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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 18.06.2009
Aktenzeichen: 10 Sa 137/09
Rechtsgebiete: SGB III, ArbGG, BGB, ZPO, TV Mindestlohn


Vorschriften:

SGB III § 235 b
SGB III § 235 b Abs. 5 Satz 1
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 69 Abs. 2
BGB § 138 Abs. 1
BGB § 138 Abs. 2
BGB § 612 Abs. 1
BGB § 612 Abs. 2
ZPO § 517
ZPO § 519
ZPO § 520
TV Mindestlohn § 1 Abs. 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 3. März 2009, Az.: 11 Ca 1818/08, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Zahlung von Arbeitsentgelt.

Der damals noch minderjährige Kläger (geb. 22.01.1991) hat in der Zeit vom 01.08. bis zum 13.09.2008 im Baubetrieb des Beklagten unstreitig 240 Stunden als Handlanger/ Hilfsarbeiter gearbeitet. Der Beklagte zahlte ihm eine Vergütung in Höhe von € 300,00 netto.

Ein Vertrag über eine betriebliche Einstiegsqualifizierung im Sinne des § 235 b SGB III zum Ausbildungsberuf Maurer/ Betonbauer, die am 01.09.2008 beginnen und nach elf Monaten am 31.07.2009 enden sollte, kam nicht zu Stande. Der Kläger verlangt für 240 Stunden einen Stundenlohn von € 10,23 brutto, eine Arbeitsbescheinigung sowie eine Bescheinigung über die Meldung zur Sozialversicherung.

Von einer weiteren Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlichen Sachanträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG zur Vermeidung von Wiederholungen abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 03.03.2009 (dort Seite 3-5 = Bl. 73-75 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 03.03.2009 der Klage stattgegeben und den Beklagten zur Zahlung von € 2.455,20 brutto, abzüglich gezahlter € 300,00 netto, sowie zur Erteilung der Arbeits- und Meldebescheinigungen verurteilt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, zwischen den Parteien habe im Zeitraum vom 01.08. bis zum 13.09.2008 ein Arbeitsverhältnis und kein (unentgeltliches) Praktikantenverhältnis bestanden. Es sei unschädlich, dass die Parteien das Vertragsverhältnis als Praktikum bezeichnet hätten, weil der Inhalt des Vertragsverhältnisses maßgebend sei. Der Kläger habe mehrere Wochen weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit für den Beklagten verrichtet. Der Beklagte habe ihn unstreitig mit einfachen Handlangertätigkeiten auf seinen Baustellen beschäftigt. Solche Hilfstätigkeiten könnten zwar auch in einem Berufsausbildungs- oder in einem Einstiegsqualifizierungsverhältnis ausgeübt werden, derartige Vertragsverhältnisse seien vorliegend jedoch nicht vereinbart worden. Es sei nicht ersichtlich, welchem Ausbildungs- bzw. Lernzweck das vermeintliche Praktikum des Klägers hätte dienen sollen. Einen solchen Zweck habe der Beklagte auch nicht vorgetragen. Zur Vorbereitung einer Einstiegsqualifizierung habe es eines Praktikums nicht bedurft. Denn die Einstiegsqualifizierung diene der Vermittlung von Grundkenntnissen und -fertigkeiten, die für eine Berufsausbildung förderlich seien, und habe damit selbst nur "Vorbereitungscharakter". Es verstoße gegen die guten Sitten und sei damit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, dass dem Kläger für seine Tätigkeit keine Vergütung zustehen soll. Zwischen Leistung und Gegenleistung - € 300,00 netto für 240 Stunden - bestehe ein auffälliges Missverhältnis. Der Beklagte schulde dem Kläger damit gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung. Zur Bestimmung der üblichen Vergütung sei auf den Stundenlohn nach Lohngruppe 1 des Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) abzustellen. Der Mindestlohn der Lohngruppe 1 habe bis zum 31.08.2008 € 10,40 und ab dem 01.09.2008 € 10,70 betragen, so dass der Kläger jedenfalls die beantragten € 10,23 pro Stunde beanspruchen könne. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird auf Seite 5 bis 10 des Urteils (= Bl. 75-80 d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte, dem das Urteil am 09.03.2009 zugestellt worden ist, hat am 10.03.2009 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese mit am 22.04.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Er ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe die tatsächlichen Gegebenheiten nicht zutreffend gewürdigt. Ab dem 01.09.2008 habe eine Einstiegsqualifizierung erfolgen sollen. Der Zeitraum, den der Kläger in seinem Betrieb verbracht habe, sei für diese Einstiegsqualifizierung vorbereitend gewesen. Es sei keine sittenwidrige Vergütungsabrede getroffen, sondern der Zeitraum bis zur Dokumentation der Einstiegsqualifizierung geregelt worden. Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Regelung einer Einstiegsqualifizierung sei, dass zuvor kein Arbeitsverhältnis begründet worden sein dürfe. Er hätte den Kläger deshalb nicht einstellen können und dürfen, weil ansonsten die Einstiegsqualifizierung unmöglich geworden wäre. Dies könne ihm nicht angelastet werden. Er habe dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt, sich mit dem Berufsbild vertraut zu machen und deshalb das vorhergehende Praktikum vereinbart, für das der Kläger unstreitig € 300,00 erhalten habe. Die Anstellung im Rahmen eines Praktikums sei nicht sittenwidrig. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 21.04.2009 (Bl. 97-99 d. A.) und vom 02.06.2006 (Bl. 110-112 d. A.) Bezug genommen. Der Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 03.03.2009, Az.: 11 Ca 1818/08, aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

die Berufung zurückzuweisen. Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen der Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 18.05.2009 (Bl. 106-108 d. A.) Bezug genommen. Entscheidungsgründe:

I. Die nach § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Berufung ist damit zulässig. II. In der Sache hat die Berufung des Beklagten jedoch keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger für seine Tätigkeit in der Zeit vom 01.08. bis zum 13.09.2008 Arbeitsentgelt in Höhe von € 2.455,20 brutto (240 Stunden x € 10,23), abzüglich gezahlter € 300,00 netto, beanspruchen kann. Ihm ist außerdem eine Arbeitsbescheinigung zu erteilen und eine Bescheinigung über die Meldung zur Sozialversicherung herauszugeben.

Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung angenommen, dass der Kläger im Zeitraum vom 01.08. bis zum 13.09.2008 im Baubetrieb des Beklagten als Arbeitnehmer tätig war und nicht als Praktikant und dass die geleistete Vergütung von € 300,00 netto für 240 Arbeitsstunden lohnwucherisch ist. Die durch das Arbeitsgericht im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB ermittelte übliche Stundenvergütung von mindestens € 10,23 brutto steht dem Kläger auch nach Auffassung der Berufungskammer zu. Im Berufungsverfahren sind keine neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte aufgetreten, die eine Abweichung von dem vom Arbeitsgericht gefundenen Ergebnis rechtfertigen würden. Die Berufungskammer nimmt daher gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG vollumfänglich Bezug auf die Begründung des angefochtenen Urteils.

Lediglich wegen der Angriffe im Berufungsverfahren ist kurz auf Folgendes hinzuweisen:

Entgegen der Angriffe der Berufung spricht nicht gegen die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers, dass beabsichtigt war, ab dem 01.09.2008 einen Vertrag über eine Einstiegsqualifizierung im Sinne des § 235 b SGB III zum Ausbildungsberuf Maurer/ Betonbauer abzuschließen, der von der Bundesagentur für Arbeit in Höhe einer Vergütung von € 212,00 monatlich gefördert werden sollte. Der Umstand, dass eine elfmonatige Einstiegsqualifizierung als Berufsausbildungsvorbereitung ab dem 01.09.2008 - aus welchen Gründen auch immer - nicht durchgeführt worden ist, führt nicht dazu, dass die Tätigkeit des Klägers in der Zeit vom 01.08. bis zum 13.09.2009 als unentgeltliches Praktikum zu qualifizieren wäre. Erst Recht kann ein mehrwöchiges unentgeltliches Praktikum nicht deshalb angenommen werden, weil nach § 235 b Abs. 5 Satz 1 SGB III die Förderung einer Einstiegsqualifizierung ausgeschlossen ist, wenn der Jugendliche in den letzten drei Jahren vor Beginn der Einstiegsqualifizierung im Antrag stellenden Betrieb bereits versicherungspflichtig beschäftigt war.

Es fehlt auch in der Berufungsinstanz jedweder Sachvortrag des Beklagten dazu, welchem Ausbildungs- und Lernzweck das vermeintliche Praktikum des Klägers vor Durchführung der beabsichtigten Einstiegsqualifizierung hätte dienen sollen. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, dient die Einstiegsqualifizierung dazu, Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz Grundkenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, die für eine Berufsausbildung förderlich sind. Mit der Einstiegsqualifizierung bekommen Jugendliche die Chance, Einblick in einen Ausbildungsberuf, einen Betrieb und das Berufsleben zu gewinnen und ihr handwerkliches Geschick unter Beweis zu stellen. Weshalb es vor der geplanten elfmonatigen Einstiegsqualifizierung des Klägers ab dem 01.09.2008 für eine anschließende (dreijährige) Ausbildung zum Maurer darüber hinaus noch eines vorgeschalteten mehrwöchigen unentgeltlichen Praktikums bedurfte, hat der Beklagte auch in der Berufungsinstanz nicht ansatzweise dargelegt. Das Risiko, dass er den Kläger schon vor Beginn der zunächst geplanten - jedoch nicht zustande gekommenen - Einstiegsqualifizierung beschäftigt hat, geht mit dem Beklagten heim und führt nicht dazu, dass der Kläger für die unstreitig geleisteten 240 Stunden keine Vergütung beanspruchen könnte.

Zu Recht ist das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei der gezahlten Vergütung von € 300,00 netto für 240 Arbeitsstunden um Lohnwucher im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB handelt, die Vergütungsregelung deshalb nichtig ist und an ihre Stelle die übliche Vergütung im Sinne des § 612 Abs. 1 BGB zu treten hat. Das Arbeitsgericht hat als Vergleichsmaßstab für die übliche Vergütung den Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) herangezogen, der in Lohngruppe 1 € 10,40 bzw. ab dem 01.09.2008 € 10,70 betrug. Diesen Vergleichsmaßstab des Arbeitsgerichts hat die Berufung nicht angegriffen, so dass die Berufungskammer sich hiermit auch nicht auseinanderzusetzen hatte. Zwar werden jugendliche Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 TV Mindestlohn vom persönlichen Geltungsbereich nicht erfasst, deswegen kann der TV Mindestlohn gleichwohl als Orientierungsmaßstab herangezogen werden. Soweit der Beklagte in der mündlichen Berufungsverhandlung die Vorstellung entwickelt hat, es müsse auf die Höhe der Ausbildungsvergütung abgestellt werden (bis 30.08.2008 mtl. € 571,00 bzw. ab 01.09.2008 mtl. € 580,00 im ersten Ausbildungsjahr) kann dem nicht gefolgt werden. Einen Berufsausbildungsvertrag haben die Parteien gerade nicht geschlossen, der Kläger ist vielmehr als Hilfsarbeiter beschäftigt worden.

III. Nach alledem ist die Berufung des Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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