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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 25.04.2005
Aktenzeichen: 7 Sa 29/05
Rechtsgebiete: BGB, ArbGG, ZPO, GewO, HGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 612 a
BGB § 626 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 604 Abs. 2
ZPO § 518
ZPO § 519
ZPO § 850 f
GewO § 123
GewO § 124
HGB § 71
HGB § 72
KSchG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 7 Sa 29/05

Entscheidung vom 25.04.2005

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 07.09.2004 - 2 Ca 809/04 - hinsichtlich der Ziffer 3 teilweise abgeändert.

Die Klage wird in Höhe der ausgeurteilten 80,00 EUR nebst Zinsen abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat 10%, die Beklagte hat 90% der Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten über die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, sowie darüber, ob dem Kläger noch Restlohnansprüche zustehen.

Der Kläger ist bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als 5 Arbeitnehmer beschäftigt, seit dem 01.06.2000 als Raumausstatter, zuletzt zu einer monatlichen Bruttovergütung von 1.942,92 Euro tätig.

2004 kam die Beklagte mit der Lohnzahlung in Verzug. Das Gehalt für Januar 2004 wurde erst am 05.03.2004 gezahlt. Das Gehalt für Februar 2004 stand am 09.03.2004 noch aus.

Mit Anwaltsschreiben vom 10.03.2004, hinsichtlich dessen Inhalt auf Blatt 7,8 d.A. Bezug genommen wird, hat der Kläger unter Hinweis auf seine eigenen Zahlungsverpflichtungen u.a. den ausstehenden Betrag angemahnt.

Der Kläger hat vorgetragen, die streitgegenständliche Kündigung sei gemäß § 612 a BGB unwirksam. Denn am 11.03.2004 habe ihm die Geschäftsführerin erklärt, sie habe sein Mahnschreiben erhalten; er solle das Auto und die Schlüssel abgeben und sich kurz vor Feierabend bei ihr melden. Als er dies getan habe, habe er die Kündigung erhalten. Zudem habe die Geschäftsführerin der Beklagten im Kündigungsschutzverfahren der Mitarbeiterin X im dortigen Verhandlungstermin vom 17.03.2004 erklärt, sie - die Geschäftsführerin - wolle sich auch von dem Kläger trennen, weil sie erfahren habe, dass dieser ein Verhältnis mit dieser Mitarbeiterin habe. Kündigungsgründe seien nicht gegeben.

Am 12.02.2004 habe er von 10.00 Uhr bis 19.00 Uhr arbeiten müssen und sei tatsächlich ca. 20 Minuten zu spät zur Arbeit erschienen. Der Grund hierfür sei Übelkeit und starkes Erbrechen gewesen. Er habe sich dennoch bemüht, zur Arbeit zu erscheinen. Es treffe nicht zu, dass er um 10.00 Uhr seine Tätigkeit bei dem Kunden Bauer habe aufnehmen sollen. Dies folge bereits daraus, dass er diverse Materialien zum Kunden habe mitnehmen müssen. Bereits um 11.00 Uhr sei dann ein weiterer Termin bei dem Kunden W vereinbart gewesen. Dies zeige, dass die Terminierung der Beklagten fehlerhaft gewesen sei. Zur weiteren Darstellung des Vorfalls W wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 4 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 133 d.A.) Bezug genommen.

Am Samstag, dem 28.02.2004, sei er tatsächlich 55 Minuten zu spät zur Arbeit erschienen. Auch insoweit sei aber keine Pflichtverletzung gegeben, denn er habe ursprünglich an diesem Tag frei gehabt und daher seinem Vater schon länger versprochen gehabt, für dessen Neubau Material zu besorgen. Erst einen Tag zuvor habe ihm der Geschäftsführer gegen 16.45 Uhr mitgeteilt, dass er am nächsten Tag arbeiten müsse; die privaten Verpflichtungen seien egal. Er - der Kläger - habe insoweit lediglich zugesagt, dass er so schnell wie möglich zur Arbeit komme. Zur weiteren Darstellung dieses Vorfalls wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 4, 5 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 133, 134 d.A.) Bezug genommen.

Am 11.03.2004 sei er wegen zähflüssigem Verkehr statt um 8.00 Uhr, um 8.04 Uhr im Betrieb erschienen. Dies könne die Mitarbeiterin V bestätigen, die mit ihm zusammen gefahren sei. Tatsächlich habe nicht die geringfügige Verspätung, sondern sein Mahnschreiben zur Kündigung geführt.

Wegen der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung habe er für den restlichen Monat März 2004 aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges noch einen (Rest-)lohnanspruch i.H.v. 1.183,01 €.

Im Übrigen habe die Beklagte von seinem Nettolohn regelmäßig vermögenswirksame Leistungen einbehalten, diese aber für die Monate April 2003 und Februar 2004 i.H.v. jeweils 40 € nicht auf sein Konto eingezahlt (vgl. Bl. 32 ff. d.A.). Entsprechendes gelte für die Einzahlung für den Monat September 2000 i.H.v. 34,26 € (vgl. Bl. 35 f. d.A.). Der Verjährungseinwand der Beklagten für den Monat September 2000 sei unbegründet, da die Beklagte ihn durch den entsprechenden Abzug in der Lohnabrechnung über die (angeblich) erfolgte Zahlung getäuscht habe.

Der Kläger hat, soweit für das Berufungsverfahren von Belang, beantragt,

1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11.03.2004 - zugegangen am 11.03.2004 - nicht aufgelöst wurde;

2. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.183,01 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2004 zu zahlen und dem Kläger hierüber eine Abrechnung der Brutto-Netto Bezüge zu erteilen,

3. die Beklagte wird verurteilt, insgesamt 80 € auf das Investmentdepotkonto des Klägers bei der Fondsbank sowie weitere 34,26 € auf das Depotkonto des Klägers bei der Gesellschaft mbH, Depot-Nr. sowie 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz aus jeweils 40,00 € seit dem 30.04.2003 und 29.02.2004 sowie aus weiteren 34,26 € seit dem 30.09.2000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, das Arbeitsverhältnis sei durch die außerordentliche Kündigung beendet worden. Der Kläger sei mehrfach unentschuldigt zu spät gekommen und deswegen wiederholt ermahnt und abgemahnt worden.

Hinsichtlich der Darstellung der Beklagten im Einzelnen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 7, 8 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 136, 137 d.A.) Bezug genommen.

Die Kündigung stehe keineswegs im Zusammenhang mit dem Anwaltsschreiben vom 10.03.2004, ebenso wenig mit der Kündigung der Mitarbeiterin X.

Bezüglich der Ansprüche zu den vermögenswirksamen Leistungen handele es sich nicht um eine vom Arbeitgeber geförderte Maßnahme. Die Beklagte habe lediglich als Zahlstelle die Beträge vom Nettoverdienst einbehalten und an die vom Kläger angegebenen Konten überwiesen. Auch für die vom Kläger geltend gemachten Monate habe sie die einbehaltenen Beträge abgeführt. Für den Monat 09/2000 erhebe sie zudem die Einrede der Verjährung

Hilfsweise erkläre sie die Aufrechnung mit Schadenersatzforderungen:

Bei dem Kunden U hätten 10,96 qm Stores neu angefertigt werden müssen, da der Kläger ein falsches Maß genommen habe. Dafür seien Mehrkosten i.H.v. 556,47 € netto entstanden. Auch bei der Kundin T habe sich der Kläger vermessen. Dadurch sei ein Schaden i.H.v. 649,50 € netto entstanden. Bei der Bestellung zweier Friese am 04.03.2004 habe sich der Kläger wiederum vermessen, wodurch die falsche Stoffmenge berechnet worden sei. Dadurch sei ein weiterer Schaden i.H.v. 825,92 € netto entstanden.

Bei dem Kunden S habe der Kläger statt 7,50 m Stoff nur 5,50 m Stoff berechnet. So dass ein Schaden von 405,50 € entstanden.

Das Arbeitsgericht Mainz hat daraufhin durch Urteil vom 07.09.2004 - 2 Ca 809/04 - festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11.03.2004 nicht aufgelöst worden ist und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.183,01 € brutto nebst Zinsen, sowie weitere 80,00 € auf das Investmentdepotkonto des Klägers nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 132 - 148 d.A. Bezug genommen.

Gegen das ihr am 09.12.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am (Montag, den) 10.01.2005 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Beklagte hat die Berufung durch am 09.02.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei das Arbeitsverhältnis in jedem Falle, sei es durch die außerordentliche, zumindest aber durch die ordentliche Kündigung beendet worden. Der Kläger sei wiederholt zu spät gekommen und habe sein vertragswidriges Verhalten auch nach unter Kündigungsandrohung erfolgter Abmahnung fortgesetzt. Das erneute Zuspätkommen des Klägers am 11.03.2004 habe die Beklagte bereits aus betriebsdisziplinarischen Gründen nicht mehr hinnehmen können; zudem werde der Betriebsablauf der Beklagten dadurch erheblich gestört. Auch die Interessenabwägung könne nicht dazu führen, dass das Interesse des Arbeitnehmers in der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses das der Beklagten einer Beendigung überwiege. Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird insoweit auf die Berufungsbegründungsschrift vom 09.02.2005 auf S. 2 bis 5 (= Bl. 176 bis 179 d.A.) Bezug genommen. Entgegen der Darstellung des Klägers seien auch die Zahlungen auf die VWL Konten durch die Beklagte erfolgt und zwar jeweils 40,00 € für April 2003 und Februar 2004 sowie weitere 34,26 €. Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird auf S. 6 der Berufungsbegründungsschrift (= Bl. 180 d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 16.11.2004, Az.: 2 Ca 809/04, die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, die Kündigung sei allein im Hinblick auf sein Mahnschreiben erfolgt und schon deshalb unwirksam. Auch im Übrigen seien keine Gründe für eine außerordentliche, ebenso wenig für eine ordentliche Kündigung gegeben. Zur weiteren Darstellung der Auffassung des Klägers wird auf seine Berufungserwiderungsschrift vom 02.03.2005 S. 1 bis 8 (= Bl. 184 bis 191 d.A.) Bezug genommen. Des Weiteren wird Bezug genommen auf seine Schriftsätze vom 10.03.2005 (Bl. 192, 193 d.A.), sowie vom 06.04.2005 (Bl. 194 d.A.)

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 25.04.2005.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache nur teilweise Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung erweist sich ganz überwiegend als im Ergebnis und in der Begründung zutreffend; lediglich in Höhe von 80,00 € war die Klage aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 25.04.2005 abzuweisen.

Im Einzelnen gilt folgendes:

Die streitgegenständliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, weder fristlos, noch unter Einhaltung der einschlägigen Kündigungsfrist beendet.

Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam.

Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel der § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und in der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann. Damit wird der wichtige Grund zunächst durch die objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist deshalb jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet (vgl. BAG AP-Nr. 4, 42, 63 zu § 626 BGB). Entscheidend ist nicht der subjektive Kenntnisstand des Kündigenden, sondern der objektiv vorliegende Sachverhalt, der objektive Anlass. Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind Ascheid/Preis/Schmidt Großkommentar Kündigungsrecht 1. Auflage 2004 (APS-Dörner), § 626 BGB Rz. 42 ff.; Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch Arbeitsrecht (DLW-Dörner), 4. Auflage 2004, D Rz. 656 ff.).

Die danach zu berücksichtigenden Umstände müssen nach verständigem Ermessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar erscheinen lassen (BAG AP-Nr. 4 zu § 626 BGB). Bei der Bewertung des Kündigungsgrundes und bei der nachfolgenden Interessenabwägung ist ein objektiver Maßstab anzulegen, so dass subjektive Umstände, die sich aus den Verhältnissen der Beteiligten ergeben, nur aufgrund einer objektiven Betrachtung zu berücksichtigen sind. Die danach maßgeblichen Umstände müssen sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken; da der Kündigungsgrund zukunftsbezogen ist und die Kündigung keine Sanktion für das Verhalten in der Vergangenheit darstellt, kommt es auf seine Auswirkungen auf die Zukunft an. Da es um den zukünftigen Bestand des Arbeitsverhältnisses geht, muss dessen Fortsetzung durch objektive Umstände oder die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich (der Vertragspartner) oder im Unternehmensbereich konkret beeinträchtigt sein (BAG EzA § 626 BGB Nr. 11, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 7).

Die erforderliche Überprüfung gem. § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich folglich zweistufig:

Zum einen muss ein Grund vorliegen, der unter Berücksichtigung der oben skizzierten Kriterien überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit handelt es sich um einen Negativfilter, d. h., dass bestimmte Kündigungsgründe eine außerordentliche Kündigung von vornherein nicht rechtfertigen können.

Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der - in der Regel - vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (vgl. ausführlich APS-Dörner, § 626 BGB a.a.O.; DLW-Dörner a.a.O.).

Entscheidender Zeitpunkt ist der des Ausspruchs der Kündigung.

Die in den aufgehobenen gesetzlichen Vorschriften der §§ 123, 124 Gewerbeordnung, 71, 72 HGB nach altem Recht genannten Beispiele für wechselseitige wichtige Gründe (z. B. Arbeitsvertragsbruch, beharrliche Arbeitsverweigerung) sind als wichtige Hinweise für typische Sachverhalte anzuerkennen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden und die Kündigung in der Regel auch zu rechtfertigen, wenn keine besonderen Umstände zugunsten des Gekündigten sprechen (vgl. BAG AP-Nr. 99 zu § 626 BGB). "Absolute Kündigungsgründe", die ohne eine besondere Interessenabwägung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, bestehen andererseits jedoch nicht (BAG SAE 1986, S. 5).

Systematisch kann nach Störungen im Leistungsbereich, im betrieblichen Bereich der Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich der Vertragspartner und im Unternehmensbereich unterschieden werden (APS-Dörner, a.a.O.; DLW-Dörner a.a.O.)

Zwar könne wiederholte Unpünktlichkeiten bzw. Verspätungen des Arbeitnehmers beim Arbeitsantritt - nach vorheriger Abmahnung - grundsätzlich eine verhaltensbedingte Kündigung, unter Umständen sogar eine außerordentliche Kündigung wegen Verstoßes gegen die Arbeitspflicht rechtfertigen. Allerdings kommt eine außerordentliche Kündigung in derartigen Fällen nur dann in Betracht, wenn sie den Grad und das Ausmaß einer beharrlichen Arbeitsverweigerung erreicht haben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Pflichtverletzung trotz Abmahnung wiederholt begangen wird und sich daraus der nachhaltige Wille der vertragswidrigen Partei ergibt, den arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommen zu wollen.

Diese Voraussetzungen sind, insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht ausdrücklich, vorliegend ersichtlich nicht gegeben. Denn soweit die Beklagte pauschal vorgetragen hat, der Kläger sei wegen Verspätung bereits mehrfach ermahnt bzw. abgemahnt worden und es sei deswegen auch bereits mehrfach zu Kundenbeschwerden gekommen, so ist dieses substantiiert bestrittene Vorbringen völlig unsubstantiiert, einer substantiierten Erwiderung nicht zugänglich und daher unbeachtlich. Nach der Abmahnung, deren Berechtigung der Kläger im Einzelnen bestritten hat, ist es auch nicht zu wiederholten Verspätungen, sondern nur zu einer, relativ geringfügigen Verspätung gekommen. Dies bedeutet keineswegs eine beharrliche Arbeitsverweigerung.

Auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist sozial nicht gerechtfertigt im Sinne des § 1 KSchG. Denn selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass für eine ordentliche Kündigung eine Arbeitsverweigerung, die nicht beharrlich sein muss, ausreicht, so dass ein "an sich" für eine ordentliche Kündigung geeigneter Kündigungsgrund gegeben wäre, endet die stets vorzunehmende Interessenabwägung aus den vom Arbeitsgericht zutreffend dargestellten Gründen zugunsten des Klägers. Denn neben der Beschäftigungsdauer und den sonstigen Sozialdaten des Arbeitnehmers sind insbesondere die Ursachen, die Häufigkeit, die Dauer der Unpünktlichkeiten und Verspätungen sowie der Umstand zu berücksichtigen, ob und ggf. zu welchen Betriebsablaufstörungen und ggf. Schäden die Verspätung geführt hat. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, der Kläger sei wegen Verspätungen bereits mehrfach ermahnt bzw. abgemahnt worden und es sei deswegen bereits mehrfach zu Kundenbeschwerden gekommen, ist dieses substantiiert bestrittene Vorbringen der Beklagten unsubstantiiert und daher einer Verwertung nicht zugänglich. Davon ist das Arbeitsgericht zu Recht ausgegangen. Im Übrigen ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger am 12.02.2004 etwa 20 Minuten und am Samstag, dem 28.02.2004 etwa 55 Minuten zu spät zur Arbeit erschienen ist. Unstreitig wurde der Kläger deshalb mit Schreiben vom 01.03.2004 (Bl. 88 d. A.) abgemahnt. Allerdings sind die näheren Umstände der unstreitigen Verspätung unklar; der Sachvortrag der Parteien ist insoweit völlig unterschiedlich. Selbst dann, auch insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht, wenn man den Vortrag der Beklagten als wahr unterstellt, endet jedoch die Interessenabwägung mit dem Ergebnis, dass das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses das der Beklagten an dessen Beendigung überwiegt.

Zwar können Verspätungen grundsätzlich ein arbeitsvertragswidriges Verhalten darstellen; zudem erfolgten sie relativ kurz hintereinander. Allerdings lässt sich dem Sachvortrag der Beklagten nicht entnehmen, dass erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen eingetreten sind. Nach dem Vorbringen der Beklagten war der Kunde W zwar verärgert, hat aber nur für diesen Tag den Termin abgesagt. Dass sie den Auftrag insgesamt verloren hätte, hat die Beklagte selbst nicht behauptet. Zudem, auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend hervorgehoben, ist es nach der Abmahnung vom 11.03.2004 nur zu einer einzigen weiteren geringfügigen Verspätung gekommen. Insoweit musste die Beklagte bereits im erstinstanzlichen Rechtszug einräumen, dass der Kläger zusammen mit der Mitarbeiterin V bereits um 08:04 Uhr in ihrem Betrieb anwesend war. Selbst wenn man unterstellt, der Kläger habe sich zunächst noch einige Minuten in der Tiefgarage aufgehalten, so stellt dies keinen so schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Verstoß dar, dass dieser - auch nach vorangegangener Abmahnung - eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde. Im Übrigen sind im Rahmen der Interessenabwägung alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, und dabei insbesondere auch, dass die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum ihrerseits ihre arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht, nämlich die Lohnzahlungspflicht, nicht ordnungsgemäß, insbesondere nicht pünktlich erfüllt hat. Von daher ist auch die ordentliche Kündigung rechtsunwirksam.

Da die streitgegenständliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat, steht dem Kläger aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges der von ihm geltend gemachte und der Höhe nach nicht bestrittene Restlohnanspruch in Höhe von 1.183,01 € für den Monat März zu. Auch die Verurteilung zur Zahlung von 80,00 € und weiterer 34,26 € durch das Arbeitsgericht war zum Zeitpunkt seiner Entscheidungsfindung zutreffend; insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 17, 18 der angefochtenen Entscheidung = Bl. 146, 147 d. A. Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Aufrechnung der Beklagten mit vermeidlichen Schadensersatzansprüchen zu keinem anderen Ergebnis führt. Das Arbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beklagte nicht zur Einhaltung der Pfändungsfreigrenzen gemäß § 604 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 850 f ZPO vorgetragen hat. Hinzukommt, dass der Sachvortrag der Beklagten insoweit nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen unsubstantiiert ist, des weiteren wird nicht berücksichtigt, dass der Arbeitnehmer nicht für jeden Schaden, der anlässlich seiner Arbeitstätigkeit auftritt, ersatzpflichtig ist. Der Arbeitnehmer haftet nur für solche Schäden ganz, wenn ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist und im Übrigen allenfalls anteilig. Dem Sachvortrag der Beklagten, der insoweit zu allgemein gehalten ist, lasse sich aber keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür entnehmen, festzustellen, welches Maß an Verschulden dem Kläger, der den allgemein gehaltenen Sachvortrag der Beklagten substantiiert bestritten hat, zuzurechnen ist.

Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhaltes.

Die Beklagte hat in ihrer Berufungsbegründung vom 09.02.2005 keine neuen Tatsachen vorgetragen, sondern lediglich das Verhalten des Klägers rechtlich anders gewürdigt als das Arbeitsgericht, dessen Begründung die Kammer demgegenüber ausdrücklich folgt. Hervorzuheben ist, dass die letzte Unpünktlichkeit, die vermeintlich die Kündigung rechtfertigen soll, derart geringfügig war, dass weder eine außerordentliche, noch eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses trotz guter Aussichten des Klägers auf dem Arbeitsmarkt bei einer Beschäftigungsdauer von nicht ganz vier Jahren nicht ernsthaft in Frage kommt. Insofern ergibt sich auch nichts anderes daraus, dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass der Kläger am fraglichen Tag ca. 20 Minuten zu spät im Betrieb erschienen ist. Es ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass gleichwohl eine beharrliche Arbeitsverweigerung, die eine außerordentliche Kündigung hätte rechtfertigen können, nicht gegeben ist und zum anderen im Rahmen der ordentlichen Kündigung die Interessenabwägung dazu führt, dass das Interesse des Klägers an der Weiterbeschäftigung überwiegt. Allein der Umstand, dass ein Kunde einen Termin absagt, reicht ohne Berücksichtigung anderer Umstände für ein gegenteiliges Ergebnis nicht aus; im Übrigen hat die Beklagte in diesem Zusammenhang keine konkreten Tatsachen desweiteren vorgetragen, sondern allgemeine Mutmaßungen.

Abzuändern war demgegenüber die Entscheidung in Höhe von 80,00 €, weil der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 25.04.2005 nunmehr erstmals eingeräumt hat, diesen Betrag tatsächlich erhalten zu haben. Damit ist zwischen den Parteien unstreitig, dass diese Teilklageforderung durch Erfüllung erloschen ist (§ 362 Abs. 1 BGB).

Nach alledem war die Entscheidung geringfügig abzuändern und im Übrigen die Berufung weitgehend zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92, 97 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Ende der Entscheidung

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