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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 26.10.2004
Aktenzeichen: 6 Sa 348/03
Rechtsgebiete: BGB, BAT


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 1
BAT § 54
1. Ist dem Arbeitnehmer "grundsätzlich" nicht gestattet, während der Arbeitszeit privat im Internet zu surfen, ist diese Anweisung nicht konkret genug, um bei privatem Surfen, dessen Umfang nicht im Einzelnen feststeht, ohne entsprechende Abmahnung eine Kündigung zu rechtfertigen.

2. Lädt der Arbeitnehmer eine Anonymisierungssoftware auf seinen zur dienstlichen Nutzung bestimmten Rechner, lässt dies zwar die Vermutung der privaten Nutzung zu, jedoch ist bei mangelndem Nachweis des zeitlichen Umfangs tatsächlicher Privatnutzung allenfalls eine Verdachtskündigung - nicht aber eine Tatkündigung - möglich. Die Anzahl gespeicherter Internetadressen gibt für sich allein noch keinen Aufschluss über den zeitlichen Umfang ihrer Nutzung.

3. Selbst wenn man verbotene private Internetnutzung in gewissem Umfang unterstellen kann, überwiegen im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB die Interessen eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers am Bestand des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber erhebliche Beeinträchtigungen dienstlicher Interessen nicht vortragen und belegen kann.


LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 348/03 in dem Rechtsstreit

Anmerkung: Die Veröffentlichung dieser Entscheidung erfolgte mit Blick auf die Problematik privater Internetnutzung während der Arbeitszeit. Die in der Entscheidung enthaltene weitere Thematik wurde, da nur formeller Natur und insoweit nicht von Bedeutung, ausgeklammert (kursiv).

Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nürnberg Vetter als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Drescher und Arnold W. aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 25.03.2003, Az. 2 Ca 1952/02, wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer verhaltensbedingter Arbeitgeberkündigungen.

Der am 13.12.1953 geborene, für seine Ehefrau unterhaltspflichtige Kläger ist seit 01.05.1991 im C-Amt beschäftigt. Er ist als Diplom-Ingenieur in BAT III eingruppiert und bezog zuletzt ein Bruttoentgelt von monatlich € 3.618,74. Das Arbeitsverhältnis richtet sich im übrigen nach den Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages. Der Kläger ist seit 11.10.1999 schwerbehindert mit 50 Grad.

... (Es folgen Ausführungen zu weiteren Kündigungen vom 05.09.2002, 06.09.2002, und vom 09.09.2002, die vom Beklagten aus formellen Gründen - jedoch aus dem gleichen Grund - ausgesprochen wurden).

Am dienstlichen Rechner des Klägers traten im Juni 2002 wiederholt Störungen auf. Aus diesem Grund wurde durch Mitarbeiter der Datenverarbeitung am 27.06.2002 auf dem vom Kläger genutzten Rechner eine neue Festplatte installiert. Hierzu wurde das User-Profil des Klägers gesichert. Am 05.07.2002 erfolgte die Rückgabe des Rechners an den Kläger. Bei einer Nachkontrolle des Rechners am 15.07.2002 wurde festgestellt, dass die Software-Programme JAVA und JAP - Software zur Anonymisierung von Internetzugriffen - auf dem Rechner des Klägers installiert waren. Nach Rückgabe des Rechners an den Kläger installierte dieser diese Programme am 05.07.2002 auch auf die neue Festplatte. Darüber hinaus befanden sich auf der ausgewechselten Festplatte unter dem Ordner "Favoriten" mehrere Internetadressen, z.B. "Airlines.de - Einfach abheben", "ARD-Ratgeber Bauen und Wohnen", "Ausstellung von Town- und Country-Massivhäu-sern", "Bayr. Landeszahnärztekammer", "Bundeszahnärztekammer", "Die Nordsee - sieben Inseln - eine Küste", "Fenster- und Fassadenhersteller", "Ostsee", "Lochness Live", "Worldwide WEB Cameras", "SMS-Infowelt - Die Handyzeitung", "Handelsblatt, Internetbörsenmagazin", "Anwaltssuche, Kanzleien in Deutschland", "Landkarten, Stadtpläne, Routenplaner", "Anonym im Internet", dazu fünf Favoriten mit WebCam "Gardasee" und zwei Favoriten "Outdoor-Produkte". Auf der neu installierten Festplatte fanden sich die Favoriten "Aktien, Börse, Wirtschaft sharper.de", "comdirect - Informer 2", "OnVista-Wertpapieranalyse-Aktienkurse" und "Mobilfunk Elektrosmog".

Beim C-Amt D. existiert eine "Dienstanweisung für den PC-Einsatz" vom 19.10.1992/01.11.1992, in der festgelegt ist, welche Daten auf dem dienstlichen PC zulässig sind; daraus ergibt sich, dass nur dienstliche Software verwendet werden darf und dass der PC nur zu dienstlichen Zwecken genutzt werden darf (Anlage 4 zum Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 25.10.2002, Bl. 137 ff. d.A.). Der Kläger hat bestätigt, diese Dienstanweisung erhalten zu haben (Anlage 4a ebenda, Bl. 140 d.A.). Des weiteren existiert eine Dienstvereinbarung über Nutzung des Internets vom 27.04.2000 (Anlage 5 ebenda, Bl. 142 ff. d.A.). Aus deren Ziff. II.3. ergibt sich, dass Software-Installation auf dem PC nicht zulässig und dass die private Nutzung des Internets grundsätzlich unzulässig ist (dort S. 6, Bl. 144 Rückseite). Auf den Abschluss dieser Dienstvereinbarung wies der Dienststellenleiter im Informationsschreiben vom April 2000 die Mitarbeiter hin (Anlage 5b ebenda, Bl. 152 d.A.). Im Informationsschreiben vom Januar 2001 wurde an das Verbot der privaten Internet-Nutzung erinnert (Anlage 6 ebenda, Bl. 153, insbes. 154 d.A.). Im Informationsschreiben vom Dezember 2001 wurde nochmals erinnert, dass bei jeder Beschaffung von Hard- und Software die Zustimmung der Fachabteilung erforderlich sei (Anlage 7 ebenda, Bl. 155, insbes. 156 d.A.).

Der Behördenleiter gab dem Kläger mit Schreiben vom 31.07.2002 Gelegenheit, zu den Vorwürfen, verbotenerweise die Anwendungen JAP und JAVA heruntergeladen zu haben, mit der Privatnutzung von Intranet und Internet von durchschnittlich 1,2 Stunden am Tag gegen die Dienstvereinbarung verstoßen zu haben und sich mit dem Anonymisierungsprogramm JAP der Dienstaufsicht entzogen zu haben, bis 02.08.2002 zu äußern (Anlage zur Klageschrift, Bl. 19 ff. d.A.). Der Kläger ließ durch seine Anwälte um Verlängerung der Stellungnahmefrist bis 09.08.2002 bitten (ebenda, Bl. 22 f. d.A.). Der Behördenleiter lehnte eine Verlängerung der Stellungnahmefrist ab.

Der Behördenleiter sprach dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 08.08.2002 die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31.03.2003 aus (Anlage K 3 zur Klageschrift, Bl. 17 ff. d.A.).

.... (Ausführungen zu den weiteren Kündigungen)

Der Kläger erhob gegen die Kündigung vom 08.08.2002 unter dem 23.08.2002 Klage zum Arbeitsgericht Würzburg; diese Klage ging ausweislich des Eingangsstempels am selben Tag beim Arbeitsgericht ein. ... (Klageerweiterungen)

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sämtliche Kündigungen seien unwirksam. Es bestehe weder ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB noch sei die Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 KSchG. Die Kündigung vom 08.08.2002 scheitere zudem daran, dass ihm nicht ausreichend Zeit für eine umfassende Stellungnahme gegeben worden sei. ... (Ausführungen zur Unwirksamkeit der weiteren Kündigungen). Inhaltlich seien die Kündigungen schon deswegen zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht geeignet, weil er nicht abgemahnt worden sei. ... ( wie vor). Weil die Kündigungen unwirksam seien, sei der Beklagte verpflichtet, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiterzubeschäftigen.

Der Kläger hat im Verfahren vor dem Arbeitsgericht - nach Zurücknahme des Fortbestehensantrages - daher zuletzt folgende Anträge gestellt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 08.08.2002, vom 05.09.2002, vom 06.09.2002, vom 09.09.2002 und vom 25.10.2002 nicht aufgelöst worden ist.

2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Diplomingenieur weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, sämtliche Kündigungen seien als wirksam anzusehen. Der Kläger habe dadurch, dass er zweimal die Anonymisierungssoftware JAP auf seinen Rechner heruntergeladen habe, das Vertrauensverhältnis zerstört. Diese Software sorge dafür, dass man im Internet anonym und unbeobachtet surfen könne. Auch für den Arbeitgeber sei hierdurch nicht mehr nachvollziehbar, auf welche Internetadressen der Arbeitnehmer zugegriffen habe. Außerdem habe der Kläger, wie die Speicherung einer Vielzahl von privaten Adressen zeige, den Rechner umfangreich für private Tätigkeiten genutzt. Man habe am 15.07.2002 die Zustimmung des Personalrats zu einer umfassenden Überprüfung der Rechnernutzung eingeholt. Auch der Datenschutzbeauftragte habe am 17.07.2002 der Überprüfung zugestimmt. Am 16.07.2002 sei das Statistische Landesamt gebeten worden, die Internetzugriffe auszuwerten. Dieses habe am 22.07.2002 entsprechende Informationen übersandt. Es habe sich ergeben, dass das Programm JAP allein auf dem Rechner des Klägers installiert gewesen sei. Der Kläger habe im Zeitraum 01.02.2002 bis 16.07.2002 das Internet an 89 Arbeitstagen etwa 89 Stunden genutzt, davon an mehreren Tagen mehrere Stunden lang. Der Kläger habe damit gegen die Dienstanweisung über die PC-Nutzung, die Allgemeine Geschäftsordnung und die bei der Behörde abgeschlossene Dienstvereinbarung verstoßen. Es habe sich durch die Installation einer fremden Software die große Gefahr ergeben, dass das gesamte Netz gestört werden könnte, dass umfangreiche Daten verloren gehen könnten und dass erhebliche Schäden auftreten könnten. Aufgrund der Schwere dieser Pflichtverletzungen sei eine Abmahnung entbehrlich. Ähnliches gelte wegen der Länge der zum Surfen im Internet verschwendeten Arbeitszeit. Dies ergebe sich auch aus dem Urteil des LAG Köln vom 13.03.2002 für eine vergleichbare Konstellation. Im übrigen habe es wegen beleidigender Äußerungen gegenüber Kollegen, Missachtungen von dienstlichen Anweisungen und häufigem Zuspätkommen mit dem Kläger schon mehrfach Probleme gegeben. (...) Einer Anhörung des Klägers habe es nicht bedurft, weil es sich nicht um Verdachtskündigungen, sondern um Tatkündigungen gehandelt habe. (...)

Der Kläger hat dem entgegengehalten, (...) Die durch die Ermittlungen des Statistischen Landesamtes bekannt gewordenen Daten könnten nicht verwendet werden, weil sie einem Verwertungsverbot unterlägen. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass der Personalrat der Speicherung zugestimmt hätte. Aus demselben Grund sei die Feststellung, dass die Programme JAP und JAVA aufgespielt worden seien, nicht verwertungsfähig. Das Vorgehen der Systemadministratorin stelle einen erheblichen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht dar. Außerdem habe die von der Dienstvereinbarung nicht gedeckte Spurensuche auf der Festplatte gegen Datenschutzbestimmungen verstoßen. Die Dienstvereinbarung schließe die private Nutzung des Internets nicht vollständig aus, lasse aufgrund der Verwendung des Begriffs "grundsätzlich unzulässig" Ausnahmen zu. Schließlich sei ihm die Dienstvereinbarung zur Internetnutzung unbekannt gewesen. Auch die vorgelegten Informationsschreiben habe er - wie häufig auch andere solche interne Mitteilungen - nicht erhalten. Schließlich hätten andere Mitarbeiter der Dienststelle das Internet ebenfalls privat genutzt und sogar Erotikseiten aufgerufen. Es sei nicht zulässig, nunmehr ihn als einzigen für eine Kündigung herauszugreifen. Das Programm JAP sei viren- und störungsfrei, biete sogar Sicherheitsvorteile; ähnliches gelte für das Programm JAVA. Er habe diese Programme deswegen verwendet, weil er Einblicke Außenstehender in die dienstliche Nutzung habe verhindern wollen. Es sei ihm nicht bekannt gewesen, dass er dadurch auch Einblicke des Arbeitgebers verhindere. Das Verfahren zeige, dass die Überwachungsmöglichkeiten nach wie vor bestanden hätten. Der Systemadministrator habe ebenso wie sein Vorgesetzter unmittelbar auf den Rechner zugreifen können. Das Programm JAP sei als Icon deutlich sichtbar auf dem Bildschirm zu sehen gewesen. Es sei falsch, dass er das Internet umfangreich für private Zwecke genutzt habe. Aus dem Vorfinden von nicht-dienstlich zuordenbaren Internetadressen lasse sich die behauptete umfangreiche Privatnutzung nicht ableiten. Der Beklagte unterscheide zudem bei der behaupteten Nutzungsdauer nicht zwischen privater und dienstlicher Nutzung. Er beziehe sich auf 26 abgelegte Privatadressen; insgesamt seien aber 321 Adressen abgelegt gewesen; dies zeige, dass die Nutzung ganz überwiegend dienstlich erfolgt sei. Wirtschaftlicher Schaden sei zudem nicht entstanden. Der Kläger hat bestritten, dass das Arbeitsverhältnis belastet gewesen sei und dass er für eine eventuelle Belastung verantwortlich sei.

Der Beklagte hat ausgeführt, die datenschutzrechtlichen Bestimmungen ständen der Verwertung nicht entgegen, weil es Anhaltspunkte für Missbrauch gegeben habe. Der Personalrat habe der Verwertung der Daten ausdrücklich zugestimmt. Die Bestimmungen der Dienstvereinbarung, die zudem am Schwarzen Brett ausgehängt gewesen sei, seien hinreichend konkret. Das Mitteilungsblatt sei dem Kläger jeweils persönlich von seinem Vorgesetzten übergeben worden. Konkrete private und verbotene Internet-Nutzungen anderer Mitarbeiter seien nicht bekannt. Dem Kläger seien die Folgen seiner Handlungen bekannt gewesen; er habe das Herunterladen des Programms JAP nämlich zunächst bestritten, habe dies erst auf Vorhalt zugegeben. Nach der Programmbeschreibung schütze dieses Programm auch vor Überwachung "durch den Chef". Das Verhalten mache eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Endurteil vom 25.03.2003 wie folgt entschieden:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 08.08.2002, 05.09.2002, 06.09.2002, 09.09.2002 und 25.10.2002 nicht aufgelöst worden ist.

2. Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Diplom-Ingenieur weiterzubeschäftigen.

3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Der Streitwert wird auf € 14.474,96 festgesetzt.

Das Arbeitsgericht hat dies im wesentlichen damit begründet, die Kündigung vom 08.08.2002 sei schon wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam. Für die außerordentlichen Kündigungen vom 05.09., 06.09. und 09.09. fehle es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 54 BAT. Zwar habe der Kläger mit dem Herunterladen der Programme JAP und JAVA gegen die bestehenden Dienstanweisungen verstoßen. Ob die private Nutzung dagegen vollständig untersagt sei, sei angesichts der Formulierung "grundsätzlich" in der Dienstvereinbarung fraglich. Letztlich könne dies dahinstehen, da dem Kläger die tatsächliche Privatnutzung über einen erheblichen Zeitraum hinweg nicht nachgewiesen sei, zumal eine Internetnutzung im Hintergrund aktiviert sein könne, ohne dass dadurch Arbeitszeit verloren gehe. Allenfalls bestehe der Verdacht umfangreicher Privatnutzung. Eine Verdachtskündigung sei jedoch ausdrücklich nicht ausgesprochen. Eine konkrete Störung sei durch das Herunterladen der Software nicht eingetreten; es bleibe lediglich die abstrakte Netzgefährdung. In einem solchen Fall sei es dem Arbeitgeber zumutbar, vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung auszusprechen. Eine unrettbare Zerstörung des Vertrauensverhältnisses sei nicht erkennbar.(...). Auch die ordentlichen Kündigungen hätten das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Insoweit fehle es ebenfalls am Ausspruch einer einschlägigen Abmahnung. (...)

Das Endurteil des Arbeitsgerichts ist den Beklagtenvertretern ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses am 28.04.2003 zugestellt worden (Bl. 356 d.A.). Der Beklagte hat mit Schriftsatz seiner Vertreter vom 28.05.2003, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am selben Tag, Berufung eingelegt. Er hat diese Berufung - nach auf am 26.06.2003 eingegangenem Antrag hin bis 01.09.2003 verlängerter Frist - mit am 28.08.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 26.08.2003 begründet.

Der Beklagte hat sich in der Berufung darauf gestützt, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts seien die Kündigungen vom 05.09., vom 06.09., vom 09.09. und vom 25.10.2002 wirksam. Der Personalrat sei mit Schreiben vom 23.08.2002 ordnungsgemäß angehört worden. Wenn das Integrationsamt sogar der außerordentlichen Kündigung zugestimmt habe, müsse dies erst recht zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung berechtigen. Ein wichtiger Grund sei gegeben. Der Kläger habe seinen dienstlichen PC privat genutzt, er habe dies während der Arbeitszeit getan, er habe zweimal Anonymisierungssoftware heruntergeladen und den ihm gewährten Internet-Zugang zur Einrichtung von Favoriten genutzt. Jedenfalls in ihrer Gesamtheit berechtigten diese Vorwürfe zur fristlosen Kündigung. Der Ausspruch einer Abmahnung sei bei einer derart krassen Rechtsverletzung, wie sie die umfangreiche Privatnutzung und das Herunterladen der Anonymisierungssoftware darstellten, entbehrlich. Es liege insoweit ein klares Verbot des Arbeitgebers vor. Für den Kläger habe es auf der Hand gelegen, dass seine Handlungsweise nicht erlaubt sei. Es sei dem Kläger zuzuschreiben, dass die Privatnutzung des Internets nicht im einzelnen nachgewiesen werden könne, weil dieser die Anonymisierungssoftware verwendet habe. Zudem habe der Kläger viele - weit mehr als 26 - nur privat nutzbare Internetadressen abgespeichert (Auflistung vgl. S. 11/12 der Berufungsbegründung, Bl. 380 f. d.A.). Die Nutzungszeiten lägen innerhalb der regulären Arbeitszeit. Trotz der elfjährigen Beschäftigungszeit des Klägers und seiner Behinderung überwiege das Arbeitgeberinteresse an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Der Beklagte meint, es lägen Gründe vor, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht mehr erwarten ließen. Durch die Verwendung des Anonymisierungsprogrammes habe der Kläger über acht Monate hinweg in ganz erheblichem Umfang gegen seine Dienstpflichten verstoßen und damit für ein hohes Risiko hinsichtlich der EDV des Arbeitgebers gesorgt. Er habe mit Hilfe des Programms raffiniert seine Spuren der privaten Nutzung im Internet verwischt und damit das Vertrauen des Arbeitgebers in gröbster Weise missbraucht. Es sei bezeichnend, dass der Kläger auch seine Eigenschaft als Schwerbehinderter über Jahre hinweg nicht offenbart habe. Auch seine im Verfahren zutage tretende Uneinsichtigkeit etwa bezüglich der Befugnisse des Systemadministrators passe ins Bild.

Der Beklagte stellt als Berufungskläger daher in der Berufungsinstanz folgende Anträge:

I. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 25.05.2003, Az. 2 Ca 1952/02, wird abgeändert.

II. Die Klage wird abgewiesen.

III. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Hilfsweise beantragt der Beklagte,

das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, aber 13.000,- € nicht überschreiten solle, zum 31.03.2003 aufzulösen.

Der Kläger beantragt als Berufungsbeklagter,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen sowie den Auflösungsantrag abzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts für zutreffend. Er führt aus, er habe gegen die Zustimmung des Integrationsamtes und die Abweisung seines hiergegen gerichteten Widerspruchs Klage zum Verwaltungsgericht erhoben. Im übrigen wiederholt und vertieft er sein erstinstanzliches Vorbringen. Er bleibt dabei, dass über 80% der gespeicherten Adressen dem dienstlichen Gebrauch zuzuordnen seien. Er bestreitet, einen erheblichen Anteil seiner Arbeitszeit mit privater Nutzung des Internets zugebracht zu haben. Er bestreitet, dass die Sicherheit des EDV-Netzes durch das Herunterladen der Software-Programme JAVA und JAP beeinträchtigt worden sei. Er bleibt bei der Rüge fehlender bzw. unzureichender Anhörung des Personalrats, dem etwa die Kündigungsfrist nicht mitgeteilt worden sei. Hinsichtlich des Auflösungsantrages meint der Kläger, dieser sei schon deswegen unzulässig, weil sämtliche Kündigungen auch aus formalen Gründen unzulässig seien. Es bestehe keine Verpflichtung, den Arbeitgeber über die Zuerkennung der Eigenschaft als Schwerbehinderter in Kenntnis zu setzen. Es sei nicht erkennbar, inwieweit das Arbeitsverhältnis durch seine Rechtsansichten im Hinblick auf Verwertungsverbote und Datenschutz belastet sein sollte.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des Ersturteils vom 25.03.2003 (Bl. 337 ff. d.A.), die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 09.03.2004 (Bl. 470 ff. d.A.) und die zwischen den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist überwiegend zulässig. Sie ist statthaft, weil sie sich gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil richtet (§ 64 Abs. 1 ArbGG). Hinsichtlich des Feststellungsantrages ist ein Beschwerdewert nicht erforderlich (§ 64 Abs. 2 c) ArbGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt insgesamt 600,- Euro (§ 64 Abs. 2 b) ArbGG). Die Berufung ist auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO, 66 Abs. 1 S. 1, S. 2 ArbGG).

Nicht zulässig ist die Berufung, soweit sich der Beklagte mit seinem Berufungsantrag - vollständige Abweisung der Klage - gegen den Ausspruch des Arbeitsgerichts wendet, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung vom 08.08.2002 jedenfalls nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden. Der Beklagte selbst räumt in der Berufungsbegründung insoweit ein (dort S. 2 unter II.2., Bl. 371 d.A.), dass diese Kündigung unwirksam sei, weil das Integrationsamt eine vorherige Zustimmung nicht erteilt habe. Er wendet sich damit der Sache nach nicht gegen die diesbezügliche Entscheidung des Arbeitsgerichts, jedenfalls insoweit nicht, als die Kündigung vom 08.08.2002 als außerordentliche Wirksamkeit entfalten sollte. Er hält das Urteil insoweit nicht für falsch; das Arbeitsverhältnis ist keinesfalls vor Zugang der Kündigung vom 05.09.2002 aufgelöst worden. Soweit er ausweislich seiner Berufungsanträge eine Klageabweisung auch insoweit beantragt hat, ist die Berufung unzulässig.

II.

Die Berufung ist, soweit sie zulässig ist, jedoch nicht begründet. Das Urteil des Arbeitsgerichts erweist sich als richtig. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Auch der vom Beklagten gestellte Auflösungsantrag ist nicht begründet. Die Berufungskammer folgt hinsichtlich der Unwirksamkeit der Kündigungen den sorgfältigen Erwägungen des Arbeitsgerichts, denen sie sich insbesondere im Hinblick auf das Erfordernis einer Abmahnung und die Interessenabwägung anschließt, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Nur ergänzend ist im Hinblick auf die in der Berufung von den Parteien vorgetragenen Argumente noch hinzuzufügen:

1. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigungen vom 05.09.2002, vom 06.09.2002, und vom 09.09.2002 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden.

a. Mit Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass der Kläger mit dem Herunterladen der Software trotz entgegenstehender Anweisungen und der privaten Nutzung des Internets gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen hat. Selbst wenn man den Begriff "grundsätzlich verboten", wie ihn die Dienstvereinbarung normiert, im juristischen Sinn dergestalt verstehen können sollte, dass eine solche Nutzung in bestimmten Sonderfällen erlaubt sei, würde dies nicht die auch an 26 gespeicherten Adressen erkennbare offensichtlich häufigere Nutzung des dienstlichen Internet-Zugangs zu privaten Zwecken rechtfertigen.

b. Dabei geht die Kammer davon aus, dass sowohl in der Nutzung des dienstlichen Internetzugangs für private Zwecke als auch im Herunterladen von Software an sich ein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB und des § 54 BAT gegeben sein kann.

c. Dies gilt im Fall von Internetnutzung allerdings nur dann, wenn dies vom Dienstherrn eindeutig verboten ist und wenn feststeht, dass die Nutzung in umfangreicher Form erfolgt, oder wenn der Arbeitnehmer durch eine einschlägige Abmahnung auf die Einhaltung seiner diesbezüglichen Verpflichtungen hingewiesen worden ist. Eine solche Abmahnung liegt unstreitig nicht vor. Nach dem von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt steht nicht eindeutig fest, dass jegliche private Nutzung von vornherein ohne Wenn und Aber verboten gewesen wäre. Mit Recht führt das Arbeitsgericht aus, dass das Wort "grundsätzlich" zumindest missverständlich ist. Es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass die Arbeitnehmer angesichts dessen, dass es sich um eine staatliche Behörde handelt, in der auch Bescheide erlassen werden, den Begriff "grundsätzliches Verbot" im juristischen Sinn verstanden haben können, dass sie davon ausgingen, die Nutzung sei in Ausnahmefällen erlaubt. Damit fehlt es bereits an der nötigen Eindeutigkeit des Verbotes jeglicher Nutzung.

d. Auch bei fehlender Eindeutigkeit der Anweisung kann ein wichtiger Grund selbst ohne Abmahnung dann gegeben sein, wenn der Arbeitnehmer das ihm zur Verfügung stehende Sachmittel so exzessiv und umfassend oder in einer solchen Art und Weise nutzt, dass er davon ausgehen muss, dass eine Duldung durch den Arbeitgeber in keinem Fall in Betracht gezogen werden könnte, dass der Arbeitgeber dies als außerordentlich schwere Störung des Arbeitsverhältnisses betrachten würde. Dies kommt nach Überzeugung der Kammer etwa dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer aus dem Internet Inhalte strafbaren Inhalts herunterladen würde (so im Fall des LAG Niedersachsen vom 26.04.2002, 3 Sa 726/01 B, zitiert nach juris). Auch kann der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, dass der Arbeitgeber dulden würde, dass etwa Seiten mit pornographischem Inhalt aus dem Netz heruntergeladen werden. Solches ist jedoch nicht behauptet. Der Beklagte behauptet - außer bezüglich der Programme - ein Herunterladen derartiger Dateien nicht. Vielmehr wirft er dem Kläger die Nutzung für private Zwecke - allerdings ohne Herunterladen von Dateien und ohne Ansicht strafbarer Inhalte vor. Ein solches Verhalten hat für sich genommen kein vergleichbar großes Gewicht. Mit Recht verweist das LAG Rheinland-Pfalz darauf (Urteil vom 12.07.2004, 7 Sa 1243/03, zitiert nach juris), dass das Surfen im Internet teilweise als sozial adäquat betrachtet wird, dass es zumindest eindeutiger Verbote bedarf, wenn der Arbeitgeber diesbezüglich arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen will. Schon hieran fehlt es.

e. Auch eine so umfassende Nutzung des Internets für private Zwecke, dass dem Arbeitnehmer klar sein muss, der Arbeitgeber werde dies keinesfalls dulden, steht vorliegend nicht fest. Der Beklagte kann, wie er selbst einräumt, nicht belegen, welche und wie viele Zeiten der Kläger das Internet privat genutzt hat. Er kann dies nur aus der Anzahl der vom Kläger gespeicherten Adressen schließen. Ein derartiger Rückschluss erscheint jedoch nicht möglich. Mit Recht wendet der Kläger ein, er habe auch eine Vielzahl von dienstlichen Adressen gespeichert. Die Zahl der gespeicherten Adressen stellt zwar ein Indiz dafür dar, dass der Kläger diese Adressen zumindest einmal angewählt hat. Sie besagt aber nichts darüber, wie oft der Kläger dies getan hat und wie viel Zeit er hierfür verbraucht hat. Auch die Kammer ist der Auffassung, dass sich aus der Zahl der Adressen ein konkreter Verdacht einer Verfehlung des Klägers ergibt. Eine Verdachtskündigung hat der Beklagte jedoch nach ausdrücklichem eigenen Sachvortrag nicht ausgesprochen (S. 13 des Schriftsatzes vom 25.10.2002, Bl. 96 d.A.). Aus den vorliegenden Daten ist ein derart gravierendes Fehlverhalten, ein Tatbestand, in dem sich der Arbeitnehmer allein durch die Vielzahl seiner Nutzungen so über die Interessen des Arbeitgebers hinwegsetzt, dass er in jedem Fall bei Entdeckung mit der sofortigen Kündigung rechnen müsste, nicht ersichtlich. Dass dem Beklagten durch das Verhalten überhaupt ein finanzieller Schaden entstanden sei - sei es dadurch, dass der Kläger wegen der Privatnutzung irgendwelche Arbeiten nicht erledigt hätte oder sei es, dass die Nutzung irgendwelche Kosten verursacht hätte -, hat der Beklagte nicht behauptet.

f. Mit Recht führt der Beklagte aus, dass der Verdacht noch schwerer deswegen wiegt, weil der Kläger mit der Verwendung des Programms JAP die Verfolgung seiner genauen Internet-Tätigkeiten unmöglich gemacht hat. Dies sieht auch die Kammer so. Letztlich bleibt es aber hierdurch beim Verdacht. Die vorgetragenen Tatsachen erlauben nicht die Feststellung, der Kläger habe das Programm absichtlich zum Zweck der Täuschung seines Arbeitgebers heruntergeladen und verwendet. Auch in Zusammenhang mit der etwa einstündigen täglichen Internet-Nutzung kann man dies gerade im Hinblick darauf, dass der Kläger das Internet auch für dienstliche Zwecke nutzen durfte und - im Hinblick auf gespeicherte Adressen dienstlicher Natur wohl zumindest teilweise auch genutzt hat - nicht ohne weiteres unterstellen. Soweit der Beklagte dem Kläger im übrigen vorwirft, er habe Arbeitszeit "verschwendet", zeigt gerade dieser vergleichbare Vorwurf, dass die Notwendigkeit des Ausspruches einer vorherigen einschlägigen Abmahnung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit naheliegt.

g. Einen erheblichen Verstoß gegen seine Verpflichtungen hat der Kläger auch darin begangen, dass er die Programme heruntergeladen hat. Allein dieser Umstand berechtigt jedoch ebenfalls nicht zur sofortigen Kündigung. Zwar sieht auch die Kammer durch eine solche Handlungsweise eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit des Behördennetzes. Lässt man jedoch den Inhalt der Programme außer Acht: Meint der Beklagte, er müsse jeden Arbeitnehmer ohne vorherige Abmahnung fristlos kündigen, der unter Verstoß gegen die Dienstvorschriften ein Programm auf seinen dienstlichen PC herunterlädt? Natürlich macht sich ein Arbeitnehmer, sollte das Netz zusammenbrechen oder geschädigt werden, schadensersatzpflichtig. Auch kommt nach Abmahnung eine Kündigung in Betracht. Nach der Überzeugung der Kammer wiegt die für das Netz entstehende abstrakte Gefahr - sieht man nicht auf den Inhalt, sondern allein auf das Herunterladen der Programme - nicht so schwer, dass ein verständiger Arbeitgeber die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers derart eingeschränkt sehen würde, dass nur die sofortige Trennung die Folge sein könnte. Auch insoweit wäre daher eine vorhergehende Abmahnung zumutbar und erforderlich.

h. Eine besondere Qualität erhält das Verhalten des Klägers erst dadurch, dass der Inhalt der heruntergeladenen Programme dergestalt ist, dass hierdurch die Nachvollziehbarkeit der Internet-Nutzung durch den Kläger nicht mehr - oder, wie auch der Kläger einräumt, nicht mehr ohne weiteres - gegeben ist. Nach der Überzeugung der Kammer drängt sich der Verdacht auf, dass der Kläger zumindest auch seine Vorgesetzten über Art und Ausmaß möglicher Internet-Nutzung täuschen wollte. Die Täuschungsabsicht steht jedoch nicht fest. Der Kläger kann mit seiner Einlassung, er habe die Software ohne schlechtes Gewissen heruntergeladen und verwendet, und ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass er auch den Arbeitgeber an der Kontrolle seiner Arbeit und seines Verhaltens hindere, nicht widerlegt werden. Die Kammer hält dies für denkbar und möglich. Eine solche Erklärung kann nicht als reine Schutzbehauptung abgetan werden. Es bleibt der Verdacht, es besteht aber keine Gewissheit über eine gegen den Arbeitgeber gerichtete Handlung. Für eine Tatkündigung ist daher kein Raum; eine Verdachtskündigung hat der Beklagte, wie dargestellt, nicht ausgesprochen.

i. Selbst wenn man entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts auch ohne Abmahnung einen an sich wichtigen Grund annehmen würde, ergäbe die nach § 54 BAT und § 626 Abs. 1 BGB notwendige Interessenabwägung, dass es dem Beklagten nicht unzumutbar wäre, den Kläger noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Dies gilt für jede der behaupteten Verfehlungen, aber auch für eine Gesamtbetrachtung der geltend gemachten Umstände. Nach der Überzeugung der Kammer würden die Privatnutzung an sich und auch das Herunterladen der Software an sich ohnehin keine Schwere erreichen, die ohne Abmahnung zur Kündigung berechtigen könnte. Ohnehin macht erst die Zusammenschau - einerseits Privatnutzung, andererseits fehlende Nachvollziehbarkeit mit Hilfe der Software - die Schwere des Verstoßes aus. Insoweit bleibt es allerdings beim Verdacht. Es überwiegen die Interessen des Klägers, für den es angesichts seines Alters und seiner Schwerbehinderung auf dem Arbeitsmarkt schwer sein würde; auch hat sich das Arbeitsverhältnis mit über elf Jahren der Betriebszugehörigkeit weitgehend verfestigt. Auf der anderen Seite ist zu würdigen, dass ein Schaden beim Beklagten auch nach eigenem Vortrag letztlich nicht entstanden ist und dass der Vertrauensverlust sich letztlich auf den Verdacht, nicht aber darauf gründet, dass eine bewusst schädigende Handlung des Klägers feststehen würde. Es erscheint daher als zumutbar, von einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzusehen.

j. Damit erweisen sich die Kündigungen, soweit sie als außerordentliche ausgesprochen worden sind, als unwirksam. Auf die Frage, ob sie auch an formellen Mängeln leiden, kommt es demgegenüber nicht an. Allerdings sieht die Kammer eine Unwirksamkeit der Kündigungen vom 06.09. und vom 09.09. allein deshalb, weil der Personalrat nicht nochmals angehört worden ist und weil keine erneute Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt worden ist, nicht. Es handelt sich um dieselbe beabsichtigte Kündigung, die auch zeitnah innerhalb weniger Tage ausgesprochen ist. Es liegt gerade kein neuer Lebenssachverhalt vor, der eine erneute Anfrage notwendig machen würde.

2. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigungen vom 08.08.2002, vom 05.09.2002, vom 06.09.2002, vom 09.09.2002 und vom 25.10.2002 auch nicht unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 31.03.2003 aufgelöst worden.

a. Es kann dahinstehen, ob die Unwirksamkeit der Kündigungen vom 05.09., 06.09. und 09.09. - diejenige vom 08.08.2002 steht aufgrund fehlender Zustimmung des Integrationsamtes fest -, soweit sie als ordentliche wirken sollen, schon daraus folgt, dass das Integrationsamt im Zeitpunkt ihres Ausspruches nur der außerordentlichen Kündigung zugestimmt hatte, nicht aber der ordentlichen (so Vossen in Ascheid/Preis/Schmidt, Großkommentar zum Kündigungsrecht, 2. Aufl. 2004, § 91 SGB IX Rn. 24; für den vorliegenden Fall wohl auch KR-Etzel, Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsrecht, 7. Aufl. 2004, § 91 SGB IX Rn. 35 f.). Zumindest in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem es allein um den verhaltensbedingten Vorwurf geht, sprechen beachtliche Gründe für die vom Beklagten vertretene Auffassung, in der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung sei als Minus auch diejenige zur ordentlichen Kündigung enthalten - trotz des insoweit anderen Prüfungsmaßstabes. Hierauf kommt es jedoch letztlich nicht an.

b. Die Kündigungen sind auch als ordentliche Kündigungen nach § 1 Abs. 2 KSchG unwirksam. Der Kläger hat, wie schon das Arbeitsgericht zutreffend ausführt, zwar mehrere Verstöße gegen seinen Arbeitsvertrag begangen. Diese rechtfertigen jedoch auch die ordentliche Kündigung nicht. Dabei ist angesichts dessen, dass der Beklagte eine Verdachtskündigung nicht ausgesprochen hat, auch diesbezüglich darauf zu verweisen, dass die - bestehenden - Verdachtsumstände auch dafür nicht herangezogen werden können. Vielmehr stehen auch diesbezüglich die verbotene Nutzung des Internet-Zugangs zu privaten Zwecken ohne erkennbare Schäden für den Arbeitgeber, das Herunterladen von Software und die sich hieraus ergebende abstrakte Gefährdung des EDV-Netzes sowie das objektive Herunterladen einer Software, die die Internet-Auftritte des Klägers auch für den Arbeitgeber nicht mehr nachvollziehbar macht, als Verstöße fest. Die Kammer sieht auch am geringeren Prüfungsmaßstab des § 1 Abs. 2 KSchG den Grundsatz der ultima ratio als verletzt an. Sie geht auch unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabes von der Notwendigkeit des Versuches aus, den Arbeitnehmer mit dem Ausspruch einer Abmahnung von der Begehung weiterer Verstöße abzuhalten. Auch eine Gesamtschau der Vorwürfe wiegen nicht derart schwer, dass für einen verständig abwägenden Arbeitgeber der Vertrauensverlust so tiefgehend und endgültig sein könnte, dass eine Trennung vom Arbeitnehmer unerlässlich wäre. Auch insoweit überwiegen die Interessen des langjährig beschäftigten, älteren und schwerbehinderten Klägers zumindest angesichts dessen, dass ein erkennbarer Schaden für den Beklagten nicht entstanden ist.

3. Das Arbeitsverhältnis war auch nicht durch gerichtliche Entscheidung mit Wirkung zum 31.03.2003 gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Die Kammer sieht auch unter Berücksichtigung dessen, dass der Prüfungsmaßstab geringer ist als derjenige, der für die Begründetheit einer Kündigung anzulegen ist, keinen Grund, der das Auflösungsbegehren rechtfertigen würde. Die Ausführungen des Klägers über das Verwertungsverbot der von der Systemadministratorin und dem Statistischen Landesamt erhobenen Feststellungen mögen unzutreffend sein. Sie stellen jedoch keine ganz abwegige Rechtsansicht dar. Sie beschränken sich auf die Verteidigung im Prozess. Sie lassen keine gegen den Arbeitgeber persönlich gerichtete Einstellung, keine vollständige Missachtung der Interessen des Beklagten erkennen. Ähnliches gilt für die Begründung, soweit sie mit dem Nichtmitteilen der Eigenschaft als Schwerbehinderter zusammenhängt. Mit Recht führt der Kläger an, dass eine Offenbarungspflicht nach dem Gesetz nicht besteht. Der Beklagte hat weder dargetan, dass der Kläger insoweit eine ausdrücklich vertraglich normierte Pflicht verletzt hätte, noch, dass für den Kläger erkennbar gewesen wäre, dass er dem Beklagten mit der Nichtoffenbarung einen Schaden zugefügt hätte oder zufügen würde. Auch hieraus wird eine gegen den Beklagten gerichtete negative Einstellung, die einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit entgegenstehen könnte, nicht erkennbar. Schließlich erscheinen die Gründe, soweit sie auf die Nutzung des Software-Programms und das Risiko für die EDV-Anlage gestützt werden, ebenfalls nicht als ausreichend. Soweit sich der Beklagte darauf beruft, der Kläger habe durch das Herunterladen "raffiniert" seine Spuren verwischt, "damit der Arbeitgeber ihm den Umfang der privaten Nutzung des Internets ... nicht nachweisen könne", bezieht er sich letztlich doch wieder auf den Verdacht, nicht aber auf feststehende Tatsachen. Ein solcher Verdacht genügt nach der Überzeugung der Kammer auch nicht, um die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG zu rechtfertigen.

4. Nach alldem erweist sich das Urteil des Arbeitsgerichts als richtig und darüber hinaus der Auflösungsantrag als unbegründet, so dass die Berufung insgesamt zurückzuweisen war.

5. Der Beklagte, Berufungskläger, hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO).

6. Die Zulassung der Revision rechtfertigt sich aus der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit.

Ende der Entscheidung

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