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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Nürnberg
Urteil verkündet am 18.12.2001
Aktenzeichen: 7 Ta 208/01
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 c
ArbGG § 5 Abs. 1 Satz 3
Verhandelt der Vorstandsvorsitzende einer Aktiengesellschaft mit einem Bewerber für einen Vorstandsposten, verschweigt der Vorstandsvorsitzende dabei - nach Vortrag des Klägers (Bewerbers) - die schlechte wirtschaftliche Lage der Aktiengesellschaft, und kommt es daraufhin zunächst zu einem Arbeitsvertrag, in dem aber die Absicht festgehalten ist, den Bewerber in Kürze in den Vorstand zu berufen, und löst der Bewerber daraufhin das Arbeitsverhältnis mit seinem bisherigen Arbeitgeber auf, und wird kurz darauf über das Vermögen der Aktiengesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, sind für einen Schadensersatzanspruch gegen den Vorstandsvorsitzenden aus dem Rechtsinstitut der Culpa in contrahendo bzw. aus § 826 BGB die ordentlichen Gerichte zuständig.
7 Ta 208/01

wegen Schadensersatz

Die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Nürnberg hat durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Dr. Holzer-Thieser ohne mündliche Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

1.

Die sofortige Beschwerde des Klägers vom 22.11.2001 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 27.09.2001 - 4 Ca 1165/01 S - wird auf Kosten des Beschwerdeführers zurückgewiesen.

2.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf DM 66.666,-- festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche des Klägers in Höhe von DM 200.000,--.

Der Kläger leitet diese Ansprüche aus falschen und unvollständigen Auskünften des Beklagten ab. Der Beklagte war Vorstandsvorsitzender der M... AG und führte in dieser Eigenschaft mit dem Kläger Verhandlungen mit dem Ziel, den Kläger als Mitglied des Vorstands zu bestellen. Am 04.06.1998 kam es zum Abschluss einer ab 01.07.1998 wirkenden "Anstellungsvereinbarung", in der die Absicht festgehalten ist, den Kläger in den Vorstand zu berufen. Am 23.06.1998 schloss der Kläger mit seiner früheren Arbeitgeberin einen Aufhebungsvertrag. Eine Bestellung zum Vorstandsmitglied ist nicht erfolgt. Am 30.07.1998 stellte der Beklagte Insolvenzantrag bezüglich der M... AG. Der Kläger begehrt mit seiner beim Arbeitsgericht Würzburg eingereichten Klage Schadensersatz hinsichtlich des Lohnentganges bei seinem früheren Arbeitgeber und trägt vor, er hätte den Vertrag mit seiner früheren Arbeitgeberin nicht gelöst, wenn ihn der Beklagte wahrheitsgemäß über die schlechte wirtschaftliche Lage der M... AG aufgeklärt hätte.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 27.09.2001 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an dasLandgericht Schweinfurt verwiesen.

Gegen den ihm am 09.11.2001 zugestellten Beschluss hat der Kläger durch den am 22.11.2001 beim Arbeitsgericht Würzburg eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag sofortige Beschwerde eingelegt. Er meint, zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits seien die Gerichte für Arbeitssachen zuständig.

Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers in der Beschwerdeinstanz wird auf den Schriftsatz vom 22.11.2001 verwiesen.

B.

I. Die sofortige Beschwerde ist an sich statthaft und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, 78 ArbGG, 577 ZPO).

Über die sofortige Beschwerde entscheidet das Landesarbeitsgericht ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter (BAG, DB 93, 1728; LAG München, BB 93, 1740; LAG Köln, BB 91, 2452). Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen (LAG München a.a.O.).

II.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

1.

Gesetzliche Grundlage für die vom Kläger vertretene Rechtsmeinung der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen könnte § 2 Abs. 1 Nr. 3 c ArbGG sein ("bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus Verhandlungen über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses"). Für diese gesetzliche Bestimmung ist gleichgültig, ob es zum Abschluss eines Vertrages kommt und auf welche Norm der konkrete Anspruch gestützt wird. Von § 2 Abs. 1 Nr. 3 c ArbGG werden beide vom Kläger genannten Anspruchsgrundlagen, nämlich das Rechtsinstitut der Culpa in contrahendo und § 826 BGB, erfasst (Grunsky, ArbGG, 7. Aufl., Anm. 100 zu § 2).

Da der Kläger die Ansprüche aus dem vorvertraglichen Verhalten des Beklagten ableitet, scheidet § 2 Abs. 1 Nr. 3 d ArbGG aus, der die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für unerlaubte Handlungen regelt, die während des Bestandes eines Arbeitsverhältnisses begangen werden. Damit ist nicht mehr zu prüfen, ob - da die unerlaubte Handlung nach dem Vortrag des Klägers nicht von seiner Vertragspartnerin, sondern dem Beklagten begangen worden ist - § 2 Abs. 1 Nr. 3 d ArbGG analog angewendet werden könnte (vgl. hierzu BAG, Beschluss vom 24.06.1996 - 5 AZB 35/95 - m.w.N.; ArbG Wetzlar, DB 88, 1808).

2.

Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 c ArbGG ergibt sich nicht schon aus bloßen Behauptungen des Klägers. Bloße Behauptungen können nur in einem Fall genügen, in dem der Anspruch ausschließlich auf eine arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage gestützt wird, der Kläger mit seiner Klage also nur dann durchdringen kann, wenn er tatsächlich Arbeitnehmer war (sog. "sic-non-Fall"; ständige Rechtsprechung des BAG, z.B. Beschlüsse vom 24.04.1996 und 10.12.1996, AP Nrn. 1 und 4 zu § 2 ArbGG "Zuständigkeitsprüfung"; Beschluss vom 25.06.1997, AP Nr. 36 zu § 5 ArbGG 1979). Im vorliegenden Fall kann der Kläger aber auch dann obsiegen, wenn die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen verneint wird, denn die geltend gemachten Ansprüche können auch bei Eingehung eines freien Dienstvertrages entstehen. Eine sic-non-Variante liegt damit nicht vor.

3.

Die Tatbestandsmerkmale des § 2 Abs. 1 Nr. 3 c ArbGG sind objektiv nicht erfüllt.

a)

§ 2 Abs. 1 Nr. 3 c ArbGG stellt auf das Verhalten im Rahmen von Verhandlungen ab, die auf die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses gerichtet sind. Bezieht man in die Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 c ArbGG den vom Kläger vorgetragenen Klagegrund mit ein, bedeutet dies: § 2 Abs. 1 Nr. 3 c ArbGG ist erfüllt, wenn das vom Kläger beanstandete Fehlverhalten seines Gesprächspartners im Rahmen der über die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses geführten Verhandlungen gezeigt worden ist.

b)

Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

Der Kläger wirft dem Beklagten vor, unrichtige und unvollständige Angaben bei den Vertragsverhandlungen gemacht zu haben. Dabei ist vorab zu berücksichtigen, dass in zeitlicher Hinsicht nur solche Pflichtwidrigkeiten berücksichtigt werden können, die vor dem mit der früheren Arbeitgeberin (der B... Landesgesellschaft mbH) geschlossenen Aufhebungsvertrag liegen (23.06.1998), denn der Abschluss dieses Aufhebungsvertrags ist jenes Ereignis, das die Schäden des Klägers kausal ausgelöst hat (Verlust der Vergütungsansprüche gegen die B... Landesgesellschaft).

Die Verhandlungen, in deren Verlauf der Beklagte pflichtwidrig gehandelt haben soll, bezogen sich aber nicht auf die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses, sondern eines freien Dienstverhältnisses. Der Kläger hat sich bei der M... AG um die Stelle eines Vorstandsmitglieds beworben und er hat die Berufung in den Vorstand beim ersten Gespräch am 02. bzw. 03.04.1998 zur Bedingung für eine Anstellung gemacht, wie der Beklagte - unbestritten - vorgetragen hat. Mit Schreiben vom 22.05.1998 hat die M... AG, vertreten durch den Beklagten, dem Kläger dann auch bestätigt, dass seine Aufgabe sein solle, "im Vorstand der M... AG für den Bereich Finanzen und Organisation verantwortlich zu zeichnen". Mit diesem Schreiben hat die M... AG klargestellt, dass die Verhandlungen mit dem Kläger auf den Abschluss eines freien Dienstvertrages gerichtet sind. Nur im Rahmen dieser auf den Abschluss eines Dienstvertrags gerichteten Verhandlungen kann der Beklagte die vom Kläger behaupteten, vor dem 23.06.1998 liegenden Pflichtwidrigkeiten begangen haben.

Für die zutreffende Bewertung des Geschehens im Hinblick auf das System der Gerichtszuständigkeiten ist noch § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG heranzuziehen. Aus dieser Bestimmung folgt, dass der vom Kläger und der M... AG - als Rechtsgrundlage für eine Bestellung zum Vorstandsmitglied - angestrebte Dienstvertrag niemals ein Arbeitsverhältnis im Sinn des § 2 Abs. 1 Nr. 3 c ArbGG sein kann. Denn unabhängig von ihrem materiellen Inhalt gelten die mit Organvertretern bestehenden Schuldverhältnisse nicht als Arbeitsverhältnis im Sinn des § 2 Abs. 1 Nr. 3 c ArbGG.

c)

Auch dem Umstand, dass die Parteien am 04.06.1998 eine "Anstellungsvereinbarung" getroffen haben, kann keine Bedeutung zukommen, und dies selbst dann nicht, wenn - mit dem Kläger - angenommen wird, der Vertrag vom 04.06.1998 stelle einen Arbeitsvertrag und nicht einen der Vorstandsbestellung zugrunde liegenden freien Dienstvertrag dar.

Denn zum einen ist die Anstellungsvereinbarung sowohl vom Kläger als auch der M... AG nur als Durchgangsvereinbarung bis zur weiterhin geplanten "Berufung in den Vorstand" konzipiert gewesen, wie sich eindeutig aus dem Vertrag vom 04.06.1998 ergibt, so dass die Verhandlungen zur Eingehung eines freien Dienstvertrages am 04.06.1998 noch gar nicht abgeschlossen waren.

Zum anderen ist davon auszugehen, dass der Kläger seinen Vertrag mit der B... Landesgesellschaft nicht schon allein deshalb aufgelöst hat, weil er am 04.06.1998 einen auf Dauer gewollten Arbeitsvertrag geschlossen hat, sondern weil auch noch am 23.06.1998 die Absicht der M... AG bestanden hat, den Kläger in den Vorstand zu berufen, und der Kläger darauf weiterhin vertraut hat.

d)

Damit hat der Beklagte bis zum 23.06.1998 allenfalls Pflichtverletzungen im Rahmen der Anbahnung eines freien Dienstvertrages und nicht eines Arbeitsvertrages begangen.

e)

Die tatsächliche Entwicklung der Ereignisse nach dem 23.06.1998 ist ebenfalls bedeutungslos. Die Zuständigkeit der Gerichte ist bei Ansprüchen aufgrund eines Fehlverhaltens nach dem Zeitpunkt zu bestimmen, in dem das maßgebliche Fehlverhalten vorgenommen worden ist. Maßgeblicher Zeitpunkt ist im vorliegenden Fall der 23.06.1998, da bis zu diesem Tag die streiterheblichen Verhaltensweisen des Beklagten abgeschlossen waren. Ist aber ein Rechtsweg zu einem bestimmten Zeitpunkt zu bejahen, kann er aus Gründen der Rechtssicherheit nicht durch nachträgliche Ereignisse wieder verändert werden.

4.

Die Frage, ob ein konkretes Rechtsschutzbegehren vor die ordentlichen Gerichte oder die Gerichte für Arbeitssachen zu bringen ist, ist eine Frage des Rechtswegs. Dies ergibt sich aus §§ 2, 2 a, 48 ArbGG in der ab 01.01.1991 geltenden Fassung (h.M., z.B. BAG, NZA 1992, 954; NJW 1993, 2459; LAG Frankfurt, DB 1992, 1636).

Damit hat das Arbeitsgericht Würzburg zu Recht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit in den ordentlichen Rechtsweg verwiesen (§§ 17 a Abs. 2 GVG, 48 Abs. 1 ArbGG).

Die Beschwerde ist zurückzuweisen.

III.

Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens war nach Maßgabe der §§ 91 ff. ZPO zu entscheiden (ebenso Zöller-Gummer, ZPO, 22. Aufl., § 17 b GVG, Rdnr. 4; Baumbach-Albers, ZPO, 60. Aufl., § 17 a GVG, Rdnr. 13). Da der Kläger im Beschwerdeverfahren unterlegen ist, trägt er gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

IV.

Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 25 Abs. 2 GKG.

Der Streitwert des Zwischenstreits über den zulässigen Rechtsweg entspricht - zumindest in der Rechtsmittelinstanz - nicht dem des Hauptsachewertes. Die Entscheidung über den richtigen Rechtsweg betrifft lediglich eine Prozessvoraussetzung. Über die Ansprüche des Klägers wird nicht entschieden, weshalb das Interesse des Klägers insoweit erheblich unterhalb des Hauptsacheinteresses liegt. Das Beschwerdegericht hält als Streitwert ein Drittel der Hauptsacheforderung für angemessen (Zöller-Herget, a.a.O., Rdnr. 16 zu § 3 "Rechtswegverweisung"; BAG, Beschluss vom 25.06.1997, a.a.O.).

Ende der Entscheidung

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