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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 20.07.2005
Aktenzeichen: 10 Sa 141/05
Rechtsgebiete: BGB, TzBfG, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
BGB § 1004
TzBfG § 14 Abs. 4
ArbGG § 69 Abs. 2
ZPO § 520 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 Sa 141/05

Entscheidung vom 20.07.2005

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 21.09.2004, AZ: 5 Ca 217/04, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung sowie über die Wirksamkeit einer Befristung. Darüber hinaus begehrt die Klägerin von der Beklagten die Entfernung eines Schreibens aus Ihrer Personalakte.

Die am 11.10.1950 geborene Klägerin ist seit 1988 bei der Beklagten, ihrer Schwester, in deren Lebensmittel-Einzelhandelsgeschäft als Angestellte beschäftigt. Die Beklagte ist seit ca. sieben Jahren aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr selbst in ihrem Geschäft tätig.

Bereits mit Schreiben vom 13.06.2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betrieblichen Gründen zum 31.07.2003. Nachdem die Klägerin gegen diese Kündigung eine Kündigungsschutzklage erhoben hatte, bot ihr die Beklagte mit Schreiben vom 16.07.2003 an, das Arbeitsverhältnis als sog. Prozessarbeitsverhältnis bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigung fortzusetzen. Die Klägerin setzte daraufhin ihre Tätigkeit fort. Der Kündigungsschutzrechtsstreit endete am 28.07.2004 durch Abschluss eines Prozessvergleichs vor dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (AZ 10 Sa 79/04), nach dessen Inhalt das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 13.06.2003 aufgelöst worden ist.

Am 07.01.2004 begab sich die Klägerin in Urlaub. Nachdem die Beklagte hiervon von ihrer Krankengymnastin anlässlich einer Behandlung Kenntnis erlangt hatte, richteten ihre Anwälte unter dem 16.01.2004 an die Klägerin ein Schreiben folgenden Inhalts:

"Sehr geehrte Frau A.,

bekanntlich vertreten wir die rechtlichen Interessen Ihrer Arbeitgeberin, Frau C., C-Straße, A-Stadt.

Nach Mitteilung unserer Mandantin fehlen Sie seit dem 13. Januar 04 unentschuldigt an Ihrem Arbeitsplatz.

Wir haben Sie aufzufordern, die Arbeit pünktlich, Am Montag, den 19. Januar 04, aufzunehmen.

Sollten Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, müssen Sie mit einer fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen.

Mit freundlichen Grüßen"

Vom Inhalt dieses, an ihre Wohnanschrift versandten Schreibens, erhielt die Klägerin bei Rückkehr aus ihrem Urlaub am 26.01.2004 Kenntnis und trat am darauf folgenden Tag ihre Arbeit wieder an. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.01.2004 (Bl. 5 d. A.) fristlos. Hiergegen sowie gegen das Schreiben der Beklagten vom 16.01.2004 richtet sich die von der Klägerin am 04.02.2004 beim Arbeitsgericht eingereichte Klage. Mit klageerweiterndem Schriftsatz vom 03.08.2004 hat sie darüber hinaus auch die Unwirksamkeit der im Schreiben vom 16.07.2003 enthaltenen Befristung geltend gemacht.

Die Klägerin trägt (in beiden Rechtszügen) im Wesentlichen vor, es treffe nicht zu, dass sie ihren Urlaub vom 07.01. bis 26.01.2004 eigenmächtig genommen habe. Ebenso wie die Regelung der Arbeitszeiten der im Lebensmittelgeschäft der Beklagten beschäftigten Mitarbeiterinnen werde wegen der seit sieben Jahren krankheitsbedingten Abwesenheit der Beklagten auch der Urlaub der Beschäftigten von diesen selbst jeweils einvernehmlich geregelt. Dementsprechend werde auch regelmäßig ein Urlaubsplan gefertigt und im Ladenlokal ausgelegt. Dort sei jeweils vorgesehen, wer in welchen Zeitraum Urlaub nehme und welche Vertretungen in dieser Zeit eingesetzt würden. So sei auch ihr Urlaub vom 07.01. bis 26.01.2004 im Urlaubsplan vermerkt und mit den Mitarbeiterinnen abgesprochen gewesen. Im Übrigen habe die Beklagte bei Kündigungsausspruch auch die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Der Inhalt des Schreibens vom 16.01.2004 sei insoweit unrichtig, als ihr - der Klägerin - darin vorgeworfen werde, unentschuldigt ihrem Arbeitsplatz ferngeblieben zu sein. Das Schreiben sei daher aus der Personalakte zu entfernen. Die im Schreiben der Beklagten vom 16.07.2003 enthaltene Befristung des Arbeitsverhältnisses sei nach § 14 Abs. 4 TzBfG mangels Schriftform unwirksam.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 30.01.2004, ihr zugestellt am 30.01.2004, nicht aufgelöst worden ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, die am 16.01.2004 erklärte Abmahnung zurückzunehmen und diese aus der Personalakte zu entfernen,

3. festzustellen, dass das zwischen ihr und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die Befristung mit Schreiben vom 16.07.2003 beendet worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte macht (in beiden Rechtszügen) im Wesentlichen geltend, es treffe nicht zu, dass die Klägerin berechtigt gewesen sei, allein aufgrund einer Absprache mit den anderen Mitarbeiterinnen Urlaub zu nehmen. Die Verfahrensweise hinsichtlich des Urlaubs sei vielmehr so ausgestaltet, dass die betreffende Mitarbeiterin ihren Urlaubswunsch entweder mündlich oder fernmündlich ihr - der Beklagten - mitteile und um Genehmigung bitte. Erst dann setze sich die Mitarbeiterin mit ihren Kolleginnen ins Benehmen und stimme mit diesen nochmals den Urlaub ab. Nachdem die Klägerin ihren Urlaub eigenmächtig angetreten habe und trotz der im Schreiben vom 16.01.2004 enthaltenen Aufforderung nicht unverzüglich ihre Arbeit wieder aufgenommen habe, sei der Ausspruch der fristlosen Kündigung gerechtfertigt gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 21.09.2004 in vollem Umfang stattgegeben. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 8 dieses Urteils (= Bl. 51-54 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 19.01.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am Montag, dem 21.02.2005, Berufung eingelegt und diese am Montag, dem 21.03.2005 begründet.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 48-51 d. A.), auf die Berufungsbegründungsschrift der Beklagten vom 21.03.2005 (Bl. 79-80 d. A.), auf den weiteren Schriftsatz der Beklagten vom 11.05.2005 (Bl. 90 d. A.), auf die Berufungsbeantwortung der Klägerin vom 29.03.2005 (Bl. 85-89 d. A.) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 01.06.2005 (Bl. 94-96 d. A.).

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist nur zum Teil zulässig.

Soweit das Arbeitsgericht im angefochtenen Urteil festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Befristung mit Schreiben vom 16.07.2003 beendet worden ist, und die Beklagte im Berufungsverfahren auch insoweit weiterhin eine Abweisung der Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils begehrt, erweist sich das Rechtsmittel in Ermangelung einer auf diesen Streitgegenstand bezogenen Berufungsbegründung als unzulässig. Die Berufungsbegründungsschrift der Beklagten enthält diesbezüglich entgegen § 520 Abs. 3 ZPO keinerlei Auseinandersetzung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil.

Die Berufung war daher insoweit als unzulässig zu verwerfen, ohne dass dies im Urteilstenor gesondert zum Ausdruck zu bringen war.

II.

Die im Übrigen zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitbefangene fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB, bei deren Vorliegen der Ausspruch einer fristlosen Kündigung gerechtfertigt ist, sind im Streitfall nicht gegeben.

Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB ist nach der gesetzlichen Definition gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt - ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles - (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d. h. ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zu dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB relevanten Zeitpunkt fortzusetzen.

Vorliegend fehlt es bereits an einem Sachverhalt, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Es besteht zwar einhellige Meinung, dass der eigenmächtige Urlaubsantritt eines Arbeitnehmers den Arbeitgeber grundsätzlich zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigt. Ein eigenmächtiger, d. h. ohne eine erforderliche Genehmigung des Arbeitgebers erfolgter Urlaubsantritt ist jedoch im Streitfall nicht gegeben. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass der Urlaubsantritt der Klägerin einer vorherigen Genehmigung seitens der Beklagten bedurfte. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte seit ca. sieben Jahren aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr selbst in ihrem Betrieb tätig ist. Die Beklagte ist auch dem Vorbringen der Klägerin nicht entgegengetreten, wonach die betriebliche Organisation, insbesondere auch die zeitliche Einteilung der Beschäftigten von ihrer (weiteren) Schwester, Frau M., und der Klägerin durchgeführt werden. Die Klägerin hat auch substantiiert vorgetragen, dass der Urlaub der im Geschäft tätigen Mitarbeiterinnen unter diesen einvernehmlich ohne Beteiligung der Beklagten geregelt und festgelegt wird. Es ist unter Zugrundelegung dieses Vorbringens nicht mehr erkennbar, ob und in welchem Umfang die Beklagte überhaupt noch eine personelle Leitungsmacht ausübt. In Ansehung all dieser Umstände erweist sich das Vorbringen der für das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes in vollem Umfang darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten, sie genehmige Urlaubsanträge ihrer Mitarbeiterinnen nach wie vor entweder mündlich bzw. fernmündlich, als unsubstantiiert. Es wäre diesbezüglich Sache der Beklagten gewesen, substantiiert vorzutragen, aus welchen Anweisungen oder sonstigen Umständen sich trotz der Tatsache, dass sie den Betrieb seit Jahren nicht mehr im eigentlichen Sinne geführt hat, sondern lediglich noch als Inhaberin fungierte, eine Verpflichtung der Klägerin ergab, sich ihren Urlaub formell genehmigen zu lassen.

Die Kündigung erweist sich jedoch auch dann als unwirksam, wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, die Klägerin sei verpflichtet gewesen, sich ihren Urlaub vor dessen Antritt noch von ihr - der Beklagten - genehmigen zu lassen. Dies ergibt sich aus der nach § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung sowie auch unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalles. Zwar spricht zu Gunsten der Beklagten, dass ein eigenmächtiger Urlaubsantritt des Arbeitnehmers zweifellos eine nicht unerhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellt, die vom Arbeitgeber nicht hingenommen werden muss. Für die Klägerin spricht jedoch insbesondere der Umstand, dass sie bei Kündigungsausspruch bereits seit über 15 Jahren bei der Beklagten beschäftigt war und das Arbeitsverhältnis - soweit ersichtlich - bis zu dem hier maßgeblichen Vorfall beanstandungsfrei verlaufen ist. Auch können das Lebensalter der Klägerin bei Kündigungsausspruch (53 Jahre) sowie die allgemein schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt und die damit für die Klägerin verbundenen Schwierigkeiten, eine neue Beschäftigung zu finden, im Rahmen der Interessenabwägung nicht außer Betracht bleiben. Letztlich ist nicht ersichtlich, dass die urlaubsbedingte Abwesenheit der Klägerin vom 07.01.2004 bis 26.01.2004 zu irgendwelchen betrieblichen Beeinträchtigungen geführt hat.

In Anbetracht aller Umstände und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile war es der Beklagten nicht unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist (31.07.2004) fortzusetzen.

2.

Auch die Klage auf Entfernung des Schreibens vom 16.01.2004 aus der Personalakte ist begründet.

Es kann offen bleiben, ob es sich bei dem Schreiben vom 16.01.2004 um ein Abmahnungsschreiben im kündigungsrechtlichen Sinn handelt. Auch wenn man dies verneint, hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entfernung dieses Schreibens aus ihren Personalakten. Der Arbeitnehmer kann nämlich in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB verlangen, dass der Arbeitgeber eine missbilligende Äußerung aus den Personalakten entfernt, wenn diese unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtsstellung und seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen können. Dies folgt aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die auf dem Gedanken von Treu und Glauben beruht (BAG, AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht). Dieser Anspruch besteht auch dann, wenn das zu den Personalakten genommene Schreiben zwar keine unrichtigen Tatsachenbehauptungen enthält, jedoch auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht.

Das Schreiben der Beklagten vom 16.01.2004 enthält jedenfalls insoweit eine unzutreffende rechtliche Bewertung des Verhaltens der Klägerin, als es den Vorwurf eines unentschuldigten Fehlens beinhaltet. Es kann nämlich, wie bereits ausgeführt, nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin verpflichtet war, sich ihren Urlaub vorab von der Beklagten genehmigen zu lassen. Ein unentschuldigtes, d. h. unberechtigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz kann der Klägerin daher nicht vorgeworfen werden.

III.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 ArbGG) wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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