Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 19.12.2001
Aktenzeichen: 3 Sa 479/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1004
Der neben dem Antrag, eine Mißbilligung aus der Personalakte zu entfernen, gestellte Antrag, diese auch zurückzunehmen, hat gegenüber dem Entfernungsantrag regelmäßig allenfalls dann eigenständige Bedeutung, wenn die Mißbilligung nur aus formellen Gründen zu beseitigen ist.
Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Sa 479/01

verkündet am 19. Dezember 2001

In dem Rechtsstreit

wegen Ermahnung

hat das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 19.12.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht als Vorsitzenden sowie die ehrenamtliche Richterin dem ehrenamtlichen Richter als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 28.02.2001 wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 28.02.2001 insoweit aufgehoben, als es die Klage im Übrigen abgewiesen hat.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger klagt auf Rücknahme der Ermahnung vom 23.10.2000 und deren Entfernung aus seiner Personalakte.

Mit Urteil vom 28.02.2001, auf das zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht Stendal (4 Ca 2410/00) die Beklagte verurteilt, die Ermahnung vom 23.10.2000 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits beiden Parteien je zur Hälfte auferlegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne die Entfernung der Ermahnung aus der Personalakte verlangen, weil sie erst zwei Jahre nach dem beanstandeten Vorfall ausgesprochen worden ist. Dies sei als Verstoß gegen die Fürsorgepflicht unzulässig. Die Klage sei hingegen unbegründet, soweit der Kläger die Rücknahme der Ermahnung von der beklagten Stadt verlange. Zur Durchsetzung dieses Anspruches müsse der Kläger beweisen können, dass die Ermahnung unwahre Tatsachenbehauptungen enthalte. Insoweit habe der Kläger aber keinen Beweis angeboten.

Gegen dieses ihr am 30.05.2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.06.2001 eingelegte und - nach Fristverlängerung - am 24.08.2001 begründete Berufung der beklagten Stadt. Die Beklagte macht geltend, der Verwirkungseinwand des Klägers gehe fehl. Dem Kläger sei mitgeteilt worden, dass der Ausgang des Strafverfahrens (gegen den Investor habe abgewartet werden sollen. Darüber sei auch eine entsprechende Verständigung der Parteien Anfang Juni 1999 erfolgt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal - 4 Ca 2410/00 - vom 28.02.2001 abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als die Entfernung der Ermahnung vom 23.10.2000 aus der Personalakte des Klägers begehrt wird.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Im Wege der (unselbständigen) Anschlussberufung beantragt der Kläger,

unter Abänderung des klageabweisenden Teils des Urteils des Arbeitsgerichts Stendal vom 28.02.2001 - 4 Ca 2410/00 - die Beklagte zu verpflichten, die Ermahnung vom 23.10.2000 zurückzunehmen und aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Die Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Kläger macht geltend, soweit das Arbeitsgericht meine, der Anspruch des Klägers auf Rücknahme der Ermahnung vom 23.10.2000 sei nur begründet, wenn er beweisen könne, dass die Ermahnung unwahre Tatsachenbehauptungen enthalte, wofür er jedoch keinen Beweis angeboten habe, treffe dies nicht zu. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Schriftsatz des Klägers vom 26.09.2001 (Bl. 117 bis 121 d. A.).

Auch wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die beklagte Stadt zu Recht verurteilt, die Ermahnung vom 23.10.2000 aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Die Klage ist zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Berufungskammer anschließt, kann der Arbeitnehmer die Berechtigung einer missbilligenden Äußerung des Arbeitgebers gerichtlich überprüfen lassen, wenn sie nach Form und Inhalt geeignet ist, ihn in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Hierzu gehören auch schriftliche Rügen und Verwarnungen, die zu den Personalakten genommen werden; denn solche formellen Rügen können, wenn sie unberechtigt sind, Grundlage für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers sein und dadurch sein berufliches Fortkommen behindern oder andere arbeitsrechtliche Nachteile mit sich bringen (BAG AP Nr. 4 und 8 zu § 611 BGB Abmahnung mit weiteren Nachweisen). Die streitgegenständliche Ermahnung ist geeignet, den Kläger beruflich zu benachteiligen. Es handelt sich zwar nicht um eine Abmahnung, weil dem Kläger für den Wiederholungsfall keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen angedroht werden. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist gleichwohl gegeben. Die Beklagte macht sich in der Ermahnung den Vorwurf des Mitbewerbers zu eigen, der Kläger habe diesen im Rahmen seiner Amtsausübung "belegen". Der Satz, es sei davon auszugehen, Herr habe diesen Vorwurf nicht unberechtigt erhoben, kann nicht anders verstanden werden. Dieser gravierende Vorwurf beeinträchtigt den Kläger in seiner Rechtsstellung nachhaltig. Von daher gesehen ist ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben.

Die Klage ist begründet. Die Ermahnung vom 23.10.2000 ist entsprechend § 1004 BGB aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, weil der Vorwurf, der Kläger habe den Investor belegen, unberechtigt ist. Die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe die Äußerung des Mitbewerbers bestätigt, sein Hotelprojekt sei soweit vorangetrieben, dass in 8 bzw. wenigen Tagen Bauantrag eingereicht werde, kann zu Gunsten der Beklagten als wahr unterstellt werden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese Bestätigung des Klägers eine Lüge sein soll. Die Beklagte behauptet weder, habe seinerzeit eine solche Absicht nicht gehabt, noch, dass der Kläger dies gewusst habe. Daraus, dass tatsächlich den Antrag erst drei Monate später eingereicht hat, lässt sich im Nachhinein der Vorwurf der Lüge nicht herleiten.

Selbst wenn die vorstehend unterstellte Äußerung des Klägers so auszulegen ist, dass er damit die Genehmigungsreife des Bauprojekts bekräftigen wollte, ist der Vorwurf der Lüge nicht gerechtfertigt. Die Beklagte behauptet nicht, das Vorhaben sei für sich betrachtet nicht genehmigungsfähig gewesen. Infolgedessen kann der Kläger auch nicht gelogen haben. Der unterstellten Erklärung des Klägers kann darüber hinaus nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte nicht die Bedeutung beigemessen werden, der Kläger habe die Genehmigungsreife des Bauvorhabens K auch hinsichtlich der öffentlich-rechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen bestätigt. Abgesehen davon, dass vom Kläger als Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung der Beklagten verbindliche Stellungnahmen in dieser Hinsicht nicht ohne weiteres erwartet werden können, bezieht sich die in der Ermahnung wiedergegebene angebliche Äußerung des Klägers nur auf das Hotelprojekt als solches. Aber selbst wenn die Äußerung des Klägers diesen weitergehenden Erklärungswert gehabt hätte, könnte von einer Lüge nur die Rede sein, wenn der Kläger die Tatsache, dass noch kein Vorhaben- und Erschließungsplan beschlossen war, mit Absicht verschwiegen hätte. Auch das behauptet die Beklagte selbst nicht. Sie trägt weder vor, der Kläger habe diesen Kenntnisstand gehabt, noch, dass er diesen gegebenenfalls bewusst nicht offengelegt hat. Der Kläger mag sich insoweit schlicht geirrt haben. Der Vorwurf der Lüge ist damit unberechtigt und die Ermahnung daher ersatzlos aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Darauf, ob die übrigen Vorhaltungen zutreffend sind oder nicht, kommt es nicht an. Denn die missbilligende Äußerung muss schon dann vollständig aus der Personalakte entfernt werden, wenn nur eine von mehreren gerügten Vertragspflichtverletzungen unzutreffend ist (BAG DB 1991, 1527).

Darauf, ob die Ermahnung auch deshalb aus der Personalakte des Klägers zu entfernen ist, weil die Beklagte zwei Jahre bis zu ihrem Ausspruch zugewartet hat, kommt es nach Vorstehendem nicht an.

Die zulässige Anschlussberufung des Klägers ist begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage im Übrigen zu Unrecht mit der Rechtsfolge der Kostentragungspflicht zurückgewiesen. Der Antrag, die streitgegenständliche Ermahnung zurückzunehmen, hat vorliegend wie im Regelfall (vgl. BAG EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 17; BAG EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 73; Kleinebrink, Abmahnung, 1999 Rz. 622 m. w. N.) neben dem Antrag auf ihre Entfernung aus der Personalakte keine eigene prozessuale Bedeutung.

Der Antrag, die Beklagte zu verpflichten, die Ermahnung zurückzunehmen und aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, ist auszulegen. Dem Kläger kommt es darauf an, die Rechtswirkungen der Ermahnung zu beseitigen. Das hat er in der mündlichen Berufungsverhandlung klargestellt. Dieses Ziel wird mit der Entfernung der Ermahnung aus der Personalakte erreicht. Die Ermahnung verliert damit ihre Wirkung (BAG DB 1993, 1677). Rechte können aus ihr nicht mehr hergeleitet werden. Die entfernte schriftliche Ermahnung hat auch keine Restwirkungen mehr als mündliche Ermahnung. Eine aus der Personalakte entfernte Ab- bzw. Ermahnung behält ihre Wirkung als mündliche Erklärung ausnahmsweise allenfalls dann, wenn sie nur aus formellen Gründen, wie etwa dem Unterbleiben einer tarifvertraglich gebotenen Anhörung des Arbeitnehmers, (vgl. BAG DB 1992, 2143) zu entfernen war. Die Ab- bzw. Ermahnung ist dagegen wirkungslos, wenn sie - wie hier - aus der Personalakte zu beseitigen ist, weil der Vorwurf in tatsächlicher Hinsicht unbegründet war und das gerügte Verhalten tatsächlich keinen Vertragsverstoß beinhaltete (vgl. Quecke, Die Abmahnung, 1997, S. 38 m. w. N.).

Bei verfahrenseinleitenden Anträgen, insbesondere der Klage, ist davon auszugehen, dass die Partei das anstrebt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Partei entspricht (BGH NJW RR 94, 568; 97, 1216). Danach hat der neben dem Beseitigungsantrag gestellte Antrag, die Beklagte zu verpflichten, die Ermahnung zurückzunehmen, nur deklaratorische Bedeutung. Er soll das einheitliche Entfernungsverlangen lediglich unterstreichen. Welche Bedeutung dem Rücknahmeantrag darüber hinaus zukommen sollte, ist nicht ersichtlich.

Als Verlangen nach der Vornahme einer Handlung kann er verständigerweise nicht ausgelegt werden. Es ist nicht erkennbar, welche weitere Handlung neben der Entfernung der Ermahnung aus der Personalakte die Beklagte vornehmen sollte. Auch als Verlangen nach der Abgabe einer Erklärung ist der Rücknahmeantrag nicht auszulegen:

Dem Kläger kann nicht unterstellt werden, die Verurteilung der Beklagten zur Abgabe einer Erklärung mit dem Inhalt - "die Beklagte nimmt die Ermahnung vom 23.10.2000 zurück" - zu wollen. Ein so ausgelegter Antrag wäre unzulässig, weil nicht vollstreckbar. Denn es bleibt offen, in welcher Form (mündlich oder schriftlich) und unter welchen näheren Umständen die Erklärung abzugeben wäre. Die Abgabe einer derartigen Erklärung machte aus der verständigen Sicht des Klägers auch keinen Sinn (vgl. dazu auch Schunck NZA 1993, 828, 831). Es ist nicht ersichtlich, welche Rechtswirkungen eine Erklärung der Beklagten diesen Inhaltes haben sollte.

Das Rücknahmebegehren ist auch nicht dahin auszulegen, dass der Kläger neben der Entfernung des Schreibens aus der Personalakte einen formellen Widerruf begehrt. Zwar wird das Wort "zurücknehmen" synonym mit "widerrufen" (einer Äußerung) gebraucht (vgl. Brockhaus - Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Stichwort "zurücknehmen"). Der Arbeitnehmer ist auch nicht gehindert, neben der Entfernung des Schreibens einen Anspruch auf Widerruf der in der Ab- bzw. Ermahnung abgegebenen Erklärung gerichtlich geltend zu machen (BAG AP Nr. 22 zu § 611 BGB Abmahnung). Nach vorstehenden Grundsätzen (vgl. BGH aaO) kann das Rücknahmebegehren aber nicht als Widerrufsverlangen ausgelegt werden. Dagegen spricht schon, dass der Kläger den Widerruf der Ermahnung ohnehin nicht fordern kann. Dem Widerrufsanspruch unterliegen nur Tatsachenbehauptungen. Im Antrag ist aber nicht bezeichnet, welche konkreten Tatsachenbehauptungen in welcher Form wem gegenüber widerrufen werden sollen. Insbesondere aber ist der Widerrufsanspuch nicht geeignet, vorstehendes Rechtsschutzziel des Klägers, dass die Ermahnung nicht mehr zu seinen Ungunsten verwandt werden kann, zu verwirklichen. Ein Widerruf stellt nicht ohne weiteres sicher, dass die Ermahnung später nicht doch bei einer Personalbeurteilung usw. berücksichtigt wird. Denn ein Widerruf unwahrer Behauptungen hat nur den Sinn, einer fortbestehenden Ansehensminderung, die der Betroffene gegenüber anderen Personen ausgesetzt ist, entgegenzutreten. Darum geht es dem Kläger aber nicht. Der Kläger trägt schon gar nicht vor, dass die Ermahnung betriebsintern oder sonst Dritten zugänglich gemacht worden ist und deshalb überhaupt ein Widerrufsanspruch zur Beseitigung der Ansehensminderung besteht (vgl. dazu auch BGHZ 10, 104). Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann der Rücknahmeantrag verständigerweise auch nicht als eigenständiges Widerrufsverlangen des Klägers ausgelegt werden. Der Kläger hat in der Berufungsverhandlung auch klargestellt, dass es ihm mit der Anschlussberufung und der Wiederholung des erstinstanzlich gestellten Antrages letztlich nur noch um die Anfechtung der Kostenentscheidung geht.

Danach ist die zulässige Anschlussberufung des Klägers begründet. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist deshalb aufzuheben, soweit es die Klage im Übrigen abgewiesen und die Kosten insoweit dem Kläger auferlegt hat.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel daher nicht gegeben.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

Zurück