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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 21.04.2009
Aktenzeichen: 3 Sa 957/08 B
Rechtsgebiete: BetrAVG, AGG


Vorschriften:

BetrAVG § 2 Abs. 1 S. 1
AGG § 1
AGG § 7 Abs. 1
Eine Regelung in einer Versorgungsordnung, die eine Höchstbegrenzung der maximal anrechenbaren Dienstzeit vorsieht, verstößt nicht gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Sa 957/08 B

In dem Rechtsstreit

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 21. April 2009 durch

den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Vogelsang, den ehrenamtlichen Richter Herr Strautmann, die ehrenamtliche Richterin Frau Mußmann für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts C-Stadt vom 22.04.2008 - 3 Ca 1081/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft aus einer betrieblichen Altersversorgung.

Der am 00.00.1951 geborene Kläger war in dem Zeitraum vom 01.04.1973 bis zum 29.02.2004 bei der Beklagten beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien galt eine Versorgungsordnung in der Fassung vom 01.07.1988. Diese enthält u. a. folgende Regelungen:

VII. Höhe des Ruhegeldes

1. Das monatliche Ruhegeld (Altersrente, vorzeitige Altersrente oder Invalidenrente) beträgt

- für jedes zurückgelegte rentenfähige Dienstjahr (IX 2) 8,00 DM

- höchstens jedoch für 25 und mehr zurückgelegte rentenfähige Dienstjahre 200,00 DM

...

XI. Unverfallbarkeit

1. Diese Versorgungsordnung schränkt das Recht der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Firma nicht ein.

2.a) Hat das Arbeitsverhältnis zur Firma geendet, ohne daß ein Anspruch nach dieser Versorgungsordnung erworben wurde, bleibt eine Anwartschaft auf Firmenrente in dem im Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vorgeschriebenen Umfang aufrechterhalten. Sind dagegen bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Firma die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Anwartschaft nicht erfüllt, so erlischt die Anwartschaft. Ein Anspruch auf Firmenrente kann dann nicht mehr entstehen.

...

Nach seinem Ausscheiden aus dem Betrieb erstellte die Beklagte für den Kläger eine Berechnung der unverfallbaren Anwartschaft auf Altersrente, und zwar über einen Betrag in Höhe von 73,92 € für eine ab dem 65. Lebensjahr zu zahlende Altersrente.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, nach Einführung des AGG sei die vorgenommene Berechnung nach dem Quotierungsverfahren nicht mehr zulässig. Die Rentenkürzung beruhe allein auf den Umstand, dass er sein Beschäftigungsverhältnis als jüngerer Mensch begonnen und die mindestens 25jährige Beschäftigungszeit für die Vollrente nicht am Ende des Arbeitslebens gelegen habe. Das sei eine Benachteiligung wegen des Alters. Jüngere Menschen müssten trotz gleicher Zugehörigkeit zum Betrieb deutlich höhere Abschläge zur höchstmöglichen Betriebsrente hinnehmen. Damit zählten Beschäftigungszeiten im Alter deutlich stärker als bei jüngeren Beschäftigten.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass hinsichtlich der ihm zugesagten Betriebsrente bei der unverfallbaren Anwartschaft ein Unverfallbarkeitsfaktor von 100 % zugrunde zu legen ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, das AGG sei auf Fälle des Betriebsrentenrechts nicht anzuwenden. Die Versorgungsordnung würdige die Betriebstreue derjenigen Mitarbeiter, die dem Unternehmen vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bis zum Eintritt in das Rentenalter verbunden seien. Die ratierliche Kürzung orientiere sich nicht am absoluten Lebensalter, sondern an dem Verhältnis von konkreter Betriebszugehörigkeit zur theoretisch möglichen Betriebszugehörigkeit bezogen auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses.

Durch Urteil vom 22.04.2008 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 65 - 68 d. A.) verwiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 16.06.2008 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 02.07.2008 Berufung eingelegt und diese am 08.08.2008 begründet.

Der Kläger ist der Ansicht, nach der Richtlinie 2000/78 EG sei auch eine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters verboten. Die Versorgungsordnung führe dazu, dass ein Arbeitnehmer, der mit 25 Jahren in den Betrieb eintrete, eine weitaus längere Betriebszugehörigkeit erreichen müsse, um eine volle unverfallbare Anwartschaft zu erreichen, als derjenige, der erst mit dem 40. Lebensjahr das Arbeitsverhältnis aufnehme.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 22.04.2008, Aktenzeichen 3 Ca 1081/07, die Beklagte zu verurteilen, hinsichtlich der dem Kläger zugesagten Betriebsrente bei der unverfallbaren Anwartschaft einen Unverfallbarkeitsfaktor von 100 % zugrunde zu legen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, durch die getroffene Regelung solle die Betriebstreue honoriert werden. Diese definiere sich aber nicht nur über die Dauer der Betriebszugehörigkeit, sondern auch über den Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 66, 64 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil das Arbeitsgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.

1.

Die Klage ist zulässig. Der vom Kläger gestellte Antrag ist als Feststellungsantrag auszulegen. Der Kläger begehrt nämlich nicht die Vornahme einer bestimmten Rentenberechnung oder Erteilung einer Auskunft. Ihm geht es vielmehr darum, sichergestellt zu wissen, dass die an ihn zu zahlende Betriebsrente nicht zu kürzen ist. So hat er den Antrag auch in der ersten Instanz formuliert (s. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.04.2008, Bl. 59 Rs. d.A.). Für diesen Antrag ist auch das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Der Klageantrag ist auf die Feststellung eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses im Sinne dieser Vorschrift gerichtet. Ein betriebsrentenrechtliches Rentenverhältnis wird nämlich nicht erst mit dem Eintritt des Versorgungsfalles, sondern bereits mit dem Entstehen einer Versorgungsanwartschaft begründet (BAG, Urteil vom 26.08.1997 - 3 AZR 235/96 - AP 27 zu § 1 BetrAVG Ablösung = NZA 98, 817). Der Kläger hat ferner ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, in welcher Höhe eine unverfallbare Anwartschaft besteht, weil er ggf. für seine Altersversorgung entsprechende Dispositionen treffen muss.

2.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Rente des Klägers ist nicht mit einem Unverfallbarkeitsfaktor von 100 % zu berechnen. Vielmehr ist die von der Beklagten vorgenommene ratierliche Kürzung nicht zu beanstanden.

a)

Der Kläger hatte zwar gemäß Ziffer VII 1. die vorgesehene Höchstrente in Höhe von 200,00 DM auf Grund seiner mehr als 30jährigen Betriebszugehörigkeit erreicht. Sein Rentenanspruch ist aber gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG zu kürzen. Nach dieser Bestimmung richtet sich der Wert der für den Arbeitnehmer aufrechterhaltenen Versorgungsanwartschaft nach dem Verhältnis der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu der Zeit vom Beginn der Betriebszugehörigkeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze. Damit soll dem Arbeitnehmer eine Rente gesichert werden, die dem Verhältnis der erbrachten Betriebstreue zu der rechtlich möglichen Betriebstreue entspricht. Diese Berechnung ist auch dann maßgebend, wenn der Arbeitnehmer nach dem Leistungsplan der Versorgungseinrichtung im Zeitpunkt seines Ausscheidens die zahlbare Höchstrente bereits verdient hat (BAG, Urteil vom 12.03.1985 - 3 AZR 450/82 - AP 9 zu § 2 BetrAVG = NZA 86 135; Höfer § 2 BetrAVG Rn. 308).

Aus der Versorgungsordnung ergibt sich auch kein Anhaltspunkt dafür, dass die gesetzliche Kürzungsregelung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG keine Anwendung finden soll. Allein die festgelegte aufsteigende Berechnung des Rentenanspruchs steht der ratierlichen Kürzung nicht entgegen. Eine Versorgungsordnung, die eine aufsteigende Berechnung der vollen Ansprüche vorsieht, ordnet damit nicht zugleich an, dass auch die Rente des vorzeitig Ausgeschiedenen aufsteigend zu berechnen ist. Die Bestimmung der aufsteigenden Berechnung gibt im Zweifel nur vor, welche Rechte ein Arbeitnehmer erwirbt, der bis zum Versorgungsfall im Betrieb bleibt. Eine Aussage zur Behandlung vorzeitig Ausscheidender in Abweichung vom gesetzlichen Regelungsmodell nach § 2 Abs. 1 BetrAVG ist damit nicht verbunden (BAG, Urteil vom 15.02.2005 - 3 AZR 298/04 - AP 48 zu § 2 BetrAVG). Darüber hinaus verweist die Versorgungsordnung unter Ziffer XI. 2. a) ausdrücklich auf die gesetzliche Regelung über die Berechnung der Anwartschaft.

b)

Die lineare Berechnung der Steigerungsrate begünstigt allerdings zwangsläufig Arbeitnehmer, die erst im höheren Alter in das Unternehmen eintreten. Das gilt erst Recht dann, wenn die Versorgungsregelung eine Höchstbegrenzung der maximal anrechenbaren Dienstzeit beinhaltet und der Arbeitnehmer diese bei seinem vorzeitigen Ausscheiden bereits erreicht hatte (vgl. Blomeyer/Rolfs/Otto, § 2 BetrAVG Rn. 43). Dies verstößt entgegen der Ansicht der Rechtsauffassung des Klägers jedoch nicht gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG.

aa)

Das AGG ist auch für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung anzuwenden. Etwas anderes ergibt sich nicht etwa aus § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG. Diese Bestimmung ist bereits vom Wortlaut nicht hinreichend klar, um anzunehmen, dass sie eine Bereichsausnahme für das Betriebsrentenrecht enthält. Vielmehr beinhaltet sie eine Kollisionsregel: Soweit das BetrAVG Aussagen hinsichtlich bestimmter Unterscheidungen enthält, die einen Bezug zu den in § 1 AGG erwähnten Merkmalen aufweisen, hat das AGG gegenüber diesen Bestimmungen keinen Vorrang. Es bleibt vielmehr bei den Regelungen des BetrAVG, z.B. soweit sie an das Alter anknüpfen (BAG, Urteil vom 11.12.2007 - 3 AZR 249/06 - AP 1 zu § 2 AGG = NZA 2008, 532).

bb)

Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters scheidet bereits deshalb aus, weil die Regelung in Ziffer VII. 1. der Versorgungsordnung nicht gemäß § 3 Abs. 1 AGG unmittelbar an das Lebensalter anknüpft. Allerdings dürfte eine mittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG vorliegen. Typischerweise führt nämlich die Berechnung der Rentenansprüche bzw. Rentenanwartschaften dazu, dass sich Betriebszugehörigkeitszeiten, die sich über einen Zeitraum von 25 Jahren hinausgehen, nicht anspruchserhöhend auswirken können. Damit werden Beschäftigungsjahre, die naturgemäß erst in einem höheren Alter zurückgelegt werden, bei der Berechnung der Ansprüche aus der Versorgungsordnung nicht mehr berücksichtigt. Bei später eintretenden Mitarbeitern führen dagegen die zurückgelegten Beschäftigungszeiträume mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einer proportionalen Erhöhung des Rentenanspruchs. Gleichzeitig kann gerade bei jüngeren Mitarbeitern ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Betrieb trotz einer langen Betriebszugehörigkeitsdauer zu einer erheblichen Minderung der Betriebsrentenansprüche führen, jedenfalls in einem höheren Umfang als bei solchen Mitarbeitern, die erst zu einem späteren Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis aufzunehmen, um dann nach gleicher Betriebszugehörigkeitsdauer mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze oder nur wenig früher auszuscheiden.

cc)

Eine derartige mittelbare Benachteiligung wäre jedoch gemäß §§ 3 Abs. 2 AGG als angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt anzusehen. Die Festlegung eines Versorgungshöchstbetrages, der sich aus der maximal anrechenbaren Betriebszugehörigkeit ergibt, dient dazu, die im Rahmen der Versorgung übernommenen Risiken zu begrenzen. Eine derartige Risikobegrenzung wäre allerdings auch durch eine andere Regelung möglich, die nicht zu einer so deutlich unterschiedlichen Bewertung verschiedener Betriebszugehörigkeitszeiträume führen müsste. Entscheidend ist jedoch, dass die Versorgungsordnung den Zweck verfolgt, die Betriebstreue der Mitarbeiter zu honorieren. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass die Betriebstreue nicht allein durch die Dauer der Betriebszugehörigkeit definiert werden kann, sondern auch durch den Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis, also dadurch, in welchem Umfang der Arbeitnehmer die in seinem Fall erreichbare Betriebstreue tatsächlich erreicht hat. Zwar ist die Zusage einer betrieblichen Altersversorgung auch ein Entgelt für geleistete Arbeit. Das ändert aber nichts daran, dass sie gleichzeitig auch bezweckt, die Betriebstreue des Arbeitnehmers zu honorieren. Daher verbietet es der Entgeltcharakter der Altersversorgung für sich genommen nicht, eine Begrenzungsklausel in die Versorgungsordnung aufzunehmen (a. A. Rengier, NZA 2006, 1251 (1256)). Bei der Honorierung der Betriebstreue handelt es sich um ein rechtmäßiges Ziel i.S.v. §§ 3 Abs. 2, 10 Abs. 1 Satz 1 AGG. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind auch angemessen und erforderlich, weil durch die Ausgestaltung der Versorgungsordnung ein Anreiz zur Betriebstreue ausgeht und gleichzeitig bei fehlender Betriebstreue bis zum Ereichen der Regelaltersgrenze nur prozentuale Abschläge von der Rentenanwartschaft erfolgen.

c)

Die vom Kläger begehrte Feststellung kann ferner nicht auf Grund einer Unwirksamkeit der Regelung in § 2 Abs. 1 BetrAVG über die ratierliche Kürzung angenommen werden. Ein Verstoß gegen das AGG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich insoweit um Normen auf derselben Hierarchiestufe handelt. Die Regelungen des BetrAVG verstoßen aber auch nicht gegen die Richtlinie 2000/78 EG, wonach es wegen des Alters keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung geben darf. (Artikel 2 i. V. m. Artikel 1 der Richtlinie). Dabei kann dahingestellt werden, ob sich aus § 2 Abs. 1 BetrAVG überhaupt eine mittelbare Benachteiligung jüngerer Beschäftigter ergibt (verneinend Cisch/Böhm, BB 2007, 602 (609)). Jedenfalls wäre eine entsprechende Benachteiligung gemäß Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie durch die beschriebenen legitimen Ziele gerechtfertigt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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