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Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 08.12.2006
Aktenzeichen: 8 Sa 715/06
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 519
ZPO § 520
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 8 Sa 715/06

Entscheidung 08.12.2006

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein - Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz - vom 28.07.2006 - 9 Ca 230/06 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer durch den Insolvenzverwalter erklärten ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

Der 44 Jahre alte Kläger, der verheiratet und einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, wurde seit 01.01.2001 bei der Firma V. als Distriktleiter mit einem monatlichen Bruttogehalt von 7.900,- EUR beschäftigt.

Am 28.02.2006 erfolgte über das Vermögen der vorgenannten Firma die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der Bestellung des Beklagten zum Insolvenzverwalter. In einem Interessenausgleich vom gleichen Tage, in welchem der Kläger als zu kündigender Arbeitnehmer aufgeführt ist, wurden vier ursprünglich bestehende Distrikte zu 2 Distrikten zusammengefasst.

Am 03.03.2006 erhielt der Kläger die Kündigung des Beklagten zum 31.05.2006.

Der Kläger hat erstinstanzlich das Entfallen seines Arbeitsplatzes bestritten, auf Beschäftigungsmöglichkeiten als Niederlassungsleiter in A-Stadt, B-Stadt und C-Stadt hingewiesen, die fehlerhafte Sozialauswahl gerügt, eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates beanstandet und beantragt,

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 03.03.2006 nicht zum 31.05.2006 enden wird.

Der Beklagte hat

Klageabweisung

beantragt und im Wesentlichen darauf abgehoben, dass durch den Abschluss des Interessenausgleichs mit Namensliste das dringende betriebliche Erfordernis für die streitgegenständliche Kündigung vermutet würde und im übrigen der Arbeitsplatz des Klägers dadurch weggefallen sei, dass von den ursprünglich vier Distrikten durch Neuaufteilung nur noch zwei vorhanden seien. Von den vergleichbaren Distriktleitern sei der Kläger sozial am wenigsten schutzwürdig.

Zu den weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz - vom 28.07.2006 - 9 Ca 230/06 (Bl. 145 - 148 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat im vorerwähnten Urteil der Kündigungsschutzklage stattgegeben, da die gesetzliche Vermutung des Vorliegens eines dringenden betrieblichen Erfordernisses für die ausgesprochene Kündigung widerlegt worden sei. Der Kläger habe vorgetragen, dass das Gebiet Süd nach der Eigenkündigung von Herrn U. unbesetzt sei. Eine kommissarische Betreuung durch Herrn V. stünde dem nicht entgegen, da dies der eigenen Planung des Beklagten widerspräche. Außerdem sei die Stelle des Niederlassungsleiters A-Stadt unbesetzt; hierzu habe die Beklagte keine Stellung genommen.

Gegen das dem Beklagten am 19.08.2006 zugestellte Urteil richtet sich dessen, am 08.09.2006 eingelegte und am 31.10.2006 begründete, Berufung nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist.

Der Beklagte bringt zweitinstanzlich weiter vor,

die Kündigung sei sozial gerechtfertigt, da der Arbeitsplatz des Klägers weggefallen sei. Der Arbeitnehmer T. nähme die Vertriebsleitung in der Zusammenfassung von 2 Distrikten wahr und Herr V. die Vertriebsleitung Süd unter Zusammenfassung von ebenfalls 2 Distrikten (Beweis: Zeugnis V., U.). Die Leitung des Distriktes Süd sei nicht an den Arbeitnehmer S. übertragen worden. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Übertragung der Position eines Niederlassungsleiters. Eine solche Position sei mit der des Klägers nicht vergleichbar. Das Grundgehalt des Niederlassungsleiters betrüge 750,-EUR, das des Klägers 3.500,- EUR. Im übrigen sei die Stelle des Niederlassungsleiters in A-Stadt nicht unbesetzt. Es läge auch kein Widerspruch zur Planung des Beklagten vor. Insoweit sei von einer unternehmerischen Entscheidung auszugehen, aus vormals vier Distrikten zwei Vertriebsleitungen - Nord und Süd - einzurichten. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei aus dem Protokoll vom 21.07.2006 nicht erkennbar, dass Herr V. das 2. Gebiet nur kommissarisch leite.

Zur weiteren Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 31.10.2006 (Bl. 171 - 174 d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichtes Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz -, Az. 9 Ca 230/06, vom 28.07.2006, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat

Zurückweisung der Berufung

beantragt und erwidert,

die Tätigkeit eines Distriktleiters bestünde nach wie vor fort. Eine Umtitulierung von Distrikt- in Vertriebsleiter führe nicht zu einem Wegfall des Arbeitsplatzes. Seine Aufgaben seien nach seiner Freistellung ab Montag, den 06.03.2006, dem weniger sozial schutzwürdigeren Herrn S. übertragen, der nach Eigenkündigung ausgeschieden sei. Die Beklagte habe sich mit ihrer eigenen Unternehmerentscheidung in Widerspruch gesetzt. Bei der Schuldnerin seien die Positionen des Leiters der Niederlassung B-Stadt bzw. C-Stadt unbesetzt. Der Beklagte habe Herrn R. als Niederlassungsleiter in D-Stadt im April 2006 eingestellt. Die Höhe der Vergütung sei für die Vergleichbarkeit eines Distrikt- mit einem Niederlassungsleiter unerheblich, da sich die Höhe der Provision zwischen Vertriebs- und Niederlassungsleiter erheblich unterschieden. Niederlassungsleiter hätten durchaus auch höhere monatliche Fixgehälter. Der Distriktleiter Q. habe die Leitung der Niederlassung A-Stadt mit der Folge finanzieller Verbesserung übernommen. Schließlich habe die Beklagte ihre Auskunftspflicht hinsichtlich der Sozialauswahl verletzt und den Betriebsrat nicht explizit angehört.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungsbeantwortung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 04.12.2006 (Bl. 190 - 197 d. A.) Bezug genommen. Im übrigen wird auf den gesamten Akteninhalt, alle vorgelegten Unterlagen und die Feststellungen im Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung des Landesarbeitsgerichts vom 08.12.2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Rechtsmittel der Berufung des Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt, sowie begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.

Die Berufung des Beklagten ist jedoch nicht begründet.

Das Arbeitsgericht ist im angefochtenen Urteil im Ergebnis zu Recht zur Auffassung gelangt, dass die dem Kläger gegenüber ausgesprochene Kündigung vom 03.03.2006 nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.05.2006 geführt hat, da die Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 des vorliegend anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes im unterbreiteten Fall nicht festgestellt werden können.

Die Voraussetzungen für den Ausspruch einer dringenden betriebsbedingten Kündigung sind auch nach dem Sachstand im Berufungsverfahren nicht gegeben.

Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung liegt nur vor, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, der bei Ausspruch der Kündigung bestehenden betrieblichen Lage durch andere Maßnahmen technischer, organisatorischer oder wirtschaftlicher Art als durch eine Beendigungskündigung zu entsprechen. Das Merkmal der "Dringlichkeit" der betrieblichen Erfordernisse konkretisiert den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (ultima ratio-Prinzip), aus welchem sich ergibt, dass der Arbeitgeber vor jeder ordentlichen Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine beiden Parteien objektiv mögliche und zumutbare Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Bedingungen anbieten muss (ständige Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts, Urteile vom 27.09.1984 - 2 AZR 62/83 = BAGE 47, 26, Urteil vom 29.11.1990 - 2 AZR 282/90 und Urteil vom 21.04.2005 - 2 AZR 244/04 und 12 AZR 132/04).

Im vorliegenden Fall wurden die aufgezeigten Grundsätze durch die Kündigung des Beklagten nicht eingehalten, da dem Kläger die freien Stellen in A-Stadt, B-Stadt und C-Stadt als Niederlassungsleiter ebenso anzubieten gewesen wären wie die im April 2006 in D-Stadt besetzte Stelle. Von diesem Sachstand ist mangels qualifizierten Bestreiten durch den Beklagten auch auszugehen. Hierbei kommt es entgegen der Auffassung der Berufung nicht darauf an, ob der als Distriktleiter tätig gewesene Kläger mit der Position eines Niederlassungsleiters vergleichbar ist, sondern darauf, ob der Beklagte eine objektiv mögliche und für den Kläger zumutbare Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz hatte. Besteht eine solche Möglichkeit, ist es dem Arbeitgeber nach dem Stand der für zutreffend gehaltenen Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteil vom 21.04.2005 - a. a. O.) zumutbar, eine Änderungskündigung vor einer Beendigungskündigung auszusprechen. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Vorfeld einer Kündigung ein Weiterbeschäftigungsangebot unterbreitet hat und der Arbeitnehmer dies abgelehnt hätte. Grundsätzlich hat nämlich der Arbeitnehmer selbst zu entscheiden, ob er eine Weiterbeschäftigung unter möglicherweise erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen für zumutbar hält oder nicht (vgl. BAG Urteil vom 21.04.2005, a. a. O.).

Die von der Berufung angeführten Vergütungsunterschiede schlagen nach Auffassung der Berufungskammer nicht durch, da der Kläger im Laufe des Berufungsverfahrens unwidersprochen vorgetragen hat, dass nicht allein auf die Höhe des Fixgehaltes abgestellt werden könne, sondern die Provisionen eines Niederlassungsleiters das Gehalt eines Distriktleiters erreichen und sogar übersteigen können. Dem hat der Beklagte nicht qualifiziert widersprochen. Dies gilt unabhängig davon, dass der Beklagte sowohl Herr P. als auch dem weiteren ehemaligen Distriktleiter U. eine entsprechende Niederlassungsleitung angeboten hat. Von einer Unzumutbarkeit eines entsprechenden Weiterbeschäftigungsangebotes, welches nach dem Stand der Rechtssprechung ohnehin nur in Extremfällen angenommen werden kann (vgl. Urteil des BAG vom 21.04.2005, a. a. O.), kann daher nicht ansatzweise ausgegangen werden.

Ob für eine Unwirksamkeit der Kündigung noch weitere vom Kläger ins Feld geführte Gründe, wie eine fehlerhafte Sozialauswahl und eine ggf. unwirksame Anhörung des Betriebsrats sprechen, kann auf sich beruhen.

III.

Nach alledem war die Berufung des Beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für eine Zulassung der Revision bestand angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG keine Notwendigkeit.

Ende der Entscheidung

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