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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 19.01.2009
Aktenzeichen: 5 Sa 466/08
Rechtsgebiete: MTV, ArbGG, ZPO, TVG


Vorschriften:

MTV § 14
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 518
ZPO § 519
TVG § 1
TVG § 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten werden die Urteile des Arbeitsgerichts Koblenz vom 28.05.2008 - 6 Ca 167/08 bis 6 Ca 171/08 - aufgehoben. 2. Die Klagen werden abgewiesen. 3. Die Klägerinnen haben die Kosten beider Rechtszüge zu je 1/5 zu tragen. 4. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob den nicht tarifgebundenen Klägerinnen ein Anspruch auf Zahlung von Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2007 gegenüber der Beklagten zusteht. Die Beklagte betreibt in N ein Kaufhaus. Sie beschäftigt ca. 110 Arbeitnehmer. Es besteht ein Betriebsrat. Die Beklagte war stets tarifgebunden durch Mitgliedschaft im Landesverband Einzelhandel Rheinland-Pfalz e.V.. Als Verbandsmitglied hat sie alle zwischen dem Landesverband Einzelhandel Rheinland-Pfalz e. V. und der ver.di - Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft e.V., Landesbezirk Rheinland-Pfalz, vereinbarten Tarifverträge des Einzelhandels Rheinland-Pfalz angewandt. Ihre Mitgliedschaft in diesem Landesverband hat sie nach ihrer Darstellung durch Austritt zum Ablauf des 31.12.2007 beendet. Bereits am 09.03.2007 hat die Beklagte mit Wirkung vom 01.03.2007 einen Haustarifvertrag mit dem Namen "Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung" abgeschlossen. Auf den Inhalt des Tarifvertrages wird Bezug genommen (Bl. 26 ff. d.A.). Die Klägerinnen sind langjährig bei der Beklagten als Verkäuferinnen beschäftigt. Den Arbeitsverträgen liegt ein Standardanstellungsvertrag für Angestellte des Einzelhandels zu Grunde, dessen § 14 im Wesentlichen lautet: "§ 14 Manteltarifvertrag

Diesem Anstellungsvertrag liegen die tariflichen Bestimmungen im Einzelhandel Rheinland-Pfalz in der jeweils gültigen Fassung zugrunde (...)." Die Klägerinnen haben in der Vergangenheit jährlich stets Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikationen gemäß den Vorschriften des Tarifvertrages über Sonderleistungen für die Beschäftigten des Einzelhandels in Rheinland-Pfalz erhalten. Die Beklagte hat diese Sonderleistungen im Jahr 2006 und 2007 gegenüber den Klägerinnen nicht ausgezahlt. Die Nichtzahlung erfolgt auf der Grundlage von § 4 des bereits dargestellten Haustarifvertrages, der folgenden Wortlaut hat: "§ 4 Regelungen zum Tarifvertrag über Sonderzahlungen Entgegen der Regelungen des Tarifvertrages über Sonderzahlungen werden folgende Regelungen zum Urlaubsgeld und zu den Sonderzahlungen vereinbart: 1. Sonderzahlungen Die Sonderzahlungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Jahre 2006 und 2007 entfallen. Sollte der geprüfte Jahresabschluss 2007 eine Nachsteuerrendite von mehr als 2,5 % ausweisen, wird für das Jahr 2007 anteilig eine Jahressonderleistung im Jahr 2008 gezahlt. Es wird darüber hinaus vereinbart, dass vor Auszahlung der Jahressonderzahlung die C GmbH eine Rücklage von 100.000 EUR bilden darf. Erst nachdem diese Rücklage gebildet worden ist, entsteht der anteilige Anspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. 2. Urlaubsgeld Für das Urlaubsgeld gelten die unter Abschnitt 1 dieses Paragraphen festgelegten Grundsätze." Die Klägerinnen haben vorgetragen,

ein Wegfall der an sich begründeten Ansprüche komme erst dann in Frage, wenn die Beklagte nachgewiesen habe, dass sie keine Nachsteuerrendite von mehr als 2,5 % für das Jahr 2007 erzielt habe. Im Übrigen könne der Tarifvertrag für die Beschäftigungssicherung auf ihre Arbeitsverhältnisse mit der Beklagten keine Anwendung finden. Da sie nicht tarifgebunden seien, könne die Gewerkschaft ver.di durch den genannten Tarifvertrag zu ihren Lasten nicht in ihre erworbenen Rechte eingreifen. Die Klägerin zu 1. hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.248,75 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 995,00 € seit 01.07.2007 und aus 1.253,75 € seit 01.12.2007 zu zahlen. Die Klägerin zu 2. hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.248,75 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 995,00 € seit 01.07.2007 und aus 1.253,75 € seit 01.12.2007 zu zahlen. Die Klägerin zu 3. hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.418,75 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 995,00 € seit 01.07.2007 und aus 1.423,75 € seit 01.12.2007 zu zahlen. Die Klägerin zu 4. hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.304,84 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 577,35 € seit 01.07.2007 und aus 727,49 € seit 01.12.2007 zu zahlen. Die Klägerin zu 5. hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.791,67 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 737,04 € seit 01.07.2007 und aus 1.045,63 € seit 01.12.2007 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt,

die Klagen abzuweisen. Die Beklagte hat vorgetragen,

der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung sei anwendbar. § 14 des Arbeitsvertrages stehe dem nicht entgegen; insoweit handelt es sich um eine sogenannte dynamische Verweisung. Dadurch wolle der Arbeitgeber, für den Arbeitnehmer erkennbar, auf die fachlich und betrieblich einschlägigen Tarifverträge Bezug nehmen. Zu diesen gehörten aber insbesondere auch Firmentarifverträge. Das Arbeitsgericht Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - hat den Klagen daraufhin durch Urteile vom 28.05.2008 - 6 Ca 171/08, 6 Ca 169/08, 6 Ca 168/08, 6 Ca 167/08, 6 Ca 170/08 - stattgegeben. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Blatt 44 bis 51 (5 Sa 466/08, 5 Sa 467/08, 5 Sa 468/08), Blatt 50 bis 56 d. A. (5 Sa 469/08) und Blatt 46 bis 53 d. A. (5 Sa 470/08) Bezug genommen. Gegen die hier zwischen dem 15. und 27.08.2008 zugestellten Urteile hat die Beklagte durch jeweils am 28.08.2008 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsätzen Berufung eingelegt. Sie hat die Berufungen durch zwischen dem 10. und 14.10.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Schriftsätze begründet. Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung gelte für die nicht tarifgebundenen Klägerinnen genauso, als ob sie tarifgebunden wären. Dies ergebe sich aus der im Arbeitsvertrag der Klägerinnen enthaltenen Gleichstellungsabrede. Damit habe gerade sicher gestellt werden sollen, dass die Klägerinnen weder besser noch schlechter als tarifgebundene Arbeitnehmer behandelt würden. Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird auf die Berufungsbegründungsschriften vom 10. bzw. 14.10.2008 Bezug genommen. Die Beklagte beantragt,

auf die Berufungen der Beklagten werden die Urteile des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied vom 28.05.2009 - 6 Ca 171/08, 6 Ca 169/08, 6 Ca 168/08, 6 Ca 167/08, 6 Ca 170/08 - wie folgt abgeändert: Die Klagen werden abgewiesen. Die Klägerinnen beantragen,

die Berufungen der Beklagten zurückzuweisen. Die Klägerinnen verteidigen die angefochtenen Entscheidungen unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und heben insbesondere hervor, maßgeblich sei, dass es sich vorliegend nicht um einen Verbandstarifvertrag, sondern lediglich um einen Haustarifvertrag handele, der von der arbeitsvertraglichen Bezugnahme nicht erfasst sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen. Schließlich wird Bezug genommen auf die Sitzungsprotokolle vom 01.12.2008 und vom 19.01.2009. Entscheidungsgründe:

I. Die Rechtsmittel der Berufungen ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufungen sind auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. II. Die Berufungen haben auch in der Sache Erfolg. Denn entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sind die Klagen der Klägerinnen - jedenfalls zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht - nicht begründet. Auszugehen ist zunächst mit dem Arbeitsgericht davon, dass den Klägerinnen gegen die Beklagte zunächst ein Anspruch auf tarifliches Urlaubsgeld als auch ein Anspruch auf Zahlung einer Sonderleistung gemäß den damals gültigen tariflichen Vorschriften zugestanden hat. Dies folgt aus dem Arbeitsvertrag der Klägerin. Entgegen der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts und der Klägerinnen konnten diese Regelungen des Tarifvertrages über Sonderleistungen über die Beschäftigen des Einzelhandels in Rheinland-Pfalz durch den Tarifvertrag der Beschäftigungssicherung zwischen der Beklagten und der ver.di vereinigte Dienstleistungsgesellschaft e. V., Landesverband Rheinland-Pfalz, jedoch durchaus zu Lasten der Klägerinnen geändert werden. Zwischen den Parteien ist im Berufungsverfahren unstreitig, dass es sich bei diesem Tarifvertrag um einen Tarifvertrag gemäß § 1 TVG handelt, der auch die Formvorschriften des § 1 Satz 2 TVG erfüllt. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen erfasst dieser Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung durch die Bezugnahmeklausel in § 14 der Arbeitsverträge der Parteien auch das Arbeitsverhältnis der Klägerinnen. Zwar ist dem Arbeitsgericht zuzugeben, dass der Wortlaut von § 14 der Arbeitsverträge gegen diese Auslegung spricht, weil danach an sich nur tarifvertragliche Bestimmungen im Einzelhandel Rheinland-Pfalz in Bezug genommen werden. Dabei handelt es sich bei einem Haustarifvertrag naturgemäß nicht. Dennoch ergibt sich das hier von der Kammer vertretene Ergebnis aus dem auch für die Arbeitnehmerinnen ohne weiteres erkennbaren Sinn und Zweck der vertraglichen Bezugnahmeklausel. Dieser besteht darin, dass eine Gleichstellung der nicht organisierten mit den organisierten Arbeitnehmern im Betrieb der Beklagten - im guten wie im schlechten - erreicht werden soll. Deshalb sind damit die jeweils für den Betrieb der Beklagten geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen gemeint, also auch der hier streitgegenständliche Haustarifvertrag. Dieser verdrängt als späterer Tarifvertrag nach der sogenannten Zeitkollisionsregel ebenso wie auch als der speziellere Tarifvertrag den allgemeineren Tarifvertrag über Sonderzahlungen im Einzelhandel. Ein Firmentarifvertrag ist im Übrigen gegenüber einem Verbandstarifvertrag wegen seiner größeren, räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Nähe zum Betrieb stets die speziellere Regelung (BAG 15.04.2008 9 AZR 159/07). Da nachvollziehbarere Einwendungen gegen das wirksame Zustandekommen des fraglichen Tarifvertrages im Berufungsverfahren letztlich nicht mehr bestehen, ist die Entscheidung der hier rechtshängigen Einzelfälle vom wirtschaftlichen Ergebnis der Beklagten im Jahre 2007 abhängig. Der Haustarifvertrag stellt insoweit jeweils auf die Jahresbilanz, hier also des Jahres 2007, ab. Diese Jahresbilanz lag zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor der Kammer aber nicht vor; es existierte lediglich eine vorläufige Gewinn- und Verlustrechnung, die mit einem erheblichen Minus für das Geschäftsjahr 2007 endet. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte danach 2007 einen Gewinn erwirtschaftet haben könnte, der zur Auszahlung berechtigen würde, lassen sich auch sonst dem Akteninhalt nicht entnehmen; dagegen spricht im Übrigen eindeutig, dass ein Insolvenzantrag über das Vermögen der Beklagten gestellt wurde. Nach alledem waren die Klagen, jedenfalls zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor der Kammer, nicht begründet. Folglich waren die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben und die Klagen abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 91, 100 ZPO. Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Ende der Entscheidung

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