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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 11.12.2008
Aktenzeichen: 7 Sa 608/08
Rechtsgebiete: AGG


Vorschriften:

AGG § 7
AGG § 15
Erst wenn objektiv erkennbar ist oder der Kläger gegenüber der Beklagten deutlich zu erkennen gibt, dass er aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage ist, die geschuldete durchschnittliche Arbeitsleistung zu erbringen, ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger einen leidensgerechten Arbeitsplatz, soweit vorhanden, anzubieten.
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

7 Sa 608/08

In dem Rechtsstreit

hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2008 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leibold, den ehrenamtlichen Richter Herr Kuhlmeyer, die ehrenamtliche Richterin Frau Behrensdorf für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 10.04.2008, 3 Ca 212/07, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten zuletzt noch über Ersatzansprüche des Klägers wegen eines Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgrund einer von dem Kläger behaupteten Diskriminierung wegen seiner Behinderung, seiner Herkunft, Rasse und Religion.

Der am 00.00.1977 geborene, ledige und 1 Kind unterhaltsverpflichtete Kläger war seit dem 16.10.2002 bei der Beklagten als Kommissionierer in der Betriebsstätte S. beschäftigt und bezog zuletzt eine durchschnittliche Bruttovergütung von circa 1.700,00 € bei einer monatlichen, flexibel abrufbaren Arbeitszeit von 130 Stunden. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer außerordentlichen Kündigung des Klägers zum 31.10.2008.

Bei dem Kläger wurde durch Bescheid vom 11.07.2007 (Bl. 14, 15 d.A.) ein Grad der Behinderung von 20 aufgrund eines Lumbalsyndroms bei Bandscheibenschaden festgestellt. Durch Bescheid vom 13.10.2008 (Bl. 183 d.A.) wurde er ab 19.04.2007 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Aufgabe des Klägers war es, Waren auf Paletten zu stapeln. Die Beklagte machte den bei ihr beschäftigten Kommissionierern Vorgaben hinsichtlich der stündlich zu kommissionierenden Kollis. Diese betrug bis September 2006 170 Kollis pro Stunde.

Durch Betriebsanweisung vom 29.10.2006 erhöhte die Beklagte die Leistungsvorgabe für die bei ihr beschäftigten Kommissionierer auf zuletzt 195 Kolli pro Stunde. Hintergrund dieser Anweisung waren nach der Behauptung der Beklagten Veränderungen im Sortiment, die zu einer Optimierung der betrieblichen Abläufe geführt haben.

Am 10.01.2007 führte die Beklagte ein Gespräch mit dem Kläger über dessen Arbeitsleistung im Jahre 2006 sowie die krankheitsbedingten Ausfallzeiten. Hierüber wurde ein Protokoll gefertigt, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 16, 17 d.A.).

Ein weiteres Mitarbeitergespräch fand am 11.04.2007 statt, in dem dem Kläger zu niedrige Arbeitsleistungen vorgeworfen wurden. In dem Protokoll vom 11.04.2007 (Bl. 18, 19 d.A.) heißt es u. a.:

Herr I. sagte aus, dass sein Rücken ihm noch Schmerzen bereitet und so eine Leistungserfüllung (195 Kolli) nicht möglich sei.

...

Da Herr I. in der Vergangenheit schon öfters über Rückenprobleme klagte, wurde Herr I. angesprochen, ob es aus gesundheitlichen Überlegungen nicht sinnvoller sei über eine andere Tätigkeit nachzudenken, da die Belastungen als Kommissionierer bei der E. sich nicht verändert werden.

Aus Fürsorgepflicht wurde Herrn I. die Möglichkeit gegeben, am 12.04.2007 dieses mit seinem Arzt nochmals zu besprechen.

Herr I. wurde aufgefordert, sich nach dem Arztbesuch am 12.04.2007 ... in der Firma zu melden.

Mit Schreiben vom 04.05.2007 (Bl. 20 d.A.) erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung mit der Begründung, er habe im Monat April mit einer Leistung von 158 Kolli pro Stunde unter der Normalleistung von 195 Kolli in der Abteilung 1 gelegen.

Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 11.05.2007 gegen diese Abmahnung und machte gegenüber der Beklagten einen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 AGG wegen einer behinderungsbedingten Benachteiligung geltend mit der Begründung, er habe aufgrund seiner Tätigkeit bei der Beklagten dauerhafte gesundheitliche Schäden davongetragen. Im vorliegenden Rechtsstreit stützt er seine Ansprüche auch auf eine Diskriminierung wegen der Rasse und ethnischen Herkunft, die ihn als dunkelhäutigen Mitbürger moslemischen Glaubens mit dem Geburtsort L. (T.) treffe.

Seit dem 14.05.2007 ist der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2006 war er in den Monaten Februar bis April ebenfalls arbeitsunfähig erkrankt.

Das Arbeitsgericht hat durch ein den Parteien am 14.04.2008 zugestelltes Urteil vom 10.04.2008, auf dessen Inhalt zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 108 - 116 d.A.), die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die am 21.04.2008 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16.07.2008 am 01.07.2008 begründete Berufung des Klägers.

Der Kläger ist der Auffassung, die Leistungsvorgabe der Beklagten von 195 Kolli/h sei zu hoch und stehe mit der Richtlinie vom 29.05.1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit des Gesundheitsschutzes bei der manuellen Handhabung von Lasten, die für die Arbeitnehmer insbesondere eine Gefährdung der Lendenwirbelsäule mit sich bringt, nicht im Einklang. Die Erkrankung des Klägers sei auf die mit ständigem Heben, Bücken und Tragen verbundenen schweren körperlichen Arbeiten bei der Beklagten zurückzuführen (Beweis: arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten). Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte mit nicht behinderten Arbeitnehmern deutscher Herkunft, die ihre Vorgaben wie der Kläger im Jahr 2006 erfüllt hatten, keine Mitarbeitergespräche zur Verbesserung ihrer Arbeitsleistung geführt habe. Für den Kläger bedeute die Erhöhung der Kollileistung, dass er wegen seiner Behinderung, anders als seine nicht behinderten Kollegen, keinen leidensgerechten Arbeitsplatz mehr habe.

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe in dem Gespräch vom 11.04.2007 erklärt, sie könne leistungsgeminderte Arbeitnehmer nicht tragen, der Kläger solle sich überlegen, ob sein Job das Rückenleiden erzeuge, er solle sich nach einer anderen Tätigkeit umschauen. Hierin liege nach seiner Meinung eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung.

Auch die Abmahnung vom 04.05.2007 stelle eine derartige Benachteiligung dar. Die Beklagte habe gewusst, dass die angebliche Minderleistung des Klägers nicht verhaltens-, sondern nur personenbedingt sein konnte.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils des Klägers im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 01.07.2008 und 27.11.2008.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und

1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus seiner Arbeitsunfähigkeit seit Mai 2007 entstanden sind und weiter entstehen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.05.2007 zu zahlen; sowie

3. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 04.05.2007 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe der Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 08.09.2008 und 04.11.2008.

Die Beklagte hat sich in einem Teilvergleich vom 11.12.2008 verpflichtet, die Abmahnung vom 04.05.2007 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 519, 520 ZPO, 64, 66 ArbGG.

Sie ist jedoch nicht begründet.

Das Arbeitsgericht ist zu Recht und mit weitgehend zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 AGG hat. Das Landesarbeitsgericht macht sich die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils zu Eigen und nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug.

Die Berufungsbegründung des Klägers gibt Anlass zu folgenden ergänzenden und zusammenfassenden Bemerkungen:

Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass allein in der von der Beklagten geforderten Kommissionierleistung keine Benachteiligung im Sinne der §§ 7 Abs. 1, 1 AGG liegt. Die Leistungsvorgabe ist zwar nicht auf eine mit dem bei der Beklagten gebildeten Betriebsrat geregelte Betriebsvereinbarung, sondern auf eine einseitige Betriebsanweisung der Beklagten zurückzuführen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Vorgaben für alle Kommissionierer gleichermaßen gelten und keine individuelle Vorgaben speziell für den Kläger sind. Eine Ungleichbehandlung liegt deshalb nicht vor.

Eine Ungleichbehandlung kann auch nicht darin gesehen werden, dass die Beklagte von dem Kläger die gleiche Arbeitsleistung abverlangt hat wie von seinen Kollegen. Wie der Kläger zutreffend ausgeführt hat, ist er lediglich dazu verpflichtet, unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit zu arbeiten. Er muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen (BAG vom 11.12.2003, 2 AZR 667/02, AP Nr. 48 zu Verhaltensbedingte Kündigung).

Für die Beklagte bestand jedoch ohne Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Attestes durch den Kläger und ohne positive Kenntnis davon, dass der Kläger einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist, keine Verpflichtung, die Leistungsvorgaben speziell für den Kläger herunter zu setzen.

Dies gilt auch, wenn der Beklagten Rückenprobleme des Klägers bekannt waren. Allein diese Kenntnis löst eine Handlungspflicht der Beklagten nicht aus. Erst wenn objektiv erkennbar ist oder der Kläger gegenüber der Beklagten deutlich zu erkennen gibt, dass er aufgrund einer Behinderung nicht in der Lage ist, die geschuldete durchschnittliche Arbeitsleistung zu erbringen, ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger einen leidensgerechten Arbeitsplatz, soweit vorhanden, anzubieten. Allein die Kenntnis von Rückenbeschwerden reicht auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei der Tätigkeit eines Kommissionierers um körperlich schwere Arbeit handelt, nicht aus, um davon auszugehen, dass der Kläger die eines Kommissionierers nicht erbringen kann.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Leistungsvorgaben der Beklagten, die nach deren Darstellung zudem mit dem Betriebsrat besprochen worden sind, zu hoch sind und gegen die Richtlinie 90/269/EWG verstoßen, sind von dem Kläger nicht dargelegt worden. Gegen diese pauschale Behauptung des Klägers spricht, dass die von ihm im Jahr 2006 erbrachte Leistung lediglich in einem Monat nicht den Vorgaben der Beklagten entsprach. So hat der Kläger lediglich im Januar 2006 die Vorgabe von durchschnittlich 170 Kolli pro Stunde mit 167 Kolli pro Stunde knapp unterschritten. In den Monaten Mai bis Dezember liegt seine Monatsleistung demgegenüber jeweils über den Vorgaben der Beklagten, lediglich an einzelnen Tagen hat der Kläger hiernach unterdurchschnittliche Leistungen erbracht. Dies zeigt, dass die Beklagte von dem Kläger nichts Unmögliches verlangt hat. Ein diskriminierendes Verhalten kann deshalb unter diesem Gesichtspunkt nicht erkannt werden.

Zutreffend ist das Arbeitsgericht ferner zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger auch im Übrigen der Nachweis einer Diskriminierungsvermutung nicht gelungen ist. Der Beklagten war zwar bekannt, dass der Kläger Beschwerden mit seinem Rücken hat. Dass dies einen Grad der Behinderung von 20 und eine Gleichstellung des Klägers mit einem Schwerbehinderten zur Folge hat, konnte sie allerdings nicht wissen. Ein entsprechender Antrag ist von dem Kläger auch erst am 19.04.2007 gestellt worden.

Im Übrigen hat die Beklagte den Kläger am 11.04.2007 ausdrücklich auf eine andere Tätigkeit hingewiesen mit dem Zusatz, er möge dieses mit seinem Arzt nochmals besprechen. Der Kläger hat nach seinem Vortrag in diesem Gespräch erstmals konkret darauf hingewiesen, dass er aus gesundheitlichen Gründen die Leistungsvorgaben der Beklagten nicht erfüllen kann. Der Kläger hat dieses Gespräch jedoch nicht zum Anlass genommen, der Beklagten etwa durch Vorlage eines ärztlichen Attestes konkret nachzuweisen, zu welchen Tätigkeiten er auf Grund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der Lage ist.

In den beiden mit dem Kläger geführten Mitarbeitergesprächen kann eine Benachteiligung des Klägers aufgrund seiner Behinderung ebenfalls nicht gesehen werden. Der Kläger behauptet lediglich ins Blaue hinein, er gehe davon aus, dass die Beklagte mit nicht behinderten Arbeitnehmern deutscher Herkunft in vergleichbarerer Situation keine Mitarbeitergespräche führt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dies tatsächlich so ist, bestehen allerdings nicht. Der Kläger hat keinen einzigen Beispielsfall aufgeführt, der den Schluss einer benachteiligenden Handlung durch die Beklagte zulässt.

Konkrete Anhaltspunkte für eine Benachteiligung des Klägers aufgrund seiner Herkunft, seiner Rasse oder seiner Religion liegen ebenfalls nicht vor, wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend festgestellt hat.

Ein Ersatzanspruch des Klägers folgt schließlich auch nicht aus § 280 BGB. Die Beklagte hat nicht schuldhaft zulasten des Klägers gegen die Richtlinien 90/269/EWG oder die Lastenhandhabungsverordnung vom 04.12.1996 verstoßen. Ein schuldhafter Verstoß kann nur angenommen werden, wenn die Beklagte Kenntnis davon hatte, dass der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage war, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Hiervon kann jedoch unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen nicht ausgegangen werden. Ein Verstoß der Beklagten gegen die genannte Richtlinie oder die Lastenhandhabungsverordnung hat der Kläger im Übrigen auch nicht konkret dargelegt.

Die Berufung des Klägers war deshalb mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Gegen dieses Urteil ist deshalb ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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