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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: 6 Sa 586/05
Rechtsgebiete: KSchG, EntgeltfzG, BGB


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2
EntgeltfzG § 5
EntgeltfzG § 11 f
BGB § 104 Nr. 2
BGB § 105 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 6 Sa 586/05

Entscheidung vom 16.11.2006

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10.05.2005 - AZ: 10 Ca 2578/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision an das Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, die als Arzthelferin seit 1993 halbtags bei einer Vergütung von 1100,00 € brutto beschäftigt war, hat sich mit ihrer Klage vom 16. September 2004 gegen eine Kündigung vom 30.06.2004 gewehrt, die vom St. Josef-Krankenhaus B-Stadt (Bl. 11 d.A.) fristgerecht zum 31.12.2004 erklärt worden ist, nachdem unter dem 30.04.2004 der Klägerin eine Abmahnung erteilt wurde, wegen deren näheren Inhalts auf die zur Akte gereichte Kopie (Bl. 9 bis 10 d.A.) Bezug genommen wird.

Mit Schreiben, welches am 15.10.2004 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, hat sich die Klägerin gegen eine weitere Kündigung der M-H RLP gGmbH gewendet, die unter dem 30.09.2004 zum 31.03.2005 erklärt worden ist (Bl. 22 d.A.).

Zur näheren Darstellung des Tatbestandes wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 10.05.2005 (Bl. 72 bis 76 d.A) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang entsprochen und dies, soweit dies noch für das Berufungsverfahren von Bedeutung ist, im Wesentlichen damit begründet, dass die Kündigung vom 30.06.2004 unwirksam sei, weil sie nicht vom Vertragspartner der Klägerin ausgesprochen worden sei.

Die Kündigung der Beklagten, erklärt mit Schreiben vom 30.09.2004, sei deshalb unwirksam, weil die behaupteten verhaltensbedingten Gründe: fehlende Krankmeldung und unentschuldigtes Fehlen deshalb nicht zu bejahen seien, weil die Klägerin durch vorgelegte Atteste die Fehlzeiten plausibel damit erläutert habe, dass sie am 22.04.2004 erneut psychisch dekompensiert und deshalb bis Ende August 2004 als Folge dieser Erkrankung nur zur eingeschränkten Reaktion in der Lage gewesen sei.

Die im Kammertermin aufgestellte Behauptung, die Klägerin sei uneingeschränkt arbeitsfähig gewesen sei zu pauschal, um dem Beweisangebot zur Einholung eines Sachverständigengutachtens nachzukommen.

Nach Zustellung des Urteils am 15.06.2005 hat die Beklagte Berufung eingelegt, soweit das Arbeitsgericht von der Unwirksamkeit der Kündigung vom 30.09.2004 ausgegangen ist.

Die Berufung ist im Wesentlichen damit begründet worden,

dass die Klägerin ohne Krankmeldung ab 22.04.2004 der Arbeit ferngeblieben sei, und damit unentschuldigt seit dieser Zeit gefehlt habe. Die Klägerin sei mit der Abmahnung vom 30.04.2004 auf das Fehlverhalten hingewiesen und aufgefordert worden, entweder den Dienst unverzüglich wieder anzutreten oder eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Erst mit Schreiben der AOK vom 19.07.2004 sei der Beklagten mitgeteilt worden, dass die Klägerin seit 12.07.2004 arbeitsunfähig erkrankt sei. Nachdem die Beklagte alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft habe, Versuche persönlich Kontakt mit der Klägerin durch Hausbesuche herzustellen, zahllose erfolglose Telefonate und eine schriftliche Aufforderung sich zu melden, ausgeschöpft hatte, habe man, da irgendwelche Informationen nicht mehr zu erlangen seien, das Verhalten der Klägerin als unzumutbar erachtet und das Kündigungsverfahren wegen hartnäckiger Arbeitsverweigerung eingeleitet.

Die Klägerin sei arbeitsfähig gewesen, wogegen das Attest vom 12.07.2004, welches rückwirkend zum 22.04.2004 erstellt sei, keine berechtigten Zweifel aufkommen lassen könne. Auch die aus der Fürsorgepflicht abgeleitete Anfrage beim Amtsgericht, ob für die Klägerin eine Betreuung einzurichten sei, habe dazu geführt, dass der Amtsarzt die Klägerin als vollgeschäftsfähig beurteilt habe.

Trotz des Attestes vom 12.07.2004 habe die Beklagte Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Klägerin durchaus in der Lage gewesen sei, adäquat auf Abmahnung oder Kündigung zu reagieren. Nach Einwurf der ersten Kündigung vom 05.07.2004 im Briefkasten habe am nächsten Morgen vor der Wohnung der Geschäftsführerin der Beklagten eine Flasche mit dem Etikett Jubiläumssekt 10 Jahre Heide D. gestanden. Diese Flasche sei der Klägerin zum Dienstjubiläum von der Beklagten geschenkt worden.

Die Beklagte habe wegen der fehlenden Krankmeldung und der fehlgeschlagenen Versuche, mit der Klägerin persönlich oder telefonisch Kontakt aufzunehmen, die Polizei eingeschaltet, um nach dem Rechten zu sehen. Die Polizei habe sodann telefonisch mitgeteilt, dass sie die Klägerin bei bester Gesundheit angetroffen habe.

Die Klägerin fahre zudem mit ihrem Rad zum Einkaufen, weswegen davon ausgegangen werden müsse, dass die Klägerin unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei, was einen Kündigungsgrund darstelle. Die Klägerin müsse den Entlastungsbeweis für das Vorliegen von Entschuldigungsgründen erbringen, was sie nicht getan habe, weil auf dem Attest nicht entnommen werden könne, ob die Klägerin nicht einmal in der Lage gewesen sei, sich telefonisch zu entschuldigen.

Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgericht Koblenz vom 10.05.2005 - 10 Ca 2578/04 - wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 30.09.2004 am 31.03.2005 beendet worden ist.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das arbeitsgerichtliche Urteil wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Beklagte darlegungspflichtig und beweispflichtig dafür sei, dass bei der Klägerin eine hartnäckige Arbeitsverweigerung vorgelegen habe, nachdem sie seit 21.04.2004 der Arbeit ferngeblieben sei.

Der Beklagten habe das Schreiben der AOK vom 19.07.2004 mit der Bescheinigung vorgelegen, wonach die Klägerin zum 22.04.2004 arbeitsunfähig gewesen sei.

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis auf der Grundlage des Beschlusses vom 18.01.2006 durch Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens erhoben und dieses sowie die Betreuungsakte des Amtsgerichtes Cochem - AZ: 4 XVII 111/04 - zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht, wobei auf die Feststellungen des Gutachters in seinen schriftlichen Ausführungen vom 14.08.2006 (Bl. 163 bis 189 d.A.) Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil innerhalb der gesetzlichen Frist form- und fristgerecht eingelegt und begründet.

Das Rechtsmittel ist deshalb nicht erfolgreich, weil das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass die noch allein im Streit befindliche Kündigung der Beklagten, erklärt mit Schreiben vom 30.09.2004 unwirksam im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG ist, weil kein verhaltensbedingter Grund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG gegeben ist, da die Klägerin seit 22.04.2004 der Arbeit ohne zurechenbares Verschulden ferngeblieben ist.

Anerkanntermaßen ist eine so genannte Arbeitsverweigerung als Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht zu ziehen, weil hier der Arbeitnehmer wenn er die vertraglich versprochene Arbeitsleistung nicht erbringt, gegen eine Hauptpflicht, die aus dem Arbeitsvertrag entspringt, nämlich Erbringung von Arbeitsleistung, verstößt. Bei einer derartigen Vertragsstörung im Leistungsbereich, die bei der hier in Frage stehenden Zeiträume auch als erheblich anzusehen ist, ist der Arbeitgeber grundsätzlich zu einer ordentlichen Kündigung berechtigt.

Die Berufungskammer geht dabei der Frage nicht nach, ob das Anhörungsverfahren bezüglich der Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, weil bei der Anhörung vom 29.09.2004, die vorliegende Kündigung betreffend, nicht erwähnt wird, dass das Schreiben der AOK vom 19.07.2004 bereits vorgelegen hat, wonach die Klägerin seit 12.07.2004 arbeitsunfähig erkrankt sei, so dass die Aussage, erst ab 03.08. habe man eine Krankmeldung der Klägerin erhalten, nicht den vollen Sachverhalt widerspiegelt. Die Kammer geht weiter davon aus, dass die Beklagte, trotz des gewählten Wortlautes im Anhörungsschreiben, davon ausgeht, dass sie nicht nur die Verletzung der Nachweispflicht nach § 11 f EntgeltfzG rügt, sondern auch als Kündigungsgrund das unentschuldigte Fernbleiben der Klägerin von der Arbeit anführt.

Auch bei dieser Sicht ist die Kündigung deshalb nicht wirksam, weil es an dem Vorwurf fehlt, dass das unentschuldigte Fernbleiben auch schuldhaft durch den Arbeitnehmer vorgenommen wird und zudem eine einschlägige Abmahnung zuvor nicht erteilt worden ist.

Auch wenn man davon ausgeht, dass die Abmahnung, die unter dem 30.04.2004 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten an die Klägerin geschickt worden ist (Bl. 9 bis 10 d.A) die erforderliche Abmahnwirkung im Arbeitsverhältnis beinhaltet, so fehlt es doch an der Einsichtsfähigkeit der Klägerin, dass hier der Bestand des Beschäftigungsverhältnisses durch ihr Verhalten gefährdet wird.

Die Kammer kommt zu diesem Ergebnis anhand der Ausführung des Gutachters Dr. Buchholz in seinen schriftlichen Stellungnahmen vom 14.8.2006, wo er nach gründlicher Anamnese, unter Berücksichtigung der Arztbefunde des sozialmedizinischen Gutachtens und des Berichtes der die Klägerin behandelnden Ärzte zu dem Ergebnis kommt, dass bei der Klägerin eine Persönlichkeitsstörung gegeben ist, die sich zum fraglichen Zeitraum Ende April bis Juli 2004 noch dadurch dramatisch verdichtete, weil die Rechtsvorgängerin der Beklagten, das St. J-K B-Stadt/M die Polizei zur Klägerin schickte als auch einen Antrag auf Einrichtung einer Betreuung für die Klägerin, was sich aus der beigezogenen Betreuungsakte des Amtsgerichts Cochem (4 XVII 111/04) ergibt, gestellt hat.

Der Gutachter bezeichnet diese Maßnahmen als möglicherweise Auslöser für eine Wahnintuition bei der Klägerin, die bei deren Veranlagung und gegebener Persönlichkeitsstruktur zu einer vollkommenen psychischen Dekompension geführt hat. Dies folgert er aus der Krankheitsgeschichte und der Veranlagung der Klägerin, die schon über das Stadium der Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ überschreitend vorliegt, was bei der Klägerin in Bezug auf den Arbeitgeber und ihre Arbeitssituation ausgeschlossen hat, Vorgänge oder Tatsachen, so sie denn überhaupt erkannt werden konnten, richtig einzuordnen, weil die Klägerin aufgrund der psychischen Erkrankung blockiert gewesen ist. Der Gutachter hat sich, was er ausführt, mehrfach mit der Klägerin getroffen und sie über einen längeren Zeitraum exploriert und dabei festgestellt, dass die Klägerin, sobald es auf Zusammenhänge mit dem Arbeitsbereich kommt, nicht mehr in der Lage ist, nachvollziehbare zusammenhängende Vorgänge darzustellen.

Die Kammer hat keine Veranlassung und bar entsprechender Sachkenntnisse, an den Feststellungen des Gutachters, die logisch nachvollziehbar und sehr gründlich dargestellt sind, zu zweifeln, so dass davon auszugehen ist, dass die Klägerin die Abmahnung vom 30.04.2004 inhaltlich nicht verarbeiten konnte. Die bei der Klägerin vorhandene Krankheit beeinträchtigt ihre Entscheidungsfähigkeit, weswegen sie ihre Rechte im Allgemeinen nicht ausreichend wahrnehmen kann, weil soziale Kontakte abgebrochen und sie sich kaum an irgendetwas interessiert zeigte. Es kann dabei in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob es sich um Geschäftsunfähigkeit oder eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit, §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB handelt, weil zumindest im hier interessierenden Zeitraum eine krankhafte Antriebstörung sowie eine krankheitsbedingte Interesselosigkeit gegeben war, die es verhinderte, dass die Klägerin sich mit alldem befasst, was mit ihrem Arbeitsplatz zusammenhing. Der eingeschränkte Realitätsbezug, der, so der Gutachter, bereits über Borderline hinausgeht, ist auch deshalb nicht in Abrede zu stellen, weil die Klägerin bei verschiedenen Anlässen, so bei der Untersuchung durch den Amtsarzt und bei dem Besuch der Polizei, sich hinter einer "guten äußeren Fassade" gezeigt hat. Auch der Bewertung des Amtsarztes bezüglich der Geschäftsfähigkeit legt der Gutachter weniger Bedeutung bei, weil es nicht um Geschäftsfähigkeit geht, sondern um die Frage, inwieweit die Klägerin in der Lage gewesen ist, tatsächliche Vorgänge und Inhalte von Schreiben zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend geistig zu verarbeiten.

Nach dem Ergebnis des Gutachtens geht die Kammer davon aus, dass die Abmahnung vom 30.04., die der Klägerin unstreitig zugegangen ist, von ihr nicht so erfasst werden konnte, als dass sie hätte erkennen können, dass sie nunmehr innerhalb der gesetzten Frist sich bei der Beklagten zu melden und die offenen Fragen zu klären habe.

Darüber hinaus ist die Kammer davon überzeugt, dass bei der Klägerin auch das grundsätzlich nötige Verschulden im Hinblick auf das unentschuldigte Fernbleiben fehlt. Dass sie ebenso wenig den Inhalt und die Bedeutung des Abmahnschreibens vom 30.04.2004 zur Kenntnis nahm wie das Kündigungsschreiben vom 30.06.2004, beruht auf den gleichen krankheitsbedingten geistigen Blockaden der Klägerin. Zwar ist auch eine Kündigung denkbar, bei der ein Verschulden des Arbeitnehmers fehlt, jedoch dies nur in Ausnahmefällen. Im vorliegenden Falle ist daran festzuhalten, dass ein Verschulden der Klägerin erforderlich ist, wenn man eine verhaltensbedingte Kündigung erklären will. Die Beklagte stützt nämlich ihre Kündigung auf vorwerfbares Verhalten.

Die Kammer geht deshalb davon aus, dass ein Verschulden bei der Klägerin fehlt und die Kündigung deshalb nicht auf unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit gestützt werden kann. Die Beklagte ist nämlich als Arbeitgeber, der sich auf einen derartigen Kündigungsgrund beruft, darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen der die Kündigung begründenden Tatsachen, also für unentschuldigtes Fernbleiben. Dies ist nach dem Ergebnis des Gutachtens nicht anzunehmen, so dass als weiterer Kündigungsgrund die Verletzung der Nachweispflicht nach § 5 EntgeltfzG verbleibt, der jedoch angesichts der Länge des Beschäftigungsverhältnisses und dem Gesundheitszustand der Klägerin nicht als Kündigungsgrund letztendlich deshalb in Betracht kommt, weil auch hier das nötige Verschulden der Klägerin zu verneinen ist.

Nach dem Vorstehenden ist die Kündigung vom 30.09.2004 nicht wirksam, weswegen das Arbeitsverhältnis der Parteien fortbesteht, woraus folgt, dass der Beklagten als der unterlegenen Partei die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen sind, §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 ZPO.

Da die gesetzlichen Vorgaben des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind, ist die Revision nicht zugelassen.

Die Beklagte wird darauf hingewiesen, dass die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde angefochten werden kann, § 72 a ArbGG.

Ende der Entscheidung

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