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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 16.12.2004
Aktenzeichen: 11 TaBV 11/04
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

BetrVG §§ 111 ff.
BetrVG § 111 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1
BetrVG § 111 Satz 3 Nr. 1
BetrVG § 112
BetrVG § 112a
BetrVG § 112a Abs. 1 Satz 1
BetrVG § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
KSchG § 17
KSchG § 17 Abs. 1
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 83 Abs. 3
ArbGG § 83 a Abs. 4 Satz 3
ArbGG § 87 Abs. 1
ArbGG § 87 Abs. 2
ArbGG § 89 Abs. 2
ArbGG § 90 Abs. 2
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 11 TaBV 11/04

Verkündet am: 16.12.2004

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 10.03.2004 - 9 BV 1939/03 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

A.

Die Beteiligten streiten darüber, ob bestimmte Maßnahmen der Arbeitgeberin eine Betriebsänderung darstellen und deshalb dem Antragsteller des vorliegenden Verfahrens - dem bei ihr gebildeten Betriebsrat - ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans zusteht.

Bei der Arbeitgeberin sind ca. 160 Arbeitnehmer beschäftigt, die in sechs Abteilungen mit 30 Gruppen tätig sind. Auf einer Betriebsversammlung am 3. November 2002 hat der Geschäftsführer der Arbeitgeberin die Mitarbeiter entsprechend seinem Redekonzept, auf dessen näheren Inhalt verwiesen wird (Anlage 4 zur Antragsschrift), u.a. über folgende anstehende Maßnahmen informiert:

"Budget Objectives 2002 ...

....

- Unternehmensteuerung durch

- Kostendezimierung in nicht profitablen Sparten bzw. Entschlackung

- Personalrückführung in 12/2002 um 11 Mitarbeiter = minus 10%

...

Szenario 2003

- ....

- das heißt Unterdeckung 2.0 €

- Unternehmensteuerung

- Kostendezimierung in nicht profitablen Sparten, Personal Bindung in Harmonie mit der Umsatzentwicklung

- Transfer von Mitarbeiter, Abformung ..."

Mit Schreiben vom 6. November 2003 (in Kopie als Anlage zum Schriftsatz des Antragstellers) hörte die Arbeitgeberin den Betriebsrat über die beabsichtigte betriebsbedingte Kündigung von zehn Arbeitnehmern an, die in verschiedenen Bereichen des Betriebs tätig waren. Die daraufhin ausgesprochenen Kündigungen dienten der Kostenreduzierung. Mit neun der Arbeitnehmer wurde in der Folgezeit ein Aufhebungsvertrag geschlossen; die Kündigungsschutzklage eines weiteren Arbeitnehmers blieb erfolglos.

Am gleichen Tag ersuchte die Arbeitgeberin den Betriebsrat um Zustimmung zur Versetzung der neun Mitglieder der Gruppe Abformung zur Außenstelle VV zum 1. Dezember 2002. Bei diesem Standort handelt es sich, wie die Beteiligten in der mündlichen Anhörung vor dem Arbeitsgericht klargestellt haben, um einen Teil des AAer Betriebs. Für beide Standorte besteht ein gemeinsamer in AA ansässiger Betriebsrat. Hintergrund der Verlagerung dieser Gruppe war die Erwartung der Arbeitgeberin, dass diese am anderen Standort auch durch Mittel des Landes Rheinland-Pfalz und der Europäischen Union finanziert werden könnte, was sie finanziell entlastet hätte. Der Personalbestand dieser Gruppe variierte in den Jahren 2000 bis 2001 zwischen zwei und acht und im Jahre 2002 zwischen acht und neun Arbeitnehmern. Die meisten Arbeitnehmer waren nur projektbezogen eingestellt worden. Von den neun Mitarbeitern zu Beginn des Jahres 2002 waren zwei unbefristet beschäftigt. Von den übrigen Beschäftigten hätten fünf Arbeitsverhältnisse auf Grund Befristung im Verlauf des Jahres 2003 und eines im Jahre 2004 geendet. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf die Anlagen B 2und 3 zum Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 21. Juli 2003 verwiesen (Bl. 42, 44 d.A.).

Der Betriebsrat widersprach den Versetzungen. Ein Zustimmungsersetzungsverfahren leitete die Arbeitgeberin nicht ein. Sie sah sich nunmehr "gezwungen", die Gruppe Abformung am Standort AA aufzulösen und traf im Januar 2003 die Entscheidung, die in AA ansässige Abformung ersatzlos zu schließen und den dort beschäftigten Arbeitnehmern, mit Ausnahme des Betriebsratsvorsitzenden, der am Standort AA innerbetrieblich versetzt wurde, zu kündigen. Der Betriebsrat wurde mit Schreiben vom 20. Januar 2003 zu elf beabsichtigten betriebsbedingten Kündigungen angehört. Von diesen wurden neun ausgesprochen, davon sechs gegenüber Arbeitnehmern der Gruppe Abformung. Deren Arbeitsverhältnisse sind mittlerweile auf Grund der ausgesprochenen Kündigungen oder durch nachfolgend geschlossene Aufhebungsverträge beendet worden. Daneben wurden noch drei weitere Kündigungen gegenüber Arbeitnehmern, die sich noch in der Probezeit befanden, wegen fehlender Eignung ausgesprochen.

In der Folgezeit kam es zu verschiedenen innerbetrieblichen Maßnahmen bei der Arbeitgeberin.

So wurden etwa die Abteilungen Dünnschicht und Ligatechnik, nachdem der Leiter der ersteren im Zuge des im November 2002 geplanten Personalabbaus entlassen worden war, zur Abteilung Mikrostrukturierung zusammengefasst und der Bereich Laserbearbeitung mit zwei Mitarbeitern in eine andere Abteilung integriert sowie Aufgabenverteilungen neu strukturiert. Durch die ausgesprochenen Kündigungen haben andere Mitarbeiter eine Mehrbelastung erfahren oder neue Arbeitsbereiche übernehmen müssen. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der einzelnen organisatorischen Maßnahmen der Arbeitgeberin wird auf Seite 5 f. im Schriftsatz des Betriebsrats vom 8. Oktober 2003 nebst Anlagen (Bl. 88 f. d. A.) und auf seinen Schriftsatz vom 15. Oktober 2003 nebst Anlagen verwiesen (Bl. 108 ff. d.A.).

Die Arbeitnehmer der Abformung hatten bis zur Auflösung der Gruppe zwei Spritzgussmaschinen in Benutzung. Eine davon wurde im Sommer 2004 verkauft, die andere soll demnächst an den Entleiher zurückgehen. Im Bereich Heißprägen waren die Jenoptikpräge, die Colinpräge und die halbautomatische Präge im Einsatz. Letztere ist seit Frühsommer 2003 nicht mehr betriebsbereit. Ähnliches gilt für die Colinpräge, die seit Herbst 2003 wegen ständiger Defekte und Reparaturen nicht im Einsatz ist.

Auf Antrag des Betriebsrats wurde durch Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 11. April 2003 - Az. 4 BV 788/03 - eine Einigungsstelle eingesetzt, um über einen Sozialplan zu befinden. Die Einigungsstelle erklärte sich durch Beschluss vom 17. Juni 2003 "für nicht zuständig zur Beschlussfassung über einen Sozialplan - die Verlegung der Abteilung Abformung und die Kündigung vom November 2002 - betreffend." Der Beschluss nebst Begründung, auf die verwiesen wird (Bl. 19 ff. d.A.), ging dem Betriebsrat per Fax am 19. Juni 2003 zu.

Mit dem am 4. Juli 2003 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat sich der Betriebsrat gegen die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs gewandt. Er hat geltend gemacht, dass entgegen der Auffassung der Einigungsstelle bei der Arbeitgeberin eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung im Sinne der §§ 111 ff. BetrVG vorgelegen habe. Bei den Maßnahmen im November 2002 und im Januar 2003 handele es sich nicht um selbstständige, rechtlich voneinander unabhängig zu beurteilende. Sie lägen zeitlich so eng zusammen, dass eine einheitliche planerische Entscheidung zu vermuten sei und gründeten sich auf diejenige der Arbeitgeberin, Kosteneinsparungen zu erzielen. Daher seien insgesamt die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG erreicht. Ein Fall des § 112a BetrVG im Sinne eines reinen Personalabbaus liege auf Grund der weiteren Maßnahmen der Arbeitgeberin nicht vor.

Zudem sei die geplante Versetzung der Gruppe Abformung vorgeschoben gewesen. Am Standort VV habe es weder ausreichende Büro- noch Laborarbeitsplätze gegeben. Dort könnten nicht alle Arten von Arbeiten durchgeführt werden. So würden noch heute - insoweit unstreitig - bestimmte Arbeiten in AA getätigt, da die Maschinenkapazität in VV nicht ausreiche.

Schließlich handele es sich bei der Gruppe Abformung um einen wesentlichen Betriebsteil. Ihr komme bei der Abwicklung zahlreicher Projekte der Arbeitgeberin eine unverzichtbare Bedeutung zu. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der von der Gruppe Abformung geleisteten Tätigkeiten wird auf Seiten 7 f., 9 f. im Schriftsatz des Betriebsrats vom 8. Oktober 2003 verwiesen. Die Befristung der Mehrzahl der Arbeitsverhältnisse in der Gruppe stehe einer solchen Beurteilung nicht entgegen, da es zur wiederholten Verlängerung auslaufender Verträge gekommen sei. Zudem habe sich gezeigt, dass die Mitarbeiter anderer Abteilungen die Tätigkeiten der Gruppe Abformung wegen fehlenden Know-hows nicht ohne weiteres hätten übernehmen können.

Der Betriebsrat hat beantragt,

festzustellen, dass auf Grund der Maßnahmen der Arbeitgeberin im November 2002 und im Januar 2003 ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 112 BetrVG auf Abschluss eines Sozialplans besteht,

hilfsweise,

1. festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 17. Juni 2003 unwirksam ist,

2. festzustellen, dass die Einigungsstelle für die Beschlussfassung über einen Sozialplan wegen Betriebsänderung (zehn betriebsbedingte Kündigungen im November 2003, neun betriebsbedingte Kündigungen im Januar 2003, einhergehend die Schließung der Gruppe Abformung, Zusammenschluss der Abteilungen Dünnschicht und Ligatechnik zu einer Abteilung Mikrostrukturierung, die Eingliederung der Gruppe Laserbearbeitung in die Abteilung Optik) zuständig ist.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Bei den Kündigungen im November 2002 und Januar 2003 handele es sich nicht um eine einheitliche unternehmerische Entscheidung. Das folge schon daraus, dass die weitere Entscheidung über die Kündigungen zu Beginn des Jahres 2003 erst auf Grund der fehlenden Zustimmung des Betriebsrats habe getroffen werden müssen.

Die Gruppe Abformung stelle schon im Hinblich auf ihre geringe Größe im Verhältnis zur Gesamtbelegschaft keinen wesentlichen Betriebsteil im Sinne des § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG dar. Gegen die Annahme, es handele sich um eine wesentliche Abteilung, spreche die personelle Zusammensetzung der Gruppe und die Tatsache, dass sie nur eine von dreißig bei der Arbeitgeberin sei. Entgegen dem Vortrag des Betriebsrats handele es sich bei der Arbeitsgruppe nicht um eine "wirtschaftlich gesunde Gruppe". Nach der Kapazitätsplanung für das Jahr 2003 sei nicht davon auszugehen gewesen, dass sie ausgelastet sein und kostendeckend tätig werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf den Inhalt der beim Arbeitsgericht eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 10.03.2004, auf den Bezug genommen wird, dem Hauptantrag des Betriebsrates entsprochen. Es hat im Wesentlichen angenommen, es läge eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BetrVG vor. Die anhand des Maßstabs des § 17 Abs. 1 KSchG zu ermittelnde erforderliche Zahl von Entlassungen sei jedenfalls aufgrund der zehn Entlassungen im November 2002 sowie der sechs weiteren Entlassungen, zu denen der Betriebsrat mit Schreiben vom 20.01.2003 angehört worden sei, erreicht. § 112 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG stehe in Anbetracht der weiteren innerbetrieblichen Umorganisationen und Versetzungen dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht entgegen.

Gegen diesen ihr am 18.03.2004 zugestellten Beschluss wendet sich die Arbeitgeberin mit ihrer am 31.03.2004 eingelegten und am 12.05.2004 begründeten Beschwerde.

Sie hält die zusammenfassende Beurteilung des Arbeitsgerichts hinsichtlich der Kündigungen im November 2002 und im Januar 2003 für nicht gerechtfertigt und vertritt die Auffassung, dass im Hinblick auf § 112 a BetrVG auch bei einheitlicher Betrachtung das vom Betriebsrat für sich in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht nicht bestehe. Sie betont noch einmal, dass entgegen der Auffassung des Betriebsrats die Gruppe Abformung kein wesentlicher Betriebsteil im Sinne von § 111 BetrVG sei. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Arbeitgeberin im Beschwerdeverfahren wird auf deren Schriftsätze vom 12.05. und 08.11.2004 Bezug genommen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den angefochtenen Beschluss abzuändern und die Anträge des Betriebsrats abzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen die arbeitsgerichtliche Entscheidung und trägt im übrigen vor, wegen der auch vorgenommenen Stilllegung von sächliche Betriebsmitteln und der Einschränkung von Tätigkeiten, die vormals durch die Arbeitnehmer der Gruppe Abformung verrichtet worden seien, komme die Vorschrift des § 112 BetrVG nicht zur Anwendung. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens des Betriebsrates im Beschwerdeverfahren wird auf die in zweiter Instanz zur Akte gereichten Schriftsätze vom 18.06., 18.10. und 06.12.2004 verwiesen.

B.

Die gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde der Antragsgegnerin ist form - und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG, und somit insgesamt zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel aber keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag des Antragstellers zu Recht stattgegeben.

I.

1) Die Einigungsstelle war nicht zu hören. Nach § 83 Abs. 3 ArbGG haben in einem Beschlussverfahren neben dem Antragsteller diejenigen Stellen ein Recht auf Anhörung, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz im einzelnen Fall beteiligt sind. Das ist bei der Einigungsstelle nicht gegeben. Auch wenn es im vorliegenden Rechtsstreit darum geht, ob die Einigungsstelle ihre Unzuständigkeit zu Recht festgestellt hat, bleibt er in der Sache ein Kompetenzkonflikt zwischen den Betriebsparteien darüber, ob die von der Arbeitgeberin durchgeführten Maßnahmen eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG darstellen und der Betriebsrat deshalb gemäß § 112 BetrVG die Aufstellung eines Sozialplans erzwingen kann. Materiell betroffen sind also ausschließlich die Betriebsparteien und nicht die Einigungsstelle (BAG 22.01.1980 - 1 ABR 28/78 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr.7).

2) Gemäß § 90 Abs.2 iVm § 83 a Abs. 4 Satz 3 ArbGG bedurfte es im Anschluss an die Anhörung am 01. Oktober 2004 und den aufgrund dieser ergangenen Auflagenbeschluss der Beschwerdekammer nicht der Durchführung eines weiteren Anhörungstermins. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

II.

Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Damit die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Beteiligten entschieden werden kann, muss ein Antrag im Beschlussverfahren ebenso hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sein wie ein solcher im Urteilsverfahren (vgl. nur BAG 03.06.2003 - 1 ABR 19/02 - AP BetrVG 1972 § 89 Nr. 1). Diese Voraussetzungen sind mit dem Arbeitsgericht zu bejahen.

III.

Der Hauptantrag des Betriebsrates ist begründet

1) Er kann diesen verfolgen, ohne auch die Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs der Einigungsstelle vom 17.06.2003 zu begehren. Deren Zuständigkeit ist abhängig vom Bestehen eines Mitbestimmungsrechts, worüber letztlich nur die Gerichte eine für die Betriebsparteien bindende Entscheidung können. Mit der Feststellung eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats steht zugleich fest, dass die Einigungsstelle ihrer Aufgabe, eine Sachregelung zu treffen, noch nicht nachgekommen ist; ihr Verfahren ist dann fortzusetzen (BAG 10.12.2002 - 1 ABR 27/01 - AP BetrVG 1972 § 95 Nr 42).

2) Dem Betriebsrat steht das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht nach § 112 BetrVG zu, da eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vorliegt und § 112 a BetrVG der Sozialplanpflichtigkeit der Maßnahme nicht entgegensteht.

a) Die Antragsgegnerin hat mit der betriebsbedingten Entlassung von insgesamt 16 Arbeitnehmer im November 2002 und im Januar 2003 eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG durchgeführt. Es liegt eine wesentliche Einschränkung des Betriebes im Sinne der Vorschrift vor.

aa) Eine Betriebseinschränkung kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch durch bloßen Personalabbau erfolgen, wie der Gesetzgeber durch die Regelung in § 112 a Abs. 1 Satz 1 BetrVG bestätigt hat. Voraussetzung für die Annahme einer wesentlichen Einschränkung ist, dass der Personalabbau eine relevante Zahl von Arbeitnehmern erfasst. Maßgebend für die erforderliche Zahl von Entlassungen ist § 17 Abs. 1 KSchG (vgl. nur BAG 10.12.1996 - 1 AZR 290/96 - NZA 1997, 787= jurisRz. 21).

Die danach erforderliche Zahl ist erreicht. § 17Abs. Ziff. 2 KSchG sieht für Betriebe in der Größenordnung von in der Regel mehr als 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern den Prozentsatz von 10 oder aber mehr als 25 Arbeitnehmern vor. Mit der Zahl von 16 Entlassungen ist angesichts der vorherigen Betriebsgröße der Antragsgegnerin der Prozentsatz von 10 erreicht.

Dabei kommt es auf die Art des Auflösungstatbestandes nicht an. Entscheidend ist, dass das Ausscheiden vom Arbeitgeber mit Rücksicht auf die vorgesehene Beschränkung der Anzahl der Arbeitnehmer veranlasst worden ist (BAG aaORz. 23). Das jedenfalls eine solche Veranlassung im Hinblick auf die sechs im Jahr 2003 ausgeschiedenen Arbeitnehmer der Gruppe Abformung und auch die zehn Arbeitnehmer, zu deren Kündigung der Betriebsrat im November 2002 gehört wurde, gegeben ist, steht zwischen den Beteiligten außer Streit. Da mit diesen die für die Annahme einer Betriebsänderung notwendige Zahl erreicht wird, kommt es auf die Frage der Betriebsbedingtheit der drei weiteren Kündigungen, die im Anschluss an die Anhörung des Betriebsrates im Januar 2003 ausgesprochen wurden, nicht mehr an.

bb) Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass es für den Tatbestand einer Betriebsänderung ohne Bedeutung ist, dass es sich bei den ausgeschiedenen Mitarbeitern teilweise um solche handelt, deren Arbeitsverhältnisse im Laufe der Jahre 2003 oder 2004 aufgrund von Befristungen geendet hätten. Die Frage nach den Merkmalen einer Betriebsänderung ist nämlich zu trennen von der Anschlussfrage nach den Rechtsfolgen, z.B. inwieweit im Streitfall bei der Bemessung möglicher Sozialplanleistungen zu berücksichtigen ist, dass von den betroffenen Arbeitnehmern einige wegen befristeter Arbeitsverträge ohnehin demnächst ausgeschieden wären (vgl. BAG aaORz. 25).

Die Antragsgegnerin beruft sich zu Unrecht in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 01.02.2001 (3 Sa 565/00 - juris), die ausführt, bei der Ermittlung der Zahl der für die Annahme einer Betriebsänderung zu berücksichtigenden Arbeitnehmer hätten diejenigen außer Betracht zu bleiben, die aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen entlassen werden oder deren Arbeitsverhältnisse in Folge Fristablaufs enden.

Vorliegend sind diejenigen Arbeitnehmer, bei denen die Möglichkeit, dass ihnen während der Probezeit im Hinblick auf mangelnde Eignung und nicht etwa betriebsbedingt gekündigt worden ist, nicht gezählt worden. Die Arbeitnehmer, die in der Gruppe Abformung befristet beschäftigt waren, sind - anders als in dem vom Hessischen Landesarbeitsgericht zu überprüfenden Sachverhalt - nicht aufgrund der Befristung ihrer Arbeitsverhältnisse ausgeschieden. Die Beklagte hat nicht das Auslaufen der Arbeitsverhältnisse durch die jeweiligen Befristungen - zum 31.05.2003, 31.07.2003, 31.08.2004, 30.09.2003 und 28.02.2006, wie sich aus der Anlage B 3 zum Schriftsatz vom 21.07.2003, Bl. 44 d.A. ergibt - abgewartet und zum Anlass genommen, Stellen einzusparen. Es sind vielmehr sämtliche Arbeitsverhältnisse zu vorhergehenden Terminen beendet worden, überwiegend zum 31.03.2003 und in einem Fall zum 30.06.2003, wie aus der erwähnten Anlage ersichtlich wird. Es verhält sich also gerade so, dass die betroffenen Arbeitnehmer anders als solche, die aufgrund einer Befristung ausscheiden, einen - wenn auch möglicherweise eher gering zu bewertenden - für § 111 BetrVG bedeutsamen Nachteil gerade durch die unternehmerische Planung der Antragsgegnerin erlitten haben (vgl. dazu BAG 02.08.1983 - 1 AZR 516/81 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr 12). Sie sind zumindest früher bei der Antragsgegnerin ausgeschieden, als es der Fall gewesen wäre, wenn die Befristung zum Tragen gekommen wäre.

cc) Schließlich steht der Annahme einer Betriebsänderung aufgrund der 16 Entlassungen im November 2002 und Januar 2003 nicht entgegen, dass diese zeitversetzt erfolgten und nicht für sich genommen den nach § 17 KSchG erforderlichen Prozentsatz erreichen. Das Arbeitsgericht hat die beiden Entlassungswellen zu Recht als Einheit gesehen und nicht getrennt betrachtet.

(1) Eine wesentliche Betriebseinschränkung durch Personalabbau im Sinne des Betriebsverfassungsrechts kann sich auch aus einer zusammenfassenden Betrachtung mehrerer Maßnahmen ergeben (BAG 19.01.1999 - 1 AZR 342/98 - NZA 1999, 949 = jurisRz 44; 27.06.2002 - 2 AZR 489/01 - jurisRz 28). Die zeitliche Beschränkung in § 17 KSchG von 30 Kalendertagen gilt vorliegend nicht. Die Frist ist allein auf die Belastung des Arbeitsmarktes zugeschnitten und im Rahmen der §§ 111, 112 BetrVG nicht heranzuziehen. Es kommt vielmehr nur darauf an, wie viele Arbeitnehmer voraussichtlich von der unternehmerischen Maßnahme insgesamt getroffen werden können, mag ihre Durchführung auch stufenweise erfolgen und sich über einen längeren Zeitraum hinziehen (BAG 22.05.1979 - 1 ABR 17/77 - AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 4 = jurisRz 41).

In der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte wird als Voraussetzung für die Zusammenrechnung von Kündigungen, die zu verschiedenen Zeitpunkten ausgesprochen worden sind, das Vorliegen eines Gesamtplanes, auf dem sämtliche Kündigungen beruhen, angesehen (LAG Düsseldorf 14.05.1986 - 6 TaBV 18/86 - LAGE BetrVG 1972 § 111 Nr. 4; LAG Köln 21.02.1997 - 11 Sa 271/96 - NZA-RR 1898, 24; LAG Thüringen 22.07.1998 - 6/4 Sa 216/97, jurisRz. 26). Das Bundesarbeitsgericht hat einen engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang, ein Zurückgehen auf eine einheitliche Konzeption als wesentlich erachtet (BAG 19.01.1999 aaORz. 44; 11.11.1997 aaORz. 32, 33).

(2) Von diesen Maßstäben ausgehend ist eine einheitliche Betrachtung der Kündigungen vom November 2002 und Januar 2003, wie sie das Arbeitsgericht vorgenommen hat, geboten.

(a) Zwischen der ersten und der zweiten Entlassungswelle besteht ersichtlich ein enger zeitlicher Zusammenhang. Auch ein sachlicher Zusammenhang ist zu bejahen. Er ergibt sich aus der wirtschaftlichen Situation der Arbeitgeberin, wie sie sie in der Betriebsversammlung im November 2002 dargestellt hat (vgl. dazu BAG 11.11.1997 aaORz. 35). In dieser Situation hat sie das Konzept entwickelt, unter anderem durch personelle Maßnahmen Kosten zu sparen. Es sollten einmal die schon auf der Betriebsversammlung angesprochenen zehn Kündigungen erfolgen, um entsprechende Einsparungen durch Wegfall der Entgeltkosten zu erzielen. Zum anderen sollte der "Transfer" der Abformung durchgeführt werden. Es sollten den dort tätigen Arbeitnehmern gegenüber Versetzungen zur Außenstelle VV ausgesprochen werden. Ziel dieser personellen Maßnahmen war es ebenfalls, Personalkosten zu sparen. Dass die Antragsgegnerin kurze Zeit später - nämlich im Januar 2003 -, nachdem sich die Versetzungen nicht wie gewünscht durchsetzen ließen, statt Versetzungen eine Reihe von Kündigungen im Bereich Abformung aussprach, liegt - auch wenn nicht schon von Anfang an geplant - in der Konsequenz des ursprünglichen Konzepts und setzt dieses in abgewandelter Form um. Denn die Arbeitgeberin erreicht auch auf diese Weise die Entlastung von Personalkosten im Bereich Abformung sowie - wie es im Schreiben der Antragsgegnerin an die Einigungsstelle (Anlage B1 zum Schriftsatz vom21.07.2003) formuliert ist - die Schließung der Gruppe Abformung in AA und Durchführung der verbleibenden Arbeiten in VV.

(b) Die hier vorliegende Konstellation unterscheidet sich demnach entscheidend etwa von derjenigen des Arbeitgebers, der während eines anhaltenden Auftragsrückgangs in allgemein schwierigen wirtschaftlichen Zeiten sukzessive Personal abgebaut hat und sich dann wegen des unvorhergesehenen Wegfalls eines ständigen Auftraggebers zu weiteren Kündigungen entschließt (so im Falle BAG 06.06.1978 - 1 AZR 495/75 - AP BetrVG 1972 Nr. 2). Denn ein solcher Entschluss stellt anders als der hier im Januar 2003 getroffene die Reaktion auf eine weitere wirtschaftliche Veränderung dar, für die eine Konzeption nicht vorlag. Nichts anderes gilt für den der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln, die die Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung anführt, zu Grunde liegenden Sachverhalt, dass der Arbeitgeber bei einem Personalabbau schrittweise vorgehen und die jeweilige wirtschaftliche Entwicklung abwarten will (LAG Köln aaO).

Die Antragsgegnerin hatte hingegen konkrete Vorstellungen entwickelt, wie den wirtschaftlichen Problemen, die sich ja bis zum Beginn des Jahres 2003 nicht verändert hatten, begegnet werden sollte. Dass sie statt der Versetzungen nach VV, die sie von erheblichen Teilen der Entgeltkosten der Gruppe Abformung entlasten sollte, angesichts des Widerspruchs des Betriebsrats Kündigungen ausgesprochen hat, beruhte zwar auf einem neuen Entschluss, lag aber gerade auf der Linie des ursprünglichen Plans, die Gruppe Abformung in der Betriebsstätte AA nicht verbleiben zu lassen und das Unternehmen von den hier anfallenden Personalkosten zu entlasten.

(c) Damit ist aber mit dem Arbeitsgericht hinsichtlich der Entscheidung vom Januar 2003 die Parallele zu ziehen zu derjenigen eines Arbeitgebers, der sich nach einer Teilbetriebsveräußerung und dem Widerspruch von Arbeitnehmern gegen den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber nunmehr dazu veranlasst sieht, den widersprechenden Arbeitnehmern betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.

Für den Fall, dass ein Arbeitgeber zunächst plant, einen Betriebsteil zu veräußern und einen weiteren Betriebsteil stillzulegen, der für sich betrachtet keinen wesentlichen im Sinne des § 111 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG i.V.m. § 17 KSchG darstellt, es aber nach der Betriebsveräußerung zu betriebsbedingten Kündigungen kommt, weil ein Teil der Arbeitnehmer den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber widersprochen hat, hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass eine Zusammenrechnung zu erfolgen hat. Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich um die Einschränkung eines wesentlichen Betriebsteil handelt, sind nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sowohl die zunächst gegenüber den Arbeitnehmern des zu schließenden Restbetriebes ausgesprochenen als auch diejenigen Kündigungen zusammenzurechnen, die darüber hinaus den widersprechenden Arbeitnehmern ausgesprochen wurden (BAG 10.12.1996 - 1 AZR 290/96 - jurisRz. 26; bestätigt von BAG 19.01.1999 - aaORz. 40). Das Bundesarbeitsgericht hat diese Zusammenrechnung vorgenommen, obwohl die Arbeitgeberin die widersprechenden Arbeitnehmer an sich hätte weiter beschäftigen können, aber nach dem Widerspruch der Arbeitnehmer in Verfolgung ihres ursprünglichen Ziels, den Restbetrieb stillzulegen, den -neuen und zeitlich nach der Entscheidung über die ersten Kündigungen liegenden -Entschluss gefasst hat, auch diesen zu kündigen (BAG 10.12.1996 aaORz. 28).

b) Wie das Arbeitsgericht zu Recht angenommen hat, steht die Regelung des § 112 a BetrVG der Sozialplanpflichtigkeit der vorliegenden Betriebseinschränkung iSv § 111 BetrVG, die aufgrund der Entlassung von insgesamt 16 Arbeitnehmern im November 2002 und Januar 2003 anzunehmen war, nicht entgegen.

aa) Die Vorschrift legt für erzwingbare Sozialpläne höhere Prozentsätze, als sie in § 17 KSchG enthalten sind, nur für den Fall fest, dass der Personalabbau ohne Änderung der sächlichen Betriebsmittel erfolgt (Richardi Betriebsverfassungsgesetz 7. Auflage § 112 a Rz 6; F/K/H/E/S Betriebsverfassungsgesetz 21. Auflage §§ 112, 112 a Rz 82; DKK 8. Auflage § 112, 112 a Rz 53). Wird hingegen auch die organisatorische oder die sächliche Leistungsfähigkeit etwa durch das Stilllegen von Maschinen und Arbeitsgeräten eingeschränkt, bleibt die Staffel nach § 17 KSchG maßgebend (RichardiaaORz 8; F/K/H/E/S aaO).

bb) Vorliegend ging der Personalabbau einher mit der Stilllegung von Maschinen und Arbeitsgeräten.

Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten in den in Anschluss an die Anhörung im schriftlichen Verfahren gewechselten Schriftsätzen sind die Colinpräge seit Herbst 2003 und die halbautomatische Präge etwa seit Sommer 2003 nicht mehr in Benutzung, die Spritzgussmaschine Arburg 370 wurde im Sommer 2004 verkauft. Es liegt also ein Ausrangieren von sächlichen Mitteln in zeitlicher Nähe (vgl zu diesem Gesichtspunkt D/K/K § 111 Rz 53) zu den zum Ende des ersten und des zweiten Quartals des Jahres 2003 vorgenommenen Entlassungen der Arbeitnehmer der Abformung vor. Unabhängig von der zwischen den Beteiligten streitigen Frage der Auslastung der Geräte und unabhängig auch von der Frage, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang den organisatorischen Veränderungen und Versetzungen aufgrund der Kündigungen vom November 2002 zukommt, ist damit eine Betriebsänderung allein durch Entlassung von Arbeitnehmern ohne Änderung der sächlichen Betriebsmittel zu verneinen.

c) Dem Antragsteller steht somit nach dem bisher Ausgeführten das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplanes zu, wobei es unerheblich ist, dass die Betriebsänderung schon durchgeführt worden ist (RichardiaaO § 112 Rn 65). Die Frage, ob etwa auch unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung oder Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteils, als den der Betriebsrat die Gruppe Abformung sieht, ein Mitbestimmungsrecht anzunehmen ist, konnte deshalb dahinstehen.

Nachdem sich der Hauptantrag als begründet erweist, sind die hilfsweise vom Betriebsrat gestellten Anträge nicht zur Entscheidung gestellt.

Die Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, beruht auf §§ 92 Abs. 2, 72 Abs. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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