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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 02.11.2006
Aktenzeichen: 6 Sa 79/06
Rechtsgebiete: BAT, BGB


Vorschriften:

BAT § 53
BAT § 54
BAT § 54 Abs. 2
BAT § 55 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 6 Sa 79/06

Entscheidung vom 02.11.2006

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 13.12.2005 - AZ: 9 Ca 219905 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision an das Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über eine außerordentliche Kündigung der Beklagten, welche mit Schreiben vom 24.08.2005 und einer Auslauffrist zum 31.03.2006 erklärt worden ist.

Die Klägerin, welche bei der Beklagten seit 01.11.1978 auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages als Kinderpflegerin beschäftigt ist, hat vereinbart, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) in der jeweils geltenden Fassung Anwendung findet.

Die Beklagte hat die Kündigung auf krankheitsbedingte Fehlzeiten seit 1978 gestützt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im erstinstanzlichen Verfahren wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils (Bl. 92-95 d. A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat dem Kündigungsschutz- und Beschäftigungsantrag der Klägerin im angefochtenen Urteil entsprochen und dies im Wesentlichen damit begründet,

dass die Beklagte im Anhörungsschreiben die Anzahl der Fehlzeiten für das Jahr 2005 unrichtig angegeben habe, als sie insgesamt 140 krankheitsbedingte Fehltage, was 102 Arbeitstagen entspreche, angegeben habe, während tatsächlich nur 103 Fehltage = 77 Arbeitstage angefallen seien, was ein falsches Bild von der Dimension der krankheitsbedingten Fehlzeiten einschließlich der Entgeltfortzahlungskosten beim Personalrat habe entstehen lassen.

Dabei könne offen bleiben, ob nur subjektive unredliche Informationsverhalten des Arbeitgebers zur Unwirksamkeit der Anhörung des Personalrates führen würde.

Darüber hinaus sei im Anhörungsschreiben nicht mitgeteilt worden, ob es sich bei der beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung um eine solche wegen häufiger Kurzerkrankungen oder wegen lang andauernder Erkrankung der Klägerin handele, was insbesondere für die Kalenderjahre 2000 bis 2002 und 2004 und 2005 gelte, da hier nicht die einzelnen Krankheitszeiten angegeben worden seien.

Da die Kündigung unwirksam sei, müsse dem Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Erzieherin entsprochen werden.

Nach Zustellung des Urteils am 05.01.2006 hat die Beklagte am 31.01.2006 Berufung eingelegt, welche am 20.02.2006 im Wesentlichen damit begründet wurde,

dass die Beklagte im Anhörungsschreibenden Anforderungen genüge, die die Rechtsprechung des BAG aufstelle, als sie nach Jahren gestaffelt die überdurchschnittliche Krankheitshäufigkeit dargestellt und die Entgeltfortzahlungskosten mitgeteilt habe. Hieraus habe der Personalrat ohne weiteres arbeiten ableiten können, dass eine Negativprognose im Hinblick auf die künftig zu erwartenden Krankheitszeiten gerechtfertigt sei und betriebliche Beeinträchtigungen durch entsprechend hohe Entgeltfortzahlungskosten die Folge seien. Die Klägerin habe seit Beginn des Beschäftigungsverhältnisses vor 28 Jahren überdurchschnittlich hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten aufzuweisen, worüber der Personalrat mit umfangreichen Unterlagen ausreichend informiert worden sei und sich aus den Unterlagen ergebe, dass die Klägerin immer wieder neue und wiederkehrende Erkrankungen aufgewiesen habe.

Auch andere Unterlagen belegen, dass es sich um immer wieder auftretende vermehrte Fehlzeiten, also um häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten der Klägerin als Kündigungsgrund handele.

Auch die versehentliche fehlerhafte Übermittlung der Krankheitstage für das Jahr 2005 habe beim Personalrat zu Lasten der Klägerin ein nur unwesentlich falsches Bild von der Dimension der krankheitsbedingten Fehlzeiten, die bis auf wenige Jahre immer mehr als 6 Wochen betragen habe, habe entstehen lassen.

Aus der Auflistung ergebe sich, dass die Klägerin an 1300 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt habe, was 5,65 Jahren und mehr als 140.000,-- € Entgeltfortzahlung entsprechen würde. Die falschen Zahlen seien versehentlich dadurch entstanden, weil die Aufnahme der Tätigkeit am 04.07.2005 und nach einer neuen Arbeitsunfähigkeit am 01.08.2005 nicht in das Personalabrechnungssystem aufgenommen und erst in einer späteren Aufstellung am 26.09.2005 berichtigt worden sei. Die Behauptung der Klägerin, dass ihre Erkrankungen im Wesentlichen ausgeheilt seien, so dass in Zukunft nicht mehr mit nennenswerten krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen sei, müsse mit Nichtwissen bestritten werden, zumal die Klägerin nach Erhalt der Kündigung an weiteren 23 Arbeitstagen gefehlt habe und für 2006 bis zum 14.02.2006 weitere 10 krankheitsbedingte Arbeitstage zu verzeichnen seien.

Die Betriebsärztin, die die Klägerin seit 1998 persönlich kenne, sei bei ihrer Prognose im Schreiben vom 04.08.2005 keinesfalls von falschen Tatsachen ausgegangen, da die Diagnose nach einer Befragung der Klägerin erstellt worden sei.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil im Wesentlichen damit,

dass das Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt habe, dass sich aus der Mitteilung des Arbeitgebers an den Personalrat eindeutig ergeben müsse, wie sich die Fehlzeiten und Entgeltfortzahlungskosten darstellten, weswegen eine summarische Mitteilung nicht in allen Fällen ausreichend sei. Die Klägerin habe zudem in 7 Jahren weniger als 6 Wochen an Fehlzeiten aufzuweisen, 1978 bis 1979, 1983 bis 1984, 1986, 1989 und 1994.

Der Personalrat sei nicht verpflichtet, sich aus den überlassenen Unterlagen den konkreten Kündigungsgrund herauszusuchen, weswegen die Beklagte hätte mitteilen müssen, ob die Kündigung auf häufige Kurzerkrankungen oder auf eine andauernde lange Krankheit gestützt werde.

Zudem habe die Beklagte die Fehlzeiten des Jahres 2005 mit falschen Zahlen belegt und damit gegen die Pflicht verstoßen, den Personalrat objektiv richtig zu informieren, wobei es nicht darauf ankommen könne, ob nur subjektiv unredliches Informationsverhalten zu einer unwirksamen Anhörung führe.

Auch die Betriebsärztin sei bei dem Gespräch im August 2005 von falschen Fehltagenangaben ausgegangen. Der Zugang des Schreibens der Betriebsärztin teile zugleich den Beginn der Kündigungserklärungsfrist des § 54 Abs. 2 BAT, § 626 Abs. 2 BGB mit, da das Schreiben der Betriebsärztin am 05.08.2005 eingegangen sei und die Beklagte in diesem Zeitpunkt alle für die Prognose wichtigen Unterlagenkenntnisse besessen habe.

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis durch Einholung schriftlicher Aussagen bei den Ärzten, die die Klägerin von der Wahrung der Schweigepflicht entbunden hatte, eingeholt (Beschluss vom 06.06.2006).

Wegen der Bekundung der Zeugen wird auf die vorliegenden Schreiben (Bl. 160, 163, 166 bis 168 d. A.) Bezug genommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Schriftsätze nebst deren Anlagen, die im Berufungsverfahren zur Akte gereicht wurden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil innerhalb der gesetzlichen Fristen formgerecht eingelegt und begründet.

In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg, da das Arbeitsgericht der Klage zu Recht entsprochen hat.

Die seitens der Beklagten mit Schreiben vom 24.08.2005 erklärte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist hat das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.03.2006 beendet.

Eine Krankheit wird zwar regelmäßig keinen Grund für eine außerordentliche Kündigung abgeben, jedoch ist das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass dann, wie im vorliegenden Falle die ordentliche Kündigung wegen tarifvertraglicher Vorgaben, § 53, 54 BAT, ausgeschlossen ist, eine Situation entstehen kann, die es dem Arbeitgeber bei zu erwartenden weiteren erheblichen krankheitsbedingten Störungen unzumutbar werden lässt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weswegen die außerordentliche Kündigung erklärt werden kann.

Dabei sind die von der Rechtsprechung zur ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung entwickelte Grundsätze auf die außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung grundsätzlich übertragbar, so dass es zur Wirksamkeit einer wegen Erkrankung und darauf beruhenden Fehlzeiten ausgesprochenen Kündigung des Arbeitgebers zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen künftigen Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers gegeben sein muss.

Davon ausgehend erweist sich die Kündigung nach § 54, 55 Abs. 1 BAT, 626 Abs. 1 BGB als nicht gerechtfertigt.

Im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ist von keiner negativen Gesundheitsprognose auszugehen, weil die eingeholten schriftlichen Aussagen der die Klägerin behandelnden Ärzte die Behauptung der Beklagten, dass auch zukünftig mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen sei, nicht bestätigt haben. Dr. G., ein Orthopäde, konnte zur Beweisfrage deshalb keine Aussage machen, weil er seine ärztliche Tätigkeit zum 31.03.2006 beendet und seine Praxis einem Nachfolger übergeben hat, der über keine Unterlagen mehr verfügt. Aus dieser Mitteilung hat die Beklagte keine prozessuale Folgen gezogen, so dass diese Aussage die Behauptung der Beklagten nicht stützt.

Die Zeugin Dr. E. hat ausgesagt, dass sich die Klägerin seit 12. März 2003 regelmäßig in der hausärztlichen Behandlung befinde und hat folgende Erkrankung bei der Klägerin als bestehend angeführt:

- Depression

- psychosomatisches Erschöpfungssyndrom

- deg. HWS/BWS-LWS Syndrom

- Gonarthrose bds.

- Hypertonie

- Varikosis

- rez. Sinubronchitiden

Bezüglich der Depression befindet sich die Klägerin in psychotherapeutischer Behandlung und wegen der Gelenkbeschwerden seien Krankengymnastik verordnet worden. Es sei im August 2005 nicht abzusehen gewesen, dass in den folgenden Monaten so viele Fehlzeiten auftreten würden. Diese Schlussfolgerung hat die Ärztin lediglich damit begründet, dass im August die depressive Phase nicht so ausgeprägt gewesen sei und man nicht von weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten ausgehen konnte.

Die Ärztin H. hat die Klägerin vor dem hier interessierenden Zeitraum zuletzt am 13.06.2003 in ihrer HNO-Praxis behandelt und kam aus diesem Grunde zum Beweisthema nichts weiter beitragen.

Aus der Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie, Dr. F. ergibt sich, dass die Klägerin seit Dezember 2004 an einer typischen depressiven Symptomatik leidet, die jedoch eine recht gute Prognose aufweist. Dies ist damit begründet worden, dass sie auf die Medikamente und die unterstützenden Gespräche gut angesprochen habe und eine vollständige Remission des depressiven Beschwerdebildes habe erreicht werden können, so dass im Zeitpunkt der Kündigungserklärung nicht zu erwarten gewesen sei, dass die Klägerin künftig wegen einer Depression arbeitsunfähig werde. Dieser Zeuge kennt die Klägerin seit Februar 2005, wobei sie auf eine seit Dezember 2004 bestehende depressive Symptomatik hingewiesen habe, die medikamentös behandelt worden sei, woraufhin die Klägerin ab 28.04.2005 habe wieder arbeiten gehen können. Diese Einschätzung wird auch von den sich im Anschluss an die Erkrankung bis zum 15.04.2005 anschließenden Fehltage, die sich in 4 Abschnitte auf insgesamt 16 Kalendertage, = 14 Arbeitstage, erstrecken, was sich aus der berichtigten Aufstellung der Beklagten, die das Datum 26.09.2005 trägt, ergibt.

Daraus entnimmt die Berufungskammer, dass im Zeitpunkt des Kündigungszuganges keine berechtigte, objektiven Befund festzumachenden Prognose in der Form vorgelegen hat, dass die Beklagte zu Recht davon ausgehen muss, dass sich das bisherige krankheitsbedingte Fehlen der Klägerin auch künftig so darstellen wird. Es ist davon auszugehen, dass orthopädische Probleme bei der Klägerin künftig zu verzeichnen sein werden neben den alle Mitarbeiter erfassenden Erkrankung wie Bronchitis oder Laryngitis, was sich aus der Aufstellung Klägerin im Schriftsatz 27.10.2005 ergibt und auch der beim Arbeitsgericht vorgelegten ärztlichen Bescheinigung der Frau Dr. E. vom 05.10.2005 zu entnehmen ist.

Da es bereits an einer ersten Voraussetzung zum Ausspruch einer Kündigung, die auf krankheitsbedingte Störungen, Fehlzeiten des Arbeitnehmers, gestützt werde kann fehlt, braucht die Frage nicht entschieden zu werden, ob die zweiwöchige Erklärungsfrist bereits am 05.08.2005 zu Laufen begann, als das Schreiben der Betriebsärztin Z.-G vom 04.08.2005 beim Personalamt der Beklagten eingelaufen ist.

Auf Fragen, die die Wirksamkeit der Personalratsanhörung betreffen, wie Nichtmitteilen der von der Rechtsprechung unterschiedlich behandelten Kündigungsgründe: lang anhaltenden Arbeitsunfähigkeitszeiten oder häufige Kurzerkrankungen ebenso wie die unrichtige Angabe der Fehltage in 2005 sind nicht entscheidungserheblich, weswegen die Berufungskammer hierauf auch nicht weiters eingeht.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichtes ist auch hinsichtlich der Beschäftigungsforderung der Klägerin richtig, da im bestehenden Vertragsverhältnis der Arbeitnehmer einen Weiterbeschäftigungsanspruch hat.

Der Beklagten sind die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen, weil die Berufung als nicht begründet zurückzuweisen ist, §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 ZPO.

Die Revision an das Bundesarbeitsgericht ist deshalb nicht zugelassen, weil erkennbar die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind.

Die Beklagte wird auf die Möglichkeit hingewiesen, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten, § 72 a ArbGG.

Ende der Entscheidung

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