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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Beschluss verkündet am 22.01.2002
Aktenzeichen: 6 TaBV 13/01
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 104
BetrVG § 5 Abs. 3
Der Betriebsrat kann die Entfernung betriebsstörender leitender Angestellter auch dann nicht verlangen, wenn der Arbeitnehmer erst nach Schluss der mündlichen Anhörung erster Instanz zum Prokuristen bestellt wird und erst durch die Bestellung zum leitenden Angestellten wird.
6 TaBV 13/01

In dem Beschlussverfahren

wegen sonstiges

Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht Beiersmann als Vorsitzender und der ehrenamtlichen Richter Ludwig und Hager aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 04. Dezember 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

1.

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin und des Beteiligten zu 3) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg, Kammer Coburg, vom 09.01.2001 abgeändert.

2.

Der Antrag wird zurückgewiesen.

3.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die vom Antragsteller verlangte Entfernung des technischen Betriebsleiters der Arbeitgeberin nach § 104 BetrVG.

Die Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2) betreibt einen Werkzeug- und Formenbaubetrieb und beschäftigt derzeit ca. 55 bis 60 Mitarbeiter. Der Antragsteller und Beteiligte zu 1) ist der im Betrieb der Arbeitgeberin gebildete, zuletzt 1998 gewählte fünfköpfige Betriebsrat.

Der Beteiligte zu 3) ist gelernter Werkzeugmachermeister und Maschinenbautechniker. Bei den Betriebsratswahlen im Frühjahr 1998 wurde der Beteiligte zu 3) als wahlberechtigter Arbeitnehmer geführt. Mit Aushang vom 10.07.1998 hatte die Beklagte bekannt gegeben, dass der Beteiligte zu 3) ab 01. Juli 1998 das Aufgabengebiet des technischen Leiters übernommen hat.

Mit Schreiben vom 09.03.1999 beschwerte sich der Antragsteller erstmals öffentlich bei der Geschäftsleitung über das Verhalten des Beteiligten zu 3). Mit Schreiben vom 17.12.1999 verlangte er von der Arbeitgeberin die Versetzung oder Kündigung des Beteiligten zu 3). Bei einer Betriebsversammlung wurde das Verhalten des Beteiligten zu 3) erörtert. Am 17.12.1999 fasste der Antragsteller den Beschluss, nach § 104 BetrVG zu handeln. Eine Reaktion der Antragsgegnerin erfolgt nicht. Nunmehr leitete der Antragsteller das Beschlussverfahren zur Entlassung des Beteiligten zu 3) ein.

Mit Beschluss vom 09.01.2001 gab das Arbeitsgericht Bamberg - Kammer Coburg - dem Antrag auf Entlassung des Beteiligten zu 3) statt. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Beteiligten wird auf I der Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Gegen den allen Beteiligten am 23.02.2001 zugestellten Beschluss legten die Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2) und der Beteiligte zu 3) Beschwerde ein. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerde wird auf die protokollarischen Feststellungen der Sitzung vom 14.12.2001 Bezug genommen.

Im Laufe des Beschwerdeverfahrens wurde der Beteiligte zu 3) am 06.07.2001 zum Einzelprokuristen ernannte. Die Ernennung wurde am 01.08.2001 ins Handelsregister eingetragen.

Zur Begründung der Beschwerde trägt die Beteiligte zu 2) und Beschwerdeführerin vor, der Beteiligte zu 3) sei seit 25.05.1994 geschäftsführender Gesellschafter der H.... Dieses Unternehmen sei zusammen mit dem Geschäftsführer der Beteiligten zu 2) zur Unterstützung der Beteiligten zu 2) gegründet worden. In diesem Rahmen habe der Beteiligte zu 3) die Position des technischen Leiters übernommen. Zwischen den Beteiligten zu 2) und 3) seien keine schriftlichen Vereinbarungen getroffen worden. Der Beteiligte zu 3) habe im Nachhang zum Geschäftsführer der Beteiligten zu 2) selbständig für die Beteiligte zu 2) eine Reihe von Aufgaben wahrnehmen sollen, die sich in ähnlicher Form aus der Satzung der H... für ihn als deren Geschäftsführer ergäben. Seit diesem Zeitpunkt sei er zur selbständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt.

Damit sei er leitender Angestellter. Der von der Beteiligten zu 1) angesprochene Personalabbau sei vor der Berufung des Beteiligten zu 3) auf die vorgenannte Position erfolgt, so dass tatsächlich keine Entlassung habe durchgeführt werden müssen. Seit einer Bandscheibenoperation im Jahre 1997 sei der Geschäftsführer der Beteiligten zu 2) nur noch bedingt zu Kundenakquisition und -pflege in der Lage. Die Feststellung der Wahlberechtigung zur Betriebsratswahl habe vor der Übertragung der Befugnisse gelegen. Der Beteiligte zu 3) habe mit dem Beteiligten zu 1) Verhandlungen geführt.

Die Vorfälle seien völlig überzogen und nicht der Realität entsprechend dargestellt worden. Der Beteiligte zu 3) habe sich im Nachhinein bei dem betroffenen Mitarbeiter entschuldigt.

Zudem habe auch der Vorsitzende des Beteiligten zu 1) zum Zeitpunkt der angeblichen Beleidigung die eben noch freundliche Kommunikation bereits verlassen gehabt.

Der Beteiligte zu 2) und Beschwerdeführer beantragt:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg- Kammer Coburg - vom 09. Januar 2001, AZ: 4 BV 5/00 C, wird abgeändert.

2. Der Antrag vom 28. Februar 2000 wird zurückgewiesen.

Der Beteiligte zu 3) und Beschwerdeführer trägt zur Begründung seiner Beschwerde vor, das Arbeitsgericht habe Sachverhalte als unstreitig dargestellt und damit eine falsche Beweiswürdigung vorgenommen. So sei es nicht richtig, dass der Beteiligte zu 1) sein Begehren gerichtlich weiter verfolgt habe, da er zunächst die Versetzung oder Kündigung des Beteiligten zu 3) verlangt habe. Im Gegensatz zur Ausführung des Beschlusses sei er kein Arbeitnehmer der Beteiligten zu 2).

Er erfülle auch Kriterien, die den leitenden Angestellten definieren. Das Gericht habe unrichtiger Weise unterstellt, dass ein Nachweis über Gebrauchmachung von der Berechtigung zur Entlassung nicht erbracht worden sei. Das Arbeitsgericht habe aber übersehen, dass in dem Zeitraum, nachdem er die Befugnis erhalten habe, keine Entlassungen durchgeführt worden seien. Es gehe zu Unrecht davon aus, dass er nur als Techniker in seinem Teilbereich für die Betriebsleitung verantwortlich sei, übersehe aber, dass der sogenannte Kernbereich den größten Teil des Unternehmens ausmache. Die Ausführungen wegen seiner Stellung als geschäftsführender Gesellschafter der Firma H gingen an den Tatsachen vorbei.

Zudem werde vom Arbeitsgericht nicht berücksichtigt, dass der Beschluss des Betriebsrats den prozessualen Antrag nicht decke.

Zudem sei wegen der Vorfälle das Arbeitsgericht zu Unrecht vom unstreitigen Sachverhalt ausgegangen.

Der Beteiligte zu 3) und Beschwerdeführer beantragt:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Bamberg- Kammer Coburg - vom 09.01.2001, AZ:4 BV 5/00 C wird aufgehoben.

2. Der Antrag wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer beantragt:

Die Beschwerden vom 21.03.2001 und vom 23.03.2001 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichtes Bamberg, Kammer Coburg, vom 09.01.2001, AZ: 4 BV 5/00 C, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Er ist der Auffassung, die Beschwerdeführer trügen keine neuen Tatsachen vor. Der Beteiligte zu 3) sei am 01.02.1997 als Angestellter eingestellt worden. Einsicht in den Arbeitsvertrag habe der antragstellende Betriebsrat nicht erhalten. In der Wählerliste zur Betriebsratswahl sei der Beteiligte zu 3) als Angestellter mit der Personalnummer 120 verzeichnet gewesen. 1998 habe der Geschäftsführer der Beteiligten zu 2) ausdrücklich erklärt, dass der Beteiligte zu 3) nicht autorisiert sei, eine Betriebsvereinbarung zu verhandeln oder zu vereinbaren. Beim Aushang zum Jahreswechsel 1998/99 zwischen Herrn M... und dem Beteiligten zu 3) sei dieser nicht als leitender Angestellter bezeichnet worden. Schriftliche Personalmaßnahmen habe der Geschäftsführer allein unterschrieben. Der Beteiligte zu 3) bringe als Gesellschafter der Firma H... die nach dem Betriebszweck vorgesehene ingenieurmäßigen Leistungen. Zudem stehe er in einem Anstellungsverhältnis zur Beteiligten zu 2) und beziehe ein Gehalt von DM 8.500,-- monatlich. Es werde bestritten, dass er Verhandlungsvollmacht oder Prokura habe. In Abwesenheit des Geschäftsführers treffe die Hauptgesellschafterin, die Ehefrau des Geschäftsführers, die Personalentscheidungen. Zudem habe sich der Geschäftsführer auch in die laufenden technischen Fertigungsvorgänge "eingemischt". Der Vorgänger des Beteiligten zu 3) habe wesentliche größere Befugnisse als dieser gehabt, sei aber auch nicht als leitender Angestellter angesehen worden.

Im übrigen wiederholt der Antragsteller und Beschwerdegegner den erstinstanzlichen Sachvortrag.

II.

Die Beschwerden sind zulässig. Sie sind gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft und in der gesetzlichen Form und Frist der §§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG eingelegt und begründet worden.

III.

Die Beschwerden sind begründet.

Es spricht zwar vieles dafür, dass der angefochtene Beschluss beim Stand der mündlichen Anhörung der Beteiligten vor dem Arbeitsgericht richtig ist. Die Vorwürfe gegen den Beteiligten zu 3) waren erstinstanzlich nicht hinreichend substantiiert bestritten und reichten aus, den Beteiligten zu 3) als betriebsstörenden Arbeitnehmer anzusehen. Es spricht auch vieles dafür, dass der Beteiligte zu 3) zu diesem Zeitpunkt kein leitender Angestellter war.

Die Beschwerde ist aber begründet, weil durch die Ernennung des Beteiligten zu 3) zum Einzelprokuristen nunmehr der Beteiligte zu 3), falls er denn Angestellter der Beteiligten zu 2) ist, jedenfalls als leitender Angestellter anzusehen ist. Die Beschwerde kann nach §§ 87 Abs. 2, 67 Abs. 2 ArbGG auf neue Tatsachen gestützt werden. Das Landesarbeitsgericht hat daher die Ernennung des Beteiligten zu 3) zum Einzelprokuristen bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Sie ist durch die Vorlage des Handelsregisterauszuges nachgewiesen.

Gemäß § 104 BetrVG kann der Betriebsrat in dem Fall, dass ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltenen Grundsätze den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich stört, die Entlassung des Arbeitnehmers verlangen. Das BetrVG findet aber nach seinem § 5 Abs. 3 keine Anwendung auf leitende Angestellte, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist. § 104 BetrVG spricht nur von Arbeitnehmern. Eine Anwendung auf leitende Angestellte ist also nicht ausdrücklich bestimmt und damit nicht möglich. Dieses Ergebnis ergibt sich im Übrigen auch aus dem Vergleich mit § 105 BetrVG. Die Einstellung oder personelle Veränderung leitender Angestellter sind dem Betriebsrat lediglich mitzuteilen. Damit wird klargestellt, dass bei der Einstellung leitender Angestellter ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG nicht besteht. Es wäre im Ergebnis aber widersinnig, wenn der leitende Angestellte zunächst entlassen werden müsste, dann aber ohne Zustimmung des Betriebsrats wieder eingestellt werden könnte. Betriebsverfassungsrechtlich sind die leitenden Angestellten dem Arbeitgeber zuzurechnen. Dem Betriebsrat bleibt daher nur die Möglichkeit nach § 23 Abs. 3 BetrVG.

Der Beteiligte zu 3) ist jedenfalls spätestens mit der Bestellung zum Prokuristen leitender Angestellter geworden. Leitender Angestellter ist nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG ein Angestellter, der Prokura hat und die Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist. Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Dem Beteiligten ist Einzelprokura erteilt. Zudem hatte der Beteiligte zu 3) als Betriebsleiter innerhalb des Betriebes schon eine herausgehobene Position. Laut Aushang vom 10.07.1998 hatte er das Aufgabengebiet des technischen Leiters übernommen. Darüber hinaus war er zur Kundenakquisition und Kontaktpflege zuständig. Zu dieser "herausgehobenen Position" tritt nunmehr die Erteilung der Einzelprokura hinzu. Das Landesarbeitsgericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Übertragung der Befugnisse intern beschränkt worden wäre. Zwar mag die Prozesssituation ein bestimmtes Motiv für die Erteilung der Prokura gewesen sein. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, dass der Beteiligte zu 3) lediglich "Titularprokurist" geworden ist. Vielmehr erscheint es durchaus als lebensnah, dass die Beteiligte zu 2) angesichts des drohendes Prozessverlustes dem Beteiligten zu 3) weitere Befugnisse zuteilt, um ihn nicht entlassen zu müssen. Letztlich erscheint der Berufungskammer als entscheidend, dass der Beteiligte zu 3) schon vor der Ernennung zum Einzelprokuristen eine herausgehobene Stellung im Betrieb hatte, die bis an die Grenze zum leitenden Angestellten Reichte. Die Entscheidung der Beteiligten zu 2), dem Beteiligten zu 3) weitere rechtliche Befugnisse als Prokurist einzuräumen, kann daher nicht als Scheingeschäft betrachtet werden, auch wenn die Prozesssituation das Motiv für die Ernennung gewesen sein mag.

Jedenfalls nach der Ernennung des Beteiligten zu 3) zum Prokuristen kann der Betriebsrat seine Entfernung aus dem Betrieb nicht mehr verlangen.

Die Ernennung des Beteiligten zu 3) zum Prokuristen mag zwar im Hinblick auf die Prozesssituation als ein Verstoß gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG erscheinen. Hieraus kann aber nicht die Konsequenz gezogen werden, dass er zunächst entlassen werden muss. Ein solches Ergebnis wäre nur sinnvoll, wenn aus § 2 Abs. 1 BetrVG hergeleitet werden könnte, dass der Beteiligte zu 3) nicht nach der Entlassung neu als Prokurist eingestellt werden könnte. Die Konsequenz geht jedoch soweit. Der Gesetzgeber hat in § 105 BetrVG ausdrücklich klargestellt, dass die Einstellung leitender Angestellter nicht der Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Eine reine symbolische Entlassung mit anschließender Wiedereinstellung wird dem Zweck des Gesetzes aber nicht gerecht.

Der Antrag des Beteiligten zu 1) ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zurückzuweisen.

IV.

Zur Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein gesetzlich begründeter Anlass (§ 92 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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