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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 05.12.2007
Aktenzeichen: 3 Sa 356/07
Rechtsgebiete: ArbGG, KSchG, SGB IX, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 72 a
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1
KSchG § 1 Abs. 3
KSchG § 1 Abs. 4
SGB IX § 2 Abs. 2
SGB IX § 2 Abs. 3
BGB § 133
BGB § 157
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 3 Sa 356/07

Verkündet am 05.12.2007

In dem Rechtsstreit

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 05.12.2007 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 02.05.2007 - 4 Ca 122 c/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die Klägerin ist am ...1975 geboren und seit dem 26.08.1996 bei dem Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgängerin tätig. Sie ist verheiratet und zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig. Sie arbeitet als Verkäuferin in Teilzeit und erhält monatlich 409,00 Euro brutto. Seit dem 12.05.2006 ist eine Behinderung mit einem Grad von 20 Prozent anerkannt.

Der Beklagte betreibt mehrere Filialen. Das Kündigungsschutzgesetz ist anwendbar. Anfang November 2006 traf er die Entscheidung, in 2007 insgesamt drei Filialen - H. zum 31.01.2007, M. und H.-Center zum 31.03.2007 - zu schließen. Dadurch entfiel ein Gesamtstundenvolumen an Arbeitszeit von 127,5 Stunden. Hierüber unterrichtete der Beklagte die Belegschaft auf einer Betriebsversammlung am 26.11.2006, auf der auch die Klägerin anwesend war.

Im Anschluss daran klärte der Beklagte mit seinem Prozessbevollmächtigten wie und nach welchen Kriterien die soziale Auswahl durchgeführt werden müsse. Sodann kündigte er insgesamt - mit der Klägerin - 11 Mitarbeitern, davon 5 Verkäuferinnen, nachdem zuvor Massenentlassungsanzeige erstattet hatte und die Genehmigung erfolgt war. Im Rahmen der Sozialauswahl, die der Beklagte auf Basis eines Punktesystems auf der Grundlage der Entscheidung des BAG vom 05.12.2002 (NZA 2003, Seite 791) durchführte, berücksichtigte der Beklagte neben Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltsverpflichtung die Schwerbehinderung wie folgt:

"Schwerbehinderung

bis 50 Prozent 5 Punkte

über 50 Prozent je 10 Punkte" (Bl. 19 d.A.).

Dabei ergab sich - ohne Berücksichtigung eines GdB bezüglich der Klägerin und der Ehefrau des Beklagten die gleiche Punktzahl (57 Punkte). Der Beklagte kündigte daraufhin der Klägerin, seiner Ehefrau jedoch nicht. Ebenso wurde allen Verkäuferinnen mit einer Punktzahl von weniger als 57 Punkten gekündigt. Frau B. mit 59 Punkten und Frau E. mit 58 Punkten blieben ungekündigt. Bei Berücksichtigung des GdB hätte die Klägerin eine Punktzahl von 62 Punkten.

Im Wesentlichen hierauf stützt sie ihr Vorbringen im Kündigungsschutzverfahren. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Das geschah u.a. mit der Begründung, den Beklagten treffe keine Erkundigungspflicht bezüglich der Richtigkeit und Vollständigkeit der Sozialdaten seiner Arbeitnehmer. Vielmehr habe die Klägerin den Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung von sich aus über den GdB von 20 informieren müssen. Zudem habe der Beklagte den ihm im Rahmen von § 1 Abs. 3 KSchG zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 02.05.2007 verwiesen. Gegen diese der Klägerin am 24.07.2007 zugestellte Entscheidung legte sie am 24.08.2007 Berufung ein, die sofort begründet wurde.

Sie vertritt nach wie vor die Ansicht, an Stelle der Klägerin habe der Beklagte den Kolleginnen B., E. oder St. kündigen müssen. Bei der Sozialauswahl habe sie fünf Punkte zu wenig erhalten, da ihr GdB von 20 nicht berücksichtigt wurde. Insoweit habe sie keine Offenbarungspflicht gehabt. Vielmehr habe sich der Beklagte vor Ausspruch der Kündigung bei ihr erkundigen müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichtes Elmshorn vom 02.05.2007 - 4 Ca 122 c/07 - wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche Kündigung des Beklagten vom 27.12.2006 nicht aufgelöst ist, sondern unverändert fortbesteht.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher, als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Seines Erachtens stehen der Klägerin im Zusammenhang mit der Sozialauswahl keine weiteren fünf Punkte zu, da sie mit einem GdB von 20 noch nicht schwerbehindert und damit noch nicht einmal mindestens einem Schwerbehinderten gleichstellbar sei. Der Beklagte habe mit seiner Punktetabelle das Vorliegen einer Schwerbehinderung vorausgesetzt, nicht jedoch nur einer allgemeinen Behinderung im arbeitsrechtlichen Sinne. Im Übrigen habe der Beklagte bei der Sozialauswahl seinen Beurteilungs- und Auswahlspielraum eingehalten. Letztendlich sei eine Verpflichtung des Beklagten zur Erkundigung nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung zu verneinen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen und in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die von dem Beklagten getroffene soziale Auswahl korrekt war. Dem folgt das Berufungsgericht im Ergebnis, aber auch in Teilen der Begründung.

1. Das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse für den Ausspruch einer fristgemäßen Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG ist unstreitig. Gemäß § 1 Abs. 3 KSchG kann jedoch eine Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. § 1 Abs. 3 KSchG erlaubt dem Arbeitgeber die Verwendung eines Punkteschemas, und zwar auch dann, wenn keine förmliche Vereinbarung gemäß § 1 Abs. 4 KSchG vorliegt. Dem Arbeitgeber können insoweit hinsichtlich der Gewichtung der Kriterien keine abstrakten Vorgaben gemacht werden. Auszugehen ist vielmehr davon, dass der Arbeitgeber nach der gesetzlichen Konzeption einen Wertungsspielraum haben soll. Es geht nicht darum, ob der Arbeitgeber nach den Vorstellungen des Gerichts die bestmögliche Sozialauswahl vorgenommen hat. Entscheidend ist, ob die Auswahl noch so ausgewogen ist, dass davon gesprochen werden kann, die sozialen Gesichtspunkte seien ausreichend berücksichtigt worden. Die Auswahlentscheidung muss insoweit nur vertretbar sein und nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen müssen (BAG v. 05.12.2002, - 2 AZR 549/01 -, zit. n. Juris).

Die Schwerbehinderung ist ein Kriterium, das bei der Sozialauswahl zwingend zugunsten des betroffenen Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist. Die Schwerbehinderung definiert sich nach § 2 Abs. 2 und Abs. 3 SGB IX (Erfurter Kommentar - Ascheid/Oetker, Rz. 489 zu § 1 KSchG mwN). Gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt. Schwerbehinderte Menschen sind gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellt, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30 vorliegt. § 1 Abs. 3 KSchG lässt es auch durchaus zu, nicht nur eine festgestellte Schwerbehinderung/Gleichstellung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sondern auch besondere Behinderungen, die einer weiteren Arbeitsvermittlung erheblich entgegenstehen, in die Prüfung der Sozialauswahl einzubeziehen (BAG v. 17.03.2005, -2 AZR 4/04 -, zit. n. Juris). Derartige besondere soziale Gesichtspunkte darf der Arbeitgeber berücksichtigen, er muss es jedoch nicht. Das Gesetz verlangt nur die Beachtung der vier Grunddaten - Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltsverpflichtungen und Schwerbehinderung - sowie deren zutreffende Gewichtung (Erfurter Kommentar, Rz. 490 zu § 1 KSchG).

2. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die seitens des Beklagten getroffene Sozialauswahl nicht zu beanstanden.

a. Der Beklagte hat die Punktzahl der Klägerin mit 57 Punkten zutreffend ermittelt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergabe von weiteren fünf Punkten aufgrund des Grades der Behinderung von 20. Für einen solchen GdB sieht die Punktetabelle keine Zusatzpunkte vor.

Das ergibt bereits die Auslegung des vom Beklagten angewandten Punkteschemas. Bei der Auslegung ist unter Berücksichtigung von §§ 133,157 BGB zunächst abzustellen auf den Wortlaut. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille mit zu berücksichtigen, soweit er in den Vorschriften seinen Niederschlag gefunden hat. Ferner sind der Gesamtzusammenhang und der Sinn und Zweck der Regelung zu beachten.

Ausweislich des schriftsätzlichen Vorbringens des Beklagten wollte dieser für eine "Schwerbinderung bis 50 Prozent" fünf Zusatzpunkte gewähren. Angesichts der Tatsache, dass er das Wort Schwerbehinderung verwandt hat, hat er sich bei diesem gewählten Wortlaut an § 2 Abs. 2 und 3 SGB IX angelehnt. Im Normalfall ist ein Mensch erst dann schwerbehindert im arbeitsrechtlichen Sinne, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt. Ein Mensch mit einem GdB von 30 kann einem schwerbehinderten Menschen bei Vorliegen der Voraussetzungen gleichgestellt sein. Da der Beklagte das Wort Schwerbehinderung genutzt hat, ergibt sich hieraus nach Ansicht der Kammer, dass er nur den Mitarbeitern im Rahmen der sozialen Auswahl Zusatzpunkte gewähren wollte, die einen kündigungsschutzrechtlich relevanten Grad der Behinderung haben, die also mindestens einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt oder gleichstellbar sind. Andernfalls hätte es ausgereicht, in der Punktetabelle an Stelle von "Schwerbehinderung bis 50 Prozent" zu formulieren "Behinderung bis 50 Prozent". Diese Formulierung wurde jedoch seitens des Beklagten gerade nicht gewählt.

Aber auch unter Berücksichtigung der Erörterungen in der Berufungsverhandlung ergibt sich nichts anderes. Der Beklagte und sein Vertreter, mit dem der Beklagte die soziale Auswahl vorbereitet und abgewickelt hat, haben beide übereinstimmend und unwidersprochen bekundet, dass bei der Festlegung der Punktzahl für Schwerbehinderung kein weitergehender Schutz gewährt werden sollte, als kündigungsschutzrechtlich geboten. Insoweit sei gerade nicht gewollt gewesen, auch allgemeine Behinderungen mit einem Grad unter 30 mit fünf Punkten zu bewerten, obgleich dieses vom Gesetzgeber nicht gefordert wurde.

Angesichts dessen stehen der Klägerin bereits nach dem vom Beklagten angewandten Punkteschema aufgrund ihres Grades der Behinderung von "nur" 20 keine weiteren fünf Punkte zu. Sie hat vielmehr zu Recht lediglich 57 Punkte erhalten.

b. Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, ob sich die Klägerin überhaupt noch auf die (Schwer)behinderung berufen kann, was fraglich ist. Ist dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung nicht bekannt und teilt der gekündigte Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderung nicht innerhalb von einem Monat nach Zugang der Kündigung mit, ist seine Schwerbehinderung nach der Rechtsprechung des BAG kündigungsschutzrechtlich ohne Belang (KR-Etzel, Rz. 678 a KSchG mwN).

Die Kündigung datiert vom 27.12.2006. Der Beklagte hat sich bereits außergerichtlich mit Schriftsatz vom 11.01.2007 gegenüber dem Klägervertreter auf die korrekte Beachtung der sozialen Auswahl berufen. Er hat zudem mit beim Klägervertreter eingegangenen Schriftsatz vom 02.02.2007 sein Punktschema im Einzelnen dargelegt. Die Klägerin hat sich jedoch erstmals im Gütetermin vom 07.02.2007 auf den Grad der Behinderung berufen. Zu diesem Zeitpunkt war der Ein-Monats-Zeitraum bereits überschritten. Letztendlich kommt es hierauf jedoch aus den o.g. Gründen nicht mehr an.

c. Daher kann auch dahingestellt bleiben, ob der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, sich vor Ausspruch der Kündigung bei seinen Mitarbeitern nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung zu erkundigen. Hierauf kommt es ebenfalls nicht mehr an.

d. Unter Berücksichtigung des bereits näher dargelegten, dem Arbeitgeber zustehenden Wertungsspielraums ist auch nicht zu beanstanden, dass sich der Beklagte letztendlich angesichts der gleichen Punktzahl der Klägerin sowie seiner Ehefrau sowohl aus Flexibilitätsgründen, als auch aus buchhalterischen Gründen, aber auch aus persönlichen Gründen dafür entschieden hat, nicht seiner Ehefrau, sondern der Klägerin zu kündigen. Hier von ihm zu verlangen, anders entscheiden zu müssen, hieße, ihm seinen Beurteilungsspielraum abzusprechen.

3. Aus den genannten Gründen hat das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage zu Recht abgewiesen. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.

Ende der Entscheidung

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