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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
Beschluss verkündet am 23.03.2006
Aktenzeichen: 9 Ta 4/06
Rechtsgebiete: KSchG, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

KSchG § 1
KSchG § 1 Abs. 3
KSchG § 1 Abs. 5 S. 2
ArbGG § 11 a Abs. 1 S. 1
ArbGG § 78 S. 1
ZPO § 127 Abs. 2
ZPO §§ 567 ff.
ZPO § 114
ZPO § 114 S. 1
ZPO § 115 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 9 Ta 4/06

Entscheidung vom 23.03.2006

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin zu 1. und des Klägers zu 2. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 17.10.2005, Az. 9 Ca 1490/05 abgeändert und der Klägerin zu 1. sowie dem Kläger zu 2. Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren ab dem 03.08.2005 unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt Z., A-Stadt bewilligt.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Zurückweisung ihrer Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen nicht hinreichender Erfolgsaussichten der zugrunde liegenden Kündigungsschutzklagen.

Die Kläger zu 1. und 2. waren in dem Elektromarkt, den die Beklagte in A-Stadt mit in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmern betrieb, als Kassiererin bzw. Verkäufer mit Kassentätigkeiten seit dem 01.09.2000 bzw. seit dem 01.10.2003 beschäftigt, wobei ihre letzten schriftlichen Arbeitsverträge unter anderem folgenden Inhalt hatten:

"Zwischen der Firma C., C-Straße, C-Stadt, (im Folgenden Firma genannt) und Frau W., W-Straße, W-Stadt, wird folgender Arbeitsvertrag geschlossen.

...

§ 2 Tätigkeit

I. [Der Kläger] wird als [...] eingestellt.

II. Die Tätigkeit umfasst alle in der Filiale anfallenden Arbeiten, insbesondere die Warenannahme, den Warentransport innerhalb der Filiale, die Warenpflege, den Warenverkauf, Bearbeitung von Kundenreklamationen sowie Kassentätigkeit."

Die Gesellschafter der Beklagten beschlossen am 04.05.2005 den Markt in A-Stadt, zum 28.05.2005 zu schließen.

Mit Schreiben vom 03.06.2005, das beiden Klägern am 10.06.2005 zugegangen ist, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zu 1. zum 31.07.2005 und jenes des Klägers zu 2. zum 30.09.2005 gekündigt. Hiergegen haben die Klägerin zu 1. am 17.06.2005 und der Kläger zu 2. am 24.06.2005 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Mainz eingereicht und in der Klageschrift unter anderem geltend gemacht, die Kündigungen seien sozial ungerechtfertigt, da die Sozialauswahl fehlerhaft sei. Darüber hinaus haben beide Kläger in der Klageschrift die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt Z., A-Stadt beantragt.

Mit Beschluss vom 21.07.2005 hat das Arbeitsgericht Mainz der Beklagten unter anderem folgende Auflage gemacht: "Darüber hinaus hat die Beklagte die von der Klägerin bestrittene ordnungsgemäße Sozialauswahl darzulegen. Dabei ist die Bestimmung des Kreises derjenigen Arbeitnehmer darzulegen, die die Beklagte bei der Sozialauswahl berücksichtigt hat, die Gründe für eine eventuelle Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl, die Mitteilung der verwendeten Sozialdaten sowie deren Gewicht im Einzelnen bis hin zur Einzelfallentscheidung für die Kündigung gerade der Klägerin".

Darauf hin hat die durch einen Rechtsanwalt vertretene Beklagte mit Schriftsatz vom 03.08.2005 unter anderem dargelegt, eine Sozialauswahl sei nicht geboten gewesen, da allen Mitarbeitern in A-Stadt, aufgrund der Filialschließung gekündigt worden sei. Die Arbeitnehmer anderer Filialen seien nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen gewesen, da die Kläger, aufgrund der unter § 2 ihre Arbeitsverträge vereinbarten Tätigkeit nicht in andere Filialen versetzbar und somit auch nicht mit den dortigen Arbeitnehmern austauschbar gewesen seien.

Die Kläger haben hierauf mit Schriftsatz vom 23.08.2005, der am 24.08.2005 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, unter anderem erwidert, sie seien nach ihren Arbeitsverträgen im Betrieb der Beklagten und nicht in einer Filiale angestellt. Die einzelnen Filialen der Beklagten seien unselbstständig und würden einen einheitlichen Betrieb bilden. Alle wesentlichen Entscheidungen würden am Hauptsitz der Beklagten getroffen und lediglich den einzelnen Filialen zur Ausführung vorgegeben. Auch alle Personalangelegenheiten einschließlich der Lohn- und Gehaltsabrechnungen würden ausschließlich vom Hauptsitz der Beklagten aus getroffen, so dass sich die Sozialauswahl auch auf alle Filialen erstrecken müsse. Daraufhin hat die Beklagte in diesem Zusammenhang schriftsätzlich Tatsachen vorgetragen, aufgrund derer sich aus ihrer Sicht das Vorhandensein eines eigenständigen Betriebes in A-Stadt ergebe; die Kläger sind dem nicht mehr entgegengetreten.

Das Arbeitsgericht Mainz hat sodann mit Urteil vom 07.09.2005 die Klagen abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, die streitgegenständlichen Kündigungen seien nicht nach § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam, zumal die Beklagte nicht gehalten gewesen sei, eine Sozialauswahl mit Arbeitnehmern anderer Märkte vorzunehmen. Zum einen handele es sich nämlich bei dem Markt in A-Stadt um einen eigenständigen Betrieb und selbst wenn man trotzdem davon ausgehe, dass auch die Arbeitnehmer der anderen Filialen in die Sozialauswahl einzubeziehen gewesen seien, fehle es an der Vergleichbarkeit der Kläger mit diesen anderen Arbeitnehmern, da die Kläger, aufgrund der vorliegenden Arbeitsverträge nicht in andere Betriebsstätten versetzbar gewesen seien.

Mit Beschluss vom 17.10.2005 hat das Arbeitsgericht den Antrag der Kläger zu 1. und 2. auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt Z. zurückgewiesen und zur Begründung auf die Ausführungen in dem Urteil vom 07.09.2005 verwiesen.

Die Kläger zu 1. und 2. haben gegen diese Entscheidung, die ihnen am 25.10.2005 zugestellt worden ist, am 14.11.2005 Beschwerde beim Arbeitsgericht Mainz eingelegt.

Wegen der Beschwerdebegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 14.11.2005 (Bl. 207 d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 29.12.2005 nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz zur Entscheidung vorgelegt; wegen der Nichtabhilfegründe wird auf S. 3 f. dieser Entscheidung (= Bl. 214 f. d. A.) verwiesen.

Hinsichtlich aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und insbesondere auf die von beiden Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist gem. § 78 S. 1 ArbGG, 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässig.

Darüber hinaus ist das Rechtsmittel auch begründet, da den Klägern zu 1. und 2. für das erstinstanzliche Verfahren mit Wirkung ab dem 24.08.2005 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt Z., A-Stadt zu bewilligen war. Die Bewilligungsvoraussetzungen aus § 114 S. 1 ZPO waren ab diesem Zeitpunkt erfüllt. Nach § 114 S. 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtige Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

1.

Beide Kläger sind nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung ganz, zum Teil oder auch nur in Raten aufzubringen. Aus den vorgelegten Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen ergibt sich nämlich, dass ihnen kein monatlich für den Rechtsstreit einzusetzendes Einkommen im Sinne von § 115 Abs. 4 ZPO verbleibt.

2.

Des Weiteren boten die Kündigungsschutzklagen beider Kläger am 24.08.2005 hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Eine Rechtsverfolgung hat im Sinne von § 114 ZPO dann hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn - wie das Arbeitsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss zutreffend ausgeführt hat - bei einer vorläufigen Prüfung der Parteivortrag als vertretbar bezeichnet werden kann, wobei die Anforderungen an die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen nicht überspannt werden dürfen. Es genügt, wenn der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat, keineswegs ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich (vgl. LAG Düsseldorf, Beschluss vom 29.11.1999 - 15 Ta 553/99 = LAGE § 114 ZPO Nr. 36). Im Interesse des Zugangs des Klägers zur Arbeitsgerichtsbarkeit ist grundsätzlich ein großzügiger Maßstab anzulegen und nur eine summarische Überprüfung geboten. Hierdurch kann eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes erreicht werden. Der einem Fachgericht bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandesmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommende Entscheidungsspielraum wird überschritten, wenn die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unter Verkennung der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit überspannt werden und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.06.2003 - 1 BvR 1152/02 = NJW 2003, 3190).

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze war am 24.08.2005 von einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Klagen beider Kläger auszugehen. Beide Arbeitsverhältnisse waren nämlich gem. § 1 KSchG geschützt. Eine fehlende soziale Rechtfertigung wegen einer fehlerhaften Sozialauswahl i. S. v. § 1 Abs. 3 KSchG war nach Eingang des klägerischen Schriftsatzes vom 23.08.2005 wahrscheinlich. Zu diesem Zeitpunkt war nämlich noch nicht feststellbar, dass es sich bei der Filiale A-Stadt um einen eigenständigen Betrieb handelt; dies ergab sich erst aus dem nachfolgenden Sachvortrag der Beklagten. Was die Beklagte hierzu vortragen würde, war aber aus Sicht der Kläger im vorhinein nicht prognostizierbar. Ein finanziell bemittelter Kläger hätte an ihrer Stelle daher auch zunächst einmal subjektiv wiedergegeben, weshalb aus seiner Sicht kein eigenständiger Betreib gegeben ist, allein schon um die Gegenseite zu veranlassen, die allein ihr bekannten Betriebsinterna vorzutragen.

Die vom Arbeitsgericht vertretene Auffassung, es fehle darüber hinaus, falls man trotzdem von einem Betrieb ausgehe, der durch alle Filialen der Beklagten gebildet werde, jedenfalls an der Vergleichbarkeit der Kläger mit den Arbeitnehmern anderer Filialen, ist zwar vertretbar, die vom Kläger demgegenüber schriftsätzlich vorgetragene Auffassung, dass sein Anstellungsvertrag sich nicht auf die Filiale A-Stadt bezieht, wird hierdurch aber nicht abwegig oder auch nur unwahrscheinlich. Denn in den letzten schriftlichen Arbeitsverträgen beider Kläger ist unter § 2 Ziff. II abstrakt die Bezeichnung "in der Filiale anfallenden Arbeiten" verwendet worden, wobei nicht die Filiale an einem bestimmten Ort bezeichnet worden ist. Nimmt man hinzu, dass in dem Arbeitsvertrag als Arbeitgeber die Firma C. benannt ist, die ihren Sitz in C. hat, ist es legitim, ein Arbeitsgericht auf Staatskosten überprüfen zu lassen, ob dieser Arbeitsvertrag eine Versetzung in andere Filialen ausschließt oder nicht. Selbst wenn man hier den Maßstab aus § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG zugrundelegt, konnte - angesichts des Sachstandes vom 24.08.2005 - eine hinreichende Erfolgsaussicht der Klagen nicht verneint werden.

Mithin lag nach Eingang des Schriftsatzes der Kläger vom 23.08.2005 Bewilligungsreife vor, so dass das nachfolgende Prozessgeschehen nicht mehr als Verweigerungsgrund herangezogen werden kann.

Über die gem. § 11 a Abs. 1 S. 1 ArbGG sowieso notwendige Beiordnung eines Rechtsanwaltes hinaus war mithin auch Prozesskostenhilfe unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichtes zu bewilligen.

Gegen die vorliegende Entscheidung ist kein Rechtmittel gegeben. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde fehlte es unter Berücksichtigung von §§ 78 S. 2, 72 S. 2 ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass.

Ende der Entscheidung

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