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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 04.09.2009
Aktenzeichen: 6 Sa 196/09
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, KSchG


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 2 lit. c
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 69 Abs. 2
ZPO § 519
ZPO § 520
KSchG § 1 Abs. 3
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19.2.2009 - 7 Ca 1753/08 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen. 2. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung. Der 44 Jahre alte, ledige und niemandem unterhaltverpflichtete Kläger ist gelernter Energieanlagenelektroniker. Er trat am 02. April 2004 mit schriftlichem Arbeitsvertrag in die Dienste der Beklagten, die sich mit der Herstellung von Schweißanlagen und entsprechenden Anlagenteilen befasst. Die Parteien schlossen in der Vergangenheit jährlich bis auf die Vergütungshöhe identische "neue" Arbeitsverträge, die keine Tätigkeitsbeschreibung enthalten (Bl. 9 - 16 d. A.). Die Bruttovergütung betrug zuletzt 2.770,04 €. Mit Schreiben vom 26. November 2008 sprach die Beklagte dem Kläger gegenüber eine ordentliche fristgerechte Kündigung zum 31. Januar 2009 wegen Auftragsrückgangs in 2008 und Auftragsmangel in 2009 aus. Mit seiner am 09. Dezember 2008 zum Arbeitsgericht erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung gewandt. Bezüglich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und der Klageanträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19. Februar 2009 - 7 Ca 1753/08 - (Seite 2 - 5 des Urteils = Bl. 45 - 48 d. A.) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat im vorerwähnten Urteil der gegen die Kündigung gerichteten Klage stattgegeben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Ausführungen bezüglich des Produktions- und des Lieferrückganges von Stromquellen seien hinsichtlich der Anzahl der entfallenden Arbeitsplätze nicht aussagefähig; die gesamte im Betrieb anfallende Arbeitsmenge im Produktionsbereich wäre substantiell darzulegen gewesen. Es sei nicht nachvollziehbar, weswegen aufgrund eines Produktionsrückganges von insgesamt 10 % ein Abbau des Personales um 30 % notwendig sein solle. Zu der Mitteilung, dass der Auftragsbestand im Jahre 2009 gegen Null tendiere, fehle es an substantiierten Angaben. Auch sei die Sozialauswahl unwirksam. Es käme nicht auf arbeitsvertraglich individuell vereinbarte Verdienste, sondern auf die ausgeübte Tätigkeiten an. Insoweit habe der Kläger vorgetragen, dass er nicht nur mit Facharbeitertätigkeiten betraut gewesen, sondern überall in der Produktion eingesetzt gewesen sei. Frau Z. sei erst 28 Jahre alt und kürzer als der Kläger beschäftigt. Auch Sven Y. sei aufgrund seines Lebensalters von nur 28 Jahren und ein Jahr längerer Betriebszugehörigkeit sozial weniger schutzwürdig. Auch fehle es an einem substantiierten Vortrag, weshalb bei diesem Mitarbeiter ein berechtigtes Interesse für dessen Weiterbeschäftigung bestünde. Gegen das der Beklagten am 11. März 2009 zugestellte Urteil richtet sich deren am 03. April 2009 eingelegte und am 12. Juni 2009 begründete Berufung nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Die Beklagte bringt zweitinstanzlich weiter vor,

die Produktion der Geräte habe im Jahr 2007 bei durchschnittlich 75 pro Monat gelegen und sei auf 64 pro Monat im Jahre 2008 zurückgegangen. Ausgeliefert worden seien im Jahr 2007 durchschnittlich 79 Stück pro Monat, im Jahr 2008 seien es 58 Stück pro Monat gewesen. In der Bewertung des Jahres 2008 seien etwa 150 Anlagen zusätzlich in den Monaten September und Oktober ausgeliefert worden, die ursprünglich für 2009 eingeplant gewesen seien. Es sei ein deutlicher Umsatz- und Auslieferungsrückgang gegenüber dem Vorjahr 2007 zu vermerken. Der Nettoumsatz 2008 sei um knapp 1 Million Euro auf 3.227.319,74 Euro gefallen. Er habe sich um 23 % verringert (Beweis: Sachverständigengutachten; Zeugnis des Geschäftsführers Volker X., der Frau Martina W.). Zwischenzeitlich sei Kurzarbeit eingeführt worden. Die Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer sei wegen der betrieblichen Arbeitsorganisation zutreffend. Dem Kläger sei bei der Einstellung mitgeteilt worden, dass er für die Endmontage der Stromquellen, Hochspannungsprüfung, Funktionstest der fertigen Stromquelle und Reparatur an defekten Stromquellen als Energieanlagenelektroniker eingestellt und angemeldet worden sei (Beweis: eidliche Vernehmung des Klägers und des Geschäftsführers der Beklagten). Die entsprechende Anmeldung ergebe sich aus dem Personalstammblatt mit der Tätigkeitsschlüssselnummer 31122. Der Kläger sei allenfalls mit Martin U., Harald T., Gerd Y. und Christiane S., die sämtlich über bessere Sozialdaten verfügten, vergleichbar. Bezöge man sämtliche Produktionsmitarbeiter in die Vergleichsgruppe mit ein, sei Nicole Z. aus der Sozialauswahl wegen ihrer Schwangerschaft herauszunehmen; gleichfalls Jens R., der der einzig ausgebildete und im Produktionsbereich eingesetzte Schlosser sei (Beweis: Zeugnis Sven Y., Martin U., Christiane S. u. a.) Heike P., Gabi O., Heidi N., Liane B, Isolde M., Iris Z. und Ramona V.) hätten von der Beschäftigungsdauer, ihrem Alter und den Unterhaltspflichten her mehr Punkte als der Kläger. Zu den Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 12. Juni 2009 (Bl. 86 - 91 d. A.) und vom 19. August 2009 (Bl. 173 - 198 d. A.) nebst sämtlich vorgelegten Unterlagen Bezug genommen. Die Beklagte hat zweitinstanzlich beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 19. Februar 2009 - 7 Ca 1753/08 - abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger hat

Zurückweisung

der Berufung beantragt und erwidert,

die Beklagte stelle fälschlicherweise nur auf eine von drei Produktionslinien ab. Die durchschnittlichen monatlichen Auslieferungen in der Vergangenheit hätten mit dem zukünftigen Bedarf an Arbeitskraft nichts zu tun. Die erforderliche Verknüpfung zwischen behauptetem Auftragsrückgang und dem Wegfall des Bedarfs an Arbeitskraft würde nicht hergestellt. Wer wie die Beklagte Kurzarbeit beantrage, ginge begriffsnotwendig von einem nur vorübergehenden Bedarfswegfall aus. Die Sozialauswahl sei falsch, da er - der Kläger - mit allen Produktionsmitarbeitern vergleichbar sei. Er - der Kläger - sei nach dem Arbeitsvertrag, der keine Funktionsvereinbarung enthielte, verpflichtet, alle Produktionsarbeiten zu erledigen. Seine Austauschbarkeit sei gegeben. Die Beklagte ginge in ihrer Liste von falschen Sozialdaten aus. Außerdem seien falsche Vergleichsgruppen gebildet worden. Ein Punkteschema käme nicht in Betracht. Zu den weiteren Einzelheiten der Berufungsbeantwortung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 16. Juli 2009 (Bl. 114 - 123 d. A.) Bezug genommen. Zugleich wird auf die Feststellungen in der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichts vom 04. September 2009 (Bl. 246 - 248 d. A.) verwiesen. Entscheidungsgründe:

I. Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. II. Das Rechtsmittel der Beklagten hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Berufungskammer folgt gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG den Gründen der angefochtenen Entscheidung, stellt dies fest und sieht von einer wiederholenden Darstellung ab. III. Wegen der Angriffe der Berufung besteht Veranlassung zu folgenden Hinzufügungen. 1. Soweit die Berufung ausführt, der eklatante Umsatzrückgang von 23 % habe sich unmittelbar zwingend auf die Beschäftigungsmöglichkeiten ausgewirkt, genügt dies den Anforderungen zur Darlegung der gesetzlich geforderten dringenden betrieblichen Gründe zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung eines dem Kündigungsschutzgesetz unterfallenden Arbeitnehmers nicht. Reagiert der Arbeitgeber auf außerbetriebliche Faktoren, so muss er die funktionale Beziehung zwischen den außerbetrieblichen Faktoren und dem Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb herstellen (zutreffend: DLW- Dörner, Arbeitsrecht, 8. Aufl., Kapitel 4 Rz. 2730). Er hat in diesem Zusammenhang darzulegen, welche innerbetrieblichen Maßnahmen er im Hinblick auf außerbetriebliche Umstände getroffen hat und insbesondere inwieweit sich diese Entscheidungen auf den Bestand der Beschäftigungsmöglichkeiten auswirken (vgl. BAG, Urteil vom 17. Dezember 1978 2 AZR 155/77 = EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 10). Der Arbeitgeber muss mithin stets eine geschlossene Kausalkette von den unternehmerischen Zielvorgaben über bestimmte betriebliche Organisationsmaßnahmen bis hin zum konkreten Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit eines Arbeitnehmers darlegen und gegebenenfalls nachweisen. Für die Beziehung zwischen dem - an dieser Stelle zutreffend unterstellten - Nettoumsatzrückgangs 2008 und dem Auslieferungsrückgang im Tätigkeitsfeld des Klägers kommt es - insoweit in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht - nicht darauf an, dass dieser als Energieanlagenelektroniker eingestellt und angemeldet wurde, sondern darauf, in welchem Arbeitsbereich er sich "bewegt" hat. Der Kläger war in der Vergangenheit unstreitig auch als Produktionsmitarbeiter über 9 Monate in der Platinenbestückung tätig und nicht nur mit sogenannten sicherheitsrelevanten Tätigkeiten befasst. Sofern die Berufung in diesem Zusammenhang von reinen insgesamt vielleicht drei Monate andauernden "Kennenlernarbeiten" spricht, ist dies weder nachvollziehbar hinsichtlich des zeitlichen Umfangs noch von der Art der Tätigkeit her dargestellt. Die jährlich neu geschlossenen Arbeitsverträge sehen keine das Direktionsrecht der Beklagten einschränkende Beschreibung des Tätigkeitsfeldes des Klägers vor. Sie enthalten hierzu nichts. Für die Berufungskammer ist nicht einmal feststellbar, wer nunmehr die Stromquellenmontage und Prüfung zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung ausübt. Insgesamt ist die rechtliche geforderte funktionale Beziehung zwischen Umsatzrückgang und dem Entfallen der Tätigkeit des Klägers und damit des Gegebensein eines dringenden betriebsbedingten Grundes für die ausgesprochene Kündigung nicht feststellbar. 2. Soweit die Beklagte im Laufe des Berufungsverfahrens an ihrer Auffassung zur Vergleichsgruppenbildung mit Facharbeitern im Rahmen der Horizontalvergleichbarkeit festhält, scheitert die soziale Rechtfertigung der Kündigung auch an diesem gesetzlich geforderten Punkt. Nach der Entscheidung des Gesetzgebers in § 1 Abs. 3 KSchG ist der Arbeitgeber nicht frei in seiner Entscheidung, welchem der von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer gekündigt werden soll. Seine individuelle Auswahl ist vielmehr in der Weise gesetzlich determiniert, dass sie nach dem Maßstab der geringsten sozialen Schutzbedürftigkeit erfolgen soll. Die Kündigung soll mithin vorrangig denjenigen Arbeitnehmer treffen, der am wenigsten auf seinen Arbeitsplatz angewiesen ist (vgl. DLW-Dörner, a. a. O., Rz. 2521). Für die Vergleichsgruppenbildung kommt es auf arbeitsplatzbezogene Merkmale und damit eine Austauschbarkeit bezogen auf die in der Vergangenheit ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers an. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind vorliegend nicht nur die Facharbeiter, sondern sämtliche Produktionsmitarbeiter in die Vergleichsgruppe, die der Sozialauswahl zugrunde zu legen ist, miteinzubeziehen Maßgebend ist die Einsatzmöglichkeit des Arbeitnehmers als solche im Sinne seines qualitativen Anforderungsprofils. Der Kläger wurde - hiervon ist mangels qualifiziertem Widerspruch der Beklagten auszugehen - in der Vergangenheit mit Tätigkeiten betraut, die nicht ausschließlich im Facharbeiterbereich lagen, sondern war auch mit "einfachen" Produktionsarbeiten befasst. Die Herstellung von Stromquellen und anderen Produkten erfolgte in Produktgruppen, in denen die beteiligten Arbeitnehmer wechselseitig alle anfallenden Arbeiten erledigt haben. Der Kläger konnte alle im Zusammenhang der Produkte anfallenden Tätigkeiten verrichten. Seine Austauschbarkeit war gegeben, wie aus der 9-monatigen Tätigkeit in der Platinenbestückung - so der Stand des Berufungsverfahrens - deutlich wird. Wie oben bereits ausgeführt, sieht der Arbeitsvertrag keine Einschränkung des Direktionsrechts der Beklagten vor. Soweit die Beklagte die Sozialdaten der Produktionsarbeiter in ihrem ergänzenden Berufungsschriftsatz ausgeführt hat, und ein Punkteschema zugrunde legt, (vgl. BAG, Urteil vom 06. Juli 2006 - 2 AZR 442/05) wirkt sich dies nicht zugunsten der Beklagten aus. Nach Auffassung der Berufungskammer genügt der Vortrag zu einer Herausnahme des Produktionsarbeiters Jens R. aus dem Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer mit der Begründung, dieser sei der einzig ausgebildete und im Produktionsbereich eingesetzte Schlosser bereits nicht den Anforderungen gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Die bloße Begründung, es handele sich um einen Schlosser lässt nicht erkennen, dass für die Weiterbeschäftigung dieses Arbeitnehmers wegen seiner Kenntnisse Fähigkeiten und Leistungen im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Kläger ist dem insoweit entgegen getreten, als er in der Berufungsbeantwortung ausgeführt hat, dass der Mitarbeiter R. lediglich eine Kfz-Schlosser-Ausbildung habe. Damit fehlt es an einer Relation zur Berechtigung der Beklagten, bestimmte Arbeitnehmer von der Sozialauswahl auszunehmen. Für den Mitarbeiter R. sind keine ausreichenden Sozialdaten feststellbar. Im Übrigen ist eine Austauschbarkeit von Arbeitnehmern erst dann ausgeschlossen, wenn die betriebliche Spezialisierung und die aktuellen besonderen Umstände einen solchen Grad erreicht haben, dass der Einsatz des zu kündigenden Arbeitnehmers auf dem Arbeitsplatz des "Spezialisten" auch nach einer angemessenen Einarbeitungsfrist nicht möglich ist (vgl. BAG, Urteil vom 05. Juni 2008 - 2 AZR 907/06 = EzA § 1 KSchG soziale Auswahl Nr. 81). Auf noch bestehende Zweifel hinsichtlich der Korrektheit der Sozialauswahl braucht angesichts des Ausgeführten nicht mehr eingegangen zu werden. IV. Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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