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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Saarland
Urteil verkündet am 28.06.2006
Aktenzeichen: 2 Sa 138/05
Rechtsgebiete: SGB VII


Vorschriften:

SGB VII § 105
SGB VII § 105 Abs. 1 Satz 1
Zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit der Einstandspflicht des Unternehmers für die Folgen eines Arbeitsunfalls.
LANDESARBEITSGERICHT SAARLAND Im Namen des Volkes ! URTEIL

2 Sa 138/05

Verkündet am 28. Juni 2006

In dem Rechtsstreit

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Saarland auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2006 durch den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dier, den ehrenamtlichen Richter Kratz und die ehrenamtliche Richterin Frank

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 7. Oktober 2005 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Neunkirchen (1 Ca 1015/05) wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger war bis Ende April 2005 bei der Beklagten beschäftigt. Am 3. Februar 2004 hat er einen Arbeitsunfall erlitten. Der Unfall ereignete sich, als der Kläger an einer Nassschleifmaschine arbeitete. Dabei brach er mit dem linken Bein in einen hinter der Maschine verlaufenden, etwa 40 Zentimeter tiefen und 25 bis 30 Zentimeter breiten Abwasserkanal ein. Dadurch kam es zu einer erheblichen Verletzung am rechten Knie. Der Unfall wurde von der Süddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall anerkannt.

Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe es vorsätzlich unterlassen, den Abwasserkanal durch ein fest verankertes Metallgitter abzudecken. Ein auf dem Abwasserkanal verlegtes Metallgitter sei, als er versehentlich darauf getreten sei, gekippt, und er sei deshalb mit dem Bein in den Abwasserkanal gerutscht. Der gefährliche Zustand des Abwasserkanals sei der Beklagten seit langem bekannt gewesen. Unter Hinweis auf die Kosten habe sie es abgelehnt, dagegen etwas zu unternehmen. Die Beklagte habe es damit billigend in Kauf genommen, dass sich ein Arbeitnehmer verletzt. Sie könne sich daher auf das Haftungsprivileg des § 105 SGB VII nicht berufen. Die Beklagte sei verpflichtet, ihm Schadensersatz und Schmerzensgeld zu zahlen. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. Februar 2004. Weiter hat er beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm jeglichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Ereignis vom 3. Februar 2004 entstanden ist, soweit diese Ansprüche nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, der Arbeitsplatz des Klägers befinde sich vor der Maschine, die Ablaufrinne dagegen hinter der Maschine. Den Bereich hinter der Maschine habe der Kläger lediglich bei Schichtende fünf oder zehn Minuten für Reinigungsarbeiten betreten müssen. Zum Spülen der Rinne sei es erforderlich, die Kanalabdeckungen zu entfernen. Die Mitarbeiter seien angewiesen, die Ablaufrinne nach dem Spülen wieder mit den Metallgitterrosten zu verschließen. Da der Abwasserkanal etwa 70 Zentimeter von der Maschine entfernt sei, hätte der Kläger, der langjährig an der Maschine gearbeitet habe, bei der gebotenen Aufmerksamkeit nicht in den Abwasserkanal treten müssen. Jedenfalls könne ihr, der Beklagten, eine vorsätzliche Herbeiführung des Schadens nicht vorgeworfen werden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Arbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe den Versicherungsfall jedenfalls nicht vorsätzlich herbeigeführt. Das Arbeitsgericht hat dies im einzelnen begründet. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine in erster Instanz gestellten Anträge unverändert weiterverfolgt. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts (Blatt 30 bis 36 der Akten) und auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.

1. Erleidet ein Arbeitnehmer einen Arbeitsunfall, so hat für den dadurch entstandenen Personenschaden grundsätzlich die Berufsgenossenschaft einzustehen, bei der der Arbeitnehmer auf Kosten des Unternehmers gegen Unfall versichert ist (allgemein dazu etwa BAG, Urteil vom 19. August 2004, 8 AZR 349/03, AP Nummer 4 zu § 104 SGB VII, unter B II 1 c bb (1) der Gründe, sowie Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Auflage 2005, § 109 Randnummer 2). Der Unternehmer ist dem Arbeitnehmer allerdings dann zum Ersatz des diesem entstandenen Personenschadens verpflichtet, wenn er den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat (§ 105 Absatz 1 Satz 1 SGB VII).

Dabei muss der Vorsatz jedoch nicht nur die Verletzungshandlung umfassen, sondern auch den Verletzungserfolg. Die Annahme, dass der Unternehmer den Verletzungserfolg, also die bei dem Arbeitnehmer eingetretene gesundheitliche Schädigung, wenigstens bedingt vorsätzlich herbeigeführt, also für den Fall seines Eintritts billigend in Kauf genommen hat, ist aber nicht schon dann gerechtfertigt, wenn der Unternehmer vorsätzlich Unfallverhütungsvorschriften verletzt hat. Ebensowenig reicht es aus, wenn der Unternehmer den gefährlichen Zustand eines zu dem Betrieb gehörenden Gegenstandes gekannt hat (zu all dem BAG, Urteil vom 19. August 2004, 8 AZR 349/03, AP Nummer 4 zu § 104 SGB VII mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Denn in all diesen Fällen kann der Unternehmer gleichwohl gehofft haben, dass es nicht zu einem Arbeitsunfall und einer dadurch bedingten gesundheitlichen Schädigung kommen werde. In dem zuletzt genannten Fall handelt der Unternehmer nicht bedingt vorsätzlich, sondern lediglich bewusst fahrlässig. Bewusst fahrlässig handelt, wer den möglicherweise eintretenden Erfolg sieht, aber hofft, er werde nicht eintreten, oder wem es gleichgültig ist, ob er eintritt. Bedingt vorsätzlich handelt dagegen, wer den möglicherweise eintretenden Erfolg für den Fall seines Eintritts billigt (BAG, Urteil vom 31. Oktober 1991, 8 AZR 637/90, abrufbar bei juris, mit weiteren Nachweisen). Dass der Unternehmer bedingt vorsätzlich und nicht lediglich bewusst fahrlässig gehandelt hat, hat der Arbeitnehmer darzulegen und nachzuweisen (auch dazu BAG, Urteil vom 31. Oktober 1991, 8 AZR 637/90, abrufbar bei juris, mit weiteren Nachweisen).

Davon ausgehend hat der Kläger schon nicht schlüssig dargelegt, dass die Beklagte den Verletzungserfolg zumindest bedingt vorsätzlich herbeigeführt hat.

a. Der Kläger macht geltend, der Abwasserkanal sei zum Zeitpunkt des Unfalls wegen einer mangelhaften Abdeckung unzureichend abgesichert gewesen, was von der Beklagten zu verantworten sei. Dieser Vorwurf würde, wenn er zuträfe, lediglich bedeuten, dass die Beklagte möglicherweise vorsätzlich Unfallverhütungsvorschriften verletzt hat. Daraus lässt sich aber aus den oben dargelegten Gründen ein vorsätzliches Verhalten im Sinne von § 105 Absatz 1 Satz 1 SGB VII noch nicht herleiten.

b. Weiter behauptet der Kläger, der gefährliche Zustand habe bereits viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte angedauert. Er selbst und auch der Betriebsarzt hätten die verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten darauf hingewiesen. Diese hätten es jedoch unter Hinweis darauf, dass es an Geld dafür fehle, abgelehnt, etwas zu unternehmen.

Ausgehend von diesem Vortrag des Klägers hätten die verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten zwar den gefährlichen Zustand des Abwasserkanals gekannt. Das würde, wie weiter oben ebenfalls bereits dargelegt wurde, aber ebenso wie die vorsätzliche Verletzung von Unfallverhütungsvorschriften noch nicht die Annahme rechtfertigen, die Beklagte habe auch den letztlich eingetretenen Verletzungserfolg, also die gesundheitliche Schädigung des Klägers, billigend in Kauf genommen. Denn auch in einem solchen Fall kann die Beklagte - auch wenn die Gefährdung aufgrund des Zustandes der Abwasserrinne, wie der Kläger geltend macht, hoch gewesen sein sollte - gleichwohl gehofft haben, dass nichts passieren werde. Ob der Unternehmer bedingt vorsätzlich oder nur bewusst fahrlässig gehandelt hat, hängt demgemäß von einer "inneren Tatsache" ab, also dem, was sich der Unternehmer gedacht hat, als er den gefährlichen Zustand nicht beseitigte; das kann nur aufgrund von Indiztatsachen beurteilt werden (auch dazu BAG, Urteil vom 31. Oktober 1991, 8 AZR 637/90, abrufbar bei juris, mit weiteren Nachweisen). Hinreichende Indiztatsachen dafür, dass die verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten die gesundheitliche Schädigung des Klägers gebilligt hätten, lassen sich dem Vortrag des Klägers aber nicht entnehmen. Sollte einer der verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten geäußert haben, dass es für ordnungsgemäße Sicherheitsvorkehrungen an Geld fehle, so ließe sich daraus wenig herleiten. Das Bestreben, Geld zu sparen, dürfte in den meisten Fällen der Grund dafür sein, dass Sicherheitsvorschriften bewusst nicht beachtet werden. Das reicht aber für die Annahme bedingten Vorsatzes nicht aus, denn der Unternehmer kann gleichwohl darauf vertraut haben, dass schon nichts passieren werde. Auch ein hohes Gefährdungspotential, von dem der Kläger ausgeht, kann nicht ohne weiteres als ausreichendes Indiz für vorsätzliches Handeln des Unternehmers angesehen werden, denn in einem solchen Fall mag der Unternehmer zwar besonders leichtfertig handeln, aber auch das würde nur den Vorwurf bewusster Fahrlässigkeit rechtfertigen (auch dazu BAG, Urteil vom 31. Oktober 1991, 8 AZR 637/90, abrufbar bei juris, mit weiteren Nachweisen).

c. All dies gilt hier um so mehr, als der gefährliche Zustand nach dem Vortrag des Klägers bereits viele Jahre angedauert hat, ohne dass es zu einer Verletzung eines Arbeitnehmers gekommen ist (zu diesem Gesichtspunkt auch LAG Hamm, Urteil vom 21. Dezember 2004, 13 Sa 1279/04, abrufbar bei juris). Gerade deswegen mögen die verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten gehofft haben, dass es auch weiterhin gut gehen, es also zu keiner gesundheitlichen Schädigung eines Mitarbeiters kommen werde. Der Kläger verweist zwar darauf, dass er schon vor dem Arbeitsunfall, um den es hier geht, einmal bei einem in Längsrichtung auf dem Abwasserkanal angebrachten, aber nicht sicher befestigten Gitter in den Abwasserkanal gerutscht sei, er behauptet aber nicht, dass er sich dabei verletzt hätte.

d. Insgesamt kann die Kammer danach aufgrund des Vortrags des Klägers keine hinreichenden Indiztatsachen erkennen, die den Schluss rechtfertigen würden, dass die verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten bedingt vorsätzlich gehandelt haben, die Verletzung des Klägers also gebilligt hätten. Eine bloß bewusste Fahrlässigkeit kann daher nicht ausgeschlossen werden. Handelt es sich dabei um grobe Fahrlässigkeit, so würde auch das nur dazu führen, dass die Berufsgenossenschaft bei der Beklagten Regress nehmen kann. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte besteht auch in einem solchen Fall aber nicht (auch dazu BAG, Urteil vom 19. August 2004, 8 AZR 349/03, AP Nummer 4 zu § 104 SGB VII mit weiteren Nachweisen).

2. Ebenso wie das Arbeitsgericht verkennt auch die Kammer nicht, dass der Kläger bei dem Arbeitsunfall erhebliche Verletzungen davongetragen hat. Für deren Folgen hat jedoch, soweit es um einen Personenschaden geht, die Berufsgenossenschaft nach den Vorschriften des Siebten Teils des Sozialgesetzbuches einzustehen. Personenschäden sind alle Schäden, die ihre tatsächliche Grundlage in der gesundheitlichen Schädigung aufgrund des Unfalls haben, einschließlich eines etwaigen Verdienstausfalls. Nur solche Personenschäden macht der Kläger hier geltend. Auch Schmerzensgeldansprüche werden von dem Haftungsausschluss in § 105 Absatz 1 Satz 1 SGB VII erfasst (zu all dem etwa Schaub, in: Arbeitsrechtshandbuch, 11. Auflage 2005, § 109 Randnummer 62 mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Dass nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Schmerzensgeldansprüche des Arbeitnehmers nicht vorgesehen sind, ist eine hinzunehmende und verfassungsrechtlich unbedenkliche Entscheidung des Gesetzgebers (auch dazu Schaub, in: Arbeitsrechtshandbuch, 11. Auflage 2005, § 109 Randnummer 3 mit weiteren Nachweisen).

3. Die Berufung des Klägers konnte danach keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Absatz 1 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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