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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 28.01.2004
Aktenzeichen: 10 Sa 1303/03
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ArbGG § 69 Abs. 2
ArbGG § 72 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 Sa 1303/03

Verkündet am: 28.01.2004

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 20.08.2003, AZ: 8 Ca 1079/03, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im vorliegenden Berufungsverfahren über einen Wiedereinstellungsanspruch des Klägers.

Der 1963 geborene Kläger war bei der Beklagten seit 1980 als Biologielaborant beschäftigt. Infolge familiärer Probleme konsumierte er ab Mitte 2002 zunehmend Alkohol und blieb häufig der Arbeit fern, wobei er seine Fehlzeiten durch Falschangaben im Zeiterfassungssystem kaschierte. In der Zeit von August 2002 bis Februar 2003 manipulierte der Kläger circa 50 % bis 60 % seiner tatsächlichen Anwesenheitszeiten zu seinen Gunsten. An einigen Tagen erschien der Kläger überhaupt nicht zur Arbeit, meldete jedoch später, anwesend gewesen zu sein.

Nachdem der Kläger am 05.03.2003 sein Fehlverhalten gegenüber der Beklagten eingeräumt hatte, begab er sich am 11.03.2003 auf Anraten seines Prozessbevollmächtigten zu einem Neurologen, der ihm zu einer stationären Behandlung riet und ihn arbeitsunfähig krankschrieb. Vom 30.04.2003 bis zum 22.07.2003 befand sich der Kläger in einer Fachklinik für psychosomatische Medizin, aus der er mit der Diagnose "Alkoholabhängigkeitssyndrom" und dem empfohlenen weiteren Vorgehen "strikte Suchtmittelabstinenz, Anschluss an Selbsthilfegruppe und Beratungsstelle" entlassen wurde. Die Prognose bezüglich weiterer Suchtmittelabstinenz wird im Entlassungsbericht vom 29.07.2003, hinsichtlich dessen Inhalts im Einzelnen auf Blatt 54 bis 64 d. A. Bezug genommen wird, als "eher günstig" beurteilt.

Bei der Beklagten existiert eine am 02.03.1994 zwischen Werksleitung und Betriebrat getroffene Betriebsvereinbarung, die den Titel "BV 85 Gegen Suchtmittelmißbrauch" trägt und die u. a. folgende Bestimmungen enthält:

Wiedereinstellungszusage

Wird von ärztlicher Seite Alkoholabhängigkeit festgestellt, wird dem Betroffenen im Falle einer aus der Alkoholabhängigkeit resultierenden Kündigung die Wiedereinstellung für den Fall zugesichert, dass er innerhalb eines Jahres nach Ausspruch der Kündigung durch ärztliches Zeugnis nachweist, dass er eine anerkannte Langzeitentwöhnungsbehandlung erfolgreich abgeschlossen hat und zum Zeitpunkt seiner Wiedereinstellung als abstinent anzusehen ist. Wird vom Betriebsrat im Verlauf des Anhörungsverfahrens eine bestehende Alkoholabhängigkeit eingewandt, ist dies gewissenhaft zu prüfen, bevor eine Entscheidung über die Kündigung getroffen wird.

Bei ärztlich attestierter Drogenabhängigkeit gilt die Zusage mit der Maßgabe, dass der Mitarbeiter innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nach seinem Ausscheiden Abstinenz nachweisen muss.

Die Zusage der Wiedereinstellung begründet einen Anspruch auf Beschäftigung an einem gleichwertigen, nicht jedoch am bisherigen Arbeitsplatz zu den im Austrittszeitpunkt bestehenden Bedingungen. Die frühere Dienstzeit wird bei Wiedereintritt aufgrund der Wiedereinstellungszusage angerechnet.

Kehrt der Mitarbeiter in den Betrieb zurück, wird er, soweit er selbst wünscht, bei seiner Wiedereingliederung im Betrieb unterstützt. Wird der Mitarbeiter nachgewiesen rückfällig, kann das Arbeitsverhältnis nach entsprechender Einzelfallprüfung sofort ohne erneute Wiedereinstellungszusage gekündigt werden.

Wegen des Inhalts der betreffenden Betriebsvereinbarung im Weiteren wird auf Blatt 18 bis 20 d. A. Bezug genommen.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis wegen der vom Kläger vorgenommenen Arbeitszeitmanipulationen mit Schreiben vom 17.03.2003 fristlos sowie hilfsweise ordentlich zum 30.09.2003.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.03.2003 nicht zu beenden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht,

2. hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger gemäß Betriebsvereinbarung 85 (Suchtmittelmissbrauch) die Wiedereinstellungszusage zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 20.08.2003, auf dessen Tatbestand (Bl. 73 bis 75 d. A.) zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17.03.2003 erst mit Ablauf des 30.09.2003 endet und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 4 bis 10 dieses Urteils (= Bl. 75 bis 81 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 17.09.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.10.2003 Berufung beim Landesarbeitsgericht Rheinland - Pfalz eingelegt und diese am 06.11.2003 begründet.

Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts habe er nach den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung vom 02.03.1994 einen Anspruch auf Wiedereinstellung. Er - der Kläger - habe sich aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit zu den Arbeitszeitmanipulationen hinreißen lassen. Ohne die durch die Alkoholabhängigkeit hervorgerufenen tiefgreifenden Persönlichkeitsveränderungen seien die vorgenommenen Manipulationen nicht erklärbar. Solche Maßnahmen dienten dem Alkoholabhängigen allein dazu, seinem Arbeitgeber vorzugaukeln, dass er seinen Verpflichtungen nachkomme, um so den Arbeitgeber im Glauben zu lassen, dass er noch einsatzfähig sei. Diese Form der Erkrankung sei daher kausal für das Fehlverhalten. Er habe zwar die Unrechtmäßigkeit seines Handelns erkannt, sei jedoch aufgrund seiner Alkoholerkrankung nicht in der Lage gewesen, von den Manipulationen Abstand zu nehmen. Die betreffende Betriebsvereinbarung erfasse gerade auch diejenigen Fälle, in denen ein Alkoholproblem eines Arbeitnehmers dazu führe, dass dieser seinen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber nicht mehr gerecht werden könne.

Zur Darstellung des Berufungsvorbringens des Klägers im Weiteren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 05.11.2003 (Bl. 97 bis 99 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihn gemäß der Betriebsvereinbarung 85 (Suchtmittelmissbrauch) wieder einzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil und trägt im Wesentlichen vor, ein Wiedereinstellungsanspruch stehe dem Kläger nicht zu, da das kündigungsrelevante Fehlverhalten nicht aus seiner Alkoholabhängigkeit resultiere. Aus Sinn und Zweck der Betriebsvereinbarung ergebe sich, dass eine Wiedereinstellungszusage nur dann erteilt werden solle, wenn die Kündigung aus personenbedingten Gründen wegen Alkoholabhängigkeit und nicht aufgrund eines vorwerfbaren steuerbaren Verhaltens ausgesprochen sei. Es sei nicht ersichtlich, dass die Alkoholabhängigkeit des Klägers seinen Willensbildungsprozess derart beeinträchtigt habe, dass er nicht hätte frei darüber entscheiden können, ob er die betreffenden Arbeitszeitmanipulationen vornimmt. Diesbezüglich habe bereits das Arbeitsgericht im angefochtenen Urteil zutreffend darauf hingewiesen, dass nach dem Inhalt des Entlassungsberichts vom 29.07.2003 nicht erkennbar sei, dass der Kläger in seiner Willensfreiheit wesentlich eingeschränkt gewesen sei.

Zur Darstellung des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren im Weiteren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 10.12.2003 (Bl. 124 bis 137 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

II.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Wiedereinstellung.

1.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht aus den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung vom 02.03.1994, wonach der gekündigte Arbeitnehmer bei Feststellung einer Alkoholabhängigkeit im Falle einer aus dieser Alkoholabhängigkeit resultierenden Kündigung die Wiedereinstellung zugesichert wird. Die seitens der Beklagten mit Schreiben vom 17.02.2003 hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung, die das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, resultiert nämlich nicht aus der Alkoholabhängigkeit des Klägers. Das Berufungsgericht folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter 3. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (dort Seiten 8 bis 10 = Bl. 79 bis 81 d. A.) und stellt dies hiermit ausdrücklich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen bietet diesbezüglich lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Klarstellungen:

Die Auslegung einer Betriebsvereinbarung folgt den Regeln über die Auslegung von Gesetzen (vgl. BAG, AP Nr. 2 und Nr. 48 zu § 112 BetrVG 1972; AP Nr. 1, 2 und 6 zu § 77 BetrVG 1972). Auszugehen ist vom Wortlaut der Regelung, wobei es jedoch nicht auf den buchstäblichen Wortsinn ankommt. Vielmehr ist der wirkliche Wille zu erforschen. Hierbei kommt dem von den Betriebspartnern verfolgten Zweck eine besondere Bedeutung zu, soweit er in der Betriebsvereinbarung wenigstens andeutungsweise Ausdruck gefunden hat (vgl. Fitting, BetrVG, 21. Auflage, § 77 Rd-Ziffer 15 m. N. a. d. Rspr.).

Bei Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze ergibt sich für den vorliegenden Streitfall, dass die vom Kläger vorgenommenen Manipulationen, welche die Beklagte zum Anlass einer Kündigung genommen hat, nicht im Sinne der Betriebsvereinbarung vom 02.03.1994 aus seiner Alkoholabhängigkeit "resultieren". Aus der Verwendung des Begriffs "resultieren" ergibt sich zunächst zweifelsfrei, dass die Alkoholabhängigkeit des Arbeitnehmers nach dem Willen der Betriebspartner ursächlich für die die Kündigung begründenden Tatsachen sein muss, um einen Wiedereinstellungsanspruch auszulösen. Es kommt daher - entgegen der Ansicht der Beklagten - auch nicht entscheidend darauf an, ob der Arbeitgeber eine verhaltensbedingte oder eine krankheitsbedingte Kündigung ausspricht. Auch eine verhaltensbedingte Kündigung kann nämlich im Sinne der Betriebsvereinbarung aus der Alkoholabhängigkeit resultieren, wenn beispielsweise der alkoholkranke Arbeitnehmer infolge dieser Erkrankung seine Arbeitspflicht verletzt und der Arbeitgeber dies zum Anlass nimmt, eine verhaltensbedingte Kündigung auszusprechen. Andererseits genügte diesbezüglich nicht ein bloßer Zusammenhang zwischen Alkoholabhängigkeit und der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten. Aus Sinn und Zweck der betreffenden Betriebsvereinbarung, der insoweit in der Verwendung des Begriffs "resultieren" zum Ausdruck kommt, ergibt sich vielmehr, dass nach dem Willen der Betriebspartner das Verschulden des Arbeitnehmers gerade hinsichtlich der Verursachung der Kündigungsgründe aufgrund einer Alkoholerkrankung zumindest in nicht unerheblichem Umfang eingeschränkt sein muss, um einen Wiedereinstellungsanspruch zu begründen.

Im Streitfall ist zwar zu Gunsten des Klägers davon auszugehen, dass seine tatsächlichen Fehlzeiten seit August 2002 aus seiner Alkoholabhängigkeit resultieren. Dies gilt jedoch nicht für die von ihm in einer Vielzahl von Fällen zur Vertuschung dieser Fehlzeiten vorgenommenen Täuschungshandlungen. Diesbezüglich hat bereits das Arbeitsgerichts im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass es nicht ersichtlich ist, ob und in welchem Umfang der Willensbildungsprozess des Klägers hinsichtlich der Vornahme der Arbeitszeitmanipulationen durch die Alkoholabhängigkeit beeinflusst oder gar beeinträchtigt war. Dies hat der Kläger auch im Berufungsverfahren nicht ausreichend dargetan. Seine diesbezügliche Behauptung, er sei aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage gewesen, von den Manipulationen Abstand zu nehmen, erweist sich als unsubstantiiert. Dies gilt insbesondere bei Berücksichtigung seines (erstinstanzlichen) Sachvortrages, wonach er die Täuschungshandlungen "aus Angst vor einem immer größer werdenden negativen Gleitzeitkonto" vorgenommen hat (vgl. Schriftsatz des Klägers vom 10.07.2003, dort Seite 2 Absatz 1 = Bl. 52 d. A.). Motiv für den Kläger zur Vornahme der Manipulationen war somit - unter Zugrundelegung seines eigenen Vorbringens - nicht etwa der Wunsch, die Alkoholabhängigkeit vor seinem Arbeitgeber zu verbergen, sondern vielmehr das bloße Bestreben, den Stand seines Arbeitszeitskontos zu beeinflussen. Für den Kläger standen daher finanzielle Überlegungen bzw. Interessen im Vordergrund. Von einer Einschränkung seines Willensbildungsprozesses hinsichtlich der Verursachung des Kündigungsgrundes kann daher nicht ausgegangen werden. Die Kündigung resultiert somit nicht aus einer Alkoholabhängigkeit im Sinne der Betriebsvereinbarung vom 02.03.1994.

2.

Dem geltend gemachten Wiedereinstellungsanspruch steht auch ein weiterer rechtlicher Gesichtspunkt, auf den der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 28.01.2001 hingewiesen wurde, entgegen. Der Anspruch ist nämlich nach dem Inhalt der betreffenden Betriebsvereinbarung auch an die Voraussetzung geknüpft, dass der gekündigte Arbeitnehmer durch ärztliches Zeugnis nicht nur nachweist, dass er eine anerkannte Langzeitentwöhnungsbehandlung erfolgreich abgeschlossen hat sondern auch, dass er zum Zeitpunkt seiner Wiedereinstellung als abstinent anzusehen ist. Den demnach erforderlichen Nachweis seiner Alkoholabstinenz hat der Kläger nicht erbracht. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht bereits aus dem Entlassungsbericht vom 29.07.2003, worin die Prognose bezüglich weiterer Suchmittelabstinenz lediglich als "eher günstig" beurteilt wurde. Rückschlüsse auf eine auch derzeit noch bestehende Alkoholabstinenz, die nach dem Inhalt der Betriebsvereinbarung Voraussetzung für den Wiedereinstellungsanspruch ist, lassen sich hieraus nicht ziehen.

III.

Die Berufung des Klägers war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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