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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 07.05.2009
Aktenzeichen: 5 Sa 1996/08
Rechtsgebiete: TVÖD


Vorschriften:

TVÖD § 27
TVÖD § 46
Bei der Berechnung von Zusatzurlaubsansprüchen gemäß § 46 TVÖD BT-V sind nur Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung zu berücksichtigen.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 1996/08

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kubicki, die ehrenamtliche Richterin Frau Trusiewytsch, den ehrenamtlichen Richter Herr Wachholz für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 29.10.2008, Az.: 1 Ca 393/08 Ö - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Gewährung von Zusatzurlaub, wobei die Auslegung der tarifvertraglichen Vorschriften, insbesondere der §§ 27 und 46 des TVöD problematisch ist.

Wegen des unstreitigen Sachverhaltes, der erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche, der erstinstanzlich geltend gemachten Rechtsauffassungen, sowie des gesamten erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den wohlgeordneten Tatbestand des angefochtenen Urteils, Bl. 2 - 5 desselben, Bl. 35 - 38 der Gerichtsakte, verwiesen.

Mit Urteil vom 29.10.2008 hat das Arbeitsgericht Hannover die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger zu 2/3 und der Beklagten zu 1/3 auferlegt, den Streitwert auf 222,31 € festgesetzt und die Berufung gesondert zugelassen. Wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe, Bl. 5 - 11 des Urteils, Bl. 38 - 44 der Gerichtsakte verwiesen.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 21.11.2008 zugestellt worden. Hiergegen hat er mit einem am 22.12.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese sogleich begründet. Mit seiner Berufung verfolgt er das zuletzt in erster Instanz geltend gemachte Klageziel der Gewährung von einem zusätzlichen Urlaubstag weiter. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er meint, Sinn der anzuwendenden §§ 27, 46 TVöD sei es, eine einfache überschaubare und praktikable Lösung herbeizuführen. Diesem Sinn widerspreche es, die einzelnen Tage der Arbeitsleistung aufzuschreiben, jährlich zusammenzuzählen und nach Jahresende zu saldieren. Im Übrigen solle eine zusätzliche Erholungsmöglichkeit für besonders belastende Dienste ermöglicht werden. Diese zusätzliche Erholungsmöglichkeit könne auch durch eine Erkrankung, die zur Arbeitsunfähigkeit führe, nicht entfallen, schließlich folge die vom ihm favorisierte Auslegung auch aus § 27 TVöD.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 29.10.2008 zum Az.: 1 Ca 393/08 Ö abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm einen Tag Zusatzurlaub für die Monate Januar bis April 2008 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 22.12.2008 und 05.02.2009 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO). Insbesondere ist die am Montag, den 22.12.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufungseinlegung wegen §§ 222 ZPO, 193 BGB fristwahrend.

B.

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das angefochtene Urteil die Klage abgewiesen.

I.

Die Klage ist als Leistungsklage auf Gewährung eines weiteren Tageszusatzurlaubes ohne Angabe eines konkreten Tages zulässig. Ein Feststellungsantrag ist nicht vorrangig. Das Berufungsgericht verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils (I 2 der Entscheidungsgründe, Bl. 39 der Gerichtsakte), verweist auf diese und macht sie sich zu eigen und stellt dies fest (§ 69 II 2 ArbGG) .

II.

Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht für das Jahr 2008 kein weiterer Zusatzurlaub zu. Ein solcher Anspruch folgt insbesondere auch nicht aus §§ 27 Abs. 1, 46 TVöD. Denn bei der Berechnung der Zusatzurlaubsansprüche sind nur Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung zu berücksichtigen. Dies ergibt die Auslegung der Tarifvorschriften.

1.

Nach ständiger und allgemein anerkannter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages, den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragspartei mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnis nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urteil vom 21.08.2003, Az.: 8 AZR 430/02 - AP Nr. 185 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie; BAG, Urteil vom 22.10.2003, Az.: 10 AZR 152/03 - BAGE 108, 176 - 184; BAG, Urteil vom 24.10.2007, Az.: 10 AZR 878/06 - juris).

2.

Unter Berücksichtigung oben zitierter Auslegungsgrundsätze sprechen sowohl der Wortlaut als auch der Sinn und Zweck der Tarifnorm unter Berücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs für das bereits zitierte Auslegungsergebnis. Auf die Praktikabilität, die nach den vorstehenden Auslegungsgrundsätzen lediglich im Zweifel heranzuziehen ist, kommt es nicht mehr an.

Im Einzelnen:

a)

Die tarifvertragliche Bestimmung in § 46 Nr. 7 TVöD ET-V bestimmt als Voraussetzung für die Gewährung eines Arbeitstages Zusatzurlaub, für je "4 Monate der Arbeitsleistung im Kalenderjahr". Der Wortlaut knüpft damit an die tatsächliche Erbringung der "Arbeitsleistung" an. Er zielt auf ein tatsächliches Ableisten von Arbeit in einem 24 Stundenschichtsystem ab. In Zeiten, in denen der Arbeitnehmer diesem Schichtsystem zugeordnet, jedoch von der Arbeit befreit ist, erbringt er keine Arbeitsleistung.

b)

Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung. Mit den Regelungen über den tariflichen Zusatzurlaub sollen die Belastungen ausgeglichen werden, die Beschäftigte durch die Leistung von Wechselschicht- oder Schichtarbeit haben. Hierbei gehen die Tarifvertragsparteien davon aus, dass die ständige Wechselschicht- oder Schichtarbeit für die Beschäftigten belastender ist. Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen der ständigen und der nicht ständigen Wechselschicht- oder Schichtarbeit in den Absätzen 1 und 2 des § 27 TVöD. Der Ausgleich von Belastungen setzt aber voraus, dass diese Belastungen tatsächlich vorliegen und dies ist nur im Falle tatsächlich geleisteter Arbeit der Fall. In den Zeiten der Unterbrechung der Arbeitsleistung durch Urlaub oder Krankheit entsteht eine auszugleichende zusätzliche Belastung nicht (LAG Niedersachen, Urteil vom 17.10.2008, Az.:10 Sa 423/08 - juris).

c)

Ebenso bestätigt die Systematik des Tarifvertrages das oben dargestellte Auslegungsergebnis. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen verweist das Berufungsgericht insoweit auf die uneingeschränkt zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 9, letzter Absatz, Bl. 10, erster Absatz, Bl. 42 und 43 der Akte) und macht sich diese zu eigen.

d)

Dieses so ermittelte Auslegungsergebnis, was in vollem Umfang der überzeugenden Rechtsauffassung des angefochtenen Urteils entspricht, wird durch die Rechtsausführungen der Berufungsbegründung nicht erschüttert:

- Soweit die Berufungsbegründung kritisiert, das so gefundene Auslegungsergebnis verkompliziere das gesamte System ungemein, verkennt der Einwand, dass nach allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen die Praktikabilität und Handhabung einer tarifvertraglichen Vorschrift lediglich ein Hilfskriterium ist. Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Systematik der anzuwendenden und auszulegenden Tarifnormen sind hingegen eindeutig.

- Zutreffend ist sicherlich der Einwand der Berufungsbegründung, die Vorschrift des § 46 Nr. 7 TVöD-ET-Vhätte noch klarer formuliert werden können, namentlich mit dem Wortlaut "jährlich ... im Kalenderjahr". Dennoch wird durch die Systematik der anzuwendenden tariflichen Vorschriften, insbesondere durch den unterschiedlichen Wortlaut in § 27 Abs. 1 einerseits und in § 46 Nr. 4 und Nr. 7 andererseits das bereits dargestellte Auslegungsergebnis klargestellt. In der zuletzt genannten Norm, die eindeutig als Sonderregelung eine Spezialvorschrift zu der allgemeinen Vorschrift des § 27 TVöD darstellt, wird auf die konkrete "Arbeitsleistung" abgestellt nicht hingegen für die "Dauer der Wechselschichtarbeit" oder aber Schichtarbeit. Auch bezieht sich die Protokollerklärung lediglich auf § 27 Abs. 1 und 2 TVöD. Für § 46 TVöD fehlt eine solche Protokollerklärung. Daraus lässt sich im Wege eines Umkehrschlusses die Wertung der Tarifvertragsparteien entnehmen, dass die Grundsätze dieser Protokollerklärung eben bei § 46 TVöD keine Gültigkeit haben sollen.

- Nicht gefolgt wird der Argumentation des Berufungsführers, derzufolge es dem Sinn und Zweck der Tarifnormen widerspricht, eine zusätzliche Erholungsmöglichkeit auch bei Zeiten auch für Zeiten der Erkrankung, welche zur Arbeitsunfähigkeit führen, entfallen zu lassen. Denn dem erkennbaren Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist zu entnehmen, in besonderer Weise die Belastungen des Schichtdienstes der in § 46 Abs. 3 genannten Personengruppen (Feuerwehrpersonal und Wachpersonal) auszugleichen. Hierbei wird in ausreichendem Maße "den sozialen Gedanken des Arbeitsrechts" (vergleiche insoweit die Diktion der Berufungsbegründung) Rechnung getragen, weil es hier lediglich darum geht, eine zusätzliche Vergünstigung in Form eines Zusatzurlaubes an ganz bestimmte tarifvertragliche Voraussetzungen zu knüpfen. Der grundsätzlich jedem Arbeitnehmer nach dem Gesetz oder aber im Anwendungsbereich des TVöD aufgrund dieses Regelungswerks zustehende (allgemeine) Urlaubsanspruch wird hiervon nicht tangiert.

3.

Der Zusatzurlaub des Klägers ist auch nicht als Bruchteil von 0,5 Tagen entstanden. Denn der Tarifvertrag sieht die Entstehung eines Bruchteils von Zusatzurlaubstagen nicht vor. Dies folgt aus der systematischen Auslegung des § 46 Nr. 7 TVöD-BT-V. Diese Vorschrift enthält keine ausdrückliche Verweisung auf die allgemeine Bestimmung des § 26 Abs. 1 TVöD-AT, der Vorschriften über Teilurlaub und Rundungsvorschriften bei Bruchteilen von Urlaub enthält. Daraus lässt sich nur der Schluss ziehen, dass Bruchteile von Urlaubsansprüchen, die keinen vollen Tag ergeben, von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt sind. Der Umkehrschluss unter Berücksichtigung der allgemeinen Vorschrift des § 27 TVöD-AT bestätigt dies. Denn diese Vorschrift enthält in Absatz 5 ausdrücklich eine Verweisung auf § 26 mit Ausnahme des Absatzes 2 Buchstabe b. Die unterschiedliche Formulierung der Vorschriften 46 Nr. 7 TVöD-BT-V einerseits und 27 TVöD-AT andererseits muss auch eine unterschiedliche Bedeutung haben.

C.

Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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