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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 05.01.2006
Aktenzeichen: 6 Sa 844/05
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 622 Abs. 2 Ziff. 4
BGB § 626 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 6 Sa 844/05

Entscheidung vom 05.01.2006

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 13.09.2005 - Az: 10 Ca 4394/03 - wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.01.2004 aufgrund ordentlicher arbeitgeberseitiger Kündigung vom 24.09.2003, 08.10.2003 endet. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.

Die Revision an das Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien, in dessen Rahmen die Klägerin seit 1992 als examinierte Altenpflegerin beschäftigt war, durch die Kündigung der Beklagten vom 24.09.2003, welche als außerordentliche und vorsorgliche ordentliche Kündigung erklärt wurde, geendet hat.

Die Kündigung hat die Beklagte auf einen am 23.09.2003 entdeckten Diebstahls von Medikamenten gestützt, die den Klägerin anvertrauten Heimbewohnern verabreicht werden sollten.

Die Klägerin hat ihre Klage vom 27.10.2003 im Wesentlichen damit begründet, dass ein Diebstahldelikt in strafrechtlich relevanter Form nicht begangen worden sei, dass sich die Klägerin lediglich von der Vorgesetzten buchstäblich gemobbt sah und sich in einer derart verzweifelten Situation befunden habe, dass sie sich habe mit den Medikamenten das Leben nehmen wollen. Die Klägerin befindet sich seit 23.09.2003 durchgängig wegen ihrer psychischen Erkrankung in ärztlicher Behandlung und sei auch unter Betreuung gestellt.

Noch am 16.02.2004 sei sie wegen ihrer Depression durchgängig arbeitsunfähig gewesen.

Nachdem das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 14.12.2004 die Klage der Klägerin nachträglich zugelassen hat, hat es mit Urteil vom 13.09.2005 die Klage abgewiesen und es im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin einen Grund für eine außerordentliche Kündigung gegeben habe, weil sie Eigentum des Arbeitgebers entwendet habe, wobei auch die Entwendung geringwertiger Güte als an sich wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung geeignet sei.

Die Klägerin habe 17 Tabletten des Schlafmittels Adumbran eingeräumt und damit den objektiven Tatbestand des Diebstahls verwirklicht. Dieser Vorgang habe die für die Zusammenarbeit der Parteien notwendige Vertrauensgrundlage auf Dauer zerstört und es komme nicht darauf an, ob die Klägerin auch schuldhaft gehandelt habe. Auch schuldlose Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers können ausnahmsweise einen wichtigen Grund zur verhaltenbedingten Arbeitgeberkündigung geben, der im vorliegenden Falle deshalb zu bejahen sei, weil die Beklagte verpflichtet gewesen sei, die zum Schutz der anvertrauten Heimbewohner erforderlichen Maßnahmen zu treffen und der Klägerin durch die Kündigung die Möglichkeit zu nehmen, den den Heimbewohnern geschuldeten Aufsicht- und Fürsorgepflichten künftig nicht mehr zukommen zu lassen.

Nach Zustellung des Urteils am 12.10.2005 hat die Klägerin am 18.10.2005 Berufung eingelegt und diese im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin aus dem so genannten Patientenkästchen insgesamt 17 Tabletten des Schlafmittels Adumbran entnommen habe, um Selbstmord zu begehen. Dieser Vorgang stelle die Wegnahme geringwertiger Sachen dar, da es jedoch deshalb kein Diebstahl sein könne, weil sich die Klägerin in keinem zurechnungsfähigen Zustand befunden habe.

Die 58 Jahre alte Klägerin sei 1992 eingetreten und habe bis zu diesem Zeitpunkt ohne Beanstandung als examinierte Altenpflegerin verrichtet.

Die Klägerin beantragt:

auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Koblenz zu Aktenzeichen 10 Ca 4394/03 vom 13.09.2005 aufgehoben und die Beklagte gemäß den erstinstanzlichen Antrag zu 1 verurteilt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Das arbeitsgerichtliche Urteil wird im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin am 23.09.2003 Medikamente der ihr anvertrauen Heiminsassen entwendet habe, was eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Die besondere Vorwerfbarkeit des Verhaltens liege darin, dass sie die Hilflosigkeit der ihr anvertrauten Heimbewohner ausgenutzt habe, um sich auf deren Kosten sprichwörtlich zu bereichern. Sie habe in diesem Zusammenhang ihre besondere Vertrauensstellung missbraucht, was die Beklagte dazu berechtige, aus Fürsorgegesichtspunkten eine Kündigung zu erklären.

Die Straftat sei im Zusammenhang mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit erfolgt, was sich erschwerend auswirke.

Ob die Klägerin im Zeitpunkt des Diebstahls in einer psychischen Ausnahmesituation gewesen sei, könne dahinstehen, weil es für das kündigungsrechtlich relevante Verhalten allein darauf ankomme, ob der Betroffene in objektiver Sicht ein Fehlverhalten an den Tag gelegt habe, dass die Fortsetzung des Arbeitsvertrages als nicht zumutbar erscheinen lasse.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der im Berufungsverfahren zur Akte gereichten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ebenso Bezug genommen, wie auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils (Bl. 140 bis 143 d. A)..

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, da innerhalb der gesetzlichen Fristen eingelegt und begründet und insoweit erfolgreich, als die außerordentliche Kündigung der Beklagten, erklärt mit Schreiben vom 24.09.2003 unwirksam ist.

Das Arbeitsgericht geht zu Recht davon aus, dass das Verhalten der Klägerin an sich einen Grund für eine außerordentliche Kündigung abgeben kann und legt dabei unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar, dass ein Diebstahl oder auch eine Handlung, die sich als Wegnahme darstellt, ohne tatbestandlich ein Diebstahl zu sein, dann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein kann, auch wenn das Verschulden des Arbeitnehmers fehlt.

Zu Recht zielt das Arbeitsgericht auch darauf ab, dass der Vorfall dann erschwerend zum Nachteil des Arbeitnehmers gewichtet werden muss, wenn sich das Vorgehen im Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit darstellt, wie es im vorliegenden Falle festzustellen gilt.

Die Berufungskammer sieht jedoch im Rahmen der Interessensabwägung, die auch bei außerordentlichen Kündigungen anzustellen ist, keinen das Interesse der Klägerin überwiegenden berechtigten Sachverhalt, der zugunsten der Beklagtenseite für eine fristlose Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit Zugang der Kündigung spricht.

Von der Dauer der Zugehörigkeit der Klägerin zum Betrieb der Beklagten im Zeitpunkt der Kündigung 10 Jahre, tritt noch das Alter der Klägerin hinzu, 56 Jahre, was zugunsten der Klägerin zu berücksichtigen ist. Dagegen steht das berechtigte Interesse des Arbeitgebers, die ihm anvertrauten Heimbewohner vor der Mitarbeiterin zu schützen, die den pflegebedürftigen Menschen die zugewiesenen Medikamente vorenthalten. Dass die so gewesen ist, kann jedoch nicht mit Sicherheit angenommen werden, weil die Behauptung der Klägerin, sie habe die Medikamente aus dem so genannten Medikamentenkästchen der Heimbewohner entnommen, ohne dass damit bereits feststand, dass das Medikament den Heimbewohnern für den konkreten Tag nicht verabreicht wurde. Die Klägerin führt im Schreiben vom 28.07.2004 auf Seite 2 ausführlich aus, dass vom Schlafmittel Adombran ein ausreichend großer Medikamentenvorrat vorhanden gewesen sei, so dass vielfach noch wegen Ablauf des Haltbarkeitsdatums Medikamente weggeworfen werden, nicht in der Weise bestritten wurde, dass erkennbar gewesen ist, dass den Heimbewohnern dieses Medikament an einem der betreffenden Tage überhaupt entzogen wurde.

Hinzu kommt jedoch, was für die Berufungskammer ausschlaggebend war, dass die Klägerin bis zu dem fraglichen Zeitraum ohne jede Beanstandung ihrer Arbeitsleistung nachgekommen ist und vor allen Dingen, dass die Klägerin derartig erkrankt war, dass nicht damit zu rechnen war, dass die Beklagtenseite bis zum Ablauf der Kündigungsfrist der ordentlichen Kündigung, auf diesen Zeitpunkt ist bei der Frage der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung abzustellen, § 626 Abs. 1 BGB, mit weiteren finanziellen oder sonstigen Ansprüchen der Klägerin überhaupt konfrontiert werden konnte, von der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle nach Entgeltfortzahlungsgesetz abgesehen.

Die Berufungskammer versagt der außerordentlichen fristlosen Kündigung die Wirksamkeit, legt der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung der Beklagten jedoch Wirkung bei, weil das Verhalten der Klägerin angetan ist, eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Beendigungszeitpunkt 31.01.2004 hinaus als nicht zumutbar erscheinen lässt.

Gerade die eingetretene Erkrankung der Klägerin und das nicht gut steuerbare Verhalten belegen, dass Ausfälle der Klägerin im Hinblick auf ihre Arbeitsleistung nach diesem Zeitpunkt und evtl. Wiederherstellung der Arbeitskraft ernsthaft zu befürchten sind, was dann einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG abgibt. Mittlerweile ist anerkannt, dass auch Kündigungen auch Vorfälle gestützt werden können, bei denen ein Verschulden des Arbeitnehmers fehlt, wobei dies auf Ausnahmeerscheinungen zu begrenzen ist, wobei jedoch, wie das Arbeitsgericht an anderer Stelle richtig ausführt, ein derartiger Ausnahmefall bei der gestellten Arbeitsaufgabe der Klägerin und den zu betreuenden anvertrauten Heimbewohnern anzunehmen ist.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet demgemäß mit Ablauf des 31.01.2004, weil die einzuhaltende Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Ziffer 4 BGB zu berechnen ist. Das Kündigungsschreiben ist der Klägerin noch im Monat September 2003 zugegangen, was das Arbeitsgericht in seinem Wiedereinsetzungsbeschluss vom 14.10.2004 nach durchgeführter Beweisaufnahme festgestellt hat, so dass die viermonatige Kündigungsfrist zum Ende des Kalendermonats bei zehnjährigem Bestand des Beschäftigungsverhältnisses zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2004 führt, weswegen die weitergehende Berufung der Klägerin, gerichtet auf den weiteren Bestand des Beschäftigungsverhältnisses als unbegründet abzuweisen ist.

Die Kosten des Verfahrens haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen, was dem jeweiligen Unterliegen bzw. Obsiegen entspricht, §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Revision an das Bundesarbeitsgericht ist deshalb nicht zugelassen, weil erkennbar die gesetzlichen Vorgaben des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind.

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde angefochten werden kann, § 72 a ArbGG.

Ende der Entscheidung

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