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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 09.02.2005
Aktenzeichen: 10 TaBV 39/04
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 91
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 10 TaBV 39/04

Verkündet am: 09.02.2005

Tenor:

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 08.09.2004, AZ: 1 BV 52/04, wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1.) begehrt die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats (Beteiligter zu 2.) zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds (Beteiligter zu 3.).

Die Arbeitgeberin ist ein bundesweit tätiges Versicherungsunternehmen. Durch Mitteilung Nr. 534/2002 vom 23.12.2002 teilte sie ihren Beschäftigten mit, dass das bisherige Berichtswesen zum Jahresbeginn 2003 modifiziert werden solle. Dabei war u. a. die Einführung bestimmter Tätigkeitsberichte und - Pläne mit den Formularnummern StabBV0900 - 0905 beabsichtigt. In der begleitenden Mitteilung hieß es u. a, dass die betreffenden Pläne/Berichte als Hilfe zur Selbstorganisation und Selbstkontrolle dienen und eine gemeinsame Grundlage für Führungsgespräche bieten sollen, indem sie Führungskraft und Mitarbeiter Hinweise zur Unterstützung und Förderung lieferten. Hinsichtlich der Ausgestaltung der betreffenden Formulare im Einzelnen wird auf Bl. 74 bis 87 der Akte 1 BVGa 4/04 des Arbeitsgerichts Koblenz (= LAG Rheinland - Pfalz, AZ: 6 TaBV 24/04), deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Anhörung der Beteiligten war, Bezug genommen.

Zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat ist streitig, ob die Einführung dieser Tätigkeitspläne- und berichte der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Mit Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.07.2004 (1 BVGa 4/04) wurde der Arbeitgeberin auf Antrag des Betriebsrats im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, es zu unterlassen, gegenüber den Arbeitnehmern im Außendienst des Betriebs K die Erstellung und Abgabe von Tätigkeitsberichten und Tätigkeitsplänen mit den Formularnummern StabBV0900 - 0905 anzuordnen, solange der Betriebsrat nicht zugestimmt hat oder eine die zur Zustimmung ersetzende Entscheidung der Einigungsstelle vorliegt. Die gegen diesen Beschluss von der Arbeitgeberin eingelegte Beschwerde (LAG Rheinland - Pfalz, AZ: 6 TaBV 24/04) wurde am 03.11.2004 zurückgenommen.

Der am 04.09.1963 geborene Beteiligte zu 3. ist bei der Arbeitgeberin seit dem 01.08.1982 beschäftigt und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Trotz schriftlicher Ermahnung seitens der Arbeitgeberin vom 03.03.2004 und zweier Abmahnungen vom 16.02.2004 und 25.03.2004 weigerte er sich, die von der Arbeitgeberin durch Mitteilung vom 23.12.2002 bekannt gegebenen Tätigkeitspläne und Tätigkeitsberichte auszufüllen. Unter dem 17.06.2004 informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat darüber, dass sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis des Beteiligten zu 3. wegen dessen Weigerung, die betreffenden Formulare auszufüllen, fristlos zu kündigen. Der Betriebsrat teilte mit Schreiben vom 21.06.2004 mit, dass er beschlossen habe, der fristlosen Kündigung nicht zuzustimmen.

Mit ihrer am 25.06.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift begehrt die Arbeitgeberin nunmehr die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Beteiligten zu 3.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Zustimmung des Beteiligten zu 2. zur außerordentlichen Kündigung des Mitarbeiters E. gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu ersetzen.

Der Betriebsrat sowie der Beteiligte zu 3. haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den tatbestandlichen Teil des Beschlusses des Arbeitsgerichts Koblenz vom 08.09.2004 (Bl. 52 bis 55 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 7 und 8 (= Bl. 56 und 57 d. A.) des Beschlusses vom 08.09.2004 verwiesen.

Die Arbeitgeberin hat gegen den ihr am 14.10.2004 zugestellten Beschluss am 09.11.2004 Beschwerde beim Landesarbeitsgericht Rheinland - Pfalz eingelegt und diese am 14.12.2004 begründet.

Die Arbeitgeberin macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts könne eine in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten erforderliche Zustimmung des Betriebsrats nicht (immer) als Wirksamkeitsvoraussetzung für Anordnungen bzw. Maßnahmen des Arbeitgebers angesehen werden. Vielmehr bestehe diesbezüglich Anlass zu einer differenzierten Betrachtungsweise. Der Arbeitgeber sei nämlich nicht in der Lage, seine Mitarbeiter zu führen, wenn diese berechtigt seien, sich als Kontrollinstanz aufzuspielen darüber, ob ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehe oder nicht und welche Auswirkungen die Nichtbeachtung eines etwa bestehenden Mitbestimmungsrechts auf das Individualarbeitsverhältnis habe. Die Lehre von der Wirksamkeitsvoraussetzung führe nicht nur zu einer partiellen Entmachtung des Arbeitgebers, sondern auch zu einer solchen des Arbeitnehmers, was nicht im Einklang mit dem Zweck des Mitbestimmungsrechts stehe.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz vom 08.09.2004 - 1 BV 52/04 - abzuändern und die Zustimmung des Beteiligten zu 2., des örtlichen Betriebsrats der Vertriebsdirektion K , zur außerordentlichen Kündigung des Mitarbeiters E. (Beteiligter zu 3.) gem. § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu ersetzen.

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Betriebsrat und der Beteiligte zu 3. verteidigen den mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss.

Zur Darstellung des Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren im Einzelnen wird auf die Beschwerdebegründungsschrift der Arbeitgeberin vom 14.12.2004 (Bl. 98 bis 105 d. A.) sowie auf die Beschwerdeerwiderung der übrigen Beteiligten vom 17.01.2005 (Bl. 118 bis 121 d. A.) Bezug genommen.

II.

Die statthafte Beschwerde ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat vielmehr sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung den Antrag zurückgewiesen.

Das Beschwerdegericht folgt den Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II. des erstinstanzlichen Beschlusses (dort Seiten 7 und 8 = Bl. 56 und 57 d. A.) und stellt dies ausdrücklich in entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Es erscheinen lediglich folgende ergänzende Klarstellungen angezeigt:

Die Zustimmung des Betriebsrats kann nicht nach § 103 Abs. 2 BetrVG ersetzt werden, da die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen der Arbeitgeberin und dem Beteiligten zu 3. nicht gerechtfertigt ist. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitverhältnis nur dann fristlos gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt - ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles - (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d. h. ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zu dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB relevanten Zeitpunkt fortzusetzen.

Im Streitfall fehlt es bereits an einem Sachverhalt, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Zwar rechtfertigt die beharrliche Nichterfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten regelmäßig, insbesondere nach vorheriger Abmahnung, den Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Im Streitfall hat der Beteiligte zu 3. indessen nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen, indem er sich weigerte, die von der Beklagten eingeführten Formulare auszufüllen. Die Einführung der betreffenden Tätigkeitsberichte bzw. - Pläne unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. In Ermangelung einer Zustimmung des Betriebsrats bzw. einer diese Zustimmung ersetzenden Entscheidung der Einigungsstelle ist es der Arbeitgeberin bislang verwehrt, die betreffenden Formulare einzuführen bzw. deren Ausfüllung wirksam anzuordnen. Der Beteiligte zu 3. war demgemäß nicht verpflichtet, der diesbezüglichen Aufforderung der Arbeitgeberin Folge zu leisten.

Dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterfallen alle Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, die Ordnung des Betriebes zu gewährleisten oder aufrechtzuerhalten. Gegenstand der Mitbestimmung ist danach die Gestaltung des Zusammenlebens und des Zusammenwirkens der Arbeitnehmer im Betrieb durch Schaffung allgemeingültiger, verbindlicher Verhaltensregeln oder sonstiger Maßnahmen, durch die das Verhalten der Arbeitnehmer in Bezug auf die betriebliche Ordnung beeinflusst werden soll (BAG, EzA § 87 BetrVG 1972 betriebliche Ordnung Nr. 13 und Nr. 21). Es geht dabei um Maßnahmen, die das sog. Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betreffen. Hiervon abzugrenzen sind solche Maßnahmen, die das reine Arbeitsverhalten regeln. Auf das Arbeitsverhalten beziehen sich alle Regeln und Weisungen, die bei der unmittelbaren Erbringung der Arbeitsleistung zu beachten sind. Bezüglich solcher Maßnahmen besteht kein Mitbestimmungsrecht. Nicht der Mitbestimmung unterfällt deshalb die Einführung von Kalkulationszwecken dienenden Erfassungsbögen, in die die Arbeitnehmer die für jedes laufende Arbeitsprojekt aufgewendeten Arbeitsstunden einzutragen haben (BAG, EzA § 87 BetrVG 1972 betriebliche Ordnung Nr. 7). Im Streitfall handelt es sich jedoch nicht um eine solche, lediglich das Arbeitsverhalten konkretisierende Anordnung. Der mitbestimmungspflichtige Sachverhalt besteht vielmehr darin, dass die Arbeitgeberin kraft ihres Direktionsrechtes ein standardisiertes Vorgehen der Arbeitnehmer erreichen will, obwohl dies nicht hinsichtlich der zu erfüllenden arbeitsvertraglichen Pflichten erforderlich ist. Ordnet der Arbeitgeber - wie vorliegend - generell und verbindlich an, dass Arbeitsergebnisse durch mehrere von ihm vorgegebene Formulare belegt werden, so schafft er damit eine betriebliche Regelung. Die Weisung betrifft nicht ausschließlich das individuelle Vertragsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, was schon daraus deutlich wird, dass der Arbeitgeber den Nachweis einheitlich in einer bestimmten Form verlangt und damit eine Regel aufstellt, die für alle - unabhängig von der konkreten Arbeitsleistung - zu beachten ist. Es handelt sich hierbei um die Aufstellung allgemeiner Verfahrensregeln. Hinzu kommt, dass sich die eingeführten Formulare nicht auf den Aspekt eines bloßen Tätigkeitsnachweises beschränken. Die Formulare sehen nämlich nicht nur Angaben über die in der Vergangenheit erbrachten Arbeitsleistungen vor, vielmehr verlangen sie auch Angaben über die konkrete Arbeitsplanung der Mitarbeiter für die Zukunft. Damit gibt die Arbeitgeberin ein bestimmtes Prozedere hinsichtlich der Planung der zu bewältigenden Arbeitsaufgabe vor. Dies wird durch den Umstand bestätigt, dass in der begleitenden Mitteilung "Führungsinstrumente in der Stammorganisation vom 23.12.2002" ausgeführt wird, dass die Pläne/Berichte eine Hilfe zur Selbstorganisation und Selbstkontrolle der Mitarbeiter seien. Durch die Auferlegung einer Pflicht zur Abgabe derartiger Berichte wird somit zugleich - einheitlich für alle Mitarbeiter - eine Pflicht zur Selbstkontrolle und Selbstorganisation begründet. Die Regelung erschöpft sich somit keineswegs in einer bloßen Weisung bezüglich des Arbeitsverhaltens.

Der Beteiligte zu 3. war nicht verpflichtet, der unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ergangenen Anordnung zur Ausfüllung der Formulare Folge zu leisten. Die Beachtung bestehender Mitbestimmungsrechte ist nämlich Wirksamkeitsvoraussetzung für solche Maßnahmen des Arbeitgebers, die den Arbeitnehmer belasten (st. Rspr. d. BAG, zuletzt BAG GS vom 03.12.1991, AP Nr. 51 und 52 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; BAG vom 03.05.1994, AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972; BAG vom 10.03.1998, AP Nr. 5 zu § 84 ArbGG 1979; GK-Wiese, 6. Auflage, § 87 BetrVG Rd-Ziffer 106; v. Hoyningen-Huene, RdA 1992, 359; Fitting, 21. Auflage, § 87 BetrVG Rd-Ziffer 599). Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin ist die von Teilen der Literatur (z. B. Richardi, BetrVG, 7. Auflage, § 87 Rd-Ziffer 101 ff.) geübte Kritik an der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung wegen ihrer angeblich unmöglichen praktischen Auswirkungen auf den Rechtsverkehr nicht begründet. Die Unwirksamkeit der Maßnahme im Verhältnis zum Arbeitnehmer ist eine tatsächlich wirksame Sanktion bei Verletzung von Mitbestimmungsrechten. Sie ist auch praktikabel, weil die Rechtsfolgen eindeutig beschrieben sind (vgl. Fitting, a. a. O., Rd-Ziffer 600).

Die Beschwerde der Arbeitgeberin war daher zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand keine Veranlassung. Diese Entscheidung ist daher unanfechtbar. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde selbständig anzufechten (§ 92 a ArbGG) wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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