Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 31.05.2005
Aktenzeichen: 2 Sa 66/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
BGB § 315
BGB § 611
Vereinbart ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern einzelvertraglich ein "Leistungspaket", das u.a. die "freiwillige" Weitergabe von tarifvertraglichen Gehaltssteigerungen, bedeutet das nicht, dass der Arbeitgeber sich die Leistung generell immer wieder vorbehalten will.

Dem Wort "freiwillig" muss nicht so verstanden werden, dass ein Rechtsanspruch ausgeschlossen werden soll.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Teil-Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 66/05

Verkündet am 31.05.2005

In dem Rechtsstreit

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 31.05.2005 durch die Vizepräsidentin des Landesarbeitsgerichts ..als Vorsitzende und die ehrenamtlichen Richter ...und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 13.01.2005 - 2 Ca 3254/03 - teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger bezogen auf die ERA-Strukturkomponente als Einmalzahlung für die Zeit vom 01.01.2003 bis 31.05.2003 in der Metallindustrie Schleswig-Holstein (berechnet nach der Formel 5,00 x 0,9 % : 1,031 x individuelles regelmäßiges Monatsentgelt des Auszahlungsmonats) Auskunft über die Höhe der von der Beklagten gem. Ziffer 4.3 Satz 6 des von der Beklagten betriebseinheitlich angewendeten "Leistungspakets" für den Kläger vorgesehenen Tarifweitergabe zu geben.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, dem Kläger, bezogen auf die ERA-Strukturkomponente als Einmalzahlung für die Zeit vom 01.06.2003 bis 31.12.2003 in der Metallindustrie Schleswig-Holstein (berechnet nach der Formel 8,24 x 0,5 % : 1,026 x individuelles regelmäßiges Monatsentgelt des Auszahlungsmonats) Auskunft über die Höhe der von der Beklagten gem. Ziff. 4.3 Satz 6 des von der Beklagten betriebseinheitlich angewendeten "Leistungspakets" für den Kläger vorgesehenen Tarifweitergabe zu geben.

Die Berufung des Klägers wird im Übrigen hinsichtlich der Hauptanträge zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um eine einzelvertragliche Verpflichtung der Beklagten zur Weitergabe von Tariflohnerhöhungen der Metallindustrie Schleswig-Holstein im Zusammenhang mit der Einführung des Entgelt-Rahmen-Abkommens (ERA).

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.04.1986 als Angestellter beschäftigt. Er ist Vorsitzender des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats. Im Monat April 2003 erhielt er ein Grundgehalt von 3.515,10 EUR brutto zuzüglich einer erfolgsbezogenen Prämie in Höhe von 249,29 EUR. Im Monat September 2003 belief sich sein Grundgehalt auf 3.590,39 EUR. Die erfolgsbezogene Prämie betrug 277,41 EUR.

Die Beklagte ist nicht tarifgebunden. Inhalt des zwischen den Parteien vereinbarten Arbeitsverhältnisses ist das sog. Leistungspaket der Beklagten (BI. 10 d. A. ff.), das auf das Arbeitsverhältnis mit dem Stand Juli 1996 Anwendung findet. Dieses lautet auszugsweise:

4.1 In der A. GmbH werden marktgerechte Gehälter gezahlt. Es erfolgt mangels Tarifbindung keine Eingruppierung, z.B. entsprechend den Bestimmungen der Metallindustrie. Das Gehalt unterteilt sich in ein Grundgehalt als anforderungsbezogenem Entgeltbestandteil und einen freiwilligen, erfolgsbezogenen Prämienanteil.

4.2 Es wird ein Jahresgehalt vereinbart, welches sich unterteilt in 12 Monatsentgelte. Das Monatsentgelt besteht aus einem anforderungsbezogenen und einem erfolgsbezogenen Teil gemäß Ziffer 1.4.

4.3 Die A. GmbH wird die in der Metallindustrie Schleswig-Holstein zwischen den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Gehaltssteigerungen in Summe, bezogen auf das anforderungsbezogene Entgelt freiwillig an alle Beschäftigten weitergeben, soweit dies aus wirtschaftlichen Gründen vertretbar ist und soweit es sich nicht um strukturelle Änderungen handelt. Die Beurteilung der wirtschaftlichen Situation wird dabei an den Plan- und Ist-Zahlen sowie der generellen Einschätzung der weiteren Geschäftssituation erfolgen. Hierüber entscheidet die Geschäftsleitung jeweils nach entsprechendem Tarifabschluss. Die Entscheidung ist mit dem Betriebsrat vor Umsetzung zu beraten. Die zur Verfügung stehende Summe wird zu 50 % als generelle, kollektive Erhöhung auf das anforderungsbezogene Gehalt weitergegeben. Die übrigen 50 % sind der individuellen Gehaltsüberprüfung vorbehalten.

Die Mitglieder des Nordverbund e.V., bestehend aus Nordmetall (Hamburg), Nordmetall (Wilhelmshaven) und der IG Metall Bezirk Küste (Hamburg), haben u.a. für das Tarifgebiet Schleswig-Holstein ihr Verhandlungsergebnis in einer Erklärung vom 24. Mai 2002 niedergelegt (BI. 6 ff d. A.). Dort heißt es:

3. Mit Wirkung ab 1. Juni 2002 erhöht sich das Tarifvolumen um insgesamt 4 %, mit Wirkung ab 1. Juni 2003 um weitere 3,1 %. Diese Erhöhungen werden jeweils wie folgt auf zwei Komponenten verteilt:

3.1 Mit Wirkung ab 1. Juni 2002 werden die Löhne und Gehälter um 3,1 % erhöht, mit Wirkung ab 1. Juni 2003 um weitere 2,6 %.

3.2 Das restliche Erhöhungsvolumen von 0,9 % bzw. 0,5 % fließt in ERA-Strukturkomponenten.

3.2.1 Die Beschäftigten erhalten:

a. für die Zeit vom 01.06.2002 bis 31.12.2002 mit der Abrechnung Juli 2002 die erste ERA-Strukturkomponente als Einmalzahlung. Diese berechnet sich wie folgt: 8,24 x 0,9 % : 1,031 x

b. für die Zeit vom 01.01.2003 bis 31.05.2003 mit der Abrechnung April 2003 die erste ERA-Strukturkomponente als Einmalzahlung. Diese berechnet sich wie folgt: 5,00 x 0,9 % : 1,031 x

c. für die Zeit vom 01.06.2003 bis 31.12.2003 mit der Abrechnung vom September 2003 die zweite ERA-Strukturkomponente als Einmalzahlung. Diese berechnet sich wie folgt: 8,24 x 0,5 % : 1,026 x

individuelles regelmäßiges Monatsentgelt des Auszahlungsmonats (feste sowie leistungs- und zeitabhängige variable Bestandteile ohne Mehrarbeitsvergütung), soweit es Gegenstand der Erhöhung gemäß Ziffer 3.1 dieser Vereinbarung war.

Die Beklagte zahlte die nach Ziffer 3.2.1 a) vorgesehene Einmalzahlung aus. Zu dieser Zeit gehörte sie noch dem D.-Konzern an, der entschieden hatte, auch in nicht tarifgebundenen Unternehmen diese Einmalzahlung auszukehren . Die 3,1 %ige Erhöhung gab sie mit Wirkung ab 01. Juni 2002 an den Kläger weiter, desgleichen die 2,6 %ige Erhöhung ab dem 01.06.2003.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe auch für den Zeitraum vom 01.01.2003 bis zum 31.05.2003 die gemäß Ziffer 3.2.1 b) des Verhandlungsergebnisses vorgesehene Einmalzahlung zu. Diese belaufe sich unter Zugrundelegung des individuellen Monatsgehalts April 2003 in Höhe von EUR 3.791,39 brutto auf 164,30 EUR. Daneben stehe ihm auch gemäß Ziffer 3.2.1 c) die Einmalzahlung in Höhe von 155,32 EUR brutto aus der zweiten ERA-Strukturkomponente für die Zeit ab dem 01.06.2003 bis 31.12.2003 als Einmalzahlung zu. Beide Zahlungen stellten eine Gehaltssteigerung im Sinne des Leistungspaketes dar.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 164,30 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 01.05.2003 zu zahlen,

2. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 155,32 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 01.10.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe die geltend gemachte Zahlung nicht zu. Das Verhandlungsergebnis bestehe in einer strukturellen Veränderung des gesamten Tarifgefüges, da mit der Einführung von ERA sämtliche Eingruppierungen zum Zwecke der stufenweisen Angleichung von Arbeitern und Angestellten grundsätzlich umgestellt würden. Ab diesem Zeitpunkt würden daher die Tarifergebnisse im Sinne des Vorbehalts im Leistungspaket für die Beklagte überhaupt keine Wirkung mehr entfalten. Im Übrigen stehe die Übertragung von Gehaltssteigerungen ausdrücklich auch unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit. Jedenfalls bestehe der Anspruch nicht in der vom Kläger begehrten Höhe, da die Gehaltssteigerung jeweils nur auf das anforderungsbezogene Entgelt und damit ohne Berücksichtigung der darüber hinaus gezahlten Prämie zu berechnen ist.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 13.1.2005 (2 Ca 3254/03) die Beklagte verurteilt, an den Kläger 76,71 EUR brutto sowie weitere 72,09 EUR brutto nebst Zinsen zu zahlen und die weitergehende Klage abgewiesen. Dabei handelt es sich um 50 % der Einmalzahlungen nach Ziff. 3.2.1 b und c bezogen auf das anforderungsbezogene Entgelt, also ohne Berücksichtigung der leistungsbezogenen Prämie. Hiergegen haben beide Parteien rechtzeitig - die vom Arbeitsgericht zugelassene - Berufung eingelegt und diese begründet.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Weiter trägt er vor, seine Berufung richte sich nicht gegen die durch das Gericht vorgenommene Nichtberücksichtigung der Prämie bei der Anspruchsberechnung. Auch er verlange fortan lediglich bei 100 %iger Tarifweitergabe den Betrag von 153,42 EUR für das 1. Halbjahr 2003 und 144,18 EUR für das 2. Halbjahr 2003. Die Auffassung des Gerichts, dass sein Anspruch auf Zahlung der weiteren 50 %, d.h. weiterer 76,71 EUR derzeit nicht fällig sei, setze voraus, dass die Beklagte bei den weiteren 50 % der Gehaltssteigerungen der Metallindustrie Schleswig-Holstein sich in Satz 6 der Ziff. 4.3 des Leistungspaketes wirksam vorbehalten habe, von der generellen, kollektiven, d.h. gleichmäßigen Verteilung zugunsten anderer Verteilungskriterien abzuweichen. Der im Betrieb der Beklagten gebildete Betriebsrat sei bei der Weitergabe der zweiten 50 % der Gehaltssteigerungen im Jahr 2003 nicht beteiligt worden. Das Leistungspaket sehe Derartiges auch nicht vor. Hier bestehe aber ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG. Der Kreis der Begünstigten sei nicht eingegrenzt. Es stehe auch nicht im Belieben der Beklagten, die zweiten 50 % der tariflichen Gehaltssteigerungen überhaupt weiterzugeben. Eine strukturelle Änderung liege nicht vor. Eine wirtschaftliche Unvertretbarkeit werde von der Beklagten selbst nicht geltend gemacht.

Der Kläger könne nicht auf einen Auskunftsanspruch verwiesen werden, da die Auskunft nicht zur Klärung des Anspruchs des Klägers beitragen könne. Eine durch die Beklagte erteilte Auskunft wäre sogar unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zustande gekommen. Eine solche gegen das Gesetz verstoßende Auskunft könne aber niemals eine Entscheidung nach billigem Ermessen sein. Da eine einseitige Festlegung des Anspruchs und entsprechende Auskunft durch die Beklagte rechtsunwirksam wäre, der Kläger andererseits es nicht in der Hand habe, wann und ob der Betriebsrat beteiligt werde, entspreche alleine die generelle, kollektive, d.h. gleichmäßige, Verteilung an alle Arbeitnehmer billigem Ermessen. Danach stünden ihm weitere 76,71 EUR für das 1. Halbjahr sowie 72,09 EUR für das 2. Halbjahr 2003 zu.

Höchst vorsorglich mache er im Wege der Stufenklage den Auskunftsanspruch geltend, den das Arbeitsgericht in seinem Urteil als gegeben gesehen habe.

Der Kläger beantragt,

1. unter Abänderung des am 13.01.05 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Lübeck, Az. 2 Ca 3254/03 die Beklagte zur Bezahlung weiterer 76,71 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2003 zu verurteilen,

hilfsweise hierzu

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger bezogen auf die ERA-Strukturkomponente als Einmalzahlung für die Zeit vom 01.01.2003 bis 31.05.2003 in der Metallindustrie Schleswig-Holstein (berechnet nach der Formel 5,00 x 0,9 % : 1,031 x individuelles regelmäßiges Monatsentgelt des Auszahlungsmonats) Auskunft über die Höhe der von der Beklagten gern. Ziff. 4.3 Satz 6 des von der Beklagten betriebseinheitlich angewendeten "Leistungspakets" für den Kläger vorgesehenen Tarifweitergabe zu geben,

und - im Wege der Stufenklage -

die Beklagte zur Bezahlung einer nach der Erteilung der Auskunft noch zu bestimmenden Höhe der ERA-Strukturkomponente als Einmalzahlung für die Zeit vom 01.01.2003 bis 31.05.2003 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 01.05.2003 zu verurteilen.

2. unter Abänderung des am 13.01.05 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Lübeck, Az. 2 Ca 3254/03 die Beklagte zur Bezahlung weiterer 72,09 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.03 zu verurteilen,

hilfsweise hierzu,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger bezogen auf die ERA-Strukturkomponente als Einmalzahlung für die Zeit vom 01.06.2003 bis 31.12.2003 in der Metallindustrie Schleswig-Holstein (berechnet nach der Formel 8,24 x 0,5 % : 1,026 x individuelles regelmäßiges Monatsentgelt des Auszahlungsmonats) Auskunft über die Höhe der von der Beklagten gern. Ziff. 4.3 Satz 6 des von der Beklagten betriebseinheitlich angewendeten "Leistungspakets" für den Kläger vorgesehenen Tarifweitergabe zu geben,

und - im Wege der Stufenklage -

die Beklagte zur Bezahlung einer nach der Erteilung der Auskunft noch zu bestimmenden Höhe der ERA-Strukturkomponente als Einmalzahlung für die Zeit vom 01.06.2003 bis 31.12.2003 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 01.10.2003 zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, das Arbeitsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass die Beklagte verpflichtet sei, die Tariferhöhung weiterzugeben. Die Auslegung des Begriffs der Freiwilligkeit gehe weit über dessen Wortlaut und Bedeutung hinaus. Sie differenziere zwischen "Freiwilligkeit" und "absoluter Freiwilligkeit". Zudem habe das Arbeitsgericht verkannt, dass es sich bei der Einführung des Entgeltrahmenabkommens (ERA) um eine strukturelle Änderung des Tarifsystems i.S. der Ziff. 4.3 des Leistungspakets der Beklagten handele. Ausdruck dieser strukturellen Veränderung des Tarifgefüges seien u.a. die als Einmalzahlung vorzunehmenden sog. ERA-Strukturkomponenten, die die Kostenneutralität bei der Überführung des alten Tarifsystems in das neue Tarifsystem, das ERA, sicherstellen sollten. Das Gericht verkenne die Bedeutung der Einführung des ERA und der damit verbundenen Strukturveränderungen. Es setze sich bei seiner Argumentation, bei den Einmalzahlungen handele es sich nicht um strukturelle Änderungen im Sinne des Vorbehaltes des ersten Satzes der Ziffer 4.3. des Leistungspaketes selbst in Widerspruch. Das Gericht selbst bezeichne den tabellenwirksamen Teil der Tariferhöhung in Höhe von 3,1 % ab dem 1. Juni 2002 als eine "normale" Entgeltsteigerung.

Eine strukturelle Veränderung im Sinne der Ziffer 4.3. des Leistungspaketes trete nicht erst mit Wirkung zum 01.6.2003 ein. Mit diesem Zeitpunkt solle lediglich die Strukturkomponenten nicht mehr direkt den Arbeitnehmern zufließen, sondern in einen Ausgleichstopf abgeführt werden. Die strukturelle Änderung des Tarifgefüges im Sinne des Leistungspaketes müsse bereits mit Abschluss des Verhandlungsergebnisses der Tarifvertragsparteien am 24.5.2002 angenommen werden. Nach dem Verhandlungsergebnis seien die wesentlichen Eckpunkte des ERA-RV für die Tarifgebiete des Nordverbund vereinbart. Dieses Verhandlungsergebnis habe endgültig sein sollen. Somit sei die Beklagte seit dem 24.5.2002 nicht mehr an die Tarifabschlüsse der Metall- und Elektroindustrie in Schleswig-Holstein gebunden. Die Vereinbarungen des Verhandlungsergebnisses mit Wirkung ab 1.6.2002 seien für die Beklagte nicht mehr verbindlich. Es könne nicht angenommen werden, dass nur die strukturellen Änderungen punktuell ausgenommen sein sollen und dass dies durch die Bedeutung des Wortes "soweit" in Satz 1 der Ziffer 4.3. des Leistungspaketes zum Ausdruck kommen solle. Durch eine strukturelle Änderung des Tarifgefüges müsse eine "Bindung" an tarifvertragliche Regelungen vollständig entfallen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 13.01.2005 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Lübeck (Az.: 2 Ca 3254/03) die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet (1), die des Klägers hat nur teilweise Erfolg (2).

1.

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2003 bis zum 31.05.2003 die nach der Berechnungsformel gemäß Ziffer 3.2.1 b. und für die Zeit vom 1.6.2003 bis 31.12.2003 die nach Ziff. 3.2.1 c des Verhandlungsergebnisses vorgesehene Einmalzahlung in Höhe von 50 % zu. Dabei handelt es sich um eine Gehaltssteigerung i.S. des Leistungspakets der Beklagten, die weiterzugeben ist.

Grundlage der Berechnung ist das jeweilige Grundgehalt im Fälligkeitsmonat April 2003 (EUR 3.515,10) sowie September 2003 (EUR 3.590,39) ohne Berücksichtigung der leistungsbezogenen Prämie. Zur Berechnung besteht in der Berufung zwischen den Parteien nicht mehr Streit.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich aus dem im Arbeitsvertrag der Parteien in Bezug genommenen Leistungspaket der Beklagten ein direkter Anspruch des Klägers auf Weitergabe. Diese einzelvertragliche Bezugnahme auf die tarifvertragliche Regelung ist zulässig und wirksam. Ansprüche, die hieraus folgen, sind einzelvertraglicher Natur und ergeben sich damit nicht direkt aus dem abgezogenen Tarifvertrag. Hieraus folgt, dass die Auslegung der Abmachung nach §§ 133, 157 BGB und nicht wie bei einer Norm erfolgt.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich aus Ziff. 4.3 des Leistungspakets der Beklagten nicht ein genereller Freiwilligkeitsvorbehalt. Weder dem Wortlaut noch dem Zusammenhang kann dies entnommen werden. Das Wort "freiwillig" besagt für sich noch nicht, dass die Beklagte sich regelmäßig die Entscheidung neu vorbehalten wollte, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Gehaltssteigerungen an die Mitarbeiter weitergeben wolle. Hieraus muss ein Arbeitnehmer noch nicht schließen, dass damit ein Rechtsanspruch ausgeschlossen werden soll. Das ist vielmehr vom Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer deutlich zu machen, z.B. durch die Formulierung "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" (BAG Urteil vom 11.4.2000 - 9 AZR 255/99 - NZA 2001,24; BAG Urteil vom 23.10.2002 - 10 AZR 48/02 - NZA 2003,558). Der Gebrauch des Wortes "freiwillig" ist, wie das Arbeitsgericht ausgeführt hat, nur so zu verstehen, dass die Beklagte sich ohne zwingenden Grund mangels Tarifgebundenheit verpflichtet, die Verhandlungsergebnisse der Tarifverhandlungen an ihre Arbeitnehmer weiterzugeben.

Auch der weitere Wortlaut lässt einen Freiwilligkeitsvorbehalt nicht erkennen. Die Beklagte hat zwar ausgeführt, sie werde Gehaltssteigerungen an alle Beschäftigten weitergeben "soweit dies aus wirtschaftlichen Gründen vertretbar" sei. Aus dieser Formulierung wird aber deutlich, dass die Beklagte sich nicht generell die Entscheidung immer wieder vorbehalten wolle. Vielmehr hat die Beklagte sich in der Ausübung ihres Ermessens nach § 315 BGB gebunden. Dass die Weitergabe aus wirtschaftlichen Gründen nicht vertretbar ist, insbesondere hinsichtlich der Einmalzahlungen, hat die Beklagte nicht dargelegt, worauf das Arbeitsgericht bereits hingewiesen hat.

Dem Kläger steht daher die Einmalzahlung nach dem Verhandlungsergebnis vom 24.5.2002 zu 50 % zu.

Die Weitergabe ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich um eine strukturelle Änderung i.S. der Ziff. 4.3 des Leistungspakets handelte. Die Formulierung in Ziff. 4.3 "soweit es sich nicht um strukturelle Änderungen handelt" macht deutlich, dass die Weitergabe im Übrigen erfolgen soll. Es sollen nur strukturelle Änderungen punktuell ausgenommen sein.

Wie das Arbeitsgericht ausgeführt hat, hat das Verhandlungsergebnis ab 1.6.2002 in Höhe von 4 % 2 unterschiedliche Formen der Entgeltsteigerung festgelegt, nämlich eine "normale", auf Dauer ausgerichtete Entgeltsteigerung in Höhe von 3,1 % und einen weiteren Teil von 0,9 % als Einmalzahlung im April 2003. Auch wenn zu dieser Zeit bereits wesentliche Eckpunkte des ERA-TV vereinbart waren, ergibt sich aus Ziff. 3.2.2 des Verhandlungsergebnisses, dass erst ab dem 1.6.2003 das Volumen der ersten Strukturkomponente zum Zweck der Schließung des Deltas bei der ERA-Einführung bereitgestellt wird. Hieraus wird deutlich, dass die Einmalzahlungen dazu dienten, die Vergütung der Mitarbeiter zu erhöhen, ohne dass sich dies tabellenwirksam niederschlägt. Auch hierbei handelt es sich um Gehaltssteigerungen i.S. der Ziff. 4.3 des Leistungspakets. Die Beklagte kann sich daher nicht darauf berufen, dass bereits vor dem 1.6.2003 ihre einzelvertragliche Bindung an die Tarifverträge der Metallindustrie fortgefallen sei.

Auch die Einmalzahlung gem. Ziff. 3.2.1.c für die Zeit vom 1.6.2003 bis 31.12.2003 entfällt nicht wegen einer strukturellen Änderung. Auch insoweit handelt es sich nicht um einen Bestandteil des "Anspartopfs", sondern eine Einmalzahlung, die nicht tabellenwirksam wird. Dies lässt deutlich werden, dass damit eine Strukturänderung nicht verbunden ist.

Die Berufung der Beklagten ist daher unbegründet.

2.

Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger im Wege der Stufenklage Auskunft zu erteilen. Einen Anspruch auf Zahlung der zweiten Hälfte der ERA-Strukturkomponente hat der Kläger hingegen nicht. Der dem Kläger zustehende Zahlungsanspruch richtet sich lediglich auf 50 % der Strukturkomponente.

Hinsichtlich der weiteren 50 % hat die Beklagte in Ziff. 4.3 des Leistungspakets der individuellen Gehaltsüberprüfung vorbehalten. Dieser Vorbehalt ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht unwirksam. Zwar besteht, wie der Kläger zutreffend ausführt, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nrn. 10 und 11 BetrVG. Ziff. 4.3 des Leistungspakets sieht hier, entgegen der Darstellung des Klägers, eine Beratung mit dem Betriebsrat vor Umsetzung vor. Dass diese Beratung noch nicht durchgeführt worden ist, bewirkt allerdings nicht, dass die Beklagte dergestalt gebunden wäre, dass sie nur die gleichmäßige Weitergabe an alle Mitarbeiter vornehmen dürfe. Die Beklagte hat an die Mitarbeiter Zahlungen gem. Ziff. 3.2.1 b und c des Verhandlungsergebnisses nicht durchgeführt, weil sie der Auffassung war, sie sei hierzu nicht verpflichtet. Der Kläger führt als Betriebsratsvorsitzender diesen und einen weiteren Rechtsstreit als Musterprozess. Erst im vorliegenden Rechtsstreit wird überhaupt geklärt, ob die Beklagte zur Leistung der beiden Einmalzahlungen verpflichtet ist. Bevor ihre grundsätzliche Leistungspflicht nicht festgestellt ist, kann ihr auch nicht vorgeworfen werden, dass sie die Beteiligung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG nicht durchgeführt hat. Sobald rechtskräftig feststeht, dass die Beklagte zur Leistung verpflichtet ist, kann sie einerseits den Betriebsrat beteiligen und andererseits dem Kläger mitteilen, welche Vorstellungen sie hierzu, auf ihn bezogen, hat. Dementsprechend ist der Kläger auf den Auskunftsanspruch im Wege der Stufenklage zu verweisen.

Die Berufung des Klägers ist daher hinsichtlich der Hauptanträge zurückzuweisen. Gemäß den Hilfsanträgen ist die Beklagte im Wege der Stufenklage zu verurteilen, dem Kläger Auskunft zu erteilen. Hieraus folgt, dass die Entscheidung durch Teilurteil zu ergehen hat.

Die Kostenentscheidung ist dem Schlussurteil vorzubehalten.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung, die sich hier daraus ergibt, dass die Beklagte das Leistungspaket mit sämtlichen Mitarbeitern vereinbart hat, ist die Revision zuzulassen.

Ende der Entscheidung

Zurück