Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Saarland
Urteil verkündet am 02.10.2003
Aktenzeichen: 3 Ca 918/03
Rechtsgebiete: SGB VII, RVO


Vorschriften:

SGB VII § 104
SGB VII § 104 Abs. 1
SGB VII § 104 Abs. 1 S. 1
SGB VII § 105
RVO § 636
RVO § 637
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Arbeitsgericht Neunkirchen Im Namen des Volkes ! URTEIL

- 3 Ca 918/03 -

Verkündet am 02.10.2003

In dem Rechtsstreit

hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Neunkirchen auf die mündliche Verhandlung vom 2. Oktober 2003 durch den Richter am Arbeitsgericht Hossfeld als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter Jung und Krauser als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Der Streitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten vorliegend über die Verantwortlichkeit der Beklagten für den Eintritt des Todes des Ehemannes der Klägerin im Rahmen von Reinigungsarbeiten im Unternehmen der Beklagten und der sich daraus resultierenden Schadensersatzpflicht.

Am 01.11.2002 war der verstorbene Ehemann der Klägerin zusammen mit einem weiteren Arbeitnehmer gegen 4:00 Uhr nachts von Seiten eines Vorarbeiters und eines Schichtmeisters beauftragt gewesen, den Rollengang unter der Durchlaufmaschine (Strahlkammer) in der Rohrgusshalle 2 zu reinigen. Diese Maschine verfügt über Rollengänge, bei denen die einzelnen Rollen motorisch angetrieben sind, um auf diese Weise Transportcontainer mit dem zu strahlenden Gut durch die Strahlkammer zu bewegen. Dabei sind die elektrischen Schaltkreise in der Strahlkammer von der übrigen Straße getrennt. Die Transportrollen werden über einen induktiven Näherungsschalter in Bewegung gesetzt, das heißt der Schalter reagiert auf Metall. Zum Zeitpunkt der Durchführung der Arbeiten durch den verstorbenen Ehemann der Klägerin stand die Anlage auf Bereitschaft. Als dieser nun dabei war, im Vertrauen darauf, die Anlage sei völlig ausgeschaltet, mit einer Schaufel den Sand zwischen den Rollen herauszuschaufeln, löste er mit dem Metallblatt seiner Schaufel den induktiven Schalter aus. Die Transportrollen begannen sich zu drehen und führten einen in Wartestellung befindlichen Strahlgut-Container zur Standposition des Verstorbenen heran. Der Container erfasste den Arbeitnehmer, schleifte ihn ca. 8 Meter mit sich mit, ehe es einem Mitarbeiter der Beklagten gelang, den Rollengang abzuschalten. Der Ehemann der Klägerin erlag wenig später den schweren Verletzungen aus diesem Unfall.

Die Klägerin ist als Erbin ihres verstorbenen Ehegatten der Überzeugung, die Beklagte habe den Tod ihres Mannes zumindest grob fahrlässig verursacht, da es keine Schulungsmaßnahmen gegeben habe darüber, wie über einen Notaus-Schalter die Maschine zu stoppen gewesen sei. Darüber hinaus habe es keine Anweisung gegeben, die Maschine nur in völlig ausgeschaltetem Zustand reinigen zu lassen. Der Schichtleiter habe im Rahmen seiner Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft angegeben, keine Kenntnis über die Näherungsschalter bzw. den Notaus-Schalter gehabt zu haben. Gleiche Angaben habe auch der Vorarbeiter gemacht. Der Mitarbeiter, welcher bei der Beklagten für die Betriebssicherheit verantwortlich sei, habe angegeben, bei Lehrgängen nicht bei jeder Maschine auf die Position der Notaus-Schalter hingewiesen zu haben. Er habe sich auf den Standpunkt gestellt, dies sei Aufgabe des jeweils für die Maschine verantwortlichen Schichtmeisters bzw. Vorarbeiters. Davon ausgehend ist die Klägerin der Ansicht die Beklagte habe ihre Garantenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt. Gerade das Unterlassen der Schulung und Einweisung in die Sicherheitstechnik der Maschine führe sogar zur Vollendung strafgesetzlicher Bestimmungen bzw. zur Verletzung von Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte für alle aus dem Tod des P. G. am 01.11.2002 sich ergebenden Schäden einstehen muss.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Klägerin könne kein Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld zugebilligt werden, weil eine entsprechende Verantwortlichkeit voraussetzen würde, dass die Beklagte den Eintritt des Todes sowie den Arbeitsunfall selbst vorsätzlich herbeigeführt haben müsste. Hiervon könne jedoch nach Überzeugung der Beklagten nicht ausgegangen werden. Dies trage auch die Klägerin selbst nicht vor. Der verstorbene Ehemann der Klägerin habe sich sogar anweisungswidrig zwischen den motorisch betriebenen Rollen aufgehalten, statt von außen über Schieber den Sand zu entfernen. Darüber hinaus habe die Anlage 13 Schalter, mit denen man den sofortigen Stillstand erreichen könne.

Im Hinblick auf den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 30.6.2003 und 2.10.2003 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I Die zulässige Klage ist insgesamt unbegründet, weil der Beklagten kein vorsätzliches Handeln i. S. der Auslegung der Bestimmung des § 104 SGB VII vorgeworfen werden kann, so dass ein direkter Haftungsdurchgriff auf die Beklagte als damalige Arbeitgeberin des verstorbenen Ehemannes der Klägerin über § 104 Abs.1 S.1 SBG VII ausgeschlossen ist. Dies gilt losgelöst von der Frage, auf welchen Tatbestand die Klägerin sich berufen kann, bei dessen Erfüllung - auch durch Unterlassen bei bestehender Garantenstellung - eine Schadensersatzpflicht ausgelöst werden kann, wenn Verschuldensgrade unterhalb des bedingten oder direkten Vorsatzes auf Seiten des Verantwortlichen / Schädigers vorliegen.

1. Grundsätzlich haftet ein Unternehmer für Personenschäden, welche im Rahmen einer dienstlich veranlassten Tätigkeit bei seinem Arbeitnehmer eintreten nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nur dann, wenn der Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt worden ist. Die Rechtsprechung hat im Wesentlichen zu den Vorgängervorschriften der beiden §§ 104, 105 SGB VII, nämlich den §§ 636, 637 RVO, nähere Ausführungen über die Voraussetzungen von Schadensersatzpflichten gemacht. Dabei ist unter anderem zu berücksichtigen, dass ein Arbeitsunfall nicht schon deshalb als vorsätzlich herbeigeführt angesehen werden kann, wenn der Arbeitgeber Unfallverhütungsvorschriften vorsätzlich missachtet hat und der Unfall gerade hierauf beruht (vgl. BAG vom 27.6.1975 - 3 AZR 457/74 - in Juris Dokumentation bzw. AP Nr. 9 zu § 636 RVO ; BAG vom 2.3.1989 -8 AZR 416/87 - in Juris Dokumentation KARE348350203). Diese Rechtsprechung hat das BAG in seinem Urteil vom 10.10.2002 (Az. 8 AZR 103/02 in NZA 2003 S. 436 bis 438) übertragen auf die §§ 104, 105 SGB VII und dabei inhaltlich nochmals zusammengefasst und fortgeschrieben. Der Haftungsausschluss zu Gunsten des Arbeitgebers entfällt danach nur dann, wenn der Vorsatz des Schädigers nicht nur die Verletzungshandlung selbst, sondern auch den eingetretenen Verletzungserfolg einschließt. Die bloße vorsätzliche Missachtung von Unfallverhütungsvorschriften, auf die der Arbeitsunfall zurückzuführen war, reicht nicht aus, um einen direkten Rückgriff auf den Arbeitgeber auslösen zu können. Aus dem vorsätzlichen Missachten von Unfallverhütungsvorschriften kann auch nicht zwingend - ohne weiter hinzutretende Anhaltspunkte - auf ein billigendes Inkaufnehmen des später eintretenden Verletzungserfolges geschlossen werden.

2. Überträgt man diese Gesichtspunkte auf den vorliegenden Fall, so kann der Klägerin als Erbin ihres verstorbenen Ehemannes ein den gesetzlichen Haftungsausschluss durchbrechender Anspruch gegen die Beklagte nicht zugebilligt werden, welcher sich aus dem Unfallereignis selbst und den daraus entstandenen Folgen ableiten ließe. Selbst wenn den unmittelbar für den Bereich der Strahlkammer und den Rollengang verantwortlichen Personen, nämlich dem Schichtleiter wie auch dem Vorarbeiter, tatsächlich die genaue Lage der Notaus-Schaltung ebenso wenig bekannt gewesen sein sollte wie die Tatsache, dass die Maschine in Bereitschaft gestanden hat, und so die Möglichkeit bestanden hat, mittels eines Metallgegenstandes über den induktiven Schalter die Motoren für die Rollen in Gang setzen, so bleibt hier lediglich zusammengefasst die Überlegung, dass möglicherweise eine Einweisung in Unfallverhütungsmaßnahmen nicht ordnungsgemäß vorgenommen wurde. Diese Überlegung zieht jedoch nur, wenn man - ohne dass die Kammer diese Auffassung im Ergebnis vertritt - zu Gunsten der Klägerin unterstellt, dass ihre Darlegungen zutreffend seien. Die Möglichkeit, den Unfall zu verhüten, war jedoch technisch durchaus gegeben, so dass bei Einrichtung der Maschine und deren Aufstellung entsprechende Vorschriften zum Schutz der damit arbeitenden Personen zunächst nicht als verletzt angenommen werden können. Wenn aber - was im Übrigen durch die Beklagte in Zweifel gezogen wird - eine ungenügende Unterweisung der verantwortlichen Arbeitnehmer erfolgt sein soll, so reicht allein diese Tatsache nach der ständigen Rechtsprechung des BAG gerade nicht aus, um an der Sperrwirkung der Bestimmung des § 104 Abs. 1 SGB VII vorbei einen direkten Rückgriff auf den Arbeitgeber nehmen zu können. Für Arbeitsunfälle besteht vielmehr eine entsprechende Rückversicherung. Diese ist im vorliegenden Fall auch unstreitig eingetreten.

Darüber hinaus ist auch kein Tatsachenvortrag gemacht worden, aus dem heraus der Rückschluss gezogen werden könnte, der Arbeitgeber oder von ihm eingesetzte Personen hätten den Eintritt des Arbeitsunfalles selbst vorsätzlich herbeigeführt und hätten darüber hinaus sogar den Eintritt des Verletzungserfolges mit ihrem Vorsatz (dolus directus oder dolus eventualis) getragen. Selbst die Klägerin spricht lediglich in ihrer Rechtsansicht von einer mindestens grob fahrlässigen Missachtung von Bestimmungen. Um die Sperrwirkung von § 104 Abs. 1 SGB VII auszuschließen, bedarf es jedoch der Annahme von direktem Vorsatz oder gar von Absicht.

II Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.

III Die Streitwertfestsetzung basiert auf § 3 ZPO, wobei nach den Angaben der Klägerseite ausgehend von einem jährlichen Differenzbetrag von 10.000,00 € der zweijährige Schadensbetrag, d. h. 20.000,00 € als Streitwert in Ansatz gebracht werden.

Ende der Entscheidung

Zurück