6 des Arbeitsvertrages eine unangemessene Benachteiligung, weil erhebliche Anteile der betrieblich veranlassten Reinigungskosten von den Arbeitnehmern zu tragen sind. Einer abschließenden Entscheidung zur Inhaltskontrolle bedurfte es jedoch nicht, da § 6 des Arbeitsvertrages bereits gemäß §§ 618, 619 BGB als unwirksam zu bewerten war.

Die Zinsentscheidung beruht auf § 288 BGB. Die Kosten des Rechtsstreits waren gemäß § 91 ZPO der Beklagten aufzuerlegen. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes folgt aus § 3 ZPO.

Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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