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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 18.05.2005
Aktenzeichen: 10 Sa 165/05
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG, GmbHG


Vorschriften:

BGB § 174
BGB § 174 Satz 2
BetrVG § 102 Abs. 1 Satz 3
GmbHG § 35 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 Sa 165/05

Entscheidung vom 18.05.2005

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 13.10.2004, AZ: 2 Ca 35/04, wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Kündigung vom 19.12.2003 unwirksam ist.

Die Beklagte hat 2/3 und der Kläger 1/3 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.

Der Kläger ist bei der Beklagten, in deren Betrieb regelmäßig mehr als 100 Arbeitnehmer tätig sind, seit dem 02.01.1980 als Angestellter beschäftigt. Mit Schreiben vom 19.12.2003, welches dem Kläger am 20.12.2003 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich "zum vertraglich nächst zulässigen Termin" und bot dem Kläger zugleich an, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen. Das Änderungsangebot beinhaltete u. a. eine für die Dauer eines Jahres zeitlich befristete Reduzierung der Arbeitsvergütung des Klägers sowie den Wegfall des bislang gezahlten Essensgeldzuschusses. Das Kündigungsschreiben war unterzeichnet von einem der beiden Geschäftsführer der Beklagten, Herrn Dr. Schi., sowie mit dem Zusatz "i. V." von Herrn Dr. Sche.. Dem Kündigungsschreiben war die Kopie einer Vollmacht beigefügt, nach deren Inhalt Herr Dr. Sche. vom weiteren Geschäftsführer der Beklagten, Herrn W., zur Unterzeichnung der Änderungskündigung bevollmächtigt worden war. Nach dem Inhalt des Handelsregisters wird die Beklagte, soweit mehrere Geschäftsführer bestellt sind, von zwei Geschäftsführern oder von einem Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen vertreten.

Mit Schreiben vom 24.12.2003 nahm der Kläger das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt an, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist und wies zugleich die Kündigung mit der Begründung zurück, dass dem Kündigungsschreiben lediglich eine Kopie der vom Mitgeschäftsführer erteilten Vollmacht beigefügt gewesen sei.

Mit seiner am 06.01.2001 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Änderungskündigung sei sozial ungerechtfertigt. Darüber hinaus hat er vorgetragen, der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat sei vor Kündigungsausspruch nicht ordnungsgemäß angehört worden und schließlich erweise sich die Kündigung bereits nach § 174 BGB als unwirksam.

Der Kläger hat beantragt,

es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 19.12.2003 sozial ungerechtfertigt ist,

es wird festgestellt, dass der Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 19.12.2003 zum 01.08.2004 nicht geändert wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 13.10.2004 (Bl. 106 bis 110 d. A.) Bezug genommen. Ausgenommen von dieser Bezugnahme bleibt jedoch die vom Arbeitsgericht auf Seite 5 des Urteils getroffene Feststellung, Herr Dr. Sche., der das Kündigungsschreiben mit unterzeichnet hat, sei Prokurist der Beklagten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 13.10.2004 abgewiesen. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 7 bis 11 dieses Urteils (= Bl. 110 bis 114 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 25.01.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.02.2005 Berufung eingelegt und diese am 21.03.2005 begründet.

Der Kläger trägt u. a. vor, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei die streitgegenständliche Kündigung nach § 174 BGB unwirksam. Diesbezüglich sei bereits die Feststellung des Arbeitsgerichts unzutreffend, dass Herr Dr. Sche. Prokurist der Beklagten sei. Dass es sich bei Herrn Dr. Sche. auch nicht um einen Betriebsleiter mit Kündigungsbefugnis handele, ergebe sich auch bereits aus dem Verhalten der Beklagten selbst. Gerade der Umstand, dass Herrn Dr. Sche. vom zweiten Geschäftsführer der Beklagten eine Vollmacht zur Unterzeichnung der Kündigung ausgestellt worden sei, belege, dass auch die Beklagte selbst nicht von einer bereits ohnehin gegebenen Bevollmächtigung ausgegangen sei.

Der Kläger hat im Berufungsverfahren ursprünglich seine beiden erstinstanzlichen Klageanträge unverändert weiterverfolgt. In der mündlichen Verhandlung vom 18.05.2005 hat er jedoch die Klage zum Teil, nämlich hinsichtlich des Klageantrages zu 2. (= Berufungsantrag zu 2. gemäß Berufungsbegründungsschrift vom 18.03.2005, Bl. 128 d. A.), zurückgenommen.

Der Kläger beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Kündigung vom 19.12.2003 unwirksam ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil und trägt u. a. vor, die Vorschrift des § 174 BGB sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Sie gelte nämlich nicht in den Fällen einer gesetzlichen, organschaftlichen Vertretung. Die umfassende Vertretungsberechtigung des die Kündigung unterzeichnenden Geschäftsführers Dr. Schi. sei unabhängig von der im Innenverhältnis bestehenden Geschäftsführungsbefugnis zu beurteilen. Auch sei mit der Berufung zum Geschäftsführer einer GmbH üblicherweise das Recht zur Kündigung von Mitarbeitern verbunden, so dass eine Zurückweisung der Kündigungserklärung nach § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen sei. Im Übrigen treffe es zwar zu, dass Herrn Dr. Sche. keine Prokura erteilt worden sei; gleichwohl sei er als Betriebsleiter mit umfassenden Personalbefugnissen, insbesondere dem Recht, Arbeitnehmer einzustellen und zu entlassen, tätig gewesen. Er sei als Betriebsleiter, d. h. nach der Geschäftsführung als zweiter Mann und Mitglied der Geschäftsleitung mit umfassender Personalverantwortung (volle disziplinarische und tatsächliche Führungsverantwortung: Einteilung aller Arbeitskräfte, Steuerung aller Projektabläufe, Wahrnehmung der Direktionsrechte, Abmahnungen, Einstellungen und Kündigungen) ausgestattet gewesen. Nach dem Inhalt einer ihm bereits im Jahr 1999 erteilten Handlungsvollmacht sei er auch aus eigenem Recht berechtigt gewesen, zumindest gemeinsam mit dem Geschäftsführer Dr. Schi. die Änderungskündigung, wie geschehen, zu unterzeichnen. Da er somit in eine Position berufen worden sei, die üblicherweise mit Kündigungsrechten verbunden sei, komme eine Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB nicht mehr in Betracht.

Zur weiteren Darstellung des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift des Klägers vom 18.03.2005 (Bl. 128 bis 133 d. A.), auf den Schriftsatz des Klägers vom 10.05.2005 (Bl. 194 und 195 d. A.) sowie auf die Berufungserwiderungsschrift der Beklagten vom 21.04.2005 (Bl. 165 bis 172 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die an sich statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat durch die streitbefangene Änderungskündigung keine Änderung erfahren. Die Änderungskündigung erweist sich als rechtsunwirksam. Das Berufungsgericht neigt zwar zur Auffassung des Arbeitsgerichts, wonach die Änderungskündigung weder sozial ungerechtfertigt noch nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist. Die Unwirksamkeit folgt jedoch aus § 174 BGB, da die Änderungskündigung nur von einem der beiden Geschäftsführer der Beklagten unterzeichnet wurde, der mit unterzeichnende Dr. Sche. als Bevollmächtigter bei Vornahme des Rechtsgeschäfts keine Vollmachtsurkunde im Original vorgelegt und der Kläger das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückgewiesen hat.

Entgegen der Ansicht der Beklagten steht der Anwendung des § 174 BGB vorliegend nicht der Umstand entgegen, dass einer der beiden Geschäftsführer das Kündigungsschreiben mit unterzeichnet hat. Nach § 35 Abs. 2 GmbHG sowie ausweislich der Eintragungen im Handelsregister wird die Beklagte entweder von ihren beiden Geschäftsführern gemeinsam oder aber von einem dieser Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen vertreten. Zwar können zwei Geschäftsführer, die nur gemeinsam zur Vertretung einer GmbH berechtigt sind, ihre Gesamtvertretung in der Weise ausüben, dass ein Gesamtvertreter den anderen intern formlos zur Abgabe einer Willenserklärung ermächtigt und der zweite Gesamtvertreter allein die Willenserklärung abgibt. Im Streitfall ist indessen weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Geschäftsführer Dr. Schi., der das Kündigungsschreiben unterzeichnet hat, eine diesbezügliche Ermächtigung bzw. Vollmacht vom weiteren Geschäftsführer erteilt worden war. Darüber hinaus handelt es sich bei einer solchen Ermächtigung um eine Erweiterung der gesetzlichen Vertretungsmacht, auf die die Vorschriften über die rechtsgeschäftliche Stellvertretung entsprechend anzuwenden sind. Das gilt auch für § 174 BGB, so dass ein Arbeitnehmer, dem einer von mehreren Gesamtvertretern einer GmbH kündigt, die Kündigung unverzüglich mit der Begründung zurückweisen kann, eine Ermächtigungsurkunde sei nicht vorgelegt worden (BAG, AP Nr. 4 zu § 174 BGB).

Auch bezüglich der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens durch Herrn Dr. Sche. hätte es - um das Zurückweisungsrecht des Klägers nach § 174 BGB auszuschließen - der Vorlage einer Original - Vollmacht bedurft, die eine Ermächtigung zum Kündigungsausspruch beinhaltete. Die Zurückweisung der Kündigung durch den Kläger war auch insoweit nicht nach § 174 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Diese Vorschrift steht einer Zurückweisung dann entgegen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat. Der Kündigungsempfänger soll nach § 174 BGB nur dann zur Zurückweisung der Kündigungserklärung befugt sein, wenn er keine Gewissheit hat, ob der Erklärende wirklich bevollmächtigt ist und der Vertretene die Erklärung gegen sich gelten lassen muss. Eine solche Ungewissheit kann bei Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung dann nicht bestehen, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer allgemein darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass ein bestimmter Mitarbeiter zu derartigen Erklärungen wie einer Kündigung bevollmächtigt ist. Dies kann etwa dadurch geschehen, dass der betreffende Mitarbeiter in eine Stellung berufen wird, mit der das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden ist. So bedeutet etwa die Berufung eines Mitarbeiters in die Stellung als Leiter der Personalabteilung, als Prokurist oder als Generalbevollmächtigter i. d. R., dass die Arbeitnehmer des Betriebes auch i. S. v. § 174 Satz 2 BGB davon in Kenntnis gesetzt sind, dass der Betreffende zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen berechtigt ist. Unabhängig von der jeweiligen Bezeichnung ist dabei allerdings stets auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles festzustellen, wie sich die Position des Erklärenden für einen objektiven Betrachter darstellt, ob also mit einer derartigen Stellung die Kündigungsbefugnis verbunden zu sein pflegt (BAG, AP Nr. 11 zu § 620 BGB Kündigungserklärung).

Bei Anwendung dieser Grundsätze war der Kläger vor Ausspruch der Kündigung nicht von einer etwaigen Bevollmächtigung des Herrn Dr. Sche. in Kenntnis gesetzt worden. Die Beklagte hat Herrn Dr. Sche. nicht in eine Stellung berufen, mit der das Kündigungsrecht regelmäßig verbunden ist. Wie zuletzt zwischen den Parteien unstreitig geworden ist, war ihm keine Prokura erteilt worden. Ebenso wenig hatte er die Stellung eines Leiters der Personalabteilung inne. Soweit die Beklagte geltend macht, Herr Dr. Sche. sei als Betriebsleiter tätig gewesen, so steht dies dem Zurückweisungsrecht des Klägers nach § 174 BGB nicht entgegen, da mit der Position eines Betriebsleiters keineswegs auch eine Kündigungsbefugnis verbunden zu sein pflegt. Vielmehr beinhaltet eine solche Position vielfach, wenn nicht sogar regelmäßig (lediglich) die Überwachung und Steuerung der betrieblichen Abläufe sowie den Einsatz des Personals. Die Stellung des Betriebsleiters ist von daher in keiner Weise mit derjenigen des Leiters der Personalabteilung vergleichbar; insbesondere ist mit ihr auch nicht üblicherweise die Befugnis verbunden, Kündigungen auszusprechen.

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, Herrn Dr. Sche. habe über "umfassende Personalverantwortung", auch über die Befugnis zur Vornahme von Einstellungen und Kündigungen verfügt, so lässt sich hieraus allenfalls ableiten, dass eine entsprechende Bevollmächtigung gegeben war. Dass der Kläger von einer etwaigen Kündigungsbefugnis des Herrn Dr. Sche. i. S. v. § 174 Satz 2 BGB in Kenntnis gesetzt war, ergibt sich aus dem Vorbringen der Beklagten indessen nicht. Entsprechendes gilt hinsichtlich des von der Beklagten vorgelegten Schreibens vom 18.05.1999 (Bl. 173 d. A.), nach dessen Inhalt dem dort als "Bereichsleiter T2" bezeichneten Dr. Sche. Handlungsvollmacht im Umfang der bei der Beklagten geltenden "Regelung der Handlungsvollmacht" (Bl. 174 und 175 d. A.) erteilt wurde. Nach diesen Bestimmungen ist Herr Dr. Sche. zwar zur Vornahme bestimmter Rechtsgeschäfte, auch von Personalangelegenheiten - allerdings jeweils nur zusammen mit einer weiteren Person - bevollmächtigt worden. Es ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger hiervon in Kenntnis gesetzt worden war.

Der Kläger hat die ihm am 20.12.2003 zugegangene Kündigung bereits mit Schreiben vom 24.12.2003 und damit unverzüglich i. S. v. § 174 BGB zurückgewiesen. Die Zurückweisung erfolgte nach dem Inhalt des betreffenden Schreibens (Bl. 10 und 11 d. A.) auch ausdrücklich deshalb, weil dem Kündigungsschreiben lediglich eine Kopie der Vollmacht beigelegt war.

Die streitgegenständliche Änderungskündigung ist somit rechtsunwirksam.

Nach alledem war unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Kündigung vom 19.12.2003 unwirksam ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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