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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschluss verkündet am 05.03.2009
Aktenzeichen: 5 TaBVGa 19/09
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 5 II Nr. 5
Bei wortgetreuer Auslegung des § 5 II Nr. 5 BetrVG unterfallen die dort genannten Personen (Ehegatte u. a.) seinem Anwendungsbereich nur, wenn es sich bei dem Arbeitgeber um eine natürliche Person handelt. Bei der analogen Anwendung dieser Norm und Erstreckung ihres Anwendungsbereiches auf Geschäftsführer einer GmbH ist äußerste Zurückhaltung geboten.

Sie ist jedenfalls dann abzulehnen, wenn der Betrieb mehr als 100 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt, die GmbH durch mehrere Geschäftsführer vertreten wird und der die persönliche Nähe vermittelnde Geschäftsführer nicht Anteilseigner ist.


LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

5 TaBVGa 19/09

In dem Beschlussverfahren

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen aufgrund der Anhörung am 5. März 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kubicki ehrenamtlicher Richter Herr Lösel ehrenamtlicher Richter Herr John

beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Göttingen vom 19.02.2009 wird abgeändert.

Dem Wahlvorstand wird aufgegeben, die Antragstellerin und Beschwerdeführerin in die Wählerliste zur Betriebsratswahl am 06.03.2009 aufzunehmen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt von dem Antragsgegner (im Folgenden: Wahlvorstand) die Aufnahme in die Wählerliste zur Betriebsratswahl im einstweiligen Verfügungsverfahren.

Die Antragstellerin ist Arbeitnehmerin im Betrieb der weiteren Beteiligten zu Ziffer 3.) (im Folgenden: Arbeitgeberin). Dort finden am 06.03.2009 Betriebsratswahlen statt. Der Beteiligte zu 2.) ist der für diese Betriebsratswahl verantwortliche Wahlvorstand. Er führte die Antragstellerin nicht in der Wählerliste zur Betriebsratswahl auf. Unmittelbar nach Kenntnisnahme hiervon forderte die Antragstellerin ihn auf, sie auf die Wählerliste zu setzen. Dies lehnte er ab.

In der Wählerliste zur Betriebsratswahl am 06.03.2009 sind ca. 120 wahlberechtigte Arbeitnehmer aufgeführt. Die Antragstellerin ist die Ehefrau eines der drei im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer der Arbeitgeberin. Dieser Geschäftsführer ist nicht Mitgesellschafter und besitzt keinerlei Gesellschaftsanteile.

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich erfolglos begehrt, den Wahlvorstand zu verpflichten, sie in die Wählerliste zur Betriebsratswahl am 06.03.2009 aufzunehmen. Das Arbeitsgericht Göttingen hat ihre Anträge mit Beschluss vom 19.02.2009 zurückgewiesen. Hiergegen hat sie mit einem am 26.02.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese sogleich begründet. Sie vertritt die Auffassung, es habe keinen Grund gegeben, sie nicht in die Wählerliste aufzunehmen und verfolgt ihr erstinstanzliches Ziel der Aufnahme in diese Liste weiter.

Sie beantragt,

dem Beschwerdegegner aufzugeben, sie in die Wählerliste zur Betriebsratswahl am 06.03.2009 aufzunehmen, hilfsweise den Beschwerdegegner zu verpflichten, sie auf die Wählerliste zur Betriebsratswahl am 06.03.2009 aufzunehmen.

Der Wahlvorstand beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss.

II.

A.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht gemäß § 87 Abs. 1 und Abs. 2, 66 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

B.

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Es führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses und zur Stattgabe des Begehrens im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens. Dies folgt aus §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO und 5 Abs. 1 sowie 7 BetrVG.

Im Einzelnen:

1.

Der erforderliche Verfügungsanspruch der Antragstellerin und Beschwerdeführerin ist gegeben. Sie ist gemäß §§ 5 Abs. 1 und 7 BetrVG wahlberechtigt. Insbesondere greift zu ihren Lasten nicht der Ausnahmetatbestand des § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG ein. Damit hat sie - wie jeder wahlberechtigte Arbeitnehmer im Übrigen auch - einen Anspruch darauf, ihr subjektives Wahlrecht geltend zu machen können. Rechtsgrundlage dafür sind die bereits zitierten Vorschriften über das aktive und passive Wahlrecht. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob eine Verletzung dieser Vorschriften entscheidenden Einfluss auf das Wahlergebnis haben kann; denn anders als bei der Wahlanfechtung nach § 19 BetrVG geht es bei den Vorschriften über das aktive und passive Wahlrecht nicht nur um die objektiv richtige Zusammensetzung des Gremiums, sondern um den Schutz des subjektiven Wahlrechts (Schwab/Weth-Walker, ArbGG, 2. Aufl., § 85 RdNr. 82).

Die Antragstellerin ist eine Arbeitnehmerin im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG, welche gemäß § 7 BetrVG wahlberechtigt ist. Zu ihren Lasten greift der Ausnahmetatbestand des § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG nicht ein.

a)

Bei wortgetreuer Auslegung dieser Vorschrift unterfällt sie ihrem Regelungsgehalt nicht. Denn § 2 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG stellt auf die Ehe mit dem Arbeitgeber ab. Hierunter kann eine juristische Person nicht fallen.

aa)

Weder das Betriebsverfassungsgesetz, noch irgendein anderes Gesetz haben den Begriff des Arbeitgebers ausdrücklich definiert. Es ist daher die allgemein gültige Definition zugrunde zu legen, derzufolge Arbeitgeber der Vertragspartner eines Arbeitnehmers ist, der für diesen weisungsgebunden und sozial abhängig gegen Entgelt im Rahmen eines Dienstvertrages gemäß § 611 ff. BGB Dienste verrichtet.

Ist der so bestimmte Arbeitgeber keine natürliche, sondern eine juristische Person, dann kann der Tatbestand dieser Norm niemals eingreifen, weil nur eine natürliche Person überhaupt Ehegatten, Lebenspartner, Verwandte und Verschwägerte im Sinne dieser Norm aufweisen kann.

b)

Ob § 5 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG auf Familienangehörige von Mitgliedern des zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organs einer juristischen Person analog angewendet wird, ist in der Literatur umstritten und von der Rechtsprechung höchstrichterlich noch nicht geklärt.

aa)

Die überwiegende Auffassung in der Literatur befürwortet vorstehend aufgezeigte analoge Anwendung auf Familienangehörige von Mitgliedern des zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organs einer juristischen Person (Fitting, 24. Aufl., § 5 RdNr. 305, GK-Raab, 8. Aufl., § 5 RdNr. 91, Richardi, 11. Aufl., § 5 RdNr. 182, H/S/W/G/N/R-Rese, 7. Aufl., § 5 RdNr. 138). Eine in der Literatur vertretene Gegenmeinung (D/K/K-Trümmer, 11. Aufl., § 5 RdNr. 167) legt diese Vorschrift wortgetreu aus, verneint eine Analogie, abgesehen von der Ausnahmekonstellation einer Ein-Personen-GmbH, zu deren Alleingesellschafter und -geschäftsführer, die in Nr. 5 beschriebenen Verwandtschaftsverhältnisse bestehen.

bb)

Das Beschwerdegericht steht der analogen Anwendung dieser Vorschrift bereits im allgemeinen äußerst kritisch gegenüber.

Eine Analogie ist die Übernahme der in einem gesetzlich genau umschriebenen Fall genannten Rechtsfolge auf einen anderen nicht gesetzlich umschriebenen Tatbestand. Sie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen, wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekomme (BGH, Urteil vom 15.03.2007, Az.: V ZB 145/0 - BGHZ 171, 350 bis 357; BGH, Urteil vom 13.03.2003, Az.: I ZR 290/00, NJW 2003, 1932, 1933).

Die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke erscheint bereits deswegen sehr zweifelhaft, weil nach Wortlaut und Systematik des § 2 Abs. 2 BetrVG insbesondere bei der Gegenüberstellung der Nummern 1 und 5 der Gesetzgeber gezeigt hat, den Unterschied zwischen den Mitgliedern des Organs einer juristischen Person, das zur gesetzlichen Vertretung derselben berufen ist, einerseits und dem Arbeitgeber andererseits zu kennen. Aufgrund dieser Gegenüberstellung lässt sich nicht der Schluss ziehen, er habe die bereits aufgezeigte Problematik übersehen, vielmehr liegt die gegenteilige Schlussfolgerung nahe, er habe sie abschließend in dem Sinne geregelt, dass nahe Verwandte und Lebenspartner bzw. der Ehegatte eines Organmitgliedes nicht unter den Regelungsbereich dieser Norm fallen sollen. Andernfalls hätten die in Nr. 5 genannten Personen (Ehegatten u. a.) problemlos in Nr. 1 erwähnt werden können.

Eine weitere Überlegung rechtfertigt diese Auslegungsmethodik: § 5 Abs. 2 ist eindeutig eine Ausnahmevorschrift zu § 5 Abs. 1 BetrVG. Obwohl die Arbeitnehmereigenschaft von bestimmten Personen vorliegt, fingiert Abs. 2 für eine bestimmte Fallkonstellation ausnahmsweise die fehlende Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Diese Ausnahmevorschrift ist nach allgemeingültigen Auslegungsregeln eng auszulegen.

cc)

Letztendlich kann die Frage der analogen Anwendung generell und im allgemeinen dahingestellt bleiben. Selbst wenn man zur Zulässigkeit einer Analogie durch Annahme einer Regelungslücke käme (bejahend aus der Rechtsprechung der Instanzgerichte: Arbeitsgericht Göttingen, Urteil vom 07.03.2007, Az.: 3 BV 14/06 - juris), dann ist diese analoge Erweiterung auf das für die Erreichung des Gesetzeszweckes unabdingbar notwendige zu beschränken:

Ziel des Gesetzgebers war es erkennbar, die Unabhängigkeit des Betriebsrates gegenüber arbeitgeberseitigen Einflüssen zu sichern und zu stärken. Ein Betriebsrat, der teilweise oder gar überwiegend von Mitgliedern der Inhaberfamilie gewählt oder gar gebildet wird, kann diese Funktion nicht erfüllen (Arbeitsgericht Göttingen a.a.O.).

Die Einflussmöglichkeit ist einerseits umso größer, je weniger Arbeitnehmer den Betriebsrat wählen und andererseits besteht die Gefahr des Interessenkonfliktes umso eher, je mehr ein Organgeschäftsführer sich mit den Belangen seines Arbeitgebers identifiziert. Hierbei kommt es auf die Anzahl der Geschäftsführer, auf deren Befugnisse und auf eine eventuelle Inhaberschaft an Anteilen des (als juristischer Person bestehenden) Arbeitgebers an.

Im vorliegenden zur Entscheidung anstehenden Beschlussverfahren liegt diese Interessenkollision sehr fern: Zum einen handelt es sich um einen größeren Betrieb mit ca. 120 wahlberechtigten Arbeitnehmern, zum anderen ist der Geschäftsführer, mit dem die Antragstellerin verheiratet ist und in häuslicher Gemeinschaft lebt, einer von drei Geschäftsführern und darüberhinaus nicht Anteilseigner der beteiligten Arbeitgeberin. Für eine Analogie besteht kein echtes Bedürfnis, dieser Geschäftsführer hat bei wertender Betrachtung keine andere Stellung als ein sonst leitender Angestellter, beispielsweise ein Betriebsleiter oder möglicherweise auch ein Prokurist in leitender Funktion. Für die zuletzt genannten Personengruppen ist eindeutig und nach jeder Betrachtungsweise anerkannt, dass deren Ehepartner Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes sein können und die Ausnahmevorschrift des § 5 II Nr. 5 BetrVG nicht eingreift.

dd)

Der allgemeine Einwand des Wahlvorstandes, die Zuerkennung eines Verfügungsanspruchs im einstweiligen Verfügungsverfahren setze die Eindeutigkeit der Rechtslage voraus, wird nicht geteilt.

Auch in einem einstweiligen Verfügungsverfahren müssen schwierige und umstrittene Rechtsfragen entschieden werden, was vorliegend geschehen ist. Soweit demgegenüber vielfach auf den summarischen Charakter eines einstweiligen Verfügungsverfahrens abgestellt wird, betrifft dies die summarische Erkenntnismöglichkeiten in tatsächlicher Hinsicht nicht hingegen die Frage der Lösbarkeit von Rechtsproblemen.

2.

Darüber hinaus ist auch der erforderliche Verfügungsgrund, die besondere Eilbedürftigkeit gegeben. Zum Zeitpunkt der Anhörung der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz stand die Betriebsratswahl einen Tag später, also unmittelbar bevor. Die Antragstellerin hätte ohne dieses Eilverfahren niemals effektiven Rechtsschutz erhalten und ihr subjektives, bereits unter Ziffer 1 dargestelltes Wahlrecht wäre unwiederbringlich nicht beachtet worden. Dies begründet einen ausreichenden Verfügungsgrund.

C.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Ende der Entscheidung

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