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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 26.11.2002
Aktenzeichen: 8 Sa 86/02 E
Rechtsgebiete: BAT-O, SGB IV


Vorschriften:

BAT-O § 22
BAT-O § 23
SGB IV § 93 I
1) Die Tätigkeit der Sachbearbeitung im Versicherungsamt eines Landkreises gemäß § 93 Abs. 1 SGB IV hebt sich i.d.R. nicht durch besondere Verantwortung aus der VG V b Fg. 1 a BAT-O (VKA) heraus.

2) Eine neben der Auskunftserteilung zu Fragen der Sozialversicherung geschuldete Beratung der hilfesuchenden Bürger hat nur begrenzte Unterstützungsfunktion und ist nicht mit der von einem Rechtsanwalt geschuldeten Rechtsberatung vergleichbar.


Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 Sa 86/02 E

verkündet am: 26. November 2002

In dem Rechtsstreit

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Quecke als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Wagener und Fork als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des ArbG Stendal vom 21.11.2001 - 1 Ca 1253/01 E wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin in Vergütungsgruppe (VG) IV b BAT-O (VKA) eingruppiert ist, insbesondere, ob sich ihre Tätigkeit dadurch aus VG V b Fallgruppe (Fg.) 1 a heraushebt, dass sie mindestens zu einem Drittel besonders verantwortungsvoll ist.

Die Klägerin ist seit Juli 1993 im des beklagten Landkreises als alleinige "Sachbearbeiterin" beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft vertraglicher Vereinbarung der BAT-O (VKA) Anwendung. Nach einer undatierten, zwischen den Parteien unstreitigen Stellenbeschreibung (Bl. 5-7 d.A.), auf die Bezug genommen wird, obliegen der Klägerin folgende Tätigkeiten:

- Erteilung von Rechtsauskünften in allen Angelegenheiten der Sozialversicherung 40 %

- Entgegennahme und Bearbeitung von Anträgen auf Leistung der Sozialversicherung vorbereitend für die jeweiligen Versicherungsträger entsprechend §§ 91 - 93 SGB IV 40 %

- Bearbeitung von Unfallversicherungsangelegenheiten 19 % vor- und nachbereitende Tätigkeiten für die Sozialwahlen 1 %.

Der Beklagte vergütete die Klägerin nach VG V b. Mit Schreiben vom 25.11.1998 (Bl. 103 - 104 d.A.) erhob die Klägerin hiergegen "Einspruch" und bat unter Hinweis auf einen "zugesicherten" Bewährungsaufstieg in die VG IV b und auf die besondere Verantwortung ihrer Tätigkeit um Mitteilung, zu welchem Zeitpunkt der Beklagte die ihr "entstandenen tarifvertraglichen Ansprüche zahlen werde". Mit Schreiben vom 15.05.2001 und 07.06. 2001 (Bl. 8 und 13 d.A.) lehnte der Beklagte die begehrte Eingruppierung ab, da die Tätigkeit der Klägerin lediglich gründliche und umfassende Fachkenntnisse sowie selbstständige Leistungen erfordere (VG V b Fg. 1 a) und damit der Bewährungsaufstieg nach VG IV b Fg. 1 b nicht möglich sei.

Mit ihrer am 19.06.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr seit dem 25.11.1998 Vergütung nach der VG IV b BAT-O (VKA) zu zahlen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 21.11.2001, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, die Klage gemäß dem Antrag des Beklagten abgewiesen, da sich keiner der denkbaren Arbeitsvorgänge durch besondere Verantwortung aus der VG V b Fg. 1 a heraushebe.

Gegen das ihr am 05.02.2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.02.2002 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen zu der Frage der Heraushebung durch besondere Verantwortung. Diese ergebe sich insbesondere durch ihre beratende Tätigkeit, die Aufklärung von Sachverhalten im Renten- und Unfallrentenrecht und die entsprechende gutachterliche Äußerung hierzu. Zu berücksichtigen sei zudem, dass sie die Aufgaben des Versicherungsamtes alleine und damit auch in alleiniger Verantwortung und nur unter lockerer Aufsicht der Leiterin des Sozialamtes verrichte. Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Klägerin wird auf ihre Schriftsätze vom 11.02.2002 und 03.05.2002 nebst Anlagen sowie ihre Protokollerklärungen und die in der letzten mündlichen Verhandlung zu den Akten gereichte verwaltungsinterne Steltenbewertung durch Frau verwiesen. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 01.10.2002 weiterhin geltend gemacht, dass sie stets auch prüfen müsse, ob eine für den Antragsteller günstigere als von ihm erstrebte Rentenmöglichkeit bestehe; hierzu hat sie beispielhaft Bearbeitungsbescheide vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr seit dem 25.11.1998 Vergütung nach der VG IV b BAT-O VKA zu zahlen,

hilfsweise, den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Stendal zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen seines Berufungsvorbringens wird auf die Schriftsätze vom 06.03.2002 und vom 21.05.2002 sowie seine Protokollerklärungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das gemäß § 256 ZPO zulässige Feststellungsbegehren der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Vergütung nach der VG IV b BAT-O (VKA) nicht zu. Die von ihr ausgeübte Tätigkeit hebt sich nicht dadurch aus der VG V b Fg. 1 a heraus, dass sie mindestens zu einem Drittel besonders verantwortungsvoll ist. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

1.

Den Ansprüchen der Klägerin steht allerdings nicht die Einrede der Verjährung entgegen. Auch soweit die Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB a.F. i.V.m. § 201 BGB a.F. bereits verstrichen ist (so für das Jahr 1998), hat die Beklagte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Einrede der Verjährung nicht erhoben (§ 222 Abs. 1 BGB a.F.). Die Ansprüche sind auch nicht gemäß § 70 BAT-O verfallen. Mit ihrem Schreiben vom 25.11.1998 hat die Klägerin die Ansprüche im Sinne dieser Vorschrift ausreichend geltend gemacht, da sie gegen ihre bisherige Vergütung "Einspruch" erhob und zugleich um Mitteilung bat, zu welchem Zeitpunkt der Beklagte die ihr "entstandenen tarifvertraglichen Ansprüche" zahlen werde. Damit hat die Klägerin hinreichend deutlich einen bestehenden Anspruch gegenüber dem Beklagten geltend gemacht.

2.

Die Tätigkeit der Klägerin erfüllt aber nicht die tariflichen Voraussetzungen für eine Eingruppierung in die VG IV b.

a)

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Vereinbarung der BAT-O (VKA) Anwendung. Gemäß § 22 Abs. 2 BAT-O ist die Klägerin in der VG IV b BAT-O eingruppiert, wenn die ihre Gesamttätigkeit ausfüllenden Arbeitsvorgänge im tariflich geforderten zeitlichen Umfang die Anforderungen zumindest eines Tatbestandsmerkmales dieser Vergütungsgruppe erfüllen. Unter einem Arbeitsvorgang ist eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbstständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen (BAG Urteil vom 14.08.1991 - 4 AZR 593/90, AP Nr. 158 zu §§ 22, 23 BAT 1975 m.w.N.).

Ausgehend von der undatierten Stellenbeschreibung (Bl. 5-9 d.A.), deren Inhalt sowohl in Bezug auf die Tätigkeiten der Klägerin als auch in Bezug auf deren Zeitanteile unstreitig ist, erscheint es zweifelhaft, dass die Erteilung von Rechtsauskünften (40 %) gegenüber der Entgegennahme und Bearbeitung von Anträgen auf Leistungen der Sozialversicherung gemäß § 91 - 93 SGB IV (40 %) und der Bearbeitung von Unfallversicherungsangelegenheiten (19 %) einen eigenständigen Arbeitsvorgang bildet. Im Rahmen der Bearbeitung von Leistungsanträgen der Sozialversicherung wie auch von Unfallversicherungsangelegenheiten wird eine Vielzahl von Rechtsauskünften zu erteilen sein. Häufig wird eine Bitte um Rechtsauskunft nahtlos in die Entgegennahme und Bearbeitung eines entsprechenden Antrages bzw. Bearbeitung der Versicherungsangelegenheit übergehen. Umgekehrt werden im Rahmen von gestellten Anträgen bzw. konkreten Versicherungsangelegenheiten häufig Rechtsauskünfte an die Betroffenen zu erteilen sein. Beides ist miteinander verwoben und lässt sich weder vom Arbeitsergebnis noch sonst sinnvoll rechtlich oder tatsächlich abgrenzen. Mit der Bearbeitung gestellter Anträge geht notwendig eine umfangreiche Beratung der Antragsteller einher wie auch umgekehrt eine Auskunftserteilung und Beratung häufig in die Stellung von Anträgen einmünden. Dies wird sowohl für Anträge auf Leistungen der Sozialversicherung (40 %) als auch für Unfallversicherungsangelegenheiten (19 %) gelten.

Die Frage kann aber letztlich ebenso offen bleiben wie die weitere Frage, ob die Entgegennahme und Bearbeitung von Anträgen auf Leistungen der Sozialversicherung einerseits und die Bearbeitung von Unfallversicherungsangelegenheiten andererseits einen gemeinsamen Arbeitsvorgang bilden (ggf. erweitert um die Auskunfts- und Beratungserteilung). Während nämlich die vor- und nachbereitende Tätigkeit für die Sozialwahlen (1 %) von vornherein als anders geartete und absonderbare Tätigkeit einen eigenständigen Arbeitsvorgang bildet, erfüllt die Auskunftserteilung und Bearbeitung sämtlicher Versicherungsangelegenheiten bei jedwedem Zuschnitt der Arbeitsvorgänge, d.h. insbesondere auch bei Annahme eines gemeinsamen Arbeitsvorganges (99 %) die tariflichen Voraussetzungen für die begehrte Eingruppierung nicht.

b)

Für den Vergütungsanspruch der Klägerin kommt es auf folgende Eingruppierungsmerkmale der Anlage 1 a zum BAT-O (VKA) an:

VG IV b

1.a)

Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst, deren Tätigkeit sich dadurch aus der VG V b Fg. 1 a heraushebt, dass sie besonders verantwortungsvoll ist.

b)

Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst, deren Tätigkeit sich dadurch aus der VG V b Fg. 1 a heraushebt, dass sie mindestens zu einem Drittel besonders verantwortungsvoll ist, nach vierjähriger Bewährung in VG V b Fg. 1 b.

VG V b

1. a)

Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst, deren Tätigkeit gründliche, umfassende Fachkenntnisse und selbstständige Leistungen erfordert.

(Gründliche, umfassende Fachkenntnisse bedeuten gegenüber den in der Fg. 1 a der VG VII und in den Fg. 1 a der VG VI b und V c geforderten gründlichen und vielseitigen Fachkenntnissen eine Steigerung der Tiefe und der Breite nach.)

b)

Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst, deren Tätigkeit sich dadurch aus der Fg. 1 a heraushebt, dass sie mindestens zu einem Drittel besonders verantwortungsvoll ist.

c)

Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst, deren Tätigkeit gründliche und vielseitige Fachkenntnisse und selbstständige Leistungen erfordert, nach dreijähriger Bewährung in VG V c Fg. 1 b.

(Die gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse brauchen sich nicht auf das gesamte Gebiet der Verwaltung (des Betriebes), bei der der Angestellte beschäftigt ist, zu beziehen. Der Aufgabenkreis des Angestellten muss aber so gestaltet sein, dass er nur beim Vorhandensein gründlicher und vielseitiger Fachkenntnisse ordnungsgemäß bearbeitet werden kann. Selbstständige Leistungen erfordern ein den vorausgesetzten Fachkenntnissen entsprechendes selbstständiges Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative; eine leichte geistige Arbeit kann diese Anforderungen nicht erfüllen.)

Die vorgenannten VG bauen weiterhin auf den VG V c, VI b und VII des BAT-O (VKA) auf, von deren Wiedergabe hier abgesehen wird.

Bei aufeinander aufbauenden Fallgruppen ist zunächst zu prüfen, ob die allgemeinen Anforderungen der niedrigeren Vergütungsgruppen, hier der Vergütungsgruppen V b Fg. 1 a, VI b Fg. 1 a sowie VII Fg. 1 b BAT erfüllt sind, und anschließend, ob die Merkmale der darauf aufbauenden höheren Vergütungsgruppe IV b Fg. 1 a BAT vorliegen (ständige Rechtsprechung des BAG, Urteil v. 24.09.1980 - 4 AZR 727/78, AP Nr. 36 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

Dabei ist eine pauschale Prüfung ausreichend, wenn die Parteien die Tätigkeit des Arbeitnehmers als unstreitig ansehen und der Arbeitgeber selbst 1ür die Tätigkeit die Tätigkeitsmerkmale als erfüllt erachtet (BAG Urteil vom 06.06.1984 - 4 AZR 203/83, AP Nr. 91 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Eine summarische Prüfung muss erkennen lassen, aufgrund welcher konkreter Tatsachen die Erfordernisse einer bestimmten Fallgruppe bzw. Vergütungsgruppe als erfüllt angesehen werden und welche Tatumstände für die Erfüllung der Tätigkeitsmerkmale herangezogen worden sind.

c)

Hiernach kann zunächst festgestellt werden, dass die Tätigkeit der Klägerin in den Arbeitsvorgängen "Entgegennahme und Bearbeitung von Anträgen auf Leistungen der Sozialversicherung" sowie "Bearbeitung von Unfallversicherungsangelegenheiten" - ggf. erweitert um die entsprechenden Auskunfts- und Beratungstätigkeiten - die Anforderungen der VG V b Fg. 1 a BAT-O (VKA) erfüllen, d.h. gründliche und umfassende Fachkenntnisse sowie selbstständige Leistungen erfordern. Hierbei scheidet allerdings eine bloß summarische Prüfung im vorgenannten Sinne aus, da sich der Beklagte mit Schreiben vom 16.10.2001 (Bl. 90 - 91 d.A.) unter Bezugnahme auf eine von ihm in Auftrag gegebene externe Stellenbewertung auch eine korrigierende Rückgruppierung in eine niedrigere Vergütungsgruppe als die derzeit gewährte (V b) vorbehalten und damit die Erfüllung der genannten Tatbestandsmerkmale in Frage gestellt hat.

aa)

Gemäß § 93 Abs. 1 SGB IV haben die Versicherungsämter in allen Angelegenheiten der Sozialversicherung Auskunft zu erteilen und die sonstigen ihnen (durch Gesetz oder sonstiges Recht übertragenen Aufgaben wahrzunehmen. Gemäß § 93 Abs. 2 haben sie Anträge auf Leistungen aus der Sozialversicherung entgegenzunehmen und auf Verlangen des Versicherungsträgers den Sachverhalt aufzuklären, Beweismittel beizufügen, sich, soweit erforderlich, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern und Unterlagen unverzüglich an den Versicherungsträger weiterzuleiten. Die gemäß § 90 Abs. 2 SGB IV den Versicherungsämtern obliegende Aufsicht über die landesunmittelbaren Krankenkassen oder sonstigen Versicherungsträger sowie die Ausübung staatlicher Mitwirkungsrechte in diesem Zusammenhang ist den Versicherungsämtern im Land Sachsen-Anhalt nicht übertragen (vgl. auch Schreiben des Ministeriums für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt vom 28.09, 1993, Seite 3, Bl. 85 d.A.).

Die in § 93 Abs. 1 Satz 1 geregelte Pflicht der Versicherungsämter zur Erteilung einer "Auskunft" ist in Zusammenhang zu sehen mit der in §§ 14, 15 SGB I den Versicherungsträgern selbst auferlegten "Auskunfts- und Beratungspflicht". Während die Versicherungsämter - weiter als die Versicherungsträger - zur Auskunftserteilung in allen Angelegenheiten auf dem Gebiet der gesetzlichen Sozialversicherung verpflichtet sind, ist der jeweilige Versicherungsträger nicht nur zur Auskunftserteilung, sondern auch zur Beratung verpflichtet. Die Abgrenzung zwischen Auskunfts- und Beratungspflicht lässt sich jedoch auch für die Versicherungsämter nicht praktizieren. Die Auskunft ist zwar nicht auf eine erschöpfende Klärung des Falles gerichtet. Sie beschränkt sich generell auf Fragen, die für den Auskunftssuchenden sachlich und in seiner persönlichen Situation von Bedeutung und klärungsbedürftig sind. Soweit es sich um Sach- und Rechtsfragen handelt, ist das Versicherungsamt entsprechend § 15 Abs. 2 SGB I zur Auskunft verpflichtet, soweit es zu "deren Beantwortung im Stande ist". Diese Beschränkung der Auskunftspflicht berechtigt das Versicherungsamt allerdings nicht dazu, nur den zuständigen Versicherungsträger zu benennen und im Übrigen den Bürger an diesen zu verweisen (BSG vom 26.01.2000 - B 13 RJ 37/98 R, NVwZ-RR 2001, 107 f.).

Die Tätigkeiten der Versicherungsämter können haftungsrechtliche Folgen für den jeweiligen Rechtsträger, d.h. die Gebietskörperschaft, bei der das Versicherungsamt besteht, nach sich ziehen (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, vgl. BSGE 51, 89 ff.). Die Auskunftserteilung selbst stellt sogenanntes schlichtes Verwaltungshandeln dar.

bb)

Die Bearbeitung der Versicherungsangelegenheiten einschließlich der Auskunftserteilung und Beratung erfordert nicht nur gründliche oder gründliche und vielseitige, sondern gründliche und umfassende Fachkenntnisse. Auskünfte, Beratung und Bearbeitung der jeweiligen Versicherungsangelegenheiten bzw. Anträge erfordern Rechtskenntnisse in weiten Bereichen des Sozialrechts (SGB IV, V, VI, VII, X, XI; BSHG; Bundesversorgungsgesetz, Bundesvertriebenengesetz; Rentenüberleitungsgesetz; Rentenverordnung der DDR; Angestelltenversicherungsgesetz etc.). Zu dieser sehr breiten geforderten Rechtskenntnis tritt die Notwendigkeit vertiefter und differenzierter Detailkenntnis: Zum Bereich der Invaliditäts- und Altersrente tritt beispielsweise die Waisenrente, Witwenrente, Rente bei Berufs- und Erwerbsunfähigkeit, Erziehungs- und Hinterbliebenenrente. Anrechnungsrelevante Zeiten sind nicht nur nach Beitrags- und Ersatzzeiten zu unterscheiden, sondern außerdem nach zusätzlichen Beschäftigungszeiten, fiktiven Nachversicherungszeiten, Zeiten aus Versorgungsausgleich und Kindererziehung, Ausfallzeiten sowie Zurechnungszeiten. Hinzu treten eine Reihe weiterer Fragen nach der Einstufung aufgrund von anzurechnenden Zeiten in der ehemaligen DDR. Da die Klägerin, wie die Parteien anerkennen, nicht nur zur Benennung des zuständigen Rentenversicherungsträgers, sondern auch zur Auskunftserteilung und Beratung sowie zur selbstständigen Bearbeitung der Anträge bzw. Unfallversicherungsangelegenheiten verpflichtet ist, genügen auch nicht nur oberflächliche und kursorische Kenntnisse. Zudem gehören zu den Aufgaben der Klägerin auch im Auftrage von Auskunftsersuchenden die Überprüfung erteilter Bescheide auf Plausibilität und Richtigkeit und die Erwägung von Folgeschritten.

cc)

Die Tätigkeit der Klägerin im Rahmen der Bearbeitung von Sozialversicherungsanträgen wie auch von Unfallversicherungsangelegenheiten einschließlich der Auskunft und Beratung erfüllt auch das Tarifmerkmal der selbstständigen Leistung. Sie erfordert unter Einsatz der gründlichen und umfassenden Fachkenntnisse das selbstständige Erarbeiten eines Ergebnisses unter Entwicklung einer eigenen geistigen Initiative und stellt nicht bloß eine leichte geistige Arbeit dar. Das folgt schon daraus, dass die Klägerin nicht lediglich im Rahmen gestellter Anträge Unterlagen und Angaben zusammenträgt, sondern aufgrund der Schilderungen der Antragsteller und Auskunftssuchenden selbstständig erfassen und beurteilen muss, welche Art von Sozialversicherungsrente in Betracht kommt und welche Voraussetzungen hierfür bestehen und belegbar sind. Hierzu bedarf es des Einsatzes ihrer gründlichen und umfassenden Rechtskenntnisse sowie des Erfassens des jeweiligen Lebenssachverhaltes und seiner Subsumtion. Darüber hinaus können im Rahmen der Feststellung der jeweiligen Voraussetzungen für den Sozialversicherungsanspruch umfangreiche Recherchen erforderlich werden (etwa zu Kriegszeiten, Zeiten vor einer Aussiedlung, in der ehemaligen DDR erbrachte Zeiten etc.), Die Klägerin hat hier ggf. zu entscheiden, ob sie - wenn möglich - Zeugen hört oder dem Antragsteller eine eidesstaatliche Erklärung abnimmt. Schließlich stellt auch die Überprüfung erteilter Bescheide auf Verlangen von Antragstellern eine selbstständige geistige Leistung dar. Diese erfordert nicht stets eine eigene abschließende Entscheidung, sondern kann ohne weiteres auch in einer Beratungsleistung liegen.

Auch im Rahmen der Bearbeitung von Unfallversicherungsangelegenheiten erbringt die Klägerin selbstständige Leistungen. Die Aufklärung von Unfallsachverhalten mit abschließender gutachterlicher Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen aufgrund durchgeführter Vernehmungen oder sonstiger Beweiserhebungen stellt eine solche selbstständige Leistung dar. Sie kommt potenziell bei jeder Unfallversicherungsangelegenheit in Betracht.

d)

Die Tätigkeiten der Klägerin bei Bearbeitung von Sozialversicherungsanträgen sowie Unfallversicherungsangelegenheiten einschließlich Auskunftserteilung und Beratung heben sich aus der vorgenannten Tätigkeit aber nicht dadurch heraus, dass sie mindestens zu einem Drittel besonders verantwortungsvoll sind. Weder die Bearbeitung von Sozialversicherungsanträgen noch von Unfallversicherungsangelegenheiten erfüllt das Tarifmerkmal. Ein Bewährungsaufstieg in die VG IV b Fg. 1 b findet daher nicht statt.

aa)

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist unter "Verantwortung" im Sinne des genannten Tarifmerkmals zunächst die Verpflichtung des Angestellten zu verstehen, dafür einstehen zu müssen, dass in dem ihm übertragenen Dienst- und Arbeitsbereich die dort - auch von anderen Bediensteten - zu erledigenden Aufgaben sachgerecht, pünktlich und vorschriftsgemäß ausgeführt werden (BAG v. 29.01.1986 - 4 AZR 465/84, AP Nr. 115 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Über diese "Normalverantwortung" hinaus hat das BAG beispielhaft eine Reihe von Kriterien genannt, die nach seiner Ansicht geeignet sein können, die tariflich geforderte herausgehobene Verantwortung zu begründen. Je nach der Lage des Einzelfalles kann sich die tariflich geforderte Verantwortung des Angestellten auf andere Mitarbeiter oder auf dritte Personen, Sachen, Arbeitsabläufe, zu gewinnende wissenschaftliche Resultate oder auf technische Zusammenhänge beziehen (BAG v. 29.01.1986 - 4 AZR 465/84, AP Nr. 115 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Dabei ist stets zu beachten, dass der Begriff der Verantwortung nicht mit den ebenfalls verwendeten tariflichen Merkmalen der Schwierigkeit und Bedeutung vermischt werden darf. Aus dem Tarifwortlaut "besonders" der VG IV b Fg. 1 a BAT wird gefolgert, dass der Grad der Verantwortung sich dort gegenüber der VG V b Fg. 1 a in gewichtiger, beträchtlicher Weise herausheben müsse (BAG v. 24.02.1999 - 4 AZR 8/98; BAG v. 19.03,1986 - 4 AZR 642/84, AP Nr. 116 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

bb)

Die Tätigkeit der Klägerin ist hiernach nicht als "besonders verantwortungsvoll" zu bewerten. Die Klägerin hat zunächst keine eigene Entscheidungskompetenz, sondern übt vorbereitende Tätigkeiten für die jeweiligen Sozialversicherungsträger aus. In diesem Rahmen hat sie zwar über die Frage des günstigsten Weges und der erforderlichen Schritte etwa zum Nachweis der jeweiligen Voraussetzungen einen gewissen Entscheidungsspielraum. Darin liegt aber keine Verantwortung der Art, wie sie mit einer abschließenden Entscheidung in einer Sozialversicherungsangelegenheit verbunden wäre.

Die von der Klägerin im Berufungsrechtszug hervorgehobene Verantwortung in der Beratung der Antragsteller und Auskunftssuchenden, insbesondere auch in Bezug auf den jeweils günstigsten sozialversicherungsrechtlichen Antrag (vgl. Schriftsatz vom 01.10.2002), erfüllt ebenfalls nicht das Merkmal einer "besonders verantwortungsvollen Tätigkeit". Die von der Klägerin zu leistende "Beratung" kann nicht mit der Rechtsberatung etwa eines Rechtsanwalts gleichgesetzt werden. Zwar hat das Versicherungsamt gemäß § 93 SGB IV nicht lediglich "Wegweiserfunktion", d.h. die Auskunftssuchenden an den zuständigen Sozialversicherungsträger zu verweisen. Auch erschöpft sich seine Aufgabe in Bezug auf sozialversicherungsrechtliche Anträge nicht in einer "Briefkastenfunktion", d.h. in der schlichten Entgegennahme und Weiterleitung von Anträgen. Der Klägerin ist ausdrücklich auch die "Beratung" der Auskunftssuchenden sowie die "Bearbeitung" der Sozialversicherungsanträge einschließlich der Klärung der tatsächlichen Verhältnisse übertragen.

Während der Rechtsanwalt als Rechtsberater aber zu allgemeiner, umfassender und möglichst erschöpfender Belehrung verpflichtet ist (BGH NJW 1961, 602), insbesondere auch in Bezug auf Beweisrisiken, reicht die Beratungspflicht des Sozialversicherungsamtes nicht soweit. Zum einen besteht zusätzlich die Beratungspflicht des jeweiligen Versicherungsträgers gemäß §§ 14, 15 SGB I. Zum anderen beschränkt § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB I die Verpflichtung der Versicherungsträger auf solche Auskünfte und Beratungen, zu deren Gewährung sie im Stande sind. Die Regelung gilt erst Recht in entsprechender Anwendung für die Versicherungsämter. Damit ist eine Unterstützungsfunktion beschrieben, die sich von der von einem Rechtsberater geschuldeten Verantwortung für die nach jeder Richtung zu prüfende optimale Rechtsdurchsetzung unterscheidet. Dem steht nicht entgegen, dass das Versicherungsamt auch Haftungsrisiken trägt. Denn auch im Rahmen einer in diesem Sinne beschränkten Auskunfts- und Beratungspflicht können Amtspflichten verletzt werden. Die Tatsache eines Haftungsrisikos begründet dabei für sich allein noch keine besondere Verantwortung.

Die Auskunfts- und Beratungspflicht ist für die betroffenen zwar durchaus von Bedeutung. Das Versicherungsamt übt schon wegen seiner Bürgernähe eine Mittlerfunktion zwischen Versicherten und Versicherungsträgern aus. Die Bedeutung ist jedoch begrenzt durch die eigenständige, nach dem gesetzlichen Modell sogar weitergehende Beratungspflicht des Versicherungsträgers (§§ 14, 15 SGB I) und durch den im Sozialversicherungsrecht geltenden Amtsermittlungsgrundsatz. Es ist nicht erkennbar, dass im Versicherungsamt über die genannten Hilfs- und Mittlerfunktionen hinaus entscheidende, irreversible Weichenstellungen stattfinden.

Auch für den beklagten Landkreis selbst und seine finanzielle Belastung ist die Tätigkeit der Klägerin im Versicherungsamt nicht von besonderer Verantwortung im Tarifsinne. Soweit in der Stellenbeschreibung die im Termin zur letzten mündlichen Verhandlung von der Klägerin überreicht wurde, auf eine Entlastung des Landkreises bei der Sicherstellung des Lebensunterhaltes behinderter Menschen durch Leistungen der Rentenversicherung hingewiesen wird, ist nicht ersichtlich, inwiefern das Versicherungsamt hier selbst abschließend besondere Verantwortung trägt. Die Prüfung der Frage, ob sich eine Nachversicherung auf Kosten der Sozialhilfe letztlich "rechnet", erfüllt nicht das Tätigkeitsmerkmal der besonderen Verantwortung.

Das gilt auch für die gelegentlich erforderlichen Tatsachenfeststellungen im Versicherungsamt. Sie beziehen sich - vielleicht mit Ausnahme mancher Unfallversicherungsangelegenheiten - auf in der Regel weit zurückliegende Versicherungszeiträume. Die Bedeutung einer zeitnahen Feststellung erscheint daher nicht als für das Beweisergebnis ausschlaggebend. Die Feststellungen können in der Regel überprüft und korrigiert werden.

Nicht zu verkennen ist allerdings, dass die Versicherungsämter ihre Aufgaben in eigener Zuständigkeit verrichten (BSG v. 20.02.1962 - 1 RA 215/59, Soz.Vers. 1963, 62; BGHZ 26, 232). Sie erledigen innerhalb ihrer organisatorischen Einbindung in die kommunalen Verwaltungen Fremdaufgaben, nämlich Aufgaben der Sozialversicherungsträger. Dies bedingt eine gewisse Selbstständigkeit und lockere Beaufsichtigung. Das kommt im Falle der Klägerin als alleiniger Bearbeiterin der Angelegenheiten des Versicherungsamtes beim beklagten Landkreis exemplarisch zum Ausdruck.

Dennoch rechtfertigt auch diese Sonderstellung nicht die Einordnung der Tätigkeit als "besonders verantwortungsvoll". Sie kann nicht mit der selbstständigen Leitung eines Sachbereiches gleichgesetzt werden, da die mit Leitungsfunktionen verbundene Verantwortung allenfalls in Bezug auf Sachfragen gegeben ist, nicht aber in Bezug auf Mitarbeiter. Die Art und Weise der zu erledigenden Aufgaben des Versicherungsamtes ist aber nicht von solcher Entscheidungsfreiheit und Tragweite geprägt, dass die Tätigkeit allein deshalb besonders verantwortungsvoll wäre.

3.

Nach alledem erfüllen die maßgeblichen Arbeitsvorgänge der Tätigkeit der Klägerin bei keinem denkbaren Zuschnitt - auch in einer Gesamtbetrachtung - die Anforderungen der VG IV b BAT-O (VKA). Die Berufung war daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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