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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 09.10.2008
Aktenzeichen: 4 Sa 152/08
Rechtsgebiete: KSchG, BGB, ZPO, AGG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2 S. 1
KSchG § 9 Abs. 1 S. 2
BGB § 626 Abs. 1
ZPO § 286
ZPO § 286 Abs. 1 S. 1
AGG § 3 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 4 Sa 152/08

Verkündet am 09.10.2008

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 09.10.2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und d. ehrenamtliche Richterin ... als Beisitzerin und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 27.02.2008 - 3 Ca 1568 b/07 - wird einschließlich des Auflösungsantrages der Beklagten auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand:

Die Parteien streiten um den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Der 1967 geborene, geschiedene und zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger trat am 7. Juni 2004 als gewerblicher Mitarbeiter im Wareneingang in die Dienste der Beklagten ein. Die Beklagte betreibt ein Schraubengroßhandelsunternehmen mit regelmäßig ca. 60 Beschäftigten. Der Kläger verdiente zuletzt 1.750,00 EUR brutto.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 7. Dezember 2007 fristlos und hilfsweise fristgerecht zum 31. Januar 2008 wegen behaupteter streitiger Vorfälle vom 14. und 15. November 2007. Der Kläger hält die fristlose Kündigung für rechtswidrig und die fristgerechte Kündigung für sozial ungerechtfertigt.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung vom 7. Dezember 2007 noch durch die fristgerechte Kündigung vom 31. Januar 2008 beendet ist, sondern unverändert fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet:

Der Kläger habe am 14. November 2007 die Praktikantin N. T., geboren 1991, unsittlich berührt, indem er sie gegen ihren ausdrücklichen Willen fest von vorne umarmt habe. Vorausgegangen seien bereits "spielerisch" angelegte Annäherungsversuche mit den Worten "Na, hast du schon einen Freund?" oder "Was macht ihr denn so?". Frau T. habe den Kläger mehrfach aufgefordert, solche Fragen zu unterlassen. Die Mitarbeiterin N., damalige Lebensgefährtin des bei ihr - Beklagter - beschäftigten Mitarbeiters L., habe die Umarmung gesehen und den Kläger aufgefordert, dies zu unterlassen. Der Kläger sei dann gegenüber Frau N. sehr ungehalten gewesen mit den Worten, "sie solle sich nicht so aufspielen.". Am 27. November 2007 habe er unter Bezug auf den Vorgang mit Frau T. Frau N. mit den Worten beleidigt: "Du bist doch nur neidisch, dass wir dich nicht flachgelegt haben."

Der Zeuge L. - bei ihr seit dem 9. August 2007 beschäftigt - sei seit Beginn seiner Tätigkeit Provokationen des Klägers ausgesetzt gewesen. Der Kläger sei so dicht an ihm mit dem Gabelstapler vorbeigefahren, dass sich für L. einen Bedrohungssituation ergeben habe. Dies sei ein eklatanter Verstoß gegen die Arbeitsvorschriften, welcher tödliche Folgen hätte haben können. Häufig sei die Distanz so gering gewesen, dass der Zeuge L. nur knapp verfehlt worden sei. Nach diesen Angriffen habe der Kläger stets gefragt, ob er Angst habe. Außerdem habe er Herrn L. mehrfach im Vorbeigehen mutwillig angerempelt.

Am 15. November 2007 sei die Situation im Wareneingangsbüro eskaliert. Der Zeuge L. habe gerade begonnen, die Umladungsaufträge an den Zeugen Jo. auszuhändigen, als sich der Kläger ohne erkennbaren Grund frontal in unmittelbarer Nähe vor L. aufgebaut und ein Cutter-Messer gezogen und in einem Abstand von fünf Zentimeter mit diesem Messer in bedrohlicher Situation vor dem Zeugen L. zwischen Bauch und Hals herumgefuchtelt habe. Der Zeuge Jo. sei in unmittelbarer Nähe gewesen und habe das Geschehen verfolgt. L. sei erschrocken zurückgesprungen und habe zu dem Kläger gesagt: "Hallo J., was soll das denn?". Der Kläger habe den Zeugen L. ignoriert, indem er gesagt habe, er unterhalte sich gerade mit Herrn J. L. habe sodann die Unterlagen abgegeben und das Büro erheblich geschockt verlassen.

Nach dieser Messerattacke habe die Arbeitsleistung von L. und seiner Lebensgefährtin N. erheblich nachgelassen. Kundenreklamationen hätten ergeben, dass Frau N. seit diesem Zeitpunkt erhebliche Kommissionierfehler gemacht habe. Deshalb seien L. und N. am 6. Dezember 2007 zu einem Gespräch beim Logistikleiter H. gewesen. In diesem Gespräch hätten beide Mitarbeiter die Geschehnisse seit dem 14. November 2007 offenbart. L. habe darauf hingewiesen, dass er sich stets um ein friedliches Arbeitsklima bemüht habe und bestrebt gewesen sei, möglichst keinen Streit zu verursachen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt, denn der Kläger habe in massiver Art und Weise den Betriebsfrieden gestört und insbesondere einen Mitarbeiter auf Schwerste bedroht. Die Kündigung werde als Tatkündigung ausgesprochen.

Der Kläger hat bestritten, die Praktikantin T. am 14. November 2007 gegen ihren ausdrücklichen Willen umarmt zu haben. Es könne jedoch durchaus sein, dass er sie auf der Fahrt nach Hause gefragt habe, ob sie einen Freund habe. Diese Frage sei ausschließlich deshalb gestellt worden, um ins Gespräch zu kommen, habe aber keinerlei Annäherungsversuche dargestellt. Zwischen den Kollegen im Betrieb herrsche ein lockerer Umgangston. Es sei durchaus möglich, dass er die Praktikantin während der Arbeitszeit mit den Worten angesprochen habe: "Na, schläfst Du jetzt hier hinten." Darauf habe die Zeugin N. erwidert: "Pass auf, hier sind nur geile Böcke", wobei er geantwortet habe: "Du bist doch nur neidisch, dass wir dich nicht angebaggert haben.".

Er habe den Zeugen L. nicht provoziert, indem er dicht an ihm mit dem Gabelstapler vorbeigefahren sei. Allerdings seien die Gänge sehr eng, weshalb es durchaus vorkommen könne, dass Mitarbeiter dicht aneinander vorbeifahren müssten. Keineswegs sei er aber bewusst dicht an den Zeugen L. herangefahren. Auch habe er ihn nicht im Vorbeigehen mutwillig angerempelt. Er habe am 15. November 2007 auch nicht ein Cutter-Messer gezogen und in einem Abstand von fünf Zentimeter mit diesem Messer in bedrohlicher Situation vor L. zwischen Bauch und Hals herumgefuchtelt. Richtig sei vielmehr, dass es zwei Monate zuvor einen Vorfall gegeben habe. Er habe sich in einem Abstand von zwei Metern zu dem Zeugen L. befunden und sei dabei gewesen, eine Palette aufzuschneiden. Er habe L. bereits vorher darauf hingewiesen, dass er - L. - die Ware so abladen solle, dass er - Kläger - mit der Ameise an die Ware heranfahren könne, um sie zu transportieren. Er habe L. an diesem Tag nochmals darauf hingewiesen, er solle die Waren nicht so lagern, dass er - Kläger - bei seiner Arbeit behindert werde. Möglich sei, dass er dabei ein Cutter-Messer in der Hand gehalten habe, da er damit zuvor gearbeitet habe. Keineswegs habe er aber in einem Abstand von fünf Zentimeter in bedrohlicher Situation vor L. zwischen Bauch und Hals herumgefuchtelt. Sein Verhalten sei auch nicht Grund für die schlechte Arbeitsleistung von L. und N. gewesen. Vielmehr sei es allgemein bekannt, dass beide Fehler bei ihrer Arbeit machten. Er bestreite mit Nichtwissen, dass beide bei dem angeblichen Gespräch am 6. Dezember 2007 gegenüber dem Logistikleiter H. die behaupteten Geschehnisse offenbart hätten.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unter anderem auch deshalb rechtswidrig, weil er vor deren Ausspruch nicht angehört worden sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, gerade in Betracht der schweren Vorwürfe, die die Beklagte gegenüber dem Kläger erhebe, sei es unerlässlich, den Kläger vor Ausspruch der Kündigung zu diesen Vorwürfen anzuhören, was nicht geschehen sei. Das Gericht vermöge nicht der Auffassung der Beklagten folgen, wonach es sich um eine Tatkündigung gehandelt habe. In der weiteren Begründung wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 14. April 2008 zugestellte Urteil am 15. Mai 2008 mit Fax- und am 6. Mai 2008 mit Originalschriftsatz Berufung eingelegt und diese am 29. Mai 2008 begründet.

Die Beklagte wiederholt ihren erstinstanzlichen Tatsachenvortrag und hält das arbeitsgerichtliche Urteil für unrichtig, weil das Arbeitsgericht verkannt habe, dass sie - Beklagte - eine Tatkündigung ausgesprochen habe und deshalb eine Anhörung des zu Kündigenden rechtlich nicht erforderlich sei. Der Arbeitgeber könne auch dann, wenn er objektiv nur einen Verdacht habe, die Verfehlung des Arbeitnehmers für nachweisbar halten und mit dieser Begründung eine Tatkündigung erklären. Die Fürsorgepflicht gebiete es nicht, den Täter vor Ausspruch einer Tatkündigung anzuhören. Sollte im Übrigen die Kündigung unwirksam sein, so sei das Arbeitsverhältnis jedenfalls gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, denn ihr sei wegen der Vorfälle eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 27. Februar 2008 - 3 Ca 1568 b/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen; hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung und den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrages. Er habe den Zeugen L. am 15. November 2007 im Wareneingangsbüro nicht mit dem Cutter-Messer bedroht und zwischen Bauch und Hals von Herrn L. mit dem Messer herumgefuchtelt (Beweis: Zeugnis J. und Jo.).

Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe am 15. November 2007 im Wareneingangsbüro ein Cutter-Messer gezogen und in einem Abstand von fünf Zentimetern mit diesem Messer in bedrohlicher Situation vor Herrn L. zwischen Bauch und Hals herumgefuchtelt, durch Vernehmung der Zeugen L., Jo. und J. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf den Inhalt der Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 21. August und 9. Oktober 2008.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sie ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie keinen Erfolg. Das Berufungsgericht folgt zwar nicht der rechtlichen Begründung des Arbeitsgerichts. Im Ergebnis erweist sich die erstinstanzliche Entscheidung jedoch als zutreffend. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis endete aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 7. Dezember 2007 weder fristlos noch ordentlich zum 31. Januar 2008. Auf den Hilfsantrag der Beklagten war das Arbeitsverhältnis auch nicht gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG aufzulösen.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablaufe der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Voraussetzungen für eine solche fristlose Kündigung liegen nicht vor. Zwar würde die Kündigung entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht an der fehlenden Anhörung des Klägers vor Ausspruch der Kündigung scheitern. Die fristlose Kündigung ist jedoch deshalb unwirksam, weil ein wichtiger Grund zur Überzeugung des Berufungsgerichts von der Beklagten nicht bewiesen werden konnte.

a. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe am 15. November 2007 sich im Wareneingangsbüro frontal in unmittelbarer Nähe vor dem Zeugen L. aufgebaut und ein Cutter-Messer gezogen und mit diesem im Abstand von fünf Zentimetern in bedrohlicher Situation vor dem Zeugen L. zwischen Bauch und Hals herumgefuchtelt.

Wenngleich sich die Beklagte insoweit stützt auf die Informationen der Zeugin N. und des Zeugen L. in dem behaupteten Gespräch mit dem Logistikleiter H., so bleibt diese Kündigung dennoch eine Tatkündigung und keine Verdachtskündigung. Dies verkennt das Arbeitsgericht. Ob eine Kündigung als Tat- oder Verdachtskündigung zu prüfen ist, hängt allein vom Vortrag des Kündigenden ab. Will er einen von ihm behaupteten Sachverhalt zum Anlass einer Tatkündigung machen, so ist diese Kündigung allein als solche zu prüfen. Ist es aus der Sicht des Arbeitgebers aber gerade der Verdacht, der das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen in die Redlichkeit des Arbeitsnehmers zerstört, so liegt eine Verdachtskündigung vor.

Hier hat die Beklagte aber keine Verdachtskündigung ausgesprochen, sondern sie hat unzweifelhaft und unmissverständlich die Behauptung aufgestellt, der Kläger habe die Tat begangen, nämlich am 15. November 2007 mit dem Cutter-Messer zwischen Bauch und Hals des Zeugen L. herumgefuchtelt. Bei einer Tatkündigung wiederum ist eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers nicht erforderlich. Dies ist ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. dazu nur ErfK Müller-Glöge, § 626 BGB Rn. 47 mit Hinweis auf BAG Rechtsprechung; KR-Fischermeier, § 626 BAG Rn. 31). Es ist daher nahezu einhellige Auffassung, dass die Anhörung des Gekündigten vor dem Ausspruch einer Kündigung keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine außerordentliche Kündigung ist, sofern es nicht um eine Verdachtskündigung geht. Für das Berufungsgericht ist es deshalb nicht nachvollziehbar, warum das Arbeitsgericht ohne sich mit dieser Rechtsprechung näher zu befassen - den Rechtssatz aufstellt, bei besonders schwerwiegenden "Vorwürfen" sei es unerlässlich, den zu Kündigenden vorher anzuhören.

Hätte der Kläger sich am 15. November 2007 gegenüber dem Zeugen L. - wie von der Beklagten behauptet - verhalten, so wäre dieses Verhalten an sich geeignet gewesen, einen fristlosen Kündigungsgrund zu begründen. Zwar bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge tatsächlich auch beabsichtigte, den Kläger zu verletzen. Vielmehr ging es um eine Einschüchterung und Machtausübung. Ein solches Verhalten ist - insbesondere wenn es unter Einsatz eines solch gefährlichen Gegenstandes wie einem Cutter-Messer in unmittelbarer Nähe des Halses geschieht -nicht zu akzeptieren und damit geeignet, einen fristlosen Kündigungsgrund zu begründen. Die Beklagte wäre auch nicht gehalten gewesen, dies lediglich abzumahnen. Jeder Mitarbeiter muss wissen, dass ein Arbeitgeber solche Drohgebärden und Einschüchterungsversuche mit einem gefährlichen Gegenstand im Betrieb nicht akzeptieren kann. Ein solcher Arbeitnehmer muss auch wissen, dass er damit seinen Arbeitsplatz riskiert.

b. Die fristlose Kündigung des behaupteten Vorfalls vom 15. November scheitert jedoch daran, dass das Berufungsgericht nach durchgeführter Beweisaufnahme nicht mit dem gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO erforderlichen Grad davon überzeugt ist, dass sich der Kläger am 15. November 2007 wie von der Beklagten behauptet gegenüber dem Zeugen L. im Wareneingangsbüro verhalten hat.

aa. Gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. § 286 ZPO fordert also das Gericht auf, nach der freien Überzeugung zu entscheiden. Dies bedeutet, dass das Gericht lediglich an die Denk-, Natur- und Erfahrungsgesetze gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. Für das Beweismaß, also das "Bewiesensein", reicht weniger als die Überzeugung von der Wahrheit nicht aus. Ein bloßes Glauben, Wähnen, für Wahrscheinlichhalten berechtigt den Richter nicht zur Bejahung des streitigen Tatbestandsmerkmals. Mehr als die subjektive Überzeugung wird aber auch nicht gefordert. Absolute Gewissheit zu verlangen hieße die Grenze menschlicher Erkenntnisfähigkeit zu ignorieren. Der Richter muss sich vielmehr mit seiner "persönlichen Gewissheit" begnügen, welche den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 61, 169; BGHZ 53,245 / 256).

bb. Unter Berücksichtigung dieses Beweismaßes ist das Berufungsgericht nach durchgeführter Beweisaufnahme nicht zu der obigen Überzeugung gelangt, dass der Kläger am 15. November 2007 im Wareneingangsbüro mit einem Cutter-Messer im Abstand von fünf Zentimetern in bedrohlicher Situation vor dem Zeugen L. zwischen Bauch und Hals herumfuchtelte. Aufgrund der sich teilweise widersprechenden Zeugenaussagen verbleiben beim Berufungsgericht Restzweifel, die der subjektiven Überzeugung der Kammer vom "Bewiesensein" der streitigen Behauptung entgegenstehen.

(1) Der Zeuge L. hat die Behauptung der Beklagten bestätigt. In seiner eingehenden Befragung hat er bekundet, der Kläger habe im Abstand von etwa fünf Zentimetern vor ihm gestanden, als die Attacke mit dem Messer geschehen sei. Sicher könne er sagen, dass der Kläger ihm das Messer unter den Hals gehalten habe. Die Aussage des Zeugen war daher positiv ergiebig im Sinne der Behauptung der Beklagten. Der Zeuge hat beim Berufungsgericht auch durchaus einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Er hat den Sachverhalt in sich widerspruchsfrei geschildert. Sofern er zu bestimmten Dingen nichts sagen konnte oder sich daran nicht erinnern konnte, hat er dies sofort deutlich gemacht, ohne ins Blaue hinein etwas zu behaupten oder zu spekulieren. Er hat auch auf mehrfache Nachfrage durch den Vorsitzenden immer wieder seine Aussage im Kern bestätigt, dass der Kläger ihm das Messer unter den Hals gehalten habe. Dass er sich an Einzelheiten - in welcher Hand sich beispielsweise das Messer befunden habe - nicht mehr erinnern konnte, ist ohne weiteres nachvollziehbar. Der Vorfall lag ein Jahr zurück. Auch sein übriges Verhalten nach dem Vorfall spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner Aussage. Dass er zunächst nichts unternommen hat, ist durchaus nachvollziehbar. Er war neu im Betrieb und wollte möglicherweise keinen weiteren Ärger haben, weshalb er sich zunächst nicht offenbarte.

Das Berufungsgericht hat daher im Grundsatz allein aus der Aussage des Zeugen und aus dessen Aussageverhalten keine Anhaltspunkte ableiten können, die gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage beziehungsweise gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen sprechen.

(2) Die Aussage des Zeugen J., hauptbeweislich und gegenbeweislich vom Berufungsgericht vernommen, spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen L. Der Zeuge J. hat zwar bekundet, er sei nicht bei einer Situation im Wareneingangsbüro zugegen gewesen, in der der Kläger Herrn L. mit einem Messer bedroht habe. Hundertprozentig sei er nicht dabei gewesen. Insoweit widerspricht im Grundsatz zwar diese Aussage der Behauptung des Zeugen L., der bekundet hat, J. sei am 15. November 2007 zur Zeit des Vorfalls auch im Büro gewesen. Zwar hat L. bekundet, J. habe das Führen des Messers unter seinen - L. - Hals nicht sehen können, sehr wohl aber sein Zurückweichen und dass der Kläger zu dem Zeitpunkt das Messer in der Hand gehalten habe. Beide Aussagen widersprechen sich daher. Die Aussage des Zeugen J. ist jedoch nicht geeignet, Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen L. zu begründen. Dies folgt aus dem Aussageverhalten des Zeugen J. Denn er hat im Rahmen seiner Vernehmung nachweisbar zunächst zum Teil die Berufungskammer belogen. Auf die Frage des Vorsitzenden, wann er das letzte Mal mit dem Kläger gesprochen habe, bekundete der Zeuge nämlich, das sei schon ein bisschen her, das müsse bis zu zwei Monate her sein. Auf weiteres Nachfragen des Vorsitzenden hat er dann eingeräumt, er habe zuletzt zwei Tage oder am Montag vor der Berufungsverhandlung mit dem Kläger gesprochen. Als Erklärung für sein Aussageverhalten hat er genannt, es hätte den Anschein haben können, er habe sich mit dem Kläger abgesprochen, wenn er eingeräumt hätte, unmittelbar vor dem Termin mit ihm - Kläger - gesprochen zu haben. Ein solches Aussageverhalten entwertet die Aussage des Zeugen J. komplett. Er ist damit nicht mehr ein glaubwürdiger Zeuge.

(3) Zweifel, die der subjektiven Gewissheit der Berufungskammer hinsichtlich des "Bewiesenseins" der Behauptung der Beklagten zum Vorfall vom 15. November 2007 entgegenstehen, ergeben sich jedoch aus der Vernehmung des Zeugen Jo., auf den sich beide Parteien mit ihrem Beweisantritt bezogen haben.

Der Zeuge Jo. hat nicht die Behauptung der Beklagten bestätigt, er habe im Wareneingangsbüro die Streitigkeiten zwischen dem Kläger und dem Zeugen L. mitbekommen. Er hat nicht bestätigt, dass es den von der Beklagten behaupteten Vorfall mit dem Cutter-Messer am 15. November 2007 im Wareneingangsbüro gegeben habe. Insoweit ist die Aussage des Zeugen für die Behauptung der Beklagten nicht ergiebig.

Schließlich ist die Aussage des Zeugen Jo., auf den sich der Kläger gegenbeweislich bezogen hat, auch geeignet, Restzweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen L. zu begründen, weil sich beide Aussagen widersprechen und die Berufungskammer weder für den Zeugen L. noch für den Zeugen Jo. belastbare Anhaltspunkte dafür hat, dass einer von beiden die Unwahrheit gesagt hat. Es besteht daher ein non-liquet, das sich zu Lasten der beweisbelasteten Beklagten auswirkt.

Der Zeuge L. hat ausdrücklich bekundet, der Zeuge Jo. sei am 15. November 2007 im Wareneingangsbüro an seinem Schreibtisch gewesen und habe den Vorfall mit dem Cutter-Messer gesehen. Wenn der Zeuge Jo. wiederum behauptet, er habe im Wareneingangsbüro einen solchen Vorgang nicht wahrgenommen, so widersprechen sich beide Aussagen. Insoweit kann auch kein Missverständnis vorliegen, denn der Arbeitsplatz des Zeugen Jo. befindet sich in unmittelbarer Nähe des Ortes, an dem sich der behauptete Vorfall ereignet haben soll. Hätte sich dieser Vorfall also ereignet, hätte Herr Jo. ihn auch wahrnehmen müssen. Daraus folgt, dass sich beide Aussagen in diesem Punkt widersprechen.

Die Berufungskammer hat aber keine Anhaltspunkte dafür, ob sie von Herrn L. oder von Herrn Jo. belogen wurde. Die Aussage des Zeugen L. ist - wie bereits ausgeführt - durchaus in sich schlüssig, plausibel und nachvollziehbar. Auch sein Aussageverhalten ist nicht zu beanstanden. Gleiches gilt aber auch für die Aussage des Zeugen J. Auch er hat schlüssig und nicht widersprüchlich dargelegt, von einem Vorgang im Wareneingangsbüro nichts wahrgenommen zu haben. Vielmehr hat er auf einen Sachverhalt hingewiesen, der sich außerhalb des Wareneingangsbüros ereignet haben soll, wobei er sich zeitlich jedoch nicht festlegen konnte. Anders als die Beklagte meint, lässt sich auch eine Widersprüchlichkeit der Aussage des Zeugen J. nicht unter Hinweis auf seine behaupteten Äußerungen gegenüber den Herren S. und H. begründen. Die Beklagte behauptet insoweit, J. habe die Bedrohung bestätigt und habe auch gemeinsam mit Herrn L. die Bedrohungssituation nachgespielt. Das Berufungsgericht hat dem Zeugen insoweit die Skizze Blatt 15 der Akte vorgehalten und ihn gefragt, ob es einen solchen Vorgang gegeben habe. Der Zeuge hat dieses mehrfach verneint und darauf hingewiesen, es habe nur den einen Vorgang vor dem Wareneingangsbüro wahrgenommen, über diesen habe er auch später berichtet, wobei er von einer Bedrohung mit einem Messer nicht gesprochen habe.

Dass Herr H. möglicherweise in seinem Aktenvermerk notiert hat, der Zeuge J. habe von einer Bedrohung gesprochen, mag seine Ursache darin haben, dass J. H. und S. in dem Gespräch darauf hingewiesen hat, P. habe ein Messer in der Hand gehabt. Es mag sein, dass diese Äußerung in dem Aktenvermerk ihren Niederschlag mit der Formulierung der Bedrohung fand. Es bleibt aber dabei: In seiner Vernehmung hat der Zeuge immer wieder darauf hingewiesen, er habe nur von dem Vorgang vor dem Wareneingangsbüro gesprochen. Bei diesem Vorgang habe der Kläger zwar das Messer in der Hand gehabt, aber damit lediglich gestikuliert und keineswegs den Kläger damit bedroht, zudem sei zwischen beiden ein Abstand von 80 Zentimetern gewesen.

Das Berufungsgericht hält es nicht für ausgeschlossen, dass insoweit die damaligen Äußerungen des Zeugen Jo. gegenüber den Herren S. und H. sich auf den Vorgang vor dem Wareneingangsbüro bezogen, während beide (H. und S.) die Äußerungen des Zeugen Jo. als Bedrohung und bezogen auf den behaupteten Vorfall im Wareneingangsbüro verstanden haben. Ein objektiver Widerspruch und damit ein Anhaltspunkt für die mangelnde Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen Jo. lässt sich daraus aber nicht ableiten.

Nach alledem vermag das Berufungsgericht weder dem Zeugen L. noch dem Zeugen Jo. nachzuweisen, dass einer von beiden die Unwahrheit sagte. Dieser Umstand geht zu Lasten der beweisbelasteten Beklagten.

b. Die fristlose Kündigung ist auch nicht rechtmäßig im Hinblick auf den von der Beklagten behaupteten Vorfall vom 14. November 2007 gegenüber der Praktikantin T. Zwar ist das Umarmen einer Minderjährigen gegen deren Willen als sexuelle Belästigung zu verstehen. Kündigungsrechtlich ist bezogen auf den Begriff der sexuellen Belästigung an die Definition des § 3 Abs. 4 AGG anzuknüpfen, weshalb ein vorsätzliches, vom Betroffenen erkennbar abgelehntes Verhalten erforderlich ist. Die Voraussetzungen wären erfüllt, wenn sich der Vorfall - wie von der Beklagten behauptet - am 14. November 2007 ereignet hätte. Allerdings ist zu beachten, dass nicht jede sexuelle Belästigung sofort zu einer fristlosen oder fristgerechten Kündigung führen muss. Sicherlich kann eine schwerwiegende sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auch ohne vorangegangene Abmahnung eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Weniger gravierende Verstöße werden jedoch durch Abmahnung und nicht durch Ausspruch einer Kündigung zu beantworten sein (ErfK-Müller-Glöge, § 626 BGB, Rn. 130). Wenngleich das Berufungsgericht nicht verkennt, dass der behauptete Vorfall - wenn er sich denn ereignet hätte - durchaus von Relevanz ist, weil das Umarmen gegen den ausdrücklichen Willen einer 16 Jahre alten Jugendlichen erfolgt wäre, so erscheint der Vorfall aber dennoch nicht derart gravierend, dass er zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung führen muss. Auch bei sexueller Belästigung ist zu differenzieren. Dieser behauptete Vorfall ist nicht derart schwerwiegend, dass nicht eine Sanktionierung durch eine deutliche Abmahnung gereicht hätte. Dies war der Beklagten zumutbar und wäre angesichts der erforderlicher negativen Prognose auch geboten gewesen. Erst ein wiederholter Verstoß hätte dann zur Kündigung führen dürfen.

2. Nach alledem ist auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche fristgerechte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt. Soweit es um den behaupteten Vorfall vom 15. November 2007 geht, gilt auch für die fristgerechte Kündigung, dass die Beklagte den ihr obliegenden Beweis zur vollständigen Gewissheit des Berufungsgerichts nicht führen konnte. Soweit es um den Vorfall vom 14. November 2007 geht, gilt, dass eine Abmahnung zunächst hätte ausgesprochen werden müssen.

3. Schließlich ist das Arbeitsverhältnis auch nicht auf Antrag der Beklagten gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG aufzulösen. Die Beklagte hat insoweit nicht substantiiert vorgetragen, warum eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht, zu erwarten ist. Allein die Nichterweislichkeit des behaupteten Vorfalls vom 15. November 2007 und der behauptete Vorfall vom 14. November 2007 reichen nicht aus, um diese Voraussetzungen zu bejahen. Dies gilt auch weiterhin vor dem Hintergrund, dass möglicherweise - was die Beklagte behauptet - der Kläger durch sein Verhalten im Betrieb gegenüber bestimmten Kolleginnen und Kollegen Unfrieden gesät hat. Selbst wenn diese letzte Behauptung der Beklagten zutreffen würde, folgte daraus noch nicht, dass die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG erfüllt wären. Denn gerade diese Gründe reichen nicht aus, um das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Dann darf der Bestand des Arbeitsverhältnisses aber auch nicht allein unter Hinweis auf diese Gründe über § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG angegriffen werden. Das Kündigungsschutzgesetz ist seiner Konzeption nach ein Bestandschutz- und kein Abfindungsgesetz. Deshalb sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen. Beruft sich daher der Arbeitgeber auf Auflösungsgründe, die - wie hier - mit den Kündigungsgründen deckungsgleich beziehungsweise wenigstens im Zusammenhang stehen, so muss er zusätzlich greifbare Tatsachen dafür vortragen, weshalb ein konkreter Kündigungssachverhalt, obwohl er die Kündigung selbst nicht zu begründen vermag, so beschaffen sein soll, dass er eine weitere Zusammenarbeit nicht erwarten lässt. Dabei geht es darum, dass der Arbeitgeber präzise, nicht nur unter Verweisung auf die vorgetragenen Kündigungsgründe deutlich macht, auf welche Tatsachen er sich stützen will und warum sich daraus die fehlende Basis für eine weitere Zusammenarbeit ergibt (ErfK-Kiel, § 9 KSchG, Rn. 21).

Ein solcher substantiierter Vortrag fehlt.

Nach alledem ist die Berufung einschließlich des Auflösungsantrages mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen. Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht. Es handelt sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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