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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 29.05.2002
Aktenzeichen: 1 Ta 78/02
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 149 Abs. 1
ArbGG § 9 Abs. 1
ArbGG § 61 a Abs. 1
In einer arbeitsgerichtlichen Bestandsstreitigkeit kommt die Aussetzung nach § 149 Abs. 1 ZPO nur in Betracht, wenn besonders gewichtige Umstände für den Vorrang des Ermittlungs- oder Strafverfahrens streiten.
1 Ta 78/02

In dem Rechtsstreit

wegen Kündigung und Bestandsstreitigkeiten (§ 61 a ArbGG)

Die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Nürnberg Heider ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 19.03.2002, Az. 2 Ca 2026/01 aufgehoben.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Aussetzung des Rechtsstreits. Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht Würzburg streiten die Parteien u.a. um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 10.08.2001 und um Entgeltansprüche. Zentraler Streitpunkt der erhobenen Ansprüche ist, ob die Klägerin, die langjährig als Buchhaltungsangestellte im Architekturbüro der Beklagten arbeitete, die ihr übertragene Kassenführung ordnungsgemäß erledigte oder ob sie unberechtigterweise private Aufwendungen mit Mitteln der Geschäftskasse finanzierte.

Zwischenzeitlich ist bei der Staatsanwaltschaft Würzburg ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen Unterschlagung (Az: 152 Js 1451/ 02) anhängig.

Das Arbeitsgericht Würzburg hat deshalb in der mündlichen Verhandlung vom 19.03.2002 die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 149 ZPO beschlossen und den Beschluss im Termin verkündet. Eine besondere Zustellung des Beschlusses an die Parteien ist nicht geschehen.

Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 05.04.2002, eingegangen beim Arbeitsgericht Würzburg am 08.04.2002, Beschwerde zum Landesarbeitsgericht Nürnberg eingelegt. Nach Eingang der Beschwerde hat das Erstgericht den Nichtabhilfebeschluss vom 02.05.2002 erlassen. Auf dessen Begründung wird verwiesen.

Die Beklagten haben mit Schriftsatz vom 30.04.2002 ebenfalls der Aussetzung des Verfahrens widersprochen.

II.

Für das vorliegende Beschwerdeverfahren gelten die Bestimmungen der ZPO und des Arbeitsgerichtsgesetzes in der ab 01.01.2002 gültigen Fassung (§ 26 Nr. 10 EGZPO). Der angefochtene Beschluss ist nach dem 31.12.2001 verkündet worden.

Die sofortige Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts ist statthaft (§§ 78 Satz 1 ArbGG, 252, 149 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden (§§ 78 Satz 1 ArbGG, 569 Abs. 1 ZPO). Da eine Zustellung nicht erfolgt war, hatte die zweiwöchige Notfrist bei Eingang der Beschwerde am 08.04.2002 noch nicht begonnen (§ 569 Abs. 1, Satz 2 ZPO).

Die Beschwerde ist auch in der Sache erfolgreich.

Ein Verfahren kann bis zur Erledigung des Strafverfahrens nach § 149 Abs. 1 ZPO ausgesetzt werden, wenn sich im Laufe des Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist. Die Aussetzung steht im - allerdings pflichtgemäßen - Ermessen des Gerichts (Thomas-Putzo, ZPO, 24. Auflage, § 149 Rdnr. 4).

Abzuwägen sind die besonderen Aufklärungsmöglichkeiten eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens gegen den Verzögerungseffekt im anhängigen Zivilrechtsstreit. Für das arbeitsgerichtliche Verfahren ergeben sich allerdings zusätzliche Ermessensausübungsrichtlinien aus § 9 Abs. 1 ArbGG und in Sonderheit für den Bestandsstreit aus § 61 a Abs. 1 ArbGG. Danach besteht für die Gerichte für Arbeitssachen ein besonderes Beschleunigungsgebot. Richtig ist schließlich für die Überprüfungskompetenz des Beschwerdegerichts, dass dieses nur die oben skizzierte Ermessensbetätigung des Erstgerichts zu prüfen hat, nicht jedoch seine Ermessensentscheidung an die Stelle derjenigen des Ausgangsgerichts setzen soll (vgl. OLG Düsseldorf vom 24.10.1997, MDR 1998, 797 m.w. Nachw.).

Auch vor dem Hintergrund dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes kann die Entscheidung des Arbeitsgerichts keinen Bestand haben:

Das Erstgericht stellt in seiner Nichtabhilfeentscheidung einseitig auf die angeblich besseren Aufklärungs- und Erkenntnismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden bzw. der Strafgerichte ab, ohne dies allerdings für den hier streitigen Sachverhalt näher zu begründen. Solche qualifiziertere Aufklärungsmöglichkeiten sind vorliegend auch nicht ersichtlich.

Staatsanwaltschaft wie Arbeitsgericht werden für die Frage der Unterschlagungen/Veruntreuungen der Klägerin die vorgelegten Belege zu prüfen haben und/oder die angebotenen Zeugen einvernehmen müssen. Im Übrigen ergeben sich dabei prozessual wesentliche Unterscheidungen. Die kündigenden Beklagten haben die Kündigungsgründe zu beweisen und erforderlichenfalls die substantiiert vorgetragenen Rechtfertigungsgründe der Klägerin auszuräumen. Diese Spezifika erfasst das Ermittlungs- oder Strafverfahren nicht.

Hinzu kommt ein Weiteres: Eine wie auch immer geartete Bindung zwischen den Ergebnissen (auch Beweisergebnissen) eines Strafverfahrens und dem arbeitsgerichtlichen Verfahren findet nicht statt. Dies folgt zum einen aus dem allgemeinen Rechtsgedanken aus § 14 EGZPO und der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO. So kann auch die Verwertung mittels Urkundsbeweises durch den Antrag auf (erneute) Zeugeneinvernahme blockiert werden. Der prozessuale Erkenntnisgewinn kann also gegen Null tendieren.

Materiellrechtlich ist vor allem von Bedeutung, dass das Arbeitsgericht die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung gänzlich eigenständig nach § 626 BGB zu prüfen hat, also ob eine "an sich" schwere Pflichtverletzung und eine daraus resultierende Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung vorliegt. Die strafrechtliche Relevanz spielt dabei eine gänzlich untergeordnete Rolle (vgl. BAG vom 20.08.1997, AP Nr. 27 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG vom 21.06.1995, RzK I, 8 c).

Dem danach unter den verschiedensten Aspekten beschränkten Erkenntniswert eines durchgeführten Strafverfahrens steht im Fall der Aussetzung eine regelmäßig erhebliche Verfahrensverzögerung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens gegenüber. Dies kann gerade für eine Bestandsstreitigkeit nur hingenommen werden, wenn das aussetzende Gericht in seiner Ermessensentscheidung die besonders gewichtigen Gründe für den Vorrang des Ermittlungs- oder Strafverfahrens darlegt. Andernfalls sind die aus §§ 9 Abs. 1, 61 a ArbGG folgenden Ermessensausübungsrichtlinien nicht beachtet und der Aussetzungsbeschluss kann keinen Bestand haben.

Aus den genannten Gründen war der arbeitsgerichtliche Beschluss aufzuheben. Das Arbeitsgericht hat dem Verfahren Fortgang zu geben.

Eine Kostenentscheidung war für die erfolgreiche Beschwerde nicht veranlasst, Gerichtsgebühren werden nicht erhoben (Anlage 1 zu § 12 Abs. 1 ArbGG Nr. 9302).

Ende der Entscheidung

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