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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 09.05.2006
Aktenzeichen: 8 Sa 856/05
Rechtsgebiete: BAT-O, BGB


Vorschriften:

BAT-O § 39
BAT-O § 70
BAT-O § 19 Abs. 2
BAT-O § 19
BGB § 242
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT SACHSEN-ANHALT

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

Aktenzeichen: 8 Sa 856/05

Verkündet am: 09.05.2006

In dem Rechtsstreit

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 9. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht als Vorsitzenden und die ehrenamtliche Richterin und den ehrenamtlichen Richter als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des ArbG Dessau vom 09.11.2005 - 7 Ca 238/05 - wird auf Kosten des Landes zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Zahlung einer Jubiläumszuwendung gemäß § 39 BAT-O. Die Berufung des beklagten Landes auf die Ausschlussfrist des § 70 BAT-O hält sie für treuwidrig.

Die 1945 geborene Klägerin ist bei dem beklagten Land als Lehrerin an der M. des B. D. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der BAT-O kraft vertraglicher Vereinbarung wie auch beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Mit Formularmitteilung vom 29.07.1992 setzte das beklagte Land den Beginn der Jubiläumsdienstzeit der Klägerin auf den 03.07.1965 und die Vollendung des 40jährigen Dienstjubiläums auf den 03.07.2005 fest (Bl. 11 - 12 d. A.). Die Ausbildungszeit der Klägerin an der M. am B. D. in der Zeit vom 01.09.1962 bis 02.07.1965 erkannte es nicht als Jubiläumsdienstzeit an, da es sich nicht um eine Tätigkeitszeit im öffentlichen Dienst gehandelt habe.

Mit Schreiben vom 26.04.2005, der Klägerin zugegangen am 23.05.2005, änderte das Land die Festsetzung des Beginns der Jubiläumsdienstzeit auf den 01.09.1962 und demgemäß der Vollendung des 40jährigen Dienstjubiläums auf den 01.09.2002 (Bl. 13 - 15 d. A.). Die Ausbildungszeit erkannte es nunmehr als Tätigkeitszeit im öffentlichen Dienst an, da es sich bei der M. um eine überführte Einrichtung im Sinne von § 19 Abs. 2 BAT-O i. V. m. Nr. 1 der dazu ergangenen Übergangsvorschrift handele. Auf die mehrfache schriftliche Geltendmachung der Jubiläumszuwendung durch die Klägerin, u.a. mit Schreiben v. 09.05.2005, zugegangen am 24.05.2005, lehnte das Land eine Zahlung nachhaltig jeweils mit der Begründung ab, dass der Anspruch bereits am 01.09.2002 entstanden und daher gemäß § 70 BAT-O verfallen sei; der Klägerin sei die rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs unbenommen gewesen (vgl. Bl. 17 - 23 d. A.).

Auf die am 24.08.2005 eingegangene Klage hat das Arbeitsgericht das beklagte Land antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin 409,03 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.08.2005 zu zahlen.

Weiterhin hat es die Berufung gemäß 64 Abs. 3 Nr. 3 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Berufung des beklagten Landes auf die Ausschlussfrist eine unzulässige Rechtsausübung gemäß § 242 BGB darstelle.

Gegen das frühestens am 23.11.2005 dem beklagten Land zugestellte Urteil wendet sich seine am 22.12.2005 beim Landesarbeitsgericht eingelegte und am 19.01.2006 begründete Berufung, mit der es an seiner Rechtsauffassung festhält. Der Klägerin hätte es frei gestanden, den Anspruch jederzeit rechtzeitig geltend zu machen. Auch eine unzutreffende Auskunft des Arbeitgebers stehe dessen späterer Berufung auf eine Ausschlussfrist nach der Rechtssprechung des BAG nicht entgegen. Das beklagte Land beantragt,

das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Dessau vom 09.11.2005 - 7 Ca 238/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und bezweifelt die Zulässigkeit der Berufung, da diese sich nicht mit den Gründen des angegriffenen Urteils auseinandersetze. In der Sache sei die Berufung jedenfalls unbegründet, da die Berufung auf die Ausschlussfrist gegen Treu und Glauben verstoße.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze nebst beigefügten Anlagen sowie ihre Protokollerklärungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie setzt sich insbesondere noch ausreichend mit den Gründen des Urteils auseinander, soweit sie geltend macht, dass es der Klägerin unbenommen gewesen sei, den Anspruch rechtzeitig geltend zu machen, und weiterhin auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22.01.1997 - 10 AZR 459/96 - verweist, wonach eine unzutreffende Auskunft des Arbeitgebers diesen nicht an der Berufung auf die Ausschlussfrist hindere.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben.

1. Die Parteien gehen richtig davon aus, dass der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Sonderzuwendung für ihr 40jähriges Dienstjubiläum am 01.09.2002 entstanden ist. Die Ausbildungszeit der Klägerin in der Zeit vom 01.09.1962 bis zum 02.07.1965 ist bei der Jubiläumsdienstzeit gemäß § 39 BAT-O zu berücksichtigen, da die M. an dem B. D. eine so genannte überführte Einrichtung im Sinne der Nr. 1 der Übergangsvorschrift zu § 19 Abs. 2 BAT-O ist und § 39 BAT-O für die Jubiläumsdienstzeit auf § 19 BAT-O verweist.

Auch die anschließende Dienstzeit beim B. D. vom 03.07.1965 bis zum 17.04.1966 ist Jubiläumsdienstzeit i. S. d. § 39 BAT-O, da das B. von der Stadt D. und damit von einem Arbeitgeber übernommen wurde, der den BAT-O anwendet (vgl. Übergangsvorschrift Nr. 3 zu § 19 BAT-O). Die weitere Dienstzeit seit dem 18.04.1966 hat die Klägerin durchgehend wiederum an der M. und damit bei einer auf das beklagte Land überführten Einrichtung verbracht.

Das beklagte Land durfte auch ohne weiteres die Jubiläumsdienstzeit korrigieren. An die einmal erfolgte Festsetzung der Beschäftigungszeit gemäß § 19 bzw. § 39 BAT-O war es nicht gebunden. Sie hat, wie das Land insoweit zutreffend geltend macht, nach ständiger Rechtsprechung des BAG nur deklaratorischen Charakter im Sinne einer Wissenserklärung und konnte die tarifvertragliche Jubiläumsdienstzeit nicht verändern (BAG v. 15.08.1979 - 4 AZR 913/77, AP Nr. 3 zu § 20 BAT). Das 40-jährige Dienstjubiläum der Klägerin war daher gemäß der Korrektur mit Schreiben vom 26.04.2005 tatsächlich am 01.09.2002 vollendet worden.

2. Der Anspruch auf Zahlung der Sonderzuwendung für dieses Jubiläum ist nicht gemäß § 70 BAT-O erloschen. Zwar hat die Klägerin den am 01.09.2002 fälligen Anspruch nicht innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht, wie es § 70 BAT-O verlangt. Doch ist es dem beklagten Land nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf den Verfall des Anspruchs zu berufen. Die Berufung des Arbeitgebers auf eine Ausschlussfrist verstößt gegen das Gebot von Treu und Glauben, wenn der Arbeitgeber durch positives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen dem Arbeitnehmer die Geltendmachung des Anspruchs erschwert oder unmöglich gemacht hat oder den Arbeitnehmer von der Einhaltung der Frist abgehalten oder es pflichtwidrig unterlassen hat, dem Gläubiger die Umstände mitzuteilen, die ihn zur Einhaltung der Ausschlussfrist veranlasst hätten (BAG vom 11.06.1980 - 4 AZR 473/78, AP Nr. 7 zu § 70 BAT). Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber an objektiven Maßstäben gemessen den Eindruck erweckt, der Arbeitnehmer könne darauf vertrauen, dass der Anspruch auch ohne Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist erfüllt werde (BAG vom 08.08.2000 - 9 AZR 418/99, AP Nr. 151 zu § 4 TVG Ausschlussfristen m. w. N; BAG vom 10.10.2002 - 8 AZR 8/02, NZA 2003, 331 jeweils m. w. N.). Die Rechtsausübung ist hier i. d. R. wegen widersprüchlichen Verhaltens rechtsmissbräuchlich, weil durch das ursprüngliche Verhalten des Berechtigten ein Vertrauenstatbestand entstanden ist und der andere Teil im Hinblick hierauf in schutzwürdiger Weise Dispositionen getroffen hat (Palandt/Heinrichs, 65. Aufl., § 242 BGB Rz. 55 m. w. N.)

So liegt es hier. Das beklagte Land hat an objektiven Maßstäben gemessen den Eindruck erweckt, die Vollendung des 40-jährigen Dienstjubiläums der Klägerin am 03.07.2005 anzuerkennen. Der Eindruck ist aus der ursprünglichen unzutreffenden Festsetzung der Jubiläumsdienstzeit durch Formularmitteilung vom 29.07.1992 entstanden, die bis zu ihrer Korrektur mit Schreiben vom 26.04.2005 unangefochten Bestand hatte. Die Mitteilung dient im Rahmen des Arbeitsverhältnisses als Grundlage für die Berechnung verschiedener wichtiger Fristen und war daher ebenso wie die Festsetzung der Dienstzeit für die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses von erheblicher faktischer Bedeutung (vgl. BAG v. 04.11.1965 - 2 AZR 65/65, AP Nr. 1 zu § 19 BAT). Die Klägerin durfte bis zum Zugang des Schreibens vom 26.04.2005 am 23.05.2005 jedenfalls darauf vertrauen, dass das beklagte Land nicht entgegen seiner eigenen Berechnung geltend machen würde, dass dieses Dienstjubiläum bereits früher vollendet und der Anspruch auf die Sonderzuwendung daher verfallen sei. Als Gläubigerin durfte sie sich damit begnügen, den vom Schuldner selbst ermittelten Zeitpunkt abzuwarten, auch wenn dieser erst nach dem wirklichen Zeitpunkt lag. Demgemäß hat die Klägerin es auch tatsächlich im Vertrauen auf die Ankündigung des beklagten Landes unterlassen, den Zeitpunkt ihres 40-jährigen Jubiläums zu hinterfragen und den Anspruch zu einem früheren Zeitpunkt geltend zu machen. Nachdem das Land mit Schreiben vom 26.04.2005, der Klägerin zugegangen am 23.05.2005, erstmals eine frühere Fälligkeit und damit einen möglichen Verfall dieses Anspruchs reklamiert hatte, machte die Klägerin ihn unverzüglich mit einem am 24.05.2005 zugegangenen Schreiben geltend. Damit hat sie ihre Rechte gewahrt.

Zur Klarstellung sei darauf hingewiesen, dass das Vertrauen der Klägerin nur insoweit schutzwürdig ist. Dem beklagten Land wäre es daher etwa unbenommen gewesen, eine spätere Fälligkeit des Jubiläumsanspruchs geltend zu machen oder diesen insgesamt zu bestreiten. Denn insoweit hatte die Klägerin keine Dispositionen getroffen. Auch wäre es dem beklagten Land unbenommen, sich gegenüber einer etwaigen Geltendmachung von Verzugszinsen durch die Klägerin bereits ab dem 01.09.2002 auf den Einwand des Verfalls des Zinsanspruchs zu berufen. Denn insoweit hat das beklagte Land gerade nicht einen Vertrauenstatbestand geschaffen und die Klägerin von einer rechtzeitigen Geltendmachung abgehalten. Es hat lediglich eine frühere Vollendung des Jubiläums geleugnet, so dass es Sache der Klägerin gewesen wäre, rechtzeitig innerhalb der Ausschlussfristen des § 70 BAT-O Leistung zu verlangen, wenn es ihr auf die entgangenen Zinsen ankäme (BAG vom 22.01.1997 - 10 AZR 459/96, AP Nr. 27 zu § 70 BAT). In Bezug auf die hier verlangte Zuwendung selbst ist der Verfall des Anspruchs dagegen deshalb eingetreten, weil die Klägerin in schutzwürdiger Weise auf die Berechnung der Jubiläumsdienstzeit durch das beklagte Land vertraut hat und ihr vertrauen durfte.

Nicht zu entscheiden war, ob dies auch gilt, wenn die Jubiläumsdienstzeiten anders als im vorliegenden Fall auf einen späteren Zeitpunkt korrigiert werden und dadurch statt des vermeintlich bevorstehenden 40-jährigen Jubiläums sich das 25-jährige Jubiläum noch in die Zeit verlagert, in der der BAT-O für die Parteien schon galt und ein Anspruch auf Sonderzuwendung für dieses Jubiläum entstanden war, jetzt aber verfallen ist. Hier könnte die ursprüngliche fehlerhafte Festsetzung den Arbeitnehmer zwar ebenfalls von der Geltendmachung dieses Anspruchs abgehalten haben. Dabei handelt es sich aber um einen anderen Anspruch als den in der fehlerhaften Dienstzeitberechnung in Aussicht gestellten zum 40-jährigen Dienstjubiläum. Den Anspruch auf Sonderzuwendung für das 25-jährige Dienstjubiläum hätte die fehlerhafte Dienstzeitberechnung hier gerade als längst verstrichen geleugnet. Der Arbeitnehmer hätte gerade nicht auf eine Erfüllung dieses Anspruchs durch das beklagte Land vertrauen können, sondern ihn angesichts des Leugnens gemäß § 70 BAT-O eigentlich geltend machen müssen (BAG vom 22.01.1997 - 10 AZR 459/96, AP Nr. 27 zu § 70 BAT). Ob in diesen Fällen die Berufung auf den Verfall des Anspruchs aus anderen Gründen treuwidrig ist (vgl. Palandt/Heinrichs, 65. Aufl., § 242 BGB Rz. 57), bedurfte hier keiner Entscheidung (vgl. hierzu auch LAG Sachsen-Anhalt v. 18.01.2006 - 4 Sa 441/05).

3. Der Anspruch der Klägerin auf Zinsen ab dem 01.08.2005 (Rechtshängigkeit) folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat insbesondere nicht deshalb grundsätzliche Bedeutung, weil die Leistungsverweigerung des beklagten Landes auf einem Erlass beruht und eine Reihe gleich gelagerter Fälle anhängig sind oder anhängig werden könnten. Streitfälle der hier entschiedenen Art dürften nach Einschätzung der Kammer eine Besonderheit der Landesverwaltung des beklagten Landes bleiben und darüber hinaus keine Bedeutung haben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.



Ende der Entscheidung

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