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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 23.01.2006
Aktenzeichen: 17 Sa 1652/05
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 23
KSchG § 23 Abs. 1
KSchG § 23 Abs. 1 Satz 2
KSchG § 23 Abs. 1 Satz 2 Abs. 1 S. 2
KSchG § 23 Abs. 1 Satz 3 n.F.
KSchG § 23 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 n.F.
KSchG § 23 Abs. 1 Satz 4
Arbeitnehmer, die bis zum 31.12.2003 in einem Betrieb mit regelmäßig mehr als 5 Arbeitnehmern eingestellt wurden, genießen nach dem 01.01.2004 keinen Kündigungsschutz mehr nach dem bisherigen Recht, wenn im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung wegen Wegfalls(Ausscheiden/Arbeitszeitreduzierung) von am 31.12.2003 beschäftigten Arbeitnehmern der Schwellenwert von 5,25 Alt-Arbeitnehmern unterschritten wird.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

17 Sa 1652/05

In dem Rechtsstreit

hat die 17. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2006 durch

die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Knauß, den ehrenamtlichen Richter Herrn Lehmann, den ehrenamtlichen Richter Herrn Bakker für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer fristgemäßen Kündigung des Beklagten.

Die 1968 geborene ledige Klägerin war seit dem 01.12.1997 bei dem Beklagten in dessen Massage- und Krankengymnastikpraxis als staatlich geprüfte Krankengymnastin in Vollzeit beschäftigt. Mit Schreiben vom 22.12.2004 kündigte der Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.03.2005 (Bl. 3 d. A.). Zwischen den Parteien ist streitig, ob das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. Neben der Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung die Mitarbeiterin S... (Eintrittsdatum 01.02.2002) mit nicht mehr als 20 Stunden pro Woche tätig. Daneben beschäftigte der Beklagte die Mitarbeiterinnen Ma... (Eintrittsdatum 01.03.1997), B... (Eintrittsdatum 01.02.2000) und M... (Eintrittsdatum 01.02.2001) als Teilzeitbeschäftigte, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob diese drei Arbeitnehmerinnen mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu zwanzig Stunden tätig sind oder darüber hinaus regelmäßig Überstunden leisten. Weiter beschäftigte der Beklagte im Kündigungszeitpunkt die Arbeitnehmerinnen H... und Sch... (Eintrittsdatum 01.05.2004) mit Arbeitszeiten von nicht mehr als zwanzig Wochenstunden. Die zum 31.12.2004 ausgeschiedene Arbeitnehmerin M... wurde durch die Arbeitnehmerin L... ersetzt. Seit dem 15.03.2005 beschäftigt der Beklagte den examinierten Krankengymnasten A... in Vollzeit.

Wegen des streitigen Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug wird auf die Wiedergabe im Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Hannover vom 22.06.2005 Bezug genommen.

Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht die unter dem 31.12.2004 erhobene Kündigungsschutzklage der Klägerin mit dem Antrag, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die vom Beklagten mit Schreiben vom 22.12.2004 ausgesprochene Kündigung nicht aufgelöst wird, abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt und den Streitwert auf 6.750,00 € festgesetzt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, das Kündigungsschutzgesetz sei auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anzuwenden, weil der Beklagte nicht mehr als fünf Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs.1 Satz 2 und 4 KSchG beschäftige. Die von der Klägerin vorgetragenen höheren regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeiten der Arbeitnehmerinnen M..., B... und Ma... führten selbst dann nicht zu einer Erhöhung der zu berücksichtigenden Mitarbeiterzahl, wenn diese Arbeitnehmerinnen wie von der Klägerin behauptet, regelmäßig Überstunden erbracht hätten. Für die Berechnung der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer gemäß § 23 KSchG sei die vereinbarte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit entscheidend, nicht jedoch die tatsächlich geleistete. Überstunden blieben regelmäßig außer Betracht. Wegen der rechtlichen Erwägungen im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 06.09.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 27.09.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie mit einem am Montag, dem 07.11.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Die Klägerin rügt an dem angegriffenen Urteil insbesondere, dass das Arbeitsgericht nur auf die arbeitvertraglich vereinbarte Arbeitszeit abgestellt habe. Zwar sei maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Bemessung der "regelmäßigen Arbeitszeit" grundsätzlich die im Arbeitsvertrag vereinbarte Wochen- oder Monatsarbeitszeit. Unterscheide sich jedoch die regelmäßige Arbeitszeit in tatsächlicher Hinsicht von der arbeitsvertraglichen Regelung, so sei die tatsächlich geleistete regelmäßige Arbeitszeit, mithin die Arbeitszeit, die der Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer einhalte, maßgeblich. Sie behauptet insoweit, die Arbeitnehmerinnen M..., B... und Ma... seien mit jeweils 0,75 Anteilen zu berücksichtigen, da sie regelmäßig Überstunden leisteten, sich mithin die regelmäßige Arbeitszeit in tatsächlicher Hinsicht von der arbeitsvertraglichen Regelung unterscheide, so dass die tatsächlich geleistete regelmäßige Arbeitszeit maßgeblich sei. Auch die anstelle von Frau M... jetzt beschäftigte Frau L... leiste regelmäßig Überstunden und sei deshalb auch mit 0,75 Anteilen zu berücksichtigen. Außerdem sei die Arbeitnehmerin L... mit weiteren 0,5 Anteilen mitzuzählen. Die Arbeitnehmerin L... arbeite im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses auf Abruf mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von bis zu zwanzig Wochenstunden, mithin sei jedenfalls eine Mindestarbeitszeit von zehn Wochenstunden zugrundezulegen.

Die Klägerin beantragt daher,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 22.06.2005 - Az 5 Ca 857/04 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 22.12.2004 ausgesprochene Kündigung nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 21.11.2005 sowie seines weiteren Schriftsatzes vom 13.12.2005. Die Kammer nimmt auf den Inhalt dieser Schriftsätze Bezug. Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist statthaft, sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden und somit insgesamt zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO).

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Das Kündigungsschutzgesetz ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anwendbar. 1.

Durch das Arbeitsmarktreformgesetz (ArbMRefG) vom 24.12.2003 (BGBl. I, 3002), das zum 01.01.2004 in Kraft getreten ist, wurde der Schwellenwert in § 23 Abs. 1 KSchG für Arbeitnehmer, die zum 01.01.2004 oder später eingestellt wurden, auf in der Regel zehn Arbeitnehmer (Abs. 1 Satz 3 Abs. 1 S. 3) erhöht. Diese haben solange keinen Kündigungsschutz, wie der neue Schwellenwert von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht unterschritten wird. Arbeitnehmer, die bis zum 31.12.2003 in einem Betrieb mit mehr als fünf, aber nicht mehr als zehn Arbeitnehmern eingestellt wurden, genießen auch nach dem 01.01.2004 Kündigungsschutz nach dem bisherigen Recht (Abs. 1 Satz 2). Diese Besitzstandswahrung bezieht sich jedoch nur auf § 23 Abs. 1 Satz 2 Abs. 1 S. 2 KSchG, verliert also ihre Wirkung, wenn im maßgebenden Zeitpunkt des Kündigungszugangs wegen des Wegfalls berücksichtigungsfähiger Alt-Arbeitnehmer und damit Unterschreitens des Schwellenwerts des Satzes 2 dessen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31.12.2003 begonnen hat, zählen nach § 23 Abs. 1 S. 3 Halbsatz 2 KSchG n.F. insoweit nicht mit, solange nicht insgesamt mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Der fortbestehende Kündigungsschutz der Alt-Arbeitnehmer endet mithin, sobald ihre Zahl auf fünf oder weniger sinkt (Abs. 1 S. 2). Insoweit verbessert sich ihre Rechtsposition im Verhältnis zum bisherigen Recht nicht. Wollte man dies anders sehen, würde der Arbeitnehmer auch ein Mehr an Rechtsschutz erhalten, als er nach altem Recht erhalten hätte (APS/Moll, 2. Aufl., § 23 KSchG Rz. 32 f; ErfK-Ascheid, 6.Aufl., § 23 KSchG Rz. 8; Schiefer/Worzalla, NZA 2004, S. 345, 358; Bender/Schmidt, NZA 2004, S. 358, 359; Bader, NZA 2004, S. 65 und Tschöpe MDR 2004, S.193 f).

1.2

Bei Anwendung dieser Grundsätze lässt sich nicht feststellen, dass im Streitfall die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 2, 3, 4 KSchG n.F. vorliegen. Dabei kann dahinstehen, ob nach der gesetzlichen Änderung des § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG n.F. an der bisherigen Darlegungs- und Beweislastverteilung betr. das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen für die Geltung des KSchG festzuhalten ist (vgl. hierzu BAG vom 24.02.2005 - 2 AZR 373/03 - NZA 2005, 764 ff)., denn schon nach dem Vortrag der Klägerin sind die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 bis 4 KSchG n.F. nicht erfüllt.

Unstreitig beschäftigte der Beklagte im Kündigungszeitpunkt jedenfalls weniger als zehn Arbeitnehmer (§ 23 Abs. 1 S. 3). Die Klägerin genießt aber auch keinen Kündigungsschutz als Alt-Arbeitnehmerin im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2, denn der Beklagte beschäftigte im Kündigungszeitpunkt nicht mehr als fünf Alt-Arbeitnehmer, das heißt Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 31.12.2003 begonnen hatte. Die im Kündigungszeitpunkt beschäftigten Alt-Arbeitnehmer, nämlich die Klägerin, die Arbeitnehmerinnen M..., B..., Ma... und S... ergeben, auch das Vorbringen der Klägerin zu den Arbeitszeiten der Arbeitnehmerinnen M..., S... und Ma... als richtig unterstellt (wonach diese drei Arbeitnehmerinnen mit 0,75 Anteilen zu berücksichtigen wären), maximal 3,75 Arbeitnehmer. Unter Hinzurechnung der ebenfalls streitigen Arbeitnehmerin L..., die nach dem Vorbringen der Klägerin höchstens mit einem Anteil von 0,5 mitzuzählen ist, ergäben sich auch nur 4,25 Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer A..., der seit dem 15.03.2005 bei dem Beklagten tätig ist und zudem nach dem Vortrag der Klägerin für diese eingestellt wurde und die Arbeitnehmerin L..., die unstreitig anstelle der Arbeitnehmerin M... und jedenfalls nach dem 31.12.2003 eingestellt wurde, sind ebenso wie die Arbeitnehmerinnen H... und Sch..., die erst seit dem 01.01.2004 bei dem Beklagten beschäftigt sind, nach § 23 Abs. 1 S.3 KSchG n.F. nicht mitzuzählen. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 23.01.2005 die Auffassung vertreten hat, es komme auf die regelmäßige Beschäftigtenzahl, mithin auf die Anzahl der Arbeitsplätze an, kann dem angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht gefolgt werden. Im Übrigen hat die Klägerin nicht einmal behauptet, dass der Beklagte am 31.12.2003 regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer im Sinne des § 23 KSchG beschäftigte. Der floskelhafte Satz in der Klageschrift, der Beklagte beschäftige regelmäßig mehr als fünf Vollzeitarbeitnehmer i.S.d. § 23 KSchG a.F. ist angesichts der gesetzlichen Neuregelung substanzlos.

1.2

Da das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, war inhaltlich nicht zu prüfen, ob die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung sozial gerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 1,2 KSchG ist.

2.

Sonstige Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht dargetan worden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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