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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 18.04.2005
Aktenzeichen: 2 TaBV 15/05
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 98
BetrVG § 21 a
BetrVG § 21 b
BetrVG § 24
BetrVG § 111
BetrVG § 112
BGB § 613 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 2 TaBV 15/05

Verkündet am: 18.04.2005

Tenor:

1) Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 10.02.2005 - 10 BV 16/05 - wird zurückgewiesen.

2) Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 2) hat bis Ende des Jahres 2004 ein Callcenter in M. betrieben. Bei ihr waren insgesamt 191 Arbeitnehmer beschäftigt und es existierte ein neunköpfiger Betriebsrat. Die Beteiligte zu 2) hat diesen Betrieb im Wege eines Betriebsübergangs auf die neu gegründete Beteiligte zu 3) mit Wirkung vom 01.01.2005 übertragen. Im Übertragungszeitpunkt sind zunächst alle Arbeitnehmer zur neuen Arbeitgeberin, der Beteiligten zu 3), übergewechselt. Nach rund einer Woche Tätigkeit haben dann 60 Arbeitnehmer dem Betriebsübergang auf die Beteiligte zu 3) widersprochen.

Daraufhin hat die Beteiligte zu 2), also die alte Arbeitgeberin, Ende Januar 2005 die Arbeitsverhältnisse der widersprechenden Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen gekündigt bzw. - soweit erforderlich - ein Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet.

Unter den 60 widersprechenden Arbeitnehmern befanden sich auch drei Betriebsratsmitglieder. Nach dem Widerspruch sind bei der Beteiligten zu 3) für die drei widersprechenden Betriebsratsmitglieder drei Ersatzmitglieder nachgerückt.

Dieses neue Gremium, also exklusive der widersprechenden Betriebsratsmitglieder und inklusive der nachgerückten Ersatzmitglieder, hat sodann den Beschluss gefasst, bei der Beteiligten zu 2) (alter Arbeitgeber) ein Einigungsstellenverfahren wegen der Erstellung eines Sozialplans zu installieren. Nachdem eine einvernehmliche Regelung nicht zustande gekommen ist, hat der Betriebsrat der Beteiligten zu 3) in seiner neuen Zusammensetzung beschlossen, das vorliegende Verfahren nach § 98 ArbGG einzuleiten.

Mit Schriftsatz vom 31.01.2005 - Eingang beim Arbeitsgericht Mainz am 02.02.2005 - hat dieser Betriebsrat ein entsprechendes Beschlussverfahren eingeleitet. In der Antragsschrift sind als weitere Beteiligte die frühere Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2)) und die neue Arbeitgeberin (Beteiligte zu 3)) angegeben.

Der antragstellende Betriebsrat hat darauf hingewiesen, dass die alte Arbeitgeberin betriebsbedingte Kündigungen in einer derartigen Anzahl ausgesprochen hat, dass ein Sozialplan wegen einer von der Beteiligten zu 2) geplanten Betriebsänderung nach §§ 111, 112 BetrVG zu erstellen sei. Der Betriebsübergang sei vorliegend mit weiteren organisatorischen Maßnahmen verbunden gewesen, wodurch die Tatbestandsvoraussetzungen einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG erfüllt seien.

Der antragstellende Betriebsrat hat beantragt,

1. den Richter am Arbeitsgericht O. J. Z. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Regelung eines Sozialplanes wegen einer von der Beteiligten zu 2) vorgenommenen Betriebsänderung zu bestellen,

hilfsweise,

den Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Regelung eines Sozialplanes wegen einer von der Beteiligten zu 2) vorgenommenen Betriebsänderung zu bestellen,

2. die Zahl der Beisitzer auf drei je Betriebspartei festzulegen,

hilfsweise,

die Zahl der Beisitzer festzulegen.

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben jeweils beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 2) hat vorsorglich erklärt, mit dem vorgeschlagenen Einigungsstellenvorsitzenden nicht einverstanden zu sein.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 10.02.2005, auf dessen Tatbestand zur näheren Sachverhaltsdarstellung hiermit Bezug genommen wird, die Anträge des Betriebsrates zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es angegeben, die Einigungsstelle sei vorliegend offensichtlich unzuständig, weil nicht erkennbar sei, weshalb aufgrund des Betriebsübergangs eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung vorliege. Allein durch den Inhaberwechsel liege keine Betriebsänderung vor. Sozialplanpflichtig sei auch nicht der Umstand, dass durch die Widersprüche die 60 Arbeitnehmer wieder zur alten Arbeitgeberin zurückgekehrt seien. Diese habe zuvor den gesamten Betrieb und nicht nur einen Betriebsteil veräußert gehabt. Wenn die alte Arbeitgeberin danach den widersprechenden Arbeitnehmern betriebsbedingt gekündigt habe, so liege darin keine sozialplanpflichtige Maßnahme.

Gegen diesen Beschluss hat der Betriebsrat form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt und diese in gleicher Weise begründet.

Nach Auffassung des Betriebsrates habe das Arbeitsgericht verkannt, dass zumindest wegen der Kündigungen der Arbeitsverhältnisse durch die alte Arbeitgeberin eine Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig sei. Der antragstellende Betriebsrat sei auch gemäß §§ 21 a, 21 b BetrVG für das vorliegende Verfahren zuständig. Dieser Betriebsrat handele im Rahmen eines bestehenden Restmandates gemäß § 21 b BetrVG. Diese Bestimmung soll gewährleisten, dass die Betriebsratskontinuität bei Maßnahmen wie im vorliegenden Fall sicher gestellt sei. Partei der Verhandlungen über den Sozialplan auf Arbeitnehmerseite sei folglich die jetzt als Betriebsrat der neuen Arbeitgeberin zu bezeichnende Arbeitnehmervertretung. Diese sei identisch mit dem Gremium, das vor dem Betriebs- (teil-) übergang bestanden habe.

Der Betriebsrat wiederholt im Beschwerdeverfahren seine erstinstanzlichen Anträge.

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung habe das Arbeitsgericht die Sach- und Rechtslage zutreffend entschieden. Im Übrigen habe das falsche Gremium das vorliegende Verfahren eingeleitet.

Die Beteiligte zu 3) hat sich am Beschwerdeverfahren nicht mehr beteiligt.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Anhörung vor dem Beschwerdegericht waren sowie auf die zu den Sitzungsniederschriften getroffenen Feststellungen Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet und erweist sich auch sonst als zulässig. Insbesondere ist die Beschwerde nicht deshalb unzulässig, weil eventuell das unzuständige Gremium entschieden haben könnte. Geht es gerade um die Frage der Zuständigkeit, dann wird das beschließende Gremium (hier: der Betriebsrat in seiner neuen personellen Konstellation bei der neuen Arbeitgeberin) als Verfahrens- und Beteiligtenbefugt zur Einlegung eines Rechtsmittels angesehen.

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend den Antrag des Betriebsrates auf Errichtung einer Einigungsstelle durch gerichtliche Entscheidung im Rahmen von § 98 ArbGG zurückgewiesen.

Der antragstellende Betriebsrat ist nicht antragsbefugt. Soweit er das vorliegende Verfahren betreibt als originärer Betriebsrat der Beteiligten zu 3) (neue Arbeitgeberin), fehlt ihm die Rechtsbefugnis, mit der alten Arbeitgeberin einen Sozialplan im Hinblick auf die Kündigung der 60 dem Betriebsübergang widersprechenden Arbeitnehmer abschließen zu können. Der das vorliegende Verfahren betreibende Betriebsrat ist das Gremium der neuen Arbeitgeberin und hat als originärer Betriebsrat dieser Arbeitgeberin nicht das Recht, mit einer anderen Arbeitgeberin einen Sozialplan abzuschließen, weil er nicht der Betriebsrat der Beteiligten zu 2) ist.

Soweit sich der antragstellende Betriebsrat darauf beruft, seine Antragsbefugnis ergebe sich aus dem Umstand der Wahrnehmung eines Restmandates als Betriebsrat bei der alten Arbeitgeberin, war er nicht richtig zusammengesetzt.

Im Termin zur Anhörung der Beteiligten vor dem Beschwerdegericht stellte der antragstellende Betriebsrat klar, dass er das vorliegende Verfahren allein unter dem Aspekt der Wahrnehmung eines Restmandates betreibt. Soweit er sich hierzu auf die §§ 21 a und 21 b BetrVG beruft, liegen die Voraussetzungen dieser Bestimmungen vorliegend nicht unmittelbar vor. Der bisherige Betrieb wurde weder gespalten noch teilweise nur auf die neue Arbeitgeberin übertragen, sondern im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB komplett auf die anlässlich des Betriebsübergangs neu gegründete Beteiligte zu 3) übertragen. Diese neue Arbeitgeberin hat auch ausschließlich nur die Arbeitnehmer der alten Arbeitgeberin übernommen und diese nicht etwa in einen bestehenden Betrieb mit eingegliedert. Trotzdem finden vorliegend die Rechtsfolgen aus § 21 b BetrVG analoge Anwendung. Schon vor der Neuregelung in den §§ 21 a), 21 b) BetrVG entsprach es ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass ein Betriebsrat zur Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte anlässlich einer Betriebsstilllegung grundsätzlich ein Restmandat behält und zwar auch dann, wenn er im Zeitpunkt der Betriebsstilllegung nicht mehr im Amt ist (vgl. etwa BAG, AP Nr. 20 zu § 111 BetrVG 1972). Das Restmandat ist funktionalbezogen auf alle im Zusammenhang mit der Stilllegung sich ergebenden betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte (BAG, AP Nr. 63 zu § 112 BetrVG 1972). Dazu gehören insbesondere der Abschluss eines Sozialplans gemäß § 112 BetrVG (BAG, AP Nr. 123 zu § 112 BetrVG 1972) und die betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben, die sich daraus ergeben, dass trotz tatsächlicher Stilllegung des Betriebs noch nicht alle Arbeitsverhältnisse rechtlich beendet sind und evtl. einzelne Arbeitnehmer mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt werden.

Weder in § 21 a) noch in § 21 b) BetrVG gibt es allerdings eine Regelung, in welcher personellen Zusammensetzung der Betriebsrat das Übergangs- bzw. das Restmandat auszuüben hat. Das Restmandat ist anders als das Übergangsmandat kein Vollmandat, sondern nur ein nachwirkendes Mandat, das durch die mit der Abwicklung des Betriebes einhergehenden betriebsverfassungsrechtlichen Rechte ausgefüllt wird (BAG, AP Nr. 5 zu § 24 BetrVG 1972; Richardi/Thüsing, BetrVG, 8. Aufl., § 21 b, Rz 7). Sowohl während der Dauer eines Übergangs- als auch eines Restmandates bleibt der Betriebsrat in seiner bisherigen personellen Zusammensetzung bestehen und ist insoweit für die noch zu erledigenden Arbeiten zuständig. Das Restmandat ist daher von dem Betriebsrat auszuüben, der bei Beendigung des Vollmandats im Amt war (BAG, AP Nr. 5 zu § 24 BetrVG 1972; Erfurter Kommentar/Eisemann, 5. Aufl., § 21 b BetrVG, Rz 4). Die Mitglieder des Betriebsrates beim alten Arbeitgeber verlieren nicht dadurch ihr Restmandat, dass sie im Wege des § 613 a BGB auf einen anderen Arbeitgeber übergegangen sind. Sie sind damit zwar beim bisherigen Arbeitgeber ausgeschieden, sie üben trotzdem nachwirkend ihr bisheriges Betriebsratsamt als Restmandat dort aus.

Das vorliegende Verfahren hat aber nicht der ehemalige Betriebsrat der alten Arbeitgeberin betrieben, sondern formell und ausdrücklich der Betriebsrat der neuen Arbeitgeberin. Schon vorgerichtlich haben sich die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates für dieses Gremium bei der alten Arbeitgeberin bestellt gehabt.

Im Streitfalle kann das richtige Gremium auch nicht durch Auslegung ermittelt werden, nachdem der antragstellende Betriebsrat im Anhörungstermin klar gestellt hat, dass er das vorliegende Verfahren in Ausübung seines Restmandates ausübt. Zwar wäre eine solche Auslegung mit der Folge einer entsprechenden Rubrumsberichtigung bzw. zumindest Klarstellung in den Entscheidungsgründen des vorliegenden Beschlusses dann evtl. möglich, wenn das alte und das neue Betriebsratsgremium personell identisch wäre. Die personelle Identität blieb im Zeitpunkt des Betriebsübergangs unverändert, weil alle Arbeitnehmer auf die neue Arbeitgeberin übergegangen sind, darunter auch alle neun Betriebsratsmitglieder. Allerdings haben nach Ablauf von rund einer Woche 60 Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widersprochen mit der Folge, dass sie wieder zum alten Arbeitgeber zurückgekehrt sind; unter den Widersprechenden haben sich auch drei Betriebsratsmitglieder befunden. Da sie durch den Widerspruch aus dem Betriebsratsgremium bei der neuen Arbeitgeberin ausgeschieden sind, sind an ihrer Stelle drei Ersatzmitglieder nachgerückt. Diese drei widersprechenden Betriebsratsmitglieder haben auch nicht ihr Restmandat niedergelegt mit der Folge, dass in diesem Fall die Ersatzmitglieder nachgerückt wären (Fitting, Engels, Schmidt, Trebinger, Linsenmaier, BetrVG, 22. Aufl., § 21 b Rz 15). Wenn aber das Restmandat von dem alten Betriebsrat ausgeübt wird, so geschieht dies auch in der alten personellen Zusammensetzung. Die drei dem Betriebsübergang widersprechenden Betriebsratsmitglieder haben unstreitig an dem Beschluss zur Einleitung des vorliegenden Verfahrens nicht mitgewirkt, sondern die nachrückenden Ersatzmitglieder waren an ihrer Stelle an der Beschlussfassung beteiligt. In diesem Fall hat ein Gremium in einer fehlerhaften personellen Zusammensetzung entschieden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Gremium in seiner richtigen personellen Zusammensetzung gegebenenfalls anders entschieden hätte.

Ob die Auffassung des Arbeitsgerichts richtig ist, dass eine Einigungsstelle zur Aufnahme von Sozialplanverhandlungen im Hinblick auf die ausgesprochenen Kündigungen der 60 Arbeitnehmer, die dem Betriebsübergang widersprochen haben, auch offensichtlich unzuständig sein soll, kann vorliegend dahingestellt bleiben.

Ein Rechtsmittel ist gegen diese Entscheidung nicht gegeben, da die Rechtsbeschwerde im Verfahren nach § 98 ArbGG nicht eröffnet ist.

Ende der Entscheidung

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