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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 24.08.2006
Aktenzeichen: 7 Sa 17/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 123
ZPO § 794
1. Eine arglistige Täuschung des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin liegt nicht darin, dass dieser vor Abschluss des Vergleichs zwar auf den gestellten Insolvenzantrag hingewiesen hat, nicht jedoch darauf, dass in Wirklichkeit ein Betriebsübergang geplant sei.

2. Dies gilt auch dann, wenn der ehemalige Prokurist der Insolvenzschuldnerin tatsächlich bereits im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses vorgehabt haben sollte, den Betrieb im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu erwerben. Der Gang des Insolvenzverfahrens ist nämlich von so vielen Unwägbarkeiten geprägt, dass eine Offenbarungspflicht gegenüber dem anwaltlich vertretenen Kläger nicht angenommen werden kann.


LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

7 Sa 17/06

In dem Rechtsstreit

hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 24. August 2006 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leibold, den ehrenamtlichen Richter Herrn Göpfert, den ehrenamtlichen Richter Herrn Neumann für Recht erkannt:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Prozessvergleich vom 30.09.2004 beendet worden ist.

Der Kläger hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger den am 30.09.2004 abgeschlossenen Prozessvergleich wirksam angefochten hat und dabei insbesondere über die Frage, ob die Arbeitgeberin vor Vergleichsabschluss pflichtwidrig nicht auf eine mögliche Betriebsübernahme im Rahmen eines Insolvenzverfahrens hingewiesen hat.

Der 1958 geborene, verheiratete und 2 Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger war seit dem 05.05.1980 bei der Firma A. GmbH als Lackierer beschäftigt. Er bezog zuletzt eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 2.491,19 €.

Mit Schreiben vom 29.09.2003 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2004 und begründete die Kündigung damit, dass sie ihre Lackiererei, deren einziger Beschäftigter der Kläger war, aus wirtschaftlichen Gründen zum 30.04.2004 aufgebe.

Das Arbeitsgericht hat durch ein den Parteien am 18.05.2004 zugestelltes Urteil vom 12.05.2004 (Bl. 68 - 77 d.A.) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 29.09.2003 nicht aufgelöst worden ist. Den Auflösungsantrag des Klägers, der seit dem 01.08.2004 eine neue Stelle hat, hat es abgewiesen.

Hiergegen richten sich die jeweils rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufungen des Klägers und der Arbeitgeberin.

In der Kammerverhandlung vom 30.09.2004 vor dem Landesarbeitsgericht erklärte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin, er habe am 29.09.2004 einen Insolvenzantrag gestellt. Die Parteien schlossen sodann einen Vergleich, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2004 vorsah gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 5.400,00 €.

Am 01.10.2004 wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Arbeitgeberin bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde dann am 01.12.2004 eröffnet.

Mit Wirkung zum 01.04.2005 übernahm der ehemalige Prokurist der Insolvenzschuldnerin und ehemalige Schwiegersohn des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin R. die Werkstatt der Insolvenzschuldnerin und beschäftigte 10 Arbeitnehmer fort. Die Werkstatt wird nunmehr als so genannte freie Autowerkstatt geführt und nicht mehr als Vertragswerkstatt des ..-Konzerns.

Mit Schreiben vom 12.04.2005 erklärte der Kläger die Anfechtung des am 30.09.2004 abgeschlossenen Prozessvergleichs sowohl gegenüber dem Betriebsübernehmer (Bl. 162, 163 d.A.) als auch gegenüber der Rechtsanwaltsgesellschaft .. mbH (Bl. 164 d.A.).

Der Kläger behauptet, er sei arglistig darüber getäuscht worden, dass die Insolvenzschuldnerin in Wirklichkeit einen Betriebsübergang geplant habe. Den Mitarbeitern sei frühzeitig erklärt worden, dass sie sich gedulden mögen, da die Fortführung des Betriebes erfolge.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages des Klägers im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen am 30.09.2004 geschlossene Vergleich wirksam angefochten wurde, sowie die Berufung der Beklagten vom 13.07.2004 abzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

den Feststellungsantrag zurückzuweisen,

hilfsweise das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 12.05.2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Vortrags der/des Beklagten im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die eingereichten Schriftsätze.

Entscheidungsgründe:

Macht eine Partei geltend, ein von ihr abgeschlossener Prozessvergleich habe den Rechtsstreit nicht erledigt, so muss sie dies grundsätzlich durch Fortsetzung des ihrer Auffassung nach nicht erledigten Rechtsstreits tun. Dies gilt auch dann, wenn es um die Frage geht, ob die von einer Vergleichspartei erklärte Anfechtung rückwirkend nach § 142 Abs. 1 BGB zur Unwirksamkeit des Vergleichs geführt hat (BAG vom 05.08.1982, AP Nr. 31 zu § 794 ZPO; BAG vom 15.05.1997, AP Nr. 45 zu § 123 BGB; BAG vom 16.01.2003, AP Nr. 2 zu § 57 ArbGG 1979; BGH vom 29.07.1999, NJW 1999, 2903; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., Anh. § 307 Rz. 37 ff.; Thomas/Putzo, ZPO, 23. Aufl., § 794 Rz. 36 m.w.N.).

Der bisherige Rechtsstreit ist dann grundsätzlich mit den ursprünglichen Prozessanträgen fortzusetzen. Ein Antrag, die Wirksamkeit des Vergleichs festzustellen, ist demgegenüber unzulässig (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., Anh. § 307 Rz. 38).

Kommt das Prozessgericht zu dem Ergebnis, dass der Vergleich wirksam ist und den Prozess beendet hat, hat es dies durch Endurteil festzustellen (Baumbach/ Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., Anh. § 307 Rz. 39). Verneint es die Beendigung, muss in der Sache selbst entschieden werden.

Die von dem Kläger zuletzt gestellten Anträge sind in diesem Sinne dahin gehend auszulegen, dass er die Fortsetzung des bisherigen Verfahrens begehrt, soweit die Insolvenzschuldnerin gegen das arbeitsgerichtliche Urteil Berufung eingelegt hat. Den Auflösungsantrag hat der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht ausdrücklich zurückgenommen.

Entgegen der von dem Kläger vertretenen Auffassung ist der Rechtsstreit allerdings durch den Prozessvergleich vom 30.09.2004 wirksam beendet worden. Denn der Vergleich ist nicht wegen der von dem Kläger erklärten Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach den §§ 123, 142 BGB nichtig.

Nach § 123 Abs. 1 BGB kann ein gerichtlicher Vergleich angefochten werden, wenn eine Partei vom Prozessgegner durch arglistige Täuschung zum Abschluss des Vergleichs bestimmt worden ist. Dabei setzt der Tatbestand der arglistigen Täuschung objektiv voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat (BAG vom 16.12.2004, 2 AZR 148/04).

Die arglistige Täuschung kann auch durch Unterlassen begangen werden. Eine zur Anfechtung berechtigende arglistige Täuschung durch Unterlassung in diesem Sinne begeht, wer einen Umstand verschweigt, hinsichtlich dessen ihn gegenüber seinem Vertragspartner eine Aufklärungspflicht trifft (BAG vom 22.04.2004, 2 AZR 281/03), etwa weil das Verschweigen gegen Treu und Glauben, § 242 BGB, verstößt und der Vertragspartner unter den gegebenen Umständen die Mitteilung der verschwiegenen Tatsachen hätte erwarten dürfen (BAG vom 15.05.1997, 2 AZR 43/96, AP Nr. 45 zu § 123 BGB).

Für die Annahme einer Täuschung ist in jedem Fall Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. Nicht ausreichend ist bloße Fahrlässigkeit, selbst wenn es sich um grobe Fahrlässigkeit handelt. Voraussetzung ist das Bewusstsein, dass der Vertragspartner ohne die Täuschung die Willenserklärung möglicherweise nicht oder nicht so abgegeben hätte, was auch im Falle des Verschweigens von Tatsachen gilt (BAG vom 15.05.1997, a.a.O.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

Der Kläger sieht eine arglistige Täuschung des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin darin, dass dieser vor Abschluss des Vergleichs zwar auf den gestellten Insolvenzantrag hingewiesen hat, nicht jedoch darauf, dass in Wirklichkeit ein Betriebsübergang geplant sei. Eine entsprechende Offenbarungspflicht kann allerdings im vorliegenden Fall nicht angenommen werden.

Es bestehen bereits keine hinreichend konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin den Kläger bewusst getäuscht hat. Der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin hat pflichtgemäß und wahrheitsgemäß erklärt, dass er am Vortag einen Insolvenzantrag gestellt hatte. Das Insolvenzverfahren war jedoch im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch nicht eröffnet. Der Geschäftsführer konnte mithin weder wissen, wer möglicherweise Insolvenzverwalter wird, noch welche Maßnahmen der künftige Insolvenzverwalter ergreifen wird, sei es eine Fortführung des Betriebes oder dessen Schließung. Erst Recht konnte er nicht wissen, an wen der künftige Insolvenzverwalter gegebenenfalls den Betrieb veräußern werde.

Dies gilt auch dann, wenn der ehemalige Prokurist der Insolvenzschuldnerin tatsächlich bereits im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses vorgehabt haben sollte, den Betrieb im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu erwerben. Der Gang des Insolvenzverfahrens war nämlich von so vielen Unwägbarkeiten geprägt, dass eine Offenbarungspflicht gegenüber dem anwaltlich vertretenen Kläger, dem die grundsätzliche Absicht des Prokuristen, den Betrieb einmal zu übernehmen, im Übrigen bekannt war, nicht angenommen werden kann.

Andere Gründe, die zur Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vergleichs führen könnten, liegen nicht vor. Es war deshalb festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Prozessvergleich vom 30.09.2004 beendet worden ist.

Als unterlegene Partei hat der Kläger entsprechend § 91 ZPO die Kosten des weiteren Verfahrens zu tragen.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Gegen dieses Urteil ist deshalb ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Auf die Möglichkeiten der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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