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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 19.01.2006
Aktenzeichen: 4 Sa 791/05
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG


Vorschriften:

BetrVG § 95
BetrVG § 102
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 2
KSchG § 1 Abs. 4
KSchG § 1 Abs. 5
KSchG § 1 Abs. 5 Satz 1
KSchG § 1 Abs. 5 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 4 Sa 791/05

Entscheidung vom 19.01.2006

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 08.06.2005 - 4 Ca 1694/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die Parteien ist eine Herstellerin maßgefertigter Türen und Fenster. Nach ihrer Darstellung erlitt sie in den zurückliegenden Jahren mehrfach Auftragseinbrüche, die verursacht waren durch nachlassende Bautätigkeiten im Wohnungs-, Industrie- und Bürogebäudebau. Anlass der Kündigung war nach Darstellung der Beklagten eine abermalige kritische Unternehmenssituation im Sommer 2004.

Zu Beginn dieser Entwicklung vereinbarte die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat am 05./06.08.2004 eine Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG für etwaige Personalabbaumaßnahmen. Auf den Inhalt der Richtlinie, die zu den Gerichtsakten gereicht wurde und Gegenstand des Sachvortrages in erster Instanz war, wird verwiesen.

Im weiteren Verlauf wurde am 27.09.2004 ein Interessenausgleich mit Namensliste sowie ein Sozialplan zwischen den Betriebsparteien unterzeichnet. Auf die bei den Gerichtsakten befindliche Kopie wird ebenfalls verwiesen. Mit Schreiben vom 13.09.2004 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur geplanten Kündigung unter Aushändigung eines Anhörungsbogens nebst Anlage an. Als Kündigungsgrund wird eine betriebsbedingte Kündigung wie mündlich besprochen mit dem Betriebsrat angegeben. In den Gerichtsakten befindet sich eine Kopie eines vom Betriebsratsvorsitzenden unterschriebenen Vermerkes vom 15.09.2004, wonach der Betriebsrat die Zustimmung erteilt hat. Der Interessenausgleich und der Sozialplan wurden am 27.09.2004 unterzeichnet. Die Beklagte gab an, der Interessenausgleich sei sodann mit einer Vereinbarung über die Anhebung der Arbeitszeit von 36 oder 40 Stunden pro Woche von den Betriebsparteien unterzeichnet worden, eine frühere Unterzeichnung sei nicht erfolgt, weil der Betriebsrat beide Vereinbarungen miteinander verknüpfen wollte. Im Zusammenhang mit einer Massenentlassungsanzeige gibt die Beklagte an, am 28.09.2004 sei eine vorsorgliche Anzeige von Entlassungen an die Bundesagentur für Arbeit, Dienststelle X. übergeben worden. Sie habe sodann die Auskunft erhalten, dass die Voraussetzungen der Anzeigepflicht nicht vorlägen.

Gegen die am 28.09.2004 ausgesprochene, ihm am 29.09. zugegangene Kündigung hat der Kläger am 05.10.2004 zu Protokoll der Geschäftsstelle Kündigungsschutzklage erhoben.

Er hat vorgetragen, die Kündigung sei unwirksam, weder lägen dringende betriebliche Erfordernisse vor noch eine hinreichende Sozialauswahl. Der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeiten sei nicht nachvollziehbar, weil die Beklagte zum Teil erhebliche Überstunden abverlangt und bereichsweise zudem noch mit Leiharbeitnehmern gearbeitet habe. Das Personalkonzept der Beklagten sei unbeachtlich, da es von einer rechtlich unzulässigen Anhebung der wöchentlichen Arbeitszeit von 36 auf 40 Stunden pro Woche ausgehe.

Zudem sei die soziale Auswahl fehlerhaft erfolgt. Bereits die Einschränkung der Auswahl auf einzelne Bereiche in Gestalt der Auswahlrichtlinie sei nicht statthaft. Die Herausnahme einzelner Mitarbeiter aus der Sozialauswahl wegen vermeintlicher berechtigter betrieblicher Belange sei unwirksam, weil die von der Beklagten hervorgehobenen Eigenschaften für die Aufgabenerfüllung nicht relevant seien. Die betonten besonderen Fertigkeiten könne der Kläger ohne weiteres binnen kürzester Frist erwerben. Aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit sowie seiner allgemeinen ausbildungsgemäßen oder beruflich erforderlichen Fähigkeiten sei er mit Mitarbeitern vergleichbar, die weniger Sozialpunkte aufwiesen.

Die Kündigung sei wegen mangelhafter Betriebsratsanhörung unwirksam und die Massenentlassunganzeige bei der Bundesagentur nicht vor Ausspruch der Kündigung erfolgt. Dies sei nach maßgeblicher Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs notwendig gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 28.09.2004, zugegangen am 29.09.2004 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Die betrieblichen Notwendigkeiten hätten vorgelegen und die erforderliche Sozialauswahl sei vorgenommen worden. Hinsichtlich der betrieblichen Notwendigkeit wirke sich die Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG aus. Hinsichtlich der getroffenen Sozialauswahl sei einerseits die Erleichterung des § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG zu berücksichtigen, da die gekündigten Mitarbeiter in der Namensliste des Interessensausgleichs aufgeführt gewesen seien. Es komme schließlich auch § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG zur Anwendung. Die Herausnahme der von ihr angeführten Mitarbeiter beruhe auf berechtigten betrieblichen Interessen infolge der in der Anlage zum Anhörungsbogen für den Betriebsrat näher ausgeführten Umstände.

Dem Betriebsrat seien die gesamten Kündigungsgründe dargelegt und im einzelnen erläutert worden.

Die Rechtmäßigkeit der Kündigung scheitere auch nicht an einer unterlassenen Massenentlassungsanzeige. Die Anzeige sei am 28.09.2004 gegenüber dem Mitarbeiter der örtlichen Agentur in X. erfolgt. Dieser habe erklärt, dass die Grenzzahl von 30 Entlassungen binnen 30 Tagen nicht erreicht sei und infolge dessen auch keine Massenentlassungsanzeige notwendig gewesen sei. Erstinstanzlich hat die Beklagte hierzu Austrittszahlen vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 08.06.2005 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen und im Wesentlichen ausgeführt, die Unwirksamkeit der Kündigung folge aus der Nichtbeachtung der gebotenen Anzeige der Entlassungen vor Ausspruch der Kündigung. In diesem Zusammenhang hat das Arbeitsgericht die Auffassung vertreten, entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei eine wirksame Massenentlassungsanzeige vor Ausspruch der Kündigung und nicht erst vor tatsächlichem Austritt des Arbeitnehmers notwendig.

Gegen das der Beklagten am 01.09.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.09.2005 eingelegte Berufung, die am 07.10.2005 begründet wurde. Die Beklagte bekämpft mit Tatsachen- und Rechtserwägungen die Entscheidung des Arbeitsgerichts, wonach eine unwirksame Massenentlassungsanzeige vorläge, welche auch auf die Wirksamkeit der Kündigung durchschlage. Dies sei mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht vereinbar und widerspreche auch Vertrauensgesichtspunkten. Daran ändere auch die so genannte "Junk-Entscheidung" des EuGH nichts.

Im Übrigen seien Betriebsbedingtheit der Kündigung und zutreffende soziale Auswahl nicht zu beanstanden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 08.06.2005, zugestellt am 01.09.2005, Aktenzeichen: 4 Ca 1694/04 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und bestreitet nochmals eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung. Hierzu nimmt er Bezug auf den Inhalt des Anhörungsschreibens, in dem seine persönlichen Angaben fehlerhaft wiedergegeben seien, er sei männlich und verheiratet, obwohl im Anhörungsbogen sein Familienstand mit ledig und seine Tätigkeit als Produktionsarbeiterin angegeben ist. Im Übrigen sei die Sozialauswahl grob fehlerhaft. Diese hätte sich nicht auf einzelne Abteilungen beschränken dürfen. Der Kläger weist darauf hin, dass der Interessenausgleich und Sozialplan im Zeitpunkt der Betriebsratsanhörung noch nicht abgeschlossen worden waren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen zum Sitzungsprotokoll vom 01.12.2005.

Ein zwischen den Parteien abgeschlossener Vergleich mit Widerrufsvorbehalt wurde vom Kläger rechtzeitig widerrufen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 520 ZPO).

Das Rechtsmittel der Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

II.

Die Kündigungsschutzklage ist begründet, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 28.09.2004 aufgelöst wurde.

Dabei kann für die Entscheidung des Rechtsstreits dahin stehen, ob die Auffassung des Arbeitsgerichts zutreffend ist, dass nach der Rechtsprechung des Eurpäischen Gerichtshofs in der so genannten Junk-Entscheidung Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung die vor Ausspruch der Kündigung erfolgte wirksame Massenentlassungsanzeige ist und sich die Beklagte hierbei nicht auf Vertrauensgesichtspunkte berufen darf.

Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien deswegen nicht aufgelöst, weil sie zum einen sozial ungerechtfertigt ist und zum anderen eine fehlerhafte Betriebsratsanhörung vorliegt.

Die fehlerhafte Betriebsratsanhörung ergibt sich schon daraus, dass dem Betriebsrat die Daten des zu kündigenden Arbeitnehmers fehlerhaft mitgeteilt wurden.

Der Kläger ist verheiratet, dies war der Beklagten auch bekannt, wie sich schon daraus ergibt, dass in den vorliegenden Listen über die Sozialdaten die Steuerklasse mit III angegeben ist.

Der Kläger ist männlich, gleichwohl ist im Anhörungsbogen zum Betriebsrat seine Tätigkeit als die einer "Produktionsarbeiterin" beschrieben.

Für die Kammer kann daher schon nicht einmal festgestellt werden, ob dem Betriebsrat die Identität des zu kündigenden Arbeitnehmers wirksam mitgeteilt wurde. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sich der Betriebsrat aus sonstigen Unterlagen Kenntnis über die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers angesichts der zu möglichen Fehlern führenden Identifikation im Anhörungsschreiben verschaffen konnte.

Zu Gunsten der Beklagten unterstellt die Kammer weiter, dass über die rudimentäre Angabe zum Kündigungsgrund im Anhörungsbogen der Betriebsrat über die Gründe, die zur ausgesprochenen Kündigung führten, mündlich informiert war bzw. diese Kenntnis aus den vorangegangenen, wenn auch noch nicht vollständig abgeschlossenen Interessenausgleichs Verhandlungen hatte.

Zur Berücksichtigung von Kündigungsgründen, die dem Betriebsrat mitgeteilt wurden, gibt es eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kammer anschließt.

Danach dürfen Gründe, die dem Betriebsrat nicht mitgeteilt wurden, im nachfolgenden Kündigungsschutzverfahren nicht zur Stützung der Kündigung herangezogen werden. Die Betriebsratsanhörung als solche ist, wenn die sonstigen Formalien eingehalten werden, zwar fehlerfrei erfolgt, d. h. allein auf eine Unwirksamkeit nach § 102 BetrVG kann die Entscheidung nicht gestützt werden. Dem Arbeitgeber ist es aber verwehrt, sich auf die nicht mitgeteilten Gründe zu berufen.

Der vorliegende Fall ist durch die Besonderheit geprägt, dass der Interessenausgleich mit Namensliste und der Sozialplan erst nach der Anhörung des Betriebsrates abgeschlossen wurden.

Es handelte sich hierbei nicht wie von der Beklagten darzustellen versucht, um eine bloße Formalität bei ansonsten bereits fest abgeschlossenen Verhandlungen.

Der Interessenausgleich und der Sozialplan werden als Betriebsvereinbarung erst mit der Unterzeichnung, der schriftlichen Niederlegung, rechtswirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt liegt eine Betriebsvereinbarung nicht vor.

Der Meinung der Beklagten, die Unterschrift sei lediglich Formsache gewesen, kann sich die Kammer nicht anschließen. Wie die Beklagte dargestellt hat, wollte der Betriebsrat mit der Unterzeichnung über den Interessenausgleich und den Sozialplan eine Verknüpfung mit einer noch abzuschließenden Vereinbarung über die Arbeitszeit erreichen. Gerade diese Verknüpfung zeigt, dass eine endgültige wirksame Vereinbarung zwischen den Betriebspartnern im Zeitpunkt der Anhörung des Kündigungsschreibens gerade noch nicht vorgelegen hat, denn sonst macht es wenig Sinn, eine bereits als sicher feststehende Vereinbarung als Verhandlungsmaterial in noch abzuschließende weitere Betriebsvereinbarungen einzubringen.

Steht somit fest, dass im Zeitpunkt der Anhörung des Betriebsrates ein Interessenausgleich mit Namensliste noch nicht vorhanden war, kann sich im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess die Beklagte nicht darauf berufen, die dringenden betrieblichen Erfordernisse zur Kündigung würden vermutet bzw. die Sozialauswahl sei lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen (§ 1 Abs. 5 KSchG). Diese Erleichterungen der Darlegung in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess kann die Beklagte schon deswegen nicht für sich in Anspruch nehmen, weil der Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste zum Zeitpunkt der Betriebsratsanhörung noch nicht vorlag, dem Betriebsrat also auch nicht mitgeteilt wurde bzw. als dem Betriebsrat bekannte Tatsache keiner besonderen Mitteilung mehr bedurft hätte.

Im vorliegenden Verfahren ist daher die betriebsbedingte Notwendigkeit der ausgesprochenen Kündigung sowohl im Hinblick auf dringende betriebliche Erfordernisse als auch auf die fehlerhafte Sozialauswahl uneingeschränkt zu überprüfen.

Selbst wenn dies nicht der Fall wäre, würde die Kündigung deswegen rechtsunwirksam sein, weil die Sozialauswahl von der Beklagten nicht fehlerfrei ausgeübt wurde bzw. bei zu Gunsten der Beklagten unterstellter Erleichterung hinsichtlich einer Überprüfung lediglich auf grobe Fehlerhaftigkeit, auch den erleichterten Prüfungsanforderungen nicht entspricht.

Von dem geschlossenen Interessenausgleich und der getroffenen Auswahlrichtlinie gingen keine Rechtwirkungen aus, welche die Untersuchung der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit einschränken. Beide Vereinbarungen leiden unter dem Systemfehler, dass sie bereits von vorneherein vergleichbare Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl ausgrenzten, in dem sie die Auswahl "Abteilungen" einschränkten, welche aber in der von der Beklagten darzustellen versuchten Abgrenzungen nicht gibt. Dies ergibt sich auch aus der Betriebsstruktur der Beklagten. Die Arbeitnehmer der Beklagten durchliefen im Bereich der Produktion als auch im Bereich der Verwaltung mehrere Abteilungen der Beklagten, ehe sie den zuletzt eingenommenen Arbeitsplatz erreichten. Sie alleine zum Zwecke einer Betriebsänderung auf die zuletzt belegte Abteilung zu beschränken, trägt diesen Verlauf nicht angemessen Rechnung. Hinzu kommt, dass Mitarbeiter ohne weiteres zwischen den Abteilungen hin und her verschoben wurden, wenn ein entsprechender Bedarf bestand. Mit der pauschalen Eingrenzung der Sozialauswahlrichtlinien auf einzelne Abteilungen lässt sich dies nicht vereinbaren. Den individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten der betroffenen Arbeitnehmer ist stattdessen Rücksicht zu gewähren. Demgemäß überschreiten die getroffenen Betriebsvereinbarungen den gesetzlich eingeräumten Regelungsspielraum der Betriebsparteien und entfalten nicht die in § 1 Abs. 4 und 5 KSchG niedergelegten besonderen Vermutungswirkungen.

Letztendlich hat die Beklagte versucht im Verfahren die Eingrenzung auf bestimmte Abteilungen durch Herausnahme von Leistungsträgern zu rechtfertigen. Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG sind in die soziale Auswahl Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. In dem der Gesetzgeber das bloße betriebliche Interesse nicht ausreichen lässt, sondern einschränkend fordert, das Interesse müsse berechtigt sein, gibt er zu erkennen, dass nach seiner Vorstellung auch ein vorhandenes betriebliches Interesse unberechtigt sein kann. Dies setzt aber voraus, dass nach dem Gesetz gegenläufige Interessen denkbar und zu berücksichtigen sind, die eine Ausklammerung von Leistungsträgern aus der Sozialauswahl auch dann entgegen stehen können, wenn sie bei isolierter Betrachtung des betrieblichen Interesses gerechtfertigt werden. Das Interesse des sozialschwächeren Arbeitnehmers ist im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG gegen das betriebliche Interesse an der Herausnahme des Leistungsträgers abzuwägen. Je schwerer dabei das soziale Interesse wiegt, um so gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein.

Die Darlegung der Beklagten erschöpft sich im Wesentlichen darin zu begründen, weswegen Mitarbeiter aus einer Abteilung nicht in die andere Abteilung übernommen werden können. Es wird hier pauschal und wiederholt jeweils vorgetragen, ohne durch konkrete Tatsachenangaben zu untermauern, dass Kenntnisse und Fertigkeiten verlangt werden, die ohne eine langwierige Einarbeitungszeit nicht von der klagenden Partei erarbeitet werden könne. Dies reicht zur Begründung der Herausnahme sämtlicher Arbeitnehmer, die nicht in der Abteilung des Klägers beschäftigt sind, nicht aus.

Auch bei Anwendung des Maßstabs der groben Fehlerhaftigkeit § 1 Abs. 5 KSchG muss die Entscheidung zu Gunsten des Klägers ausgehen. Die sich ergebende Gewichtung der sozialen Belange einerseits und der betrieblichen Interessen andererseits lässt jede Ausgewogenheit vermissen, wenn von vornherein die Auswahlentscheidung nur auf die einzelnen Abteilungen beschränkt wird.

Der Kläger hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Ordnungsgemäßheit der Sozialauswahl bereits daran scheitert, dass er lediglich mit Mitarbeitern der Abteilung Holz, Holz-Alufenster verglichen wurde. Der Kläger ist ausgebildeter Industrie-Mechaniker und kann daher ohne weiteres auch Tätigkeiten in den Abteilungen Aluminiumschalenproduktion, Haustürproduktion, Holzfertigung, Variant-Holzvorfertigung, Verladung erbringen.

Da die Beklagte von vornherein die Sozialauswahl lediglich auf die Abteilung Holzfensterproduktion beschränkt hat, ist davon auszugehen, dass in den anderen Abteilungen Mitarbeiter beschäftigt waren, die weitaus weniger sozial schutzwürdig als der Kläger sind und keine Kündigung erhalten haben. Letztendlich kam es damit nicht darauf an, ob die vom Kläger angesprochenen Mitarbeiter, mit denen er ebenfalls vergleichbar ist, aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten spezielle Eigenschaften besitzen, die sich der Kläger nicht aneignen kann. Es kommt auch nicht darauf an, ob eine Auswahl, sollte zu Lasten des Klägers im Verhältnis zum Mitarbeiter W., H., Sch., S. oder G. getroffen worden sein, eine noch ausreichende Berücksichtigung sozialer Belange darstellt.

Der Kammer drängt sich der Eindruck auf, als habe man eine Beschränkung der Sozialauswahl im Zusammenwirken mit dem Betriebsrat zunächst auf Abteilungen beschränkt, ohne die Berücksichtigung der Versetzbarkeit auch in andere Abteilungen in Erwägung zu ziehen und sodann, wenn es zur individuellen Auswahl kam, nicht nach dem vorher vereinbarten Puntkeschema vorzugehen, sondern mit der pauschal behaupteten Unentbehrlichkeit und den Spezialkenntnissen bzw. einer mehr als 6-monatigen Einarbeitungszeit zu begründen, weswegen die Auswahl dann auf den Kläger gefallen ist. Dies ist mit den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen sozialen Auswahl nicht zu vereinbaren.

Erweist sich nach allem die ausgesprochene Kündigung als rechtsunwirksam, musste die gegen das arbeitsgerichtliche Urteil mit der entsprechenden Feststellung gerichtete Berufung der Beklagten erfolglos bleiben.

Sie war mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht.

Ende der Entscheidung

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