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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 30.07.2002
Aktenzeichen: 2 Sa 218/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 611
BGB § 242
Aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit im Schuldrecht folgt, dass es grundsätzlich zulässig ist, Ausschlussfristen in einem Arbeitsvertrag zu vereinbaren.

Einzelvertragliche Ausschlussfristen werden aber dann nicht verbindlich, wenn sie überraschend sind. Bei der Prüfung sind alle Umstände zu berücksichtigen, auch das äußere Erscheinungsbild des Vertrages.

Wird ein Arbeitsvertrag auf einem vom Arbeitgeber vorgehaltenen Formular vereinbart, das so gestaltet ist, dass das - dünne - Papier etwas durchscheinend ist, und auf dessen Vorderseite die Vertragsbestimmungen gut konstrastscharf gehalten sind, während die Vertragsbestimmungen auf der Rückseite in einem blassen Grau gedruckt sind, so dass sie nur noch mit Mühe zu lesen sind, so handelt es sich bei einer auf der Rückseite des Vertrages abgedruckten Ausschlussfristvereinbarung um eine überraschende Klausel. Diese wird nicht Vertragsbestandteil.

In einem solchen Fall kann der Arbeitgeber sich auch nicht darauf berufen, der Arbeitnehmer habe den Vertrag vor Unterschriftsleistung zu Hause prüfen können. Aufgrund der schlechten Lesbarkeit kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer die Rückseite des Vertrages zu Hause sorgfältig studiert hat.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 218/02

Verkündet am 30.07.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die Beratung vom 23.07.2002 durch die Vizepräsidentin des Landesarbeitsgerichts Willikonsky als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter Voß und Gassmann als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 18.04.2002 - 2 Ca 1886/01 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin gegen die Beklagte noch Ansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis geltend machen kann.

Die Klägerin war aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 18.12.2000 bei der Beklagten in der Zeit vom 08.12.2000 - 23.04.2002 beschäftigt und als Holerin und Bringerin für das St. F...-Hospital in F..... eingesetzt. Hinsichtlich der Einzelheiten der in dem Arbeitsvertrag enthaltenen Vereinbarungen sowie der Gestaltung des Formulars wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts vom 18.04.2001 verwiesen. Unstreitig stand der Klägerin eine Vergütungsdifferenz für Februar und März 2001 in Höhe von insgesamt 902,78 DM zu, die sie erstmals mit Gewerkschaftsschreiben vom 17.10.2001 (Bl. 27 d. A.) gegenüber der .......GmbH & Co. KG geltend machte.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 461,58 brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich auf den Bruttobetrag seit dem 01.11.2001 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die restlichen Lohnansprüche der Klägerin seien gemäß Ziffer 10 des Arbeitsvertrages verfallen. Die Geltendmachung am 17.10.2001 sei außerhalb der Ausschlussfrist erfolgt. Die Ausschlussklausel sei wirksam. Die Klägerin habe ausreichend Zeit gehabt, diese zur Kenntnis zu nehmen. Sie habe den Arbeitsvertrag vor der Unterschriftsleistung mit nach Hause genommen und daher die Möglichkeit gehabt, die Rückseite des Arbeitsvertrages gründlich zu lesen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.04.2002 der Klage stattgegeben und ausgeführt, aufgrund der Gestaltung des Arbeitsvertragsformulars und der schlechten Lesbarkeit der Rückseite, auf der sich die Ausschlussklauel befindet, sei die Vereinbarung dieser Klausel unwirksam. Der Anspruch der Klägerin sei daher nicht verfallen.

Gegen dieses am 17.05.2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11.06.2002 Berufung eingelegt und diese begründet.

Die Beklagte trägt vor, das Arbeitsgericht habe irrig angenommen, die Ausschlussklausel in § 10 des Arbeitsvertrages sei nicht Vertragsbestandteil des Arbeitsvertrages der Parteien geworden. Die Klausel sei nicht überraschend. Sie sei der Klägerin vor Abschluss des Arbeitsvertrages inhaltlich bekannt gewesen. § 10 habe zwar nicht eine besondere Überschrift, sei aber deutlich hervorgehoben. Die Absätze seien mit größeren Abständen versehen. Der Inhalt des § 10 sei deutlich lesbar und übersichtlich abgefasst. Die Rückseite des Arbeitsvertrages sei gerade nicht mit unübersehbar vielen Paragraphen bestückt. Lediglich sieben weitere Paragraphen seien dort aufgeführt. Nicht berücksichtigt habe das Arbeitsgericht auch, dass die Klägerin mit ihrer Unterschrift die Kenntnisnahme der Paragraphen 5 bis 11 bestätigt habe, und zwar, dass sie den Vertrag inklusive der Paragraphen 5 bis 11 auf der Rückseite aufmerksam gelesen und verstanden habe und mit den vertraglichen Regelungen einverstanden sei. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts beziehe sich das auch auf die Ausschlussklausel.

Das Arbeitsgericht beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 18.04.2002 - 2 Ca 1886/01 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt weiter aus, tatsächlich sei die Ausschlussklausel auf der Rückseite des Arbeitsvertrages kaum lesbar. Hinzu komme, dass auch die Ausgestaltung überraschend sei. Es liege hier nämlich eine zweistufige Ausschlussfrist vor, was eher ungewöhnlich sei.

Die Parteien haben am 17.06. und 28.06.2002 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die aufgrund Zulassung statthafte Berufung der Beklagten hat nicht Erfolg.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die Forderung der Klägerin, über deren Grund und Höhe Streit nicht besteht, verfallen sei. Vielmehr ist die Beklagte gehindert, sich auf die einzelvertragliche Ausschlussklausel zu berufen. Dem steht der das Schuldrecht prägende Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB, entgegen.

Der Beklagten ist zuzugestehen, dass das AGB-Gesetz nicht Anwendung auf den Arbeitsvertrag findet, § 23 Abs. 1 AGBG. Hingegen gilt im Schuldrecht der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Dieser Grundsatz der Vertragsfreiheit gestattet auch die Vereinbarung von Ausschlussklauseln in Einzelarbeitsverträgen. Die Vereinbarung ist nicht auf Tarifverträge beschränkt.

Die grundsätzliche zulässige Ausschlussfrist ist im vorliegenden Fall nicht Bestandteil des Arbeitsvertrages geworden. Es handelt sich nämlich um eine überraschende Klausel. Überraschend sind Vertragsklauseln dann, wenn sie so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen brauchte. Es muss ihnen ein «Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt» innewohnen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, insbesondere auch das äußere Erscheinungsbild des Vertrages. Auch das Unterbringen einer Klausel an einer unerwarteten Stelle im Text kann sie als überraschend erscheinen lassen (BAG Urteil vom 29.11.1995 - 5 AZR 447/94 - NZA 1996,702 = EzA § 611 BGB Inhaltskontrolle Nr. 4; BAG Urteil vom 17.6.1997 - 9 AZR 810/95 - EzA § 74 HGB Nr. 60). Ist dies der Fall, so muss der Verwender sich nach Treu und Glauben, § 242 BGB, entgegenhalten lassen, dass die Klausel nicht wirksam geworden ist. Das ist hier der Fall.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist im vorliegenden Fall die Ausschlussklausel optisch kaum erkennbar. Der Original-Arbeitsvertrag ist auf einem dünnen durchscheinenden Papier gedruckt. Die Vorderseite ist sehr gut kontrastscharf gestaltet. Hingegen sind die Vertragsbedingungen auf der Rückseite so blass, dass jeder Leser erhebliche Mühe hat, diese zur Kenntnis zu nehmen. Auf der Rückseite befindet sich aber die Ausschlussklausel. Den Feststellungen des Arbeitsgerichts hierzu ist voll zuzustimmen. Auch die Berufungskammer hat erhebliche Schwierigkeiten, die Rückseite zu lesen. Diese Tatsache spricht dafür, dass die Ausschlussklausel für die Klägerin tatsächlich eine überraschende Vereinbarung darstellte.

Die Beklagte kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, dass das Überraschungsmoment deshalb nicht vorgelegen habe, weil die Klägerin die Möglichkeit hatte, den Arbeitsvertrag mit nach Hause zu nehmen. Zwar ist auf der Vorderseite vor dem Unterschriftsfeld fettgedruckt ausgeführt "Vorstehenden Vertrag, inklusive der Paragraphen 5 -11 auf der Rückseite, habe ich aufmerksam gelesen und verstanden. Ich bestätige die Richtigkeit der Erklärungen zur Person und zu § 2 des Vertrages und bin mit den vertraglichen Regelungen einverstanden." Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann angesichts der schlechten Lesbarkeit der Rückseite nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin zu Hause auch die Rückseite sorgfältig studiert hat. Die Bestätigung der Klägerin vor dem Unterschriftsfeld ist nicht so eindeutig formuliert, dass hieraus erkennbar ist, dass eine bestimmte Passage besondere Aufmerksamkeit der Klägerin bedürfe. Der Hinweis auf die Ziffern 5 - 11 des Arbeitsvertrages, d. h. auf die auf der Rückseite stehenden Ziffern, besagt lediglich, dass die Klägerin bestätigt, auch die Rückseite des Vertrages zur Kenntnis genommen zu haben. Die Einverständniserklärung enthält nicht den erforderlichen klaren Hinweis, der dem Arbeitnehmer deutlich macht, dass hier besondere Gefahr drohe.

Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Streitsache nicht ersichtlich ist. Die besondere Bedeutung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte derartige Formulare in einer Vielzahl von Fällen verwendet. Die Bedeutung der Entscheidung geht jedenfalls nicht über den Betrieb der Beklagten hinaus.

Ende der Entscheidung

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