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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 17.01.2005
Aktenzeichen: 7 Sa 831/04
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, BetrVG, KSchG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 138 Abs. 4
ZPO § 139
ZPO § 518
ZPO § 519
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
BetrVG § 5
BetrVG § 102
BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 102 Abs. 1 Satz 1
BetrVG § 102 Abs. 1 Satz 3
BetrVG § 102 Abs. 3
KSchG § 1
BGB §§ 293 ff.
BGB § 626
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 7 Sa 831/04

Entscheidung vom 17.01.2005

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 06.08.2004 - 2 Ca 192/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten (im Berufungsverfahren nur noch) darüber, ob eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten das Arbeitsverhältnis beendet hat, sowie darüber, ob der Kläger noch einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte hat.

Der am 14.08.1959 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 01.08.1975 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt, zuletzt als Vorstandsassistent und Prokurist. Die Verdienstabrechnung des Klägers vom Dezember 2003 weist ein steuerpflichtiges Bruttoentgelt von 5.829,26 € aus. Die Beklagte beschäftigt in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer.

Mit Schreiben vom 29.12.2003 hat die Beklagte gegenüber dem Kläger die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit sofortiger Wirkung erklärt, vorsorglich die außerordentliche Kündigung mit Auslaufzeit zum Ende Juni 2004 und äußerst vorsorglich die fristgemäße Kündigung aus persönlichen und verhaltensbedingten Gründen zum Ende Juni 2004.

Hinsichtlich des Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Blatt 9 bis 11 der Akte Bezug genommen.

Dagegen richtet sich die am 19.01.2004 beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangene Klage des Klägers.

Der Kläger hat vorgetragen, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden, schon deshalb seien die Kündigungen allesamt rechtsunwirksam. Am 29.12.2003 habe keine Betriebsratssitzung stattgefunden. Eine ordnungsgemäße und ausreichende Information des Betriebsrats sei nicht gegeben. Ein Kündigungsgrund bestehe zudem nicht. Entgegen dem Vortrag der Beklagten habe der Kläger keine Untreue begangen und den Vorstand bei einer Kreditvorlage nicht getäuscht. Die Kreditvorlage hinsichtlich der Firma X. sei von der Abteilung Marktfolge erarbeitet worden und der Kläger sei für die Umsetzung des Kredites nicht mehr zuständig gewesen. Die Auszahlung des Kredites sei nicht vom Kläger, sondern vom Vorstand W. veranlasst worden. Ein Schaden sei nicht eingetreten, da der Kunde den Kredit pünktlich bediene.

Hinsichtlich des Kredits T. habe er entgegen dem Vortrag der Beklagten eine zutreffende Bewertung nach den Bewertungsrichtlinien der V. abgegeben, zusammen mit Frau U.. Die Bewertung sei erst abgegeben worden, als der Kredit schon ausgegeben gewesen sei. Ein Schaden sei auch in diesem Fall nicht entstanden.

Ihm stehe desweiteren für Januar 2004 die Bruttovergütung in Höhe von 5.829,26 € aus Annahmeverzug zu.

Der Kläger hat, soweit für das Berufungsverfahren von Belang, beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 29.12.2003, zugegangen am 29.12.2003 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt 5.829,26 Euro nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

der Betriebsrat sei am Montag, den 29.12.2003 in der Zeit von 11.30 Uhr bis 12.30 Uhr ordnungsgemäß angehört worden und habe seine Zustimmung zur Kündigung erteilt. Erst danach sei das Kündigungsschreiben am 29.12.2003 um 14.42 Uhr dem Kläger überreicht worden.

Die außerordentliche Kündigung sei gerechtfertigt, da der Kläger Untreue zum Nachteil der Beklagten begangen habe. Der Kläger sei für die Bearbeitung des Kredites der Firma X. zuständig gewesen und habe eine Kreditvorlage erstellt und außerdem bei einer Kreditbesprechung am 15.07.2004 derartige Angaben gemacht, dass letztlich vom Vorstand der Kredit der Firma X. bewilligt worden sei. Die Bewilligung sei erfolgt mit einer Auflage der Bestellung einer weiteren Sicherheit durch Grundschulden; von dieser Auflage sei der Kläger in Kenntnis gesetzt worden. Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 5 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 156 d. A.) Bezug genommen.

Hinsichtlich des Kredites T. habe der Kläger einen Kredit herausgegeben und durch Grundschulden auf dem Objekt gesichert. Er habe dabei das Objekt fehlerhaft bewertet. Da die dortigen Bauten nicht nachträglich baurechtlich genehmigt werden könnten, habe dies zur Folge, dass die Sicherheiten letztlich nichts Wert seien. Die Beklagte habe eine Wertberichtigung von 1,4 Millionen EURO vornehmen müssen; der Schaden der Beklagten bestehe in gleicher Höhe.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat daraufhin durch Urteil vom 06.08.2004 - 2 Ca 192/04 -, soweit für das Berufungsverfahren von Belang, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29.12.2003 nicht aufgelöst worden ist und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 5.829,26 € nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.01.2004 zu zahlen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Blatt 154 bis 161 der Akte Bezug genommen.

Gegen das ihr am 13.09.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 11.10.2004 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 19.10.2004 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, der Betriebsrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. Am Vormittag des 28.12.2003 habe der Vorstand der Beklagten mit dem Gesamtbetriebsrat gesprochen und ihn über die beabsichtigte außerordentliche Kündigung, hilfsweise fristgemäße Kündigung, unterrichtet. Die Gründe dafür seien im Einzelnen dargelegt worden. Der Betriebsrat habe daraufhin mitgeteilt, dass er ordnungsgemäß umfassend informiert worden sei und eine Anhörung des Betroffenen nach Beratung mehrheitlich für nicht notwendig befunden werde. Hinsichtlich des von der Beklagten insoweit vorgelegten Schreibens des Betriebsrats vom 11.02.2004 in Fotokopie wird auf Blatt 179 der Akte Bezug genommen. Insoweit sei das erstinstanzliche Gericht seiner Prozessförderungspflicht gemäß § 139 ZPO nicht nachgekommen; der Beweisantrag der Beklagten für die ordnungsgemäße Anhörung - Vernehmung der Mitglieder des Betriebsrats - stelle auch keinen unzulässigen Ausforschungsbeweis dar. Desweiteren habe der Kläger in keiner Weise substantiiert bestritten, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden sei.

Zudem habe es einer Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch der Kündigung nicht bedurft, da der Kläger leitender Angestellter sei (§ 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG); die Beklagte habe dem Kläger Gesamtprokura erteilt. Er sei als leitender Angestellter berechtigt gewesen, die Genossenschaft gemeinsam mit einem Vorstandsmitglied zu vertreten. Auch der Vorstand der Beklagten selbst sei im Innenverhältnis nur zur gemeinsamen Vertretung der Genossenschaft ermächtigt. Diese Stellung sei auch darin zum Ausdruck gekommen, dass er alleiniger Geschäftsführer der S. Immobilien GmbH im Zeitpunkt der Kündigungserklärung gewesen sei. Dabei handele es sich um eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Beklagten. Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird auf ihren Schriftsatz vom 22.11.2004 (Bl. 196 - 198 d. A.) Bezug genommen, desweiteren auf ihren Schriftsatz vom 14.01.2005 (Bl. 205 - 207 d. A.).

Die Beklagte beantragt,

unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 06.08.2004 die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, der Betriebsrat sei zu keinem Zeitpunkt ordnungsgemäß beteiligt worden. Eine eventuelle Anhörung sei auf keinen Fall ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Beklagte sei ihrer Darlegungslast insoweit nicht nachgekommen.

Der Kläger sei auch nicht als leitender Angestellter anzusehen. Er habe weder den Vorstand angehört, noch im Kreditausschuss der Beklagten einen Sitz gehabt, er sei nach dem eigenen Sachvortrag der Beklagten lediglich angehört worden und habe für den Kreditausschuss auch nur die Kreditvorlagen bearbeiten und die Beschlüsse des Vorstandes bzw. Kreditausschusses anschließend auf Weisung umsetzen sollen. Die Geschäftspolitik sei nicht sein Bereich gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Kündigungen das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet haben und darüber hinaus, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger das vertraglich vereinbarte Arbeitsentgelt für den Monat Januar 2004 zu zahlen.

Die von der Beklagten erklärten Kündigungen sind allesamt nach Maßgabe des § 102 BetrVG unwirksam.

Das ein nach dieser Vorschrift zu beteiligender Betriebsrat besteht, ist zwischen den Parteien unstreitig.

Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist die ohne Beteiligung des Betriebsrates erfolgte Kündigung unwirksam (vgl. BAG 16.03.2000 EzA § 108 Bundespersonalvertretungsgesetz Nr. 2). Dies gilt aufgrund einer ausdehnenden Auslegung dieser Vorschrift auch dann, wenn das Anhörungsverfahren nicht wirksam eingeleitet oder durchgeführt und abgeschlossen worden ist (BAG 04.06.2003 EzA § 209 InsO Nr. 1; Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch Arbeitsrecht, 4. Auflage 2004 (DLW-Dörner), D Rz. 251 ff. = Seite 1048 ff.).

Inhaltlich müssen neben den persönlichen Angaben, der Art der Kündigung, der Kündigungsfrist und dem Kündigungstermin insbesondere die Kündigungsgründe angegeben werden (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Dabei ist zu beachten, dass die Substantiierungspflicht im Kündigungsschutzprozess nicht das Maß für die Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers nach § 102 BetrVG ist. Der Umfang der Unterrichtungspflicht orientiert sich an dem vom Zweck des Kündigungsschutzprozesses zu unterscheidenden Zweck des Anhörungsverfahrens. Es zielt sich darauf ab, die selbständige Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung zu gewähren. Der Betriebsrat ist kein "Gericht", das über die Anträge des Arbeitgebers entscheidet, sondern er soll Partner des Arbeitgebers in einem zwar institutionalisierten, aber vertrauensvoll zu führenden betrieblichen Gespräch sein (BAG 28.08.2003 EzA § 102 BetrVG 2001 Nr. 4). Mit Kündigungsgründen sind folglich nicht nur die wichtigsten Kündigungsgründe gemeint, vielmehr hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über alle Tatsachen und subjektiven Vorstellungen zu unterrichten, die ihn zu der Kündigung veranlassen (BAG 24.11.1983 EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 54). Denn § 102 BetrVG soll dem Betriebsrat die Möglichkeit geben, durch seine Stellungnahme auf den Willen des Arbeitgebers einzuwirken und ihn durch Darlegung von Gegengründen unter Umständen von seiner Planung, den Arbeitnehmer zu entlassen, abzubringen (vgl. BAG 28.02.1974 EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 8).

Wenn dem Betriebsrat insoweit Gelegenheit gegeben werden soll, sich zu der beabsichtigten Kündigung zu äußern, dann muss er die Wirksamkeit dieser Kündigung auch beurteilen können. Das ist aber nur möglich, wenn er alle Tatsachen kennt, auf die der Arbeitgeber seine Kündigung stützt. Dazu gehören auch dem Arbeitgeber bekannte, seinen Kündigungsgründen widerstreitende Umstände (LAG Sachsen-Anhalt 05.11.1996 NZA-RR 1997, 325), z. B. Entlastungszeugen für Fehlverhalten des Arbeitnehmers (LAG Köln 30.09.1993 LAGE § 102 BetrVG 1972 Nr. 36) oder eine Gegendarstellung des Arbeitnehmers (BAG 31.08.1989 EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 75).

Die insoweit maßgeblichen Tatsachen muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat substantiiert mitteilen. Die pauschale Angabe von Kündigungsgründen oder die Angabe eines Werturteils allein genügen nicht (vgl. BAG 27.06.1985 EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 60). Angaben wie "Arbeitsverweigerung", "hohe Krankheitszeiten", "ungenügende Arbeitsleistung", "fehlende Führungsqualitäten", sind deshalb nicht ausreichend (LAG Schleswig-Holstein 30.10.2002 NZA-RR 2003, 310).

Folglich muss der Arbeitgeber die aus seiner Sicht die Kündigung begründenden Umstände so genau und umfassend darlegen, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigenen Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über seine Stellungnahme schlüssig zu werden (vgl. BAG 13.07.1978 EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 35).

Zu berücksichtigen ist andererseits, dass der Arbeitgeber im Rahmen des §§ 102 BetrVG nur die aus seiner Sicht tragenden Umstände mitteilen muss. Eine Verletzung der Mitteilungspflicht liegt deshalb nur dann vor, wenn er dem Betriebsrat bewusst ihm bekannte und seinen Kündigungsentschluss (mit)bestimmende Tatsachen vorenthält, die nicht nur eine Ergänzung oder Konkretisierung des mitgeteilten Sachverhaltes darstellen, sondern diesem erst das Gewicht eines Kündigungsgrundes geben, oder weitere eigenständige Kündigungsgründe beinhalten (vgl. DLW-Dörner, a.a.O., D Rz. 290). Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber aus seiner Sicht unrichtige oder unvollständige Sachdarstellungen unterbreitet (BAG 18.05.1994, 22.09.1994 EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 85, 86). Damit wird es dem Arbeitgeber insbesondere verwehrt, dem Betriebsrat den Sachverhalt irreführend zu schildern, "damit sich die Kündigungsgründe als möglichst überzeugend darstellen" (Arbeitsgericht Berlin 25.01.2002 NZA-RR 2003, 85).

Die objektiv unvollständige Unterrichtung verwehrt es dem Arbeitgeber, im Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des dem Betriebsrat mitgeteilten Sachverhaltes hinausgehen. Dies führt mittelbar zur Unwirksamkeit der Kündigung, wenn der verwertbare Sachverhalt die Kündigung nicht trägt, d. h. wenn es der sachlichen Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 KSchG oder 626 BGB bedarf und dazu der (zuvor dem Betriebsrat) mitgeteilte Kündigungssachverhalt nicht ausreicht (sogenannte subjektive Determinierung der Mitteilungspflicht des Arbeitgebers; BAG 22.09.1994 EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 86; LAG Schleswig-Holstein 30.10.2002 NZA-RR 2003, 310).

Andere Anforderungen an den Umfang der Mitteilungspflicht sind allerdings dann geboten, wenn der Betriebsrat bereits vor der erfolgten Anhörung über den erforderlichen Kenntnisstand verfügt, um sich über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe ein Bild zu machen und um eine Stellungnahme dazu abgeben zu können und dies der Arbeitgeber weiß oder nach den gegebenen Umständen jedenfalls als sicher ansehen kann (vgl. DLW-Dörner a.a.O. D Rz. 299).

Für die Wirksamkeit der Anhörung ist es im Übrigen aber unerheblich, ob der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung widerspricht, ob ein erhobener Widerspruch des Betriebsrats erheblich im Sinne des § 102 Abs. 3 BetrVG ist oder nicht und ob der Betriebsrat, wenn er die gegebenen Informationen nicht für ausreichend gehalten hat, keine weiteren Angaben ausdrücklich angefordert hat. Denn der Arbeitgeber ist verpflichtet, den maßgeblichen Sachverhalt näher so zu umschreiben, dass der Betriebsrat ohne eigene Nachforschungen oder Rückfragen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe überprüfen kann (vgl. BAG 27.06.1985 EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 60).

Ist streitig, ob die Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß erfolgt ist, so trägt der Arbeitgeber dafür die Darlegungs- und Beweislast (BAG 19.08.1975 EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 15; Busemann NZA 1987, 581). Insoweit muss der Arbeitnehmer zunächst die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestreiten, damit die entsprechende Darlegungslast des Arbeitgebers ausgelöst wird. Danach hat der Arbeitgeber die Darlegungslast dafür, dass er die ihm gemäß § 102 BetrVG obliegenden Pflichten ordnungsgemäß erfüllt, insbesondere auch den Betriebsrat nicht bewusst irreführend informiert hat (BAG 22.09.1994 EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 86).

Der Arbeitgeber erfüllt seine Darlegungspflicht nur dann, wenn er konkrete Tatsachen vorträgt, aus denen das Arbeitsgericht auf eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung schließen kann. Gegenstand des Beweises ist nicht der Rechtsbegriff "Anhörung", sondern die ihn ausfüllenden Tatsachen. Deshalb ist der pauschale Sachvortrag, der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß angehört, Beweis: Zeugen X, Y, ungenügend, weil nicht hinreichend bestimmt, so dass eine Beweisaufnahme nicht in Betracht kommt. Zwar richtet sich im Einzelfall der Umfang der Darlegungslast des Arbeitgebers auch nach der Einlassung des Arbeitnehmers. Gleichwohl muss der Arbeitgeber in der Regel darlegen, wann genau, durch wen, wemgegenüber und mit welchem genauen Inhalt dem Betriebsrat die Kündigungsabsicht mitgeteilt wurde. Desweiteren ist darzulegen, ob die Fristen des § 102 Abs. 1 Satz 1, 3 BetrVG eingehalten wurden oder eine fristverkürzende abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vorliegt. Unterlässt der Arbeitgeber ausreichenden Sachvortrag in tatsächlicher Hinsicht, dann ist die Kündigung als unwirksam anzusehen, da eine Wirksamkeitsvoraussetzung nicht dargelegt ist. Den hier zu stellenden Anforderungen genügt der Arbeitgeber allerdings zunächst dann, wenn er auf die in einen Schriftsatz an das Arbeitsgericht im Einzelnen dargestellten Umstände Bezug nimmt und pauschal vorträgt, dies alles habe er dem Betriebsrat mitgeteilt (LAG Nürnberg 04.02.2003 6 (5) Sa 981/01 - EzA - SD 7/03, Seite 12 Ls.).

Hat der Arbeitgeber insoweit die betriebsverfassungsrechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung des § 102 Abs. 1 BetrVG nach diesem Maßstab hinreichend dargelegt, dann muss sich der Arbeitnehmer zu dem diesbezüglichen Tatsachenvortrag des Arbeitgebers erklären (§ 138 Abs. 2 ZPO). Er muss nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast deutlich machen, welche der detaillierten Angaben des Arbeitgebers er aus welchem Grund weiterhin bestreiten will. Soweit es um Tatsachen außerhalb seiner eigenen Wahrnehmung geht, kann der Arbeitnehmer sich dabei gemäß § 138 Abs. 4 ZPO auf Nichtwissen berufen; ein pauschales Bestreiten des Arbeitnehmers ohne jede Begründung genügt dagegen nicht (BAG 16.03.2000 EzA § 626 BGB Neue Fassung Nr. 179). Je nachdem, wie substantiiert der Arbeitnehmer diesen Sachvortrag bestreitet, muss der Arbeitgeber seine Darstellung noch in weitere Einzelheiten zergliedern. Führt der Arbeitnehmer detailliert aus, bestimmte konkret genannte Punkte seien nicht mitgeteilt worden, muss der Arbeitgeber darauf eingehen. Macht er dies nicht, geht dies zu seinen Lasten (LAG Nürnberg 04.02.2003 a.a.O.).

Auch soweit der Arbeitgeber im Prozess geltend macht, der Betriebsrat habe die maßgeblichen Kündigungsgründe bereits gekannt, darf er sich nicht mit pauschalem Sachvortrag begnügen. Er muss vielmehr darlegen, wann dem Betriebsratsvorsitzenden oder einer sonstigen Person, deren Wissen sich der Betriebsrat zurechnen lassen muss, jeweils welche konkreten Sachverhalte mitgeteilt bzw. sonst bekannt geworden sind, die in ihrer Zusammenfassung die Kündigungsgründe bilden (vgl. Busemann NZA 1987, 581). Dem genügt der vom Arbeitgeber gemachte Sachvortrag "ALL diese Tatsachen sind dem Betriebsrat bereits bei Anhörung bekannt gewesen oder aber ihm von Frau S. im Zusammenhang mit der Anhörung mündlich mitgeteilt worden", nicht (LAG Köln 11.01.2002 ARST 2002, 233 Leitsatz; DLW-Dörner, a.a.O., D Rz. 321).

Diesen Anforderungen genügt der Tatsachenvortrag der Beklagten in beiden Rechtszügen erkennbar nicht, so dass mit dem Arbeitsgericht davon ausgegangen werden muss, dass alle streitgegenständlichen Kündigungen gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG rechtsunwirksam sind. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Sachvortrages ist davon auszugehen, dass lediglich dargestellt wird, dass eine Anhörung des Betriebsrats am 29.12.2003 ca. zwei Stunden vor Übergabe des Kündigungsschreibens an den Kläger erfolgt ist und der Betriebsrat der Kündigung noch vor Übergabe des Kündigungsschreibens zugestimmt hat. Die Beklagte hat dazu vorgetragen, dass das Datum auf dem Zustimmungsschreiben des Betriebsrats (Bl. 25 d. A.) lediglich fehlerhaft auf den 28.12.2003 angegeben sei. Damit steht lediglich aus der Sicht der Beklagten fest, dass überhaupt eine Anhörung des Betriebsrats am 29.12.2003 erfolgt ist. Damit ist aber in keiner Weise erkennbar, ob eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach dem zuvor ausführlich dargestellten Prüfungsmaßstab durchgeführt worden ist. Demgegenüber hat der Kläger bereits in der Klageschrift die Anhörung des Betriebsrats bestritten; dies ist gemäß § 138 Abs. 4 ZPO zulässig, weil der Kläger vorliegend erkennbar keine näheren Kenntnisse aus eigenem Wissen von diesem Vorgang haben konnte. Auch im Schriftsatz vom 16.02.2004 hat der Kläger die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats ausdrücklich bestritten. Die nunmehr in vollem Umfang darlegungspflichtige Beklagte hat im erstinstanzlichen Rechtszug, auch insoweit ist dem Arbeitsgericht zu folgen, lediglich pauschal behauptet, dass der Gesamtbetriebsrat in allen Einzelheiten über die Kündigungsgründe informiert worden sei. Aus dieser Behauptung wird nicht erkennbar, was im Einzelnen wem mitgeteilt worden sein soll. Auch im weiteren erstinstanzlichen Rechtszug hat die Beklagte lediglich die pauschale ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats behauptet, ohne dies nachvollziehbar darzustellen. Die Beklagte hat ein Anhörungsschreiben an den Betriebsrat nicht formuliert und folglich auch nicht vorgelegt. Welche Mitteilungen konkret und im Einzelnen an den Betriebsrat erfolgt sein sollen, wird daher nicht vorgetragen.

Das Arbeitsgericht hat insoweit zu Recht auch darauf hingewiesen, dass der Kündigungssachverhalt hinsichtlich der Kündigung des Arbeitsverhältnisses des seit ca. 28 Jahren bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigten Klägers recht komplex und umfangreich ist, so dass erst recht Veranlassung besteht, nach dem zuvor dargestellten Maßstab nachzuvollziehen, welche Tatsachen konkret dem Betriebsrat mitgeteilt worden sind.

Mit dem Arbeitsgericht war auch im erstinstanzlichen Rechtszug die angebotene Beweiserhebung durch Vernehmung des Betriebsrats zur vorgenommenen Anhörung des Betriebsrats zu unterlassen. Es handelte sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, weil erst durch konkrete Fragen an die Zeugen das Tatsachenmaterial hätte beschafft werden können, das Gegenstand des schriftsätzlichen Vorbringens der Beklagten nach dem zuvor dargestellten Maßstab hätte sein müssen. Das Arbeitsgericht hat es völlig zu Recht auch abgelehnt, durch Ausforschung beim Betriebsrat herauszufinden, welche Mitteilungen im Einzelnen konkret am 29.12.2003 seitens der Beklagten gemacht worden sein sollen.

Da das Arbeitsverhältnis durch die streitgegenständlichen Kündigungen nicht aufgelöst worden ist, steht dem Kläger für Januar 2004 nach §§ 293 ff. BGB aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges ein Vergütungsanspruch in Höhe von 5.829,26 € brutto zu. Hinsichtlich der weiteren Begründung dieses Anspruches durch das Arbeitsgericht wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Seite 9 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 160 d. A.) Bezug genommen.

Auch das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhaltes.

In der Berufungsbegründungsschrift vom 18.10.2004 wird zunächst ausführlich dargestellt, dass das Arbeitsgericht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, ferner gegen § 139 ZPO verstoßen haben soll. Ob dies für den erstinstanzlichen Rechtszug zutrifft, kann dahinstehen. Spätestens nach der ausführlich begründeten Entscheidung des Arbeitsgerichts Koblenz war Veranlassung gegeben, den Sachvortrag der Beklagten für die zweite Tatsacheninstanz zu überprüfen. Substantiierte, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen näher dargestellte Tatsachen lassen sich der Berufungsbegründungsschrift aber im hier maßgeblichen Zusammenhang nicht entnehmen. Es genügt eben auch im zweitinstanzlichen Verfahren gerade nicht, dass der Arbeitgeber behauptet, er habe die maßgeblichen Gründe im Einzelnen dem Betriebsrat mitgeteilt. Dass der Betriebsrat mehrheitlich eine Anhörung des Betroffenen für nicht notwendig hielt, ist ebenso wenig von Belang, wie dargelegt, wie die Tatsache, dass der Betriebsrat subjektiv der Beklagten mitgeteilt hat, er sei ordnungsgemäß umfassend informiert worden. Es ist nicht Sache des Betriebsrats dies zu entscheiden, sondern allein die des Arbeitsgerichts und der Kammer. Soweit die unterbliebene Beweiserhebung bemängelt wird, ist, wie bereits dargelegt, darauf hinzuweisen, dass eine Tatsachenbasis für einen Zeugenbeweis aufgrund des Sachvortrages der Beklagten erkennbar nicht gegeben war.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem schriftsätzlichen Vorbringen der Beklagten, beginnend mit dem 12.11.2004, wonach nunmehr behauptet wird, eine Anhörung des Betriebsrats sei gar nicht erforderlich gewesen, weil der Kläger leitender Angestellter im Sinne des § 5 BetrVG gewesen sei. Im Schriftsatz vom 12.11.2004 wird lediglich darauf hingewiesen, dass der Kläger Gesamtprokura gehabt habe. Nähere Einzelheiten zu den nach § 5 BetrVG maßgeblichen Kriterien fehlen in diesem Schriftsatz, dessen Angaben der Kläger im Einzelnen detailliert und substantiiert bestritten hat, vollständig. Dies wäre schon deshalb erforderlich gewesen, weil die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt in zwei Rechtszügen erkennbar selbst von der Notwendigkeit der Beteiligung des Betriebsrats ausgegangen ist und zu keinem Zeitpunkt behauptet hat, diese sei nur vorsorglich erfolgt. Im Schriftsatz vom 22.11.2004 wird der Sachvortrag hinsichtlich der behaupteten Kompetenzen des Klägers erweitert; der Kläger hat diesen Sachvortrag im Einzelnen detailliert und substantiiert bestritten. Abgesehen davon, dass natürlich die Frage nahe liegt, inwieweit dem Kläger angesichts der nunmehr von der Beklagten erstmals behaupteten Kompetenzen überhaupt ein schuldhaftes Fehlverhalten vorgeworfen werden kann, es sich nicht um Entscheidungen im Rahmen seiner eigenen persönlichen Entscheidungskompetenz gehandelt haben soll, fehlt jeglicher Beweisantritt für die - neuen - Behauptungen der Beklagten. Soweit schließlich im Schriftsatz vom 14.01.2005 die Frage von Umfang und Widerruf der Prokura thematisiert wird, ergibt sich allein aus diesen tatsächlichen Angaben nicht einmal im Ansatz, dass der Kläger leitender Angestellter im Sinne des § 5 BetrVG gewesen sein könnte. Diese Darstellung steht, wie bereits dargestellt, im Übrigen auch in offenkundigem Widerspruch zur Darstellung der Kündigungsgründe durch die Beklagte, die erkennbar nicht davon ausgeht, dass dem Kläger weitreichende Entscheidungsbefugnisse zugestanden haben sollen. Denn wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre kaum nachzuvollziehen, wie aus dem von der Beklagten geschilderten Kündigungssachverhalt, seine Richtigkeit unterstellt, auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Klägers als schuldhafte Abweichung des tatsächlichen vom vertraglich geschuldeten Verhalten hätte geschlossen werden können.

Von daher bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte, von einer Entbehrlichkeit der Anhörung des Betriebsrats auszugehen.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

Ende der Entscheidung

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