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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Urteil verkündet am 11.07.2007
Aktenzeichen: 8 Sa 876/06
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB, KSchG, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 69 Abs. 2
BGB § 626 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2
BetrVG § 102 Abs. 1 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 28.9.2006 - 2 Ca 912/06 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 29.6.2006 aufgelöst worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger und die Beklagte haben die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer ordentlichen Kündigung.

Der am 11.11.1951 geborene Kläger war seit dem 06.04.1981 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen, zuletzt als Fertiger in der Motorenaufbereitung beschäftigt.

Am 17.05.2006 wurde im Pausenraum des Fachbereichs Motorenaufbereitung Informations- und Werbematerial (Flyer, Feuerzeuge, Flaschenöffner) der Partei "Die K" gefunden. Dieses Material hatte der Kläger dort ausgelegt. Die Beklagte erteilte ihm deshalb mit Schreiben vom 30.05.2006 (Bl. 33 d. A.) eine "Verwarnung".

Mit Schreiben vom 23.06.2006, welchem mehrere Anlagen beigefügt waren, unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über die beabsichtigte fristlose sowie über die beabsichtigte (vorsorgliche) ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Wegen des Inhalts des Anhörungsschreibens und der ihm beigefügten Anlagen im Einzelnen wird auf Blatt 29-36 d. A. Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 29.06.2006, welches dem Kläger am 30.06.2006 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Darüber hinaus kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 21.07.2006 - dem Kläger zugegangen am 22.07.2006 - ordentlich zum 28.02.2007. Mit seiner am 07.07.2006 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat sich der Kläger gegen die fristlose Kündigung gewandt. Gegen die ordentliche Kündigung richtet sich die vom Kläger am 26.07.2006 beim Arbeitsgericht eingereichte Klage. Das Arbeitsgericht hat die beiden Kündigungsschutzverfahren mit Beschluss vom 28.08.2006 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden.

Der Kläger hat erstinstanzlich u. a. vorgetragen, sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung seien unwirksam. Es treffe nicht zu, dass er am 22.06.2006 gegen 8.00 Uhr das Betriebsratsmitglied A. als "dreckigen Lügner" tituliert habe. Vielmehr habe er lediglich erklärt: "Da kommt ja unser Lügner". Am 17.05.2006 habe er Herrn A. gefragt, wo die von ihm im Pausenraum hinterlegten Flyer hingekommen seien, worauf Herr A. geantwortet habe, er habe sie dorthin geworfen, wo sie hingehörten, nämlich in den Müll. Mit dieser Antwort habe er - der Kläger - sich zufrieden gegeben. Am Tag der Übergabe des Abmahnungsschreibens vom 30.05.2006 sei ihm jedoch klar geworden, dass Herr A. ihn angelogen habe und davon auszugehen sei, dass dieser einen Flyer an die Personalabteilung weiter geleitet habe. Entgegen der Behauptung der Beklagten treffe es nicht zu, dass er Herrn A. am selben Tag auch noch bedroht habe. Dies habe Herr A. wohl erfunden, um seiner Forderung nach seiner (des Klägers) Entlassung Nachdruck zu verleihen. Die ordentliche Kündigung sei auch bereits deshalb unwirksam, weil der Betriebsrat vor Ausspruch derselben nicht nochmals angehört worden sei.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 29.06.2006 noch durch die Kündigung vom 21.07.2006 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich u. a. vorgetragen, das Arbeitsverhältnis sei bereits durch die streitbefangene fristlose Kündigung aufgelöst worden. Der Kläger habe am 22.06.2006, gegen 8.00 Uhr, das Betriebsratsmitglied A. bei dessen Eintreffen im Motorenaufbereitungs-Bereich in Anwesenheit anderer Mitarbeiter als "dreckiger Lügner" bezeichnet. Noch am selben Tag, gegen 11.50 Uhr, habe der Kläger gegenüber Herrn A. folgende Drohungen ausgesprochen: "PassŽ ab jetzt auf Dein Eigentum auf. Wenn ich Dich in der Öffentlichkeit treffe, poliere ich Dir die Fresse. PassŽ auf, wenn Du abends das Haus verlässt, dann bekommst Du die Fresse poliert". Das Verhalten des Klägers rechtfertige den Ausspruch einer außerordentlichen, zumindest jedoch den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 28.09.2006 stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5-7 dieses Urteils (= Bl. 72-74 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 30.10.2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.11.2006 Berufung eingelegt und diese am 22.12.2006 begründet.

Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, das Arbeitsgericht habe bei seiner Bewertung der vom Kläger gegenüber dem Mitarbeiter getätigten Äußerung ("dreckiger Lügner") zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger im Zusammenhang mit dieser Beleidigung auch noch andere Äußerungen gegenüber Herrn A. getätigt habe, die geeignet gewesen seien, diesen in seiner Ehre erheblich zu verletzen. So habe der Kläger u. a. gegenüber dem Betriebsratsmitglied Bauer erklärt, Herr A. habe ihn verkauft und belogen. Außerdem habe er Herrn A. vorgehalten, seinetwegen aus der IG-Metall ausgetreten zu sein. Letztlich habe der Kläger - an Herrn A. gewandt - auch gesagt, der Betriebsrat müsse zu den Leuten stehen und sie nicht "in die Pfanne hauen". Das alles belege, dass der Kläger keineswegs nur eine aus seiner Sicht zutreffende Behauptung habe aufstellen wollen, sondern Herrn A. zielgerichtet als unglaubwürdig herabgewürdigt habe. Dadurch habe er Herrn A. erheblich in seiner Ehre verletzt und auch noch versucht, dessen Integrität als Interessenvertreter der Belegschaft gegenüber den anwesenden Mitarbeitern in Frage zu stellen. Das Arbeitsgericht hätte auch berücksichtigen müssen, dass die Beleidigung gezielt und vorsätzlich und nicht aus einer plötzlichen Erregung heraus erfolgt sei. Zutreffend sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass in den vom Kläger gegenüber dem Mitarbeiter A. am 22.06.2006 um 11.50 Uhr getätigten Drohungen ein wichtiger, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung an sich rechtfertigender Grund zu sehen sei. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts stehe jedoch das Ergebnis der durchzuführenden Interessenabwägung nicht der Wirksamkeit der Kündigung entgegen. Insoweit seien nämlich die arbeitgeberseitigen Interessen nicht ausreichend gewürdigt worden. Sollten sich sowohl die außerordentliche als auch die ordentliche Kündigung als unwirksam erweisen, so sei das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger sei nicht zu erwarten. Dies ergebe sich u. a. daraus, dass der Kläger auch im laufenden Kündigungsschutzverfahren diffamierende Äußerungen gegenüber Herrn A. erhoben habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 28.09.2006, AZ: 2 Ca 912/06, abzuändern und die Klage abzuweisen;

hilfsweise für den Fall, dass das Berufungsgericht sowohl die außerordentliche Kündigung als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung als unwirksam ansieht,

das Arbeitsverhältnis gegen Abfindungszahlung aufzulösen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten nebst Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht im Wesentlichen geltend, das Arbeitsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der Bezeichnung "dreckiger Lügner" ohnehin nicht um eine grobe Beleidigung handele, was insbesondere dann zutreffe, wenn diese Äußerung nicht in gehobener Gesellschaft sondern an der Werkbank in einer Fabrik vor einem kleinen Zuhörerkreis geäußert wird. Tatsächlich habe er gegenüber Herrn A. in pfälzischem Dialekt lediglich gesagt: "Da kommt ja unser Lügner", wobei allen Beteiligten der Grund für diese Aussage klar gewesen sei, nämlich weil er - der Kläger - berechtigtermaßen habe davon ausgehen können, dass der Mitarbeiter A. ihm gegenüber die Unwahrheit gesagt habe. Seine Äußerung habe den betrieblichen Ablauf ebenso wenig gestört, wie die Arbeitskonzentration der anderen Mitarbeiter. Seine persönliche Aversion gegen das Betriebsratsmitglied A. habe weder die Produktion noch die anderen Mitarbeiter in irgend einer Weise beeinträchtigt. Auch der Auflösungsantrag der Beklagten könne keinen Erfolg haben.

Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A., D., E., C. und B.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11.07.2007 (dort Seiten 2-9 = Bl. 240-247 d. A.) verwiesen.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils sowie auf die von den Parteien im Berufungsverfahren zu den Akten gereichten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache zum Teil Erfolg.

II.

Die Klage ist insoweit begründet, als sie sich gegen die mit Schreiben der Beklagten vom 29.06.2006 ausgesprochene außerordentliche Kündigung richtet. Die gegen die mit Schreiben vom 21.07.2006 gerichtete Kündigungsschutzklage ist hingegen unbegründet.

1.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 29.06.2006 aufgelöst worden. Ein wichtiger, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigender Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB ist nach der gesetzlichen Definition gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der außerordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt - ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles - (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden. Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d. h. ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zu dem gem. § 626 Abs. 1 BGB relevanten Zeitpunkt fortzusetzen.

Im Streitfall liegt ein Fehlverhalten des Klägers vor, welches an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abzugeben. Grobe Beleidigungen von Arbeitskollegen, die nach Form- und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis dar und können daher eine außerordentliche fristlose Kündigung grundsätzlich rechtfertigen (BAG v. 10.10.2002 - 2 AZR 418/01 - EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 1). Entsprechendes gilt, wenn ein Arbeitnehmer einen Arbeitskollegen bedroht, insbesondere wenn es sich dabei um die Androhung körperlicher Gewalt handelt. Im Streitfall hat der Kläger den Mitarbeiter der Beklagten A. sowohl grob beleidigt als auch massiv bedroht, sodass ein den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung an sich rechtfertigender wichtiger Grund gegeben ist.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Berufungsgerichts fest, dass der Kläger am Vormittag des 22.06.2006, gegen 8.00 Uhr, das Betriebsratsmitglied A. als "dreckigen Lügner" bezeichnet hat. Dies haben die Zeugen A., B. und E. bei ihrer Vernehmung übereinstimmend ausgesagt. Das Berufungsgericht hat nach eingehender Würdigung der Aussagen dieser Zeugen, insbesondere auch aufgrund des bei deren Vernehmung gewonnenen persönlichen Eindrucks, keine Zweifel daran, dass der Kläger die von der Beklagten behauptete Äußerung "Da kommt ja unser dreckiger Lügner" getätigt hat. Dies entspricht den insoweit übereinstimmenden und glaubhaften Aussagen der Zeugen A. und B.. Der Umstand, dass sich der Zeuge E. zu erinnern glaubte, dass der Kläger sogar mehrmals die Worte "dreckiger Lügner" gerufen hat, steht in der Annahme der Richtigkeit der Aussagen der Zeugen A. und B. nicht entgegen. Entsprechendes gilt hinsichtlich der Aussagen der Zeugen D. und C., wobei der Zeuge D. noch bekundet hat, dass der Kläger dem Betriebsratsmitglied A. "irgend etwas mit Lügner" zugerufen habe, wohingegen der Zeuge C. lediglich bestätigen konnte, dass zwischen den beiden Personen eine "Schreierei" stattgefunden hat, deren Inhalt er - der Zeuge - nicht mitbekommen habe.

Die Beweisaufnahme hat auch den von der Beklagten gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwurf bestätigt, der Kläger habe das Betriebsratsmitglied A. am 22.06.2006 gegen 11.50 Uhr bedroht. Der Zeuge A. hat bei seiner Vernehmung ausgesagt, der Kläger habe an dem betreffenden Tag, gegen 11.50 Uhr, folgende Äußerung getätigt: "PassŽ ab jetzt auf Dein Eigentum auf, passŽ in der Öffentlichkeit auf und wenn Du abends das Haus verlässt. Du kriegst von mir die Fresse poliert". Die Berufungskammer erachtet auch diese, in sich widerspruchsfreie Aussage als glaubhaft. Zwar konnten die Zeugen B., C., E. und D. den Inhalt der bei der betreffenden Gelegenheit vom Kläger gegenüber Herrn A. getätigten Äußerung nicht bestätigen. Die Zeugen, B., E. und D. haben jedoch insoweit übereinstimmend und glaubhaft bekundet, dass der Kläger vor der Mittagspause auf das Betriebsratsmitglied A. zugegangen sei, wobei sie - die Zeugen - vom Inhalt des dabei geführten Gesprächs bzw. von den dabei getätigten Äußerungen nichts hätten verstehen können. Lediglich der Zeuge C. hat ausgesagt, er habe überhaupt nicht mitbekommen, dass zwischen den beiden Personen vor der Mittagspause nochmals ein Gespräch stattgefunden habe. Das Berufungsgericht ist nach eingehender Würdigung des Beweisergebnisses, d. h. aller Zeugenaussagen von der Richtigkeit der Aussage des Zeugen A. überzeugt und daher zugleich auch davon, dass die von der Beklagten behauptete Bedrohung dieses Zeugen durch den Kläger stattgefunden hat.

Die Bezeichnung "dreckiger Lügner" stellt - entgegen der Ansicht des Klägers - durchaus eine grobe Beleidigung dar. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Verwendung des Adjektivs "dreckig". Die Äußerung ist herabwürdigend und ehrverletzend; sie stellt daher eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten durch den Kläger dar. Noch wesentlich schwerwiegender erweist sich aus Sicht des Berufungsgerichts allerdings die vom Kläger gegenüber dem Zeugen A. ausgeübte Bedrohung, welche die Androhung körperlicher Gewalt beinhaltet. Beides, d. h. sowohl die grobe Beleidigung als auch die Bedrohung stellen zweifellos "an sich" wichtige Gründe i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB dar.

Der Kläger ist zwar zuvor nicht einschlägig abgemahnt worden, da die "Verwarnung" vom 30.05.2006 kein ähnliches bzw. gleichgelagertes Fehlverhalten betrifft. Die Beklagte war jedoch nicht verpflichtet, dem Kläger vor Kündigungsausspruch lediglich eine Abmahnung zu erteilen. Besonders schwere Pflichtverstöße bedürfen nämlich keiner früheren Abmahnung, weil hier der Arbeitnehmer von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann und er sich bewusst sein muss, dass er seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt. Sowohl bezüglich der groben Beleidigung des Betriebsratsmitglieds A. als auch hinsichtlich dessen Bedrohung konnte der Kläger, da es sich hierbei jeweils um besonders erhebliche Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten handelt, in keiner Weise mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen. Vielmehr musste er diesbezüglich von vornherein erkennen, dass die Beklagte ein solches Verhalten zum Anlass einer Kündigung nehmen wird.

Die Beklagte war auch nicht gehalten, den Kläger zur Vermeidung einer Kündigung auf einem anderen Arbeitsplatz zu beschäftigen. Zwar hat der Arbeitgeber nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor jeder Beendigungskündigung zu prüfen, ob eine Umsetzung oder Versetzung des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz möglich und zumutbar ist. In den Fällen, in denen ein schuldhaftes und damit vorwerfbares Verhalten des Arbeitnehmers vorliegt, sind jedoch keine allzu strengen Maßstäbe an die Zumutbarkeit einer anderweitigen Beschäftigung anzulegen. Eine solche ist dem Arbeitgeber grundsätzlich nur dann zumutbar, wenn ein freier Arbeitsplatz besteht, auf dem der Arbeitnehmer die verlangte Tätigkeit anforderungsgerecht ausführen kann und objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Arbeitnehmer bei einem Einsatz auf diesem anderen Arbeitsplatz das beanstandete Verhalten nicht fortsetzen wird. Es hängt daher maßgeblich von der Art der jeweiligen Pflichtverletzung ab, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen - freien - Arbeitsplatz im Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens möglich und zumutbar ist. Im Streitfall kann offen bleiben, ob ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Kläger bei einem Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz, wo keinerlei Kontakt zwischen ihm und dem Betriebsratsmitglied A. besteht, das kündigungsrelevante Fehlverhalten nicht - auch nicht gegenüber anderen Mitarbeitern - fortsetzen wird. Bezüglich der Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung besteht nämlich im Kündigungsschutzprozess eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Danach hat zunächst der Arbeitnehmer, ohne allerdings einen konkreten Arbeitsplatz bezeichnen zu müssen, vorzutragen, wie er sich eine anderweitige Tätigkeit vorstellt bzw. an welche Art der Beschäftigung er denkt. Dies gilt auch für Arbeitnehmer eines Großunternehmens (vgl. BAG v. 25.02.1988 - 2 AZR 500/87). Erst daraufhin hat der Arbeitgeber darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, weshalb diese Vorstellungen nicht zu realisieren sind. Vorliegend hat der Kläger in keiner Weise dargetan, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt. Er hat vielmehr lediglich pauschal geltend gemacht, die Beklagte habe die Möglichkeit, ihn an einer Vielzahl von Arbeitsplätzen einzusetzen. Dieses Vorbringen genügt nicht den Anforderungen, die im Rahmen der abgestuften Darlegungslast an den Sachvortrag des gekündigten Arbeitnehmers zu stellen sind. Im Ergebnis kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die (zumutbare) Möglichkeit hatte, den Kläger zur Vermeidung einer Kündigung auf einen anderen Arbeitsplatz umzusetzen bzw. zu versetzen.

Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung scheitert jedoch letztlich an dem Ergebnis der bei jeder Kündigung durchzuführenden umfassenden Interessenabwägung. Zwar ist zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass sie es bereits aus Gründen der Fürsorgepflicht sowie zur Wahrung des Betriebsfriedens nicht dulden kann, dass sich ihre Arbeitnehmer untereinander in schwerwiegender Weise beleidigen oder gar bedrohen. Des Weiteren ist zu beachten, dass sich der Kläger in keiner Weise gegenüber dem Betriebsratsmitglied A. entschuldigt hat und kurz zuvor - allerdings wegen eines nicht gleichgelagerten Sachverhaltes - verwarnt worden war. Zugunsten des Klägers sind jedoch seine immens lange Betriebszugehörigkeit (seit dem 06.04.1981) sowie sein fortgeschrittenes Lebensalter von 54 Jahren bei Kündigungsausspruch zu berücksichtigen. Insbesondere wegen seines Alters wird es dem Kläger wohl sehr schwer fallen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Angesichts all dieser Umstände war es nach Überzeugung des Berufungsgerichts der Beklagten noch zumutbar, den Kläger nicht von heute auf morgen in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, sondern ihm einen gleitenden Übergang durch eine Aufrechterhaltung des Beschäftigungsverhältnisses für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist zuzugestehen. Insgesamt überwog (gerade) noch das Interesse des Klägers, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen siebenmonatigen Kündigungsfrist fortzusetzen, gegenüber dem Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung zu beenden.

2.

Die gegen die mit Schreiben der Beklagten vom 21.07.2006 ausgesprochene ordentliche Kündigung gerichtete Klage ist nicht begründet.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitbefangene ordentliche Kündigung aufgelöst worden.

Die Kündigung erweist sich nicht i. S. v. § 1 Abs. 1, 2 KSchG als sozial ungerechtfertigt und ist auch nicht aus sonstigen Gründen rechtsunwirksam.

Das Fehlverhalten des Klägers vom 22.06.2006 ist - wie bereits ausgeführt - an sich geeignet, einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Es rechtfertigt daher erst recht "an sich" den Ausspruch einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung. Die Beklagte war auch nicht gehalten, dem Kläger vor Kündigungsausspruch zunächst eine (einschlägige) Abmahnung zu erteilen oder ihn zur Vermeidung der Kündigung auf einen anderen Arbeitsplatz umzusetzen. Diesbezüglich wird - zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen - auf die obigen Ausführungen verwiesen.

Die auch bei einer ordentlichen Kündigung durchzuführende umfassende Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Beklagten aus. Dies gilt auch dann, wenn man zu Gunsten des Klägers nicht nur dessen lange Betriebszugehörigkeit, sein Lebensalter und die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes berücksichtigt. Auch dann, wenn man davon ausgeht, dass er gegenüber seiner 23jährigen studierenden Tochter nunmehr zum Unterhalt verpflichtet ist, seine Ehefrau über keine nennenswerte Erwerbsquelle verfügt und er bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch in Ansehung der für sein Familienheim noch mit monatlichen Raten von 810,00 € zu tilgenden Restschuld von insgesamt ca. 80.000,00 € in eine erhebliche finanzielle Notlage geraten wird, überwiegt das Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis jedenfalls mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist enden zu lassen. Die Beklagte kann grobe Beleidigungen und insbesondere Bedrohungen innerhalb ihrer Arbeitnehmerschaft bereits aus Gründen der Fürsorgepflicht sowie zur Wahrung des Betriebsfriedens nicht dulden. Zu Lasten des Klägers wirkt sich auch der Umstand aus, dass er sich für seine unentschuldbare Entgleisung gegenüber dem Betriebsratsmitglied A. in keiner Weise entschuldigt hat. Mit seiner gravierenden ehrverletzenden Äußerung sowie mit der Androhung körperlicher Gewalt, hat sich der Kläger auf eine Ebene begeben, die letztlich schlichtweg nicht mehr hinnehmbar ist. Insgesamt überwiegt das Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist (28.02.2007) zu beenden, gegenüber dem Interesse des Klägers, das Arbeitsverhältnis auch über diesen Zeitpunkt hinaus fortzusetzen. Dies gilt auch dann, wenn man zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, dass er aufgrund der getroffenen Altersteilzeitvereinbarung nur bis zum 30.11.2010 von der Beklagten tatsächlich beschäftigt werden müsste und das Arbeitsverhältnis ohnehin zum 30.11.2011 enden würde. Der Beklagten ist es in Ansehung aller Umstände nicht zuzumuten, den Kläger über den 28.02.2007 hinaus noch bis zum 30.11.2010 zu beschäftigen.

Die ordentliche Kündigung ist auch nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte hat den Betriebsrat vor Kündigungsausspruch ordnungsgemäß angehört. Das dem Betriebsrat unstreitig am 23.06.2006 übergebene Anhörungsschreiben enthält die Mitteilung sämtlicher Sozialdaten des Klägers sowie die Mitteilung, dass beabsichtigt sei, das Arbeitsverhältnis fristlos sowie vorsorglich auch ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen. Die maßgeblichen Kündigungsgründe, d. h. sowohl die Beleidigung als auch die Bedrohung des Betriebsratsmitglieds A. durch den Kläger sind Inhalt der dem Anhörungsschreiben unstreitig beigefügten Anlagen, die eine umfassende Schilderung der Kündigungssachverhalte enthalten. Soweit im Anhörungsschreiben als Kündigungszeitpunkt nicht der 28.02.2007, sondern der 31.01.2007 genannt ist, so wird die Ordnungsgemäßheit des Anhörungsverfahrens hiervon nicht tangiert. Für den Betriebsrat war nämlich ohne weiteres erkennbar, dass im Falle des vollen Ausnutzens der einwöchigen Äußerungsfrist (§ 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) die Kündigung erst im Juli und unter Einhaltung der Kündigungsfrist daher erst zum 28.02.2007 ausgesprochen werden konnte. Bezüglich des Kündigungstermins konnten daher auf Seiten des Betriebsrats vernünftigerweise keine Zweifel aufkommen. Der Betriebsrat hat sich im Rahmen des Anhörungsverfahrens unstreitig nicht geäußert. Die Beklagte hat die streitbefangene Kündigung erst nach Ablauf der dem Betriebsrat zustehenden Äußerungsfrist und somit nach (ordnungsgemäßem) Abschluss des Anhörungsverfahrens ausgesprochen. Entgegen der Ansicht des Klägers war die Beklagte nicht verpflichtet, den Betriebsrat nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung nochmals zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung anzuhören. Für die diesbezügliche Rechtsauffassung des Klägers findet sich keine Grundlage.

Sonstige Gründe, die der Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch erkennbar.

III.

Nach alledem war die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Klage unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen. Im Übrigen unterlag die Berufung der Beklagten der Zurückweisung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbstständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72a ArbGG), wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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