Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 22.09.2003
Aktenzeichen: 7 Sa 712/03
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BGB, TVAL


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 518
ZPO § 519
BGB § 626 Abs. 1
TVAL § 47 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 7 Sa 712/03

Verkündet am: 22.09.2003

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 05.03.2003 - 1 Ca 2354/02 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten über die Rechtswirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen.

Der 50 Jahre alte, verheiratete Kläger ist Vater eines unterhaltberechtigten Kindes. Er arbeitet seit dem 11.11.1974 bei den A., zuletzt als sogenannterTransportation-Manager und stellvertretender Abteilungsleiter auf dem A. unter Einreihung der Vergütungsgruppe ZB-8/E mit einer monatlichen Vergütung von ca. 3.500,00 € brutto.

Mit Schreiben vom 30.10.2002 (Bl. 4 d. A.) bzw. 22.11.2002 (Bl. 16 d. A.) hat die Beschäftigungsdienststelle das Arbeitsverhältnis jeweils außerordentlich mit der Begründung gekündigt, der Kläger sei am 18.10.2002 eine Stunde und fünf Minuten ohne Rechtfertigungsgrund der Arbeit fern geblieben, nachdem er wegen vergleichbarem Fehlverhalten bereits drei einschlägige Abmahnungen erhalten gehabt habe.

Mit der ersten Abmahnung, die vom 11.03.2002 datiert, beanstandete die Beschäftigungsdienststelle, dass der Kläger während seiner Freistellung von der Arbeit als Mitglied der Hauptbetriebsvertretung am 25.01.2002 in eigener Sache ein Arbeitsgerichtstermin wahrnahm, ohne zuvor dafür eine Freistellung beantragt zu haben. Mit Schreiben vom 28.06.2002 hatte die Beschäftigungsdienststelle den Kläger des weiteren abgemahnt, weil er ihrer Ansicht nach an bestimmten Tagen im Januar und Februar 2002 ohne Rechtfertigungsgrund der Arbeit ferngeblieben war, während der Kläger sich darauf berief, dass er als Mitglied des Wahlvorstandes entsprechende Aufgaben wahrzunehmen gehabt habe. Schließlich existiert eine weitere Abmahnung vom 01.07.2002, in der dem Kläger vorgeworfen wird, er habe seine Abwesenheit als Vorsitzender des Wahlvorstandes an bestimmten Tagen im Februar 2002 hinsichtlich Erforderlichkeit und Dauer nicht hinreichend begründet und sei somit unberechtigt von der Arbeit ferngeblieben.

Der Kläger hat vorgetragen,

die streitgegenständlichen Kündigungen seien bereits mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes unwirksam. Die ihm gegenüber ausgesprochenen Abmahnungen vom 11.03., 28.06. und 01.07.2002 seien allesamt ungerechtfertigt, wie sich aus den von ihm jeweils gegenüber den A. abgegebenen Stellungnahmen vom 08.04.2002 (Bl. 35 d. A.) und vom 19.08.2002 (Bl. 36 d. A.) zweifelsfrei ergeben. Ein etwaiges Fehlverhalten am 18.10.2002 sei jedenfalls nicht so schwerwiegend, dass es den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertige. Er habe am 18.10.2002 die Arztpraxis X, aufsuchen müssen, um eine Besprechung seiner Blutwerte durchzuführen, und überdies die Praxis W. aufsuchen müssen, um ein zum Kurantritt am 21.10.2002 mitzubringendes Einweisungsformular abzuholen. Dementsprechend habe er sich am 18.10.2002 gegen 08.00 Uhr in der Praxis Dr. X. eingefunden, und dort die im Labor bearbeiteten Blutwerte mit dem Arzt zu besprechen. Bei seinem Eintreffen in der Arztpraxis sei ihm mitgeteilt worden, dass der Ergebnisbericht des Labors noch nicht vorliege, nach Auskunft des Labors jedoch mit der Post noch am Vormittag eintreffen werde. Deshalb sei der Kläger gebeten worden, in der Praxis zu warten, bis die Laborwerte mit der Tagespost eingegangen seien. Nach einer Wartezeit bis ca. 10.30 Uhr habe er erfahren, dass er wahrscheinlich erst gegen 12.00 Uhr die erforderliche Besprechung der Laborwerte mit Herrn X. durchführen könne. Deshalb habe er sich entschlossen, in der Zwischenzeit nach der Praxis Dr. W. zu fahren, um dort das Einweisungsformular zum Kurantritt abzuholen. In Homburg habe er dann leider feststellen müssen, dass die Praxis Dr. W. an diesem Tag wegen Urlaubs geschlossen gewesen sei, so dass er unverrichteter Dinge zurück zur Praxis Dr. X. nach Waldmohr gefahren sei, wo dann um ca. 12.00 Uhr die vorgesehene Besprechung hinsichtlich des zwischenzeitlich mit der Post eingegangenen Laborberichts stattgefunden habe. Von einer pflichtwidrigen Arbeitsversäumnis des Klägers am Vormittag des 18.10.2002 könne daher keine Rede sein.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen dem Kläger und den A. bestehende Arbeitsverhältnis durch die seitens der Beschäftigungsdienststelle mit Schreiben vom 30.10.2002 zum 31.10.2002 ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht beendet worden ist;

2. festzustellen, dass das zwischen dem Kläger und den A. bestehende Arbeitsverhältnis durch die seitens der Beschäftigungsdienststelle mit Schreiben vom 21.11.2002 zum 25.11.2002 ausgesprochene vorsorgliche außerordentliche Kündigung nicht beendet worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

die ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei gerechtfertigt, weil der Kläger am 18.10.2002 weder vor dem Arzttermin, noch danach zur Arbeit gekommen sei. Aufgrund einer genehmigten Freistellung wegen geleisteter Mehrarbeit habe der Kläger am 18.10.2002 zwar ab 12.00 Uhr mittags der Arbeit fernbleiben können, er sei jedoch verpflichtet gewesen, nach dem Ende seines Arzttermins in der Praxis Dr. X. um 10.35 bis 12.00 Uhr zur Arbeit zurückzukehren. Ausgehend von einer Fahrtzeit von Waldmohr nach Ramstein von ca. 20 Minuten sei der Kläger daher eine Stunde und fünf Minuten ohne Rechtfertigungsgrund der Arbeit ferngeblieben. Der Kläger habe sich auch nicht von zwei Arztterminen bei seinem Vorgesetzten abgemeldet. Mithin sei er verpflichtet gewesen, am Vormittag des 18.10.2002 noch zur Arbeit zu erscheinen. Im Übrigen sei es lediglich deshalb toleriert worden, dass der Kläger am 18.10.2002 nicht zu Dienstbeginn um 07.15 Uhr die Arbeit aufnehmen würde, weil er angegeben habe, es müsse eine Blutuntersuchung vorgenommen werden und angenommen worden sei, dass der Kläger diese Untersuchung habe nüchtern durchführen lassen müssen. Nunmehr überrasche der Kläger mit dem Vortrag, dass lediglich ein Gespräch mit dem Arzt über das Ergebnis einer bereits zu einem früheren Zeitpunkt durchgeführten Blutuntersuchung habe stattfinden sollen. Ein solches Gespräch habe aber außerhalb der Arbeitszeit stattfinden müssen. Unterstellt, die Besprechung sei während der Arbeitszeit durchzuführen gewesen, habe der Kläger zumindest unverzüglich erkennen müssen, dass ein weiterer Aufenthalt in der Arztpraxis bis zum Eintreffen der Post nicht sinnvoll gewesen sei. Von einem verständigen und vernünftig handelnden Arbeitnehmer könne erwartet werden, dass er sich nicht grundlos während seiner Arbeitszeit beim Arzt aufhalte bzw. sich unverzüglich über den Zeitpunkt des Eintreffens der Besprechungsgrundlage informiere. Der Kläger habe deshalb die ihm als stellvertretendem Abeilungsleiter zugestandene Zeitautonomie unberechtigterweise missbraucht und mit seinem Fehlverhalten trotz einschlägiger Abmahnungen gegen die berechtigten Interessen des Arbeitgebers verstoßen.

Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat daraufhin durch Urteil vom 05.03.2003 - 1 Ca 2354/02 - festgestellt, dass das zwischen dem Kläger und den A. bestehende Arbeitsverhältnis durch die seitens der Beschäftigungsdienststelle mit Schreiben vom 30.10.2002 bzw. vom 22.11.2002 ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen nicht beendet worden ist. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Blatt 48 bis 55 der Akte Bezug genommen.

Gegen das ihr am 22.04.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 22.05.2003 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 23.06.2003 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, dass Fehlverhalten des Klägers am 18.10.2002 rechtfertige die außerordentliche Kündigung, zumal einschlägige Abmahnungen vom 11.02.2002, 28.06.2002, 17.02.2002 gegeben gewesen seien. Auch im Rahmen der Interessenabwägung überwiege das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 05.03.2003, Az.: 1 Ca 2354/02, wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, sofern überhaupt ein schuldhaftes Fehlverhalten des Klägers gegeben sei, rechtfertige dies jedenfalls keine außerordentliche Kündigung; zudem sei eine erforderliche vorherige einschlägige Abmahnung nicht gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen. Schließlich wird Bezug genommen auf die Feststellungen im Sitzungsprotokoll vom 22.09.2003.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung völlig zu Recht davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger und den A. weder durch die außerordentliche Kündigung vom 30.10., noch durch die vorsorglich ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 22.11.2002 aufgelöst worden ist.

Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel der § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und in der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann. Damit wird der wichtige Grund zunächst durch die objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist deshalb jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet (vgl. BAG AP-Nr. 4, 42, 63 zu § 626 BGB). Entscheidend ist nicht der subjektive Kenntnisstand des Kündigenden, sondern der objektiv vorliegende Sachverhalt, der objektive Anlass. Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind Ascheid/Preis/Schmidt Großkommentar Kündigungsrecht 1. Auflage 2000 (APS-Dörner), § 626 BGB Rz. 42 ff.; Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch Arbeitsrecht (DLW-Dörner), 3. Auflage 2002, D Rz. 656 ff.).

Die danach zu berücksichtigenden Umstände müssen nach verständigem Ermessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar erscheinen lassen (BAG AP-Nr. 4 zu § 626 BGB). Bei der Bewertung des Kündigungsgrundes und bei der nachfolgenden Interessenabwägung ist ein objektiver Maßstab anzulegen, so dass subjektive Umstände, die sich aus den Verhältnissen der Beteiligten ergeben, nur aufgrund einer objektiven Betrachtung zu berücksichtigen sind. Die danach maßgeblichen Umstände müssen sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken; da der Kündigungsgrund zukunftsbezogen ist und die Kündigung keine Sanktion für das Verhalten in der Vergangenheit darstellt, kommt es auf seine Auswirkungen auf die Zukunft an. Da es um den zukünftigen Bestand des Arbeitsverhältnisses geht, muss dessen Fortsetzung durch objektive Umstände oder die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich (der Vertragspartner) oder im Unternehmensbereich konkret beeinträchtigt sein (BAG EzA § 626 BGB Nr. 11, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 7).

Unter Anwendung dieses Maßstabes erweisen sich, insoweit folgt die Kammer ausdrücklich dem Arbeitsgericht, die streitgegenständlichen Kündigungen als unwirksam.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Kläger, wie von der Beschäftigungsdienststelle im Kündigungsschreiben beanstandet, am 18.10.2002 eine Stunde und fünf Minuten ohne Rechtfertigungsgrund der Arbeit fern blieb, ist dies nicht geeignet, das wegen des Lebensalters und der 28 Jahre betragenden Betriebszugehörigkeit des Klägers nicht mehr ordentlich kündbare Arbeitsverhältnis fristlos zu beenden. Vielmehr war es den A. zuzumuten, dass Fehlverhalten des Klägers, dass darin liegt, dass er während der Arbeitszeit am 18.10.2002 eine unverhältnismäßig lange Wartezeit beim Arzt in Kauf nahm, anstatt die Arbeit zumindest für eine Stunde aufzunehmen, durch eine Abmahnung zu sanktionieren.

Denn eine außerordentliche fristlose Kündigung kommt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur dann in Betracht, wenn alle anderen, milderen Mittel ausgeschöpft sind und eine Rückkehr des gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßenden Arbeitnehmers zu vertragsgerechtem Verhalten dauerhaft nicht zu erwarten ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend, auch insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht, nicht gegeben. Der Kläger ist seit rund 28 Jahren bei den A. beschäftigt, ohne bislang in einschlägiger Weise aufgefallen zu sein. Soweit sich die Beklagte demgegenüber auf die Abmahnungen vom 11.03., 28.06. und 01.07.2002 beruft, betreffen diese wesentlich anders gelagerte Sachverhalte, wovon das Arbeitsgericht zutreffend ausgegangen ist und sind - ungeachtet ihrer Berechtigung - nicht einschlägig. Zwar mag es sein, dass der Kläger mit Abmahnungsschreiben vom 11.03.2003 zu Recht gerügt wurde, weil er am 25.01.2002 während seiner Freistellung als Mitglied einer Arbeitnehmervertretung in eigener Sache einen Arbeitsgerichtstermin wahrgenommen hat, ohne zuvor eine entsprechende Genehmigung einzuholen. Dieser Sachverhalt ist jedoch nicht vergleichbar mit dem der Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalt. Denn der Kläger war am 18.10.2002 zur Wahrnehmung des Arzttermins freigestellt. Zwischen den Arbeitsvertragsparteien ist hinsichtlich des 18.10.2002 lediglich umstritten, ob der Kläger berechtigt war, zur Wahrnehmung von Arztterminen den gesamten Vormittag des 18.10.2002 in Anspruch zu nehmen, oder aber nicht. Auch die Abmahnungen vom 28.06. und 01.07.2002 sind nicht einschlägig. Zwar rügt die Beschäftigungsdienststelle auch dort das ihrer Ansicht nach unberechtigte Fernbleiben des Klägers von der Arbeit. Hintergrund der dortigen Unstimmigkeiten war jedoch lediglich die Frage, inwieweit der Kläger in seiner Eigenschaft als Mitglied des Wahlvorstandes berechtigt war, an bestimmten Tagen der Arbeit fernzubleiben, bzw. inwiefern es die Arbeit des Wahlvorstandes notwendig machte, den Kläger von der Arbeit freizustellen. Insoweit handelt es sich dementsprechend nicht um eine dem Kündigungssachverhalt vergleichbare Interessenlage. Der Kläger musste keinesfalls aufgrund der früheren Abmahnung davon ausgehen, dass er mit seinem Verhalten am 18.10.2002 den Bestand des Arbeitsverhältnisses riskieren würde.

Auch unter Abwägung der gesamten Umstände des Einzelfalles überwiegt schließlich das Interesse des Klägers am Erhalt des Arbeitsplatzes das Interesse der Beschäftigungsdienststelle an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zwar ist das Anliegen der Beschäftigungsdienststelle nachvollziehbar, den Kläger daran zu hindern, die ihm als stellvertretenden Abteilungsleiter zugestandene Zeitautonomie zu missbrauchen. Andererseits hat der Kläger am 18.10.2002 lediglich geringfügig gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, wenn er in der Zeit zwischen 10.55 Uhr und 12.00 Uhr die Arbeit nicht wieder aufnahm. Der Sachvortrag der Beklagten lässt zudem jegliche Angaben vermissen, welche wichtigen Aufgaben der Kläger in dieser Zeit zu erledigen gehabt hätte. Das durch das Fernbleiben des Klägers am 18.10.2002 arbeitgeberseits ein Schaden entstanden sein könnte, ist weder vorgetragen, noch sonst wie ersichtlich. Demgegenüber würde der auf eine Betriebszugehörigkeit von 28 Jahren zurückblickende Kläger durch die außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig hart getroffen. Aufgrund seines fortgeschrittenen Lebensalters ist nicht zu erwarten, dass auf dem Arbeitsmarkt alsbald eine andere angemessene Arbeitsstelle finden würde. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass der Kläger durch den Ausspruch einer einschlägigen Abmahnung künftig ohne weiteres dazu angehalten werden kann, Arzttermine, die außerhalb der Arbeitszeit vereinbart werden können, auch nur außerhalb der Arbeitszeit wahrzunehmen. Im Übrigen ist die Beklagte unter Berücksichtigung von § 47 Abs. 1 TVAL II und mangels einer ergänzenden Anhörung der Betriebsvertretung nicht berechtigt, die im Schriftsatz vom 28.02.2003 ergänzend angeführten Kündigungsgründe zur Begründung der streitgegenständlichen fristlosen Kündigung heranzuziehen. Allein das in dem Kündigungsschreiben gerügte Fernbleiben von der Arbeit im Umfang von einer Stunden und fünf Minuten reicht mangels einschlägiger Abmahnung aber keinesfalls aus, das Arbeitsverhältnis eines langjährig beschäftigten Mitarbeiters wie das des Klägers fristlos zu kündigen. Ein verständig denkender Arbeitgeber, auch insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht, hätte sich mit dem Ausspruch einer Abmahnung begnügt.

Auch das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhaltes. Denn insbesondere in der Berufungsbegründung vom 23.06.2003 wird neben einer Wiederholung der Sachverhaltsdarstellung aus der Sicht der Beklagten deutlich gemacht, dass die arbeitsrechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht, der die Kammer in vollem Umfang folgt, nicht geteilt wird. Gleiches gilt für die Wertung, die zuvor erteilten Abmahnungen seien nicht einschlägig gewesen. Nichts anderes gilt letztlich für das Ergebnis der durchgeführten Interessenabwägung. Da die Kammer insoweit uneingeschränkt der Auffassung des Arbeitsgerichts folgt, neue Tatsachen die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, aber im Berufungsverfahren nicht vorgetragen sind, sind weitere Ausführungen nicht erforderlich.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Ende der Entscheidung

Zurück