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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 24.08.2006
Aktenzeichen: 11 Sa 439/06
Rechtsgebiete: KSchG, ArbGG, ZPO, BetrVG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 1
KSchG § 1 Abs. 5
KSchG § 17 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2 c
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 138 Abs. 3
ZPO § 519
ZPO § 520
BetrVG § 111
BetrVG § 111 Abs. 1 Satz 3 Ziff. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 11 Sa 439/06

Entscheidung vom 24.08.2006

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17.05.06 (Aktz.: 7 Ca 2861/04), abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.11.04 aufgelöst worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im vorliegenden Verfahren streitet der Kläger gegen eine ihm gegenüber seitens der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Beendigungskündigung.

Der 1971 geborene Kläger ist seit Januar 1987 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Seine Bruttomonatsvergütung betrug zuletzt 2.114,68 €.

Der Kläger wurde jahrlang am so genannten Tunnelofen an einem Einzelarbeitsplatz beschäftigt. Seit dem 19.07.2004 wurde er an einer so genannten Schrumpfanlage beschäftigt, da dort ein Mann, der Mitarbeiter W, bis zum 31.01.2005 in ein anderes Lager versetzt wurde. Am 01.02.2005 kehrte Herr W an seinen bisherigen Arbeitsplatz zurück. An dieser Schrumpfanlage war der Kläger zusammen mit den Mitarbeitern V, U und T sowie Herrn T eingesetzt. Die ihm im Rahmen der Arbeit an der Schrumpfanlage aufgetragenen Arbeiten erledigte er ohne Beanstandungen.

Der Kläger hat die Sonderschule besucht. Er ist des Lesens und Schreibens nur sehr eingeschränkt mächtig.

Der ebenfalls an der Schrumpfanlage eingesetzte Herr V, der am 24.01.1979 geboren wurde und seit dem 01.07.2002 bei der Beklagten beschäftigt ist, kam am 01.07.2002 direkt aus der Türkei und war seinerzeit der deutschen Sprache nicht mächtig. Auch jetzt noch ist er nur in der Lage, sehr gebrochen und rudimentär deutsch zu sprechen. Seine Arbeit kann er nur verrichten, wenn er ständig von den drei weiteren Kollegen, Herrn T, Herrn U und Herrn T angewiesen wird.

Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung gegenüber dem Kläger war Herr V verheiratet. Dass seine Frau zu diesem Zeitpunkt schwanger war, wusste die Beklagte nicht.

Die Beklagte entschloss sich aufgrund außerbetrieblicher Umstände den so genannten "Tunnelofen" zum Ende des Jahres 2004 stillzulegen. Stattdessen schaffte sie einen so genannten Rollenofen an. Sie legte für die Mitarbeiter an diesem Rollenofen ein Aufgabenprofil dergestalt fest, dass diese Lesen und Schreiben können müssen. Dies hat seine Grundlage darin, dass dort Computer zu bedienen sind und entsprechende Meldungen des Computers auch zu lesen sind.

Aufgrund der Einführung des Rollenofens und Abschaffen des Tunnelofens sah die Beklagte die Notwendigkeit, sich von einem Teil ihrer Mitarbeiter zu trennen. Sie vereinbarte insofern einen Interessenausgleich mit einer Namensliste mit ihrem Betriebsrat am 24.11.2004, auf dessen Inhalt verwiesen wird (Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 06.01.2005, Bl. 16 ff. d. A.). In der Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer ist auch der Kläger aufgeführt.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Kündigungsschreiben vom 29.11.2004 zum 28.02.2005.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, die Kündigung sei deswegen sozial ungerechtfertigt, da er nach entsprechender Einweisung auch Tätigkeiten am neuen Rollenofen verrichten könne. Jedenfalls sei er mit den Mitarbeitern an der Schrumpfanlage sozial vergleichbar. Diese seien aufgrund ihrer weit kürzeren Betriebszugehörigkeit sozial stärker als er. Außerdem sei es nicht gerechtfertigt gewesen, die Arbeitsverträge der Arbeitnehmer V und U, die bis zum Juli bzw. August 2004 lediglich befristet bestanden, zu entfristen und ihn nach 18-jähriger Betriebszugehörigkeit zu kündigen. Er könne alle Tätigkeiten an der Schrumpfanlage selbständig erledigen und zwar zumindest genau so gut, wenn nicht besser als die dort eingesetzten türkischen Mitarbeiter.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten am 29.11.2004 aufgelöst wurde.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen:

Der Kläger sei aufgrund seiner Lese- und Schreibschwäche nicht mit anderen Arbeitnehmern vergleichbar. Dies gelte sowohl für Arbeitnehmer, die im Bereich der Abteilung Rollenofen eingesetzt werden, als auch mit den Arbeitnehmern an der Schrumpfanlage. Im Rahmen seiner siebenmonatigen Tätigkeiten dort habe sich gezeigt, dass der Kläger nicht in der Lage sei ohne Unterstützung anderer Arbeitnehmer dort alle Arbeiten zu verrichten. Er konnte nur nach Anleitung und Vorgaben arbeiten und eingesetzt werden.

Bezüglich des Weiteren erstinstanzlichen Sachvortrages der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 24.08.2006 die Klage abgewiesen.

Es hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der einzelne Arbeitsplatz des Klägers am Tunnelofen sei unstreitig entfallen, weswegen ein betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliege. Aufgrund seiner Lese- und Rechtschreibschwäche sei er im Bereich des Rollenofens nicht einsetzbar. Die Beklagte könne diesbezüglich das Anforderungsprofil festlegen, dass die dort eingesetzten Arbeitnehmer lesen und schreiben können müssten. Im Hinblick auf § 1 Abs. 5 KSchG habe eine Sozialauswahl nur auf eine grobe Fehlerhaftigkeit hin überprüft werden können. Insofern sei eine solche bezüglich der Mitarbeiter an der Schrumpfanlage jedenfalls nicht feststellbar, da diese Unterhaltsverpflichtungen im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung gehabt hätten, anders als der Kläger.

Bezüglich der weiteren Darlegungen des Arbeitsgerichts wird auf seine Entscheidungsgründe verwiesen.

Dem Kläger ist das Urteil des Arbeitsgerichts vom 17.05.2006 am 24.05.2006 zugestellt worden. Gegen dieses Urteil hat er mit beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 07.06.2006 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz am 28.06.2006 begründet.

Er trägt vor, das Arbeitsgericht habe teilweise den Tatsachenvortrag falsch gewürdigt bzw. den Beweisangeboten sei es nicht nachgekommen. So sei zum Beispiel von der Beklagten nicht bestritten worden, dass der Mitarbeiter V im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung noch kein Kind gehabt habe. Die Sozialauswahl sei deswegen fehlerhaft erfolgt, da er sowohl mit den Mitarbeitern an der Schrumpfanlage vergleichbar sei, als auch noch mit Mitarbeiter an dem Rollenofen. Dies habe das Arbeitsgericht nicht ausreichend gewürdigt. Gleiches gelte für den Umstand, dass das Arbeitsgericht von einer Zulässigkeit der Entfristung der Arbeitsverträge der Mitarbeiter U und V ausgegangen sei, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits feststand, dass 26 Arbeitnehmer wegen Schließung des Tunnelofens entlassen werden müssten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 17.05.2006 - 7 Ca 2861/04 - aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.11.2004 aufgelöst wurde.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und verweist nochmals darauf, dass der Kläger nicht mit den Arbeitnehmern V, U, T und T vergleichbar sei. Es fehle an einer Austauschbarkeit und im Übrigen sei jedenfalls keine grob fehlerhafte Sozialauswahl erfolgt.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll vom 24.08.2006 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach § 64 Abs. 1, Abs. 2 c ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die Beklagte hat eine grob fehlerhafte Sozialauswahl, zumindest im Hinblick auf den Arbeitnehmer V, durchgeführt.

1.

Die ordentliche betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung ist dann sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2, 3 KSchG wenn,

- zum Zeitpunkt ihres Zugangs dringende betriebliche Gründe vorliegen, die aufgrund außerbetrieblicher Umstände oder infolge innerbetrieblicher Maßnahmen zu einem Rückgang des Arbeitsanfalls bis hin zum Wegfall des Bedürfnisses für die Beschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer in dem Bereich führen, in dem der betroffene Arbeitnehmer beschäftigt ist;

- der betroffene Arbeitnehmer zum Zeitpunkt ihres Zugangs (vgl. BAG 21.04.2005, EZA § 1 KSchG soziale Auswahl Nr. 62) von allen vergleichbaren Arbeitnehmern der sozial am wenigsten schutzwürdiger ist und

- auch eine umfassende Interessenabwägung nach ordnungsgemäßer Sozialauswahl nicht ausnahmsweise zu einem Überwiegen des Interesses des Arbeitnehmers unter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers an dessen Beendigung führt (vgl. DLW Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 5. Auflage D Randziffer 1391).

Die Vergleichbarkeit der in die Sozialauswahl einzubeziehende Arbeitnehmer richtet sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und damit nach der ausgeübten Tätigkeit (BAG 07.02.1985 EZA § 1 KSchG soziale Auswahl Nr. 20).

Es ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, die Funktion eines anderen Arbeitnehmers wahrnehmen kann. Dies hängt zum einen von seinen Fähigkeiten ab, zum anderen allerdings auch von der vertraglichen Gestaltung, nämlich ob der Arbeitgeber berechtigt ist, dem Arbeitnehmer einseitig auf den anderen Arbeitsplatz um- oder zu versetzen (vgl. DLW a.a.O. D Randziffer 1482).

Im Rahmen der durchzuführenden Sozialauswahl hat der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderteneigenschaften eines Arbeitnehmers ausreichend zu berücksichtigen, § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Der Gesetzgeber hat die maßgeblichen Kriterien genannt, ohne jedoch einen Vorrang eines der genannten Kriterien festzuschreiben. Dies spricht für deren Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit (vgl. DLW, a.a.O. D Randziffer 1567). Dem Arbeitgeber kommt ein gewisser Ermessensspielraum bei Gewichtung der sozialen Kriterien zu. Die Sozialauswahl ist nur dann unwirksam, wenn er die sozialen Kriterien nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Sind bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Die Sozialauswahl der Arbeitnehmer kann dann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit hin überprüft werden.

Eine grob fehlerhafte Sozialauswahl liegt dann vor, wenn die Gewichtung der Kriterien jede Ausgewogenheit vermissen lässt (BAG 21.09.1999, EZA § 1 KSchG, soziale Auswahl Nr. 39) und vergleichbare Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einbezogen werden (vgl. DLW a.a.O., D Randziffer 1578).

2. a)

Im vorliegenden Fall liegt ein betriebsbedingter Kündigungsgrund vor, bzw. dieser wird gemäß § 1 Abs. 5 KSchG aufgrund des zwischen den Betriebspartnern abgeschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste vermutet.

Die Voraussetzungen einer Betriebsänderung nach § 111 Abs. 1 Satz 3 Ziffer 1 BetrVG liegen vor.

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (vgl. z. B. BAG 07.08.1990, EZA § 111 BetrVG 1972 Nr. 27) kann eine Betriebseinschränkung bereits in der Weise erfolgen, dass die sächlichen Mittel als solche unverändert bleiben, jedoch in erheblichem Umfang Personal abgebaut wird.

Für die Festlegung der Erheblichkeit des Personalabbaus sind die Zahlen- und Prozentangaben gemäß § 17 Abs. 1 KSchG heranzuziehen. Dies bedeutet im Falle der Beklagten, dass sie mehr als 25 Arbeitnehmer oder 10 % der Belegschaft hätte abbauen müssen. Dies ist vorliegend der Fall (vgl. zum Ganzen DLW a.a.O. I Randziffer 1785 m.w.N.).

Zwischen den Parteien ist im Übrigen auch unstreitig, dass ein betriebsbedingter Kündigungsgrund vorliegt.

b)

Auch die durchgeführte Sozialauswahl war vorliegend daher nur daraufhin zu überprüfen, ob eine grobe Fehlerhaftigkeit gegeben ist (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG). Die Kammer kam diesbezüglich zu der Auffassung, dass dies hinsichtlich der Nichteinbeziehung des Arbeitnehmers V in eine Sozialauswahl mit dem Kläger der Fall war.

aa)

Die Beklagte hat nach eigenen Bekundungen den Kläger mit keinerlei anderen Arbeitnehmern in eine Sozialauswahl einbezogen, da sie der Auffassung ist, dass der Kläger aufgrund seiner Rechtschreibschwäche mit anderen Arbeitnehmern nicht vergleichbar sei.

Dies ist für das Gericht nachvollziehbar, soweit es die Tätigkeiten am neuen Rollenofen betrifft. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, warum sie für die dort eingesetzten Arbeitnehmer verlangt, dass diese zumindest lesen können müssen. Insofern müssen die dortigen Arbeitnehmer Hinweise und Warnmitteilungen des computergesteuerten Rollenofens verstehen und lesen können. Im Übrigen obliegt es der freien und durch die Gerichte nur sehr eingeschränkt überprüfbaren Unternehmerentscheidung des Arbeitgebers, Anforderungsprofile zumindest für neue Arbeitsplätze selbständig festzulegen (vgl. BAG 07.11.1996, 2 AZR 811/95).

Hinsichtlich zumindest des Mitarbeiters V, der, wie der Kläger, an der Schrumpfanlage eingesetzt worden ist, konnte das Gericht allerdings die Nichteinbeziehung in eine Sozialauswahl mit dem Kläger nicht nachvollziehen. Nach dem Vortrag des Klägers kann Herr V auch heute noch nur sehr gebrochen Deutsch verstehen und sprechen und bedarf der Anleitung seiner Arbeitskollegen, um seine Arbeitsleistung erbringen zu können. Diesen Vortrag des Klägers hat die Beklagte nicht bestritten, so dass er gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen ist.

Wenn allerdings Herr V - ebenso wie der Kläger zumindest nach dem Vortrag der Beklagten - lediglich eingeschränkt und unter Anleitung und nach Anweisung von Arbeitskollegen an der Schrumpfanlage einsetzbar ist, er allerdings nicht gekündigt wird, da insofern offensichtlich ein Arbeitsbedarf für zumindest eine solche Person an der Schrumpfanlage besteht, war Herr V auch mit dem Kläger in eine Sozialauswahl einzubeziehen.

Die Verkennung des insofern auswahlrelevanten Personenkreisen stellt eine grobe Fehlerhaftigkeit der getroffenen Sozialauswahl dar (vgl. DLW Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht, 5. Auflage, D, Rz. 1578).

bb)

Diese unterbliebene Einbeziehung des Herrn V in eine Sozialauswahl ist auch nicht deswegen unschädlich, weil bei einer vorzunehmenden Sozialauswahl Herr V als sozial schwächer anzusehen gewesen wäre, als der Kläger.

Auf Nachfrage im Kammertermin erklärte die Beklagte insofern, dass sie keinerlei System entwickelt hatte, wie sie die einzelnen Sozialkriterien, Unterhaltsverpflichtungen, Betriebszugehörigkeit und Lebensalter untereinander gewichtete. Lediglich den Unterhaltsverpflichtungen habe sie aus sozialen Gesichtspunkten eine hervorgehobene Rolle zugeordnet. Sie hat allerdings in keiner Weise ausgeführt, in welchem Verhältnis sie solche Unterhaltsverpflichtungen zu den anderen Sozialkriterien herausgehoben berücksichtigt hatte und berücksichtigen wollte.

Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung war der Kläger 18 Jahre bei der Beklagten beschäftigt und 33 Jahre alt. Er hat keine Unterhaltsverpflichtungen. Herr V hingegen war erst 2 1/2 Jahren bei der Beklagten beschäftigt, war zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung 25 Jahre alt und einer Person, nämlich seiner Ehefrau zum Unterhalt verpflichtet. Kinder hatte er zu diesem Zeitpunkt noch keine und die Beklagte wusste auch zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht, dass die Frau des Herrn V schwanger war, wie sie auf ausdrückliche Nachfrage im Kammertermin bestätigte.

Die Unterhaltsverpflichtung wegen einer Person kann allerdings nicht ein um achte Jahre höheres Lebensalter und eine um 16 Jahre längeren Betriebszugehörigkeit ausgleichen. Insofern liegt nach Ansicht der Kammer auch unter Berücksichtigung der Maßstäbe nach § 1 Abs. 5 KSchG eine grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl vor, da die Gewichtung der Kriterien nach § 1 Abs. 2 KSchG jede Ausgewogenheit vermissen lässt (BAG 21.01.1999, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 39).

III.

Nach alledem war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Ende der Entscheidung

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