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Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 04.12.2008
Aktenzeichen: 4 Sha 8/08
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 12
ZPO § 35
ZPO § 29
ZPO § 36
ArbGG § 48 Abs. 1 S. 1 a
1. Ein Verweisungsbeschluss ist offenbar gesetzeswidrig, wenn er auf eine (noch nicht) geltende Norm gestützt wird.

2. Das Wahlrecht gemäß § 35 ZPO kann noch zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit einer Klage ausgeübt werden.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Beschluss

Aktenzeichen: 4 SHa 8/08

04.12.2008

Im Verfahren zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit

hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein durch den Vorsitzenden der 4. Kammer ... am 04.12.2008 nach Anhörung der Parteien ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

Tenor:

Das Arbeitsgericht Ulm wird zum örtlich zuständigen Gericht für die Verhandlung über die Entscheidung des Rechtstreits 3 Ca 2254 b/07 Arbeitsgericht Elmshorn, 3 Ca 297/08 Arbeitsgericht Ulm, bestimmt.

Gründe:

I.

Die Beklagte stellte die Klägerin ausweislich des Arbeitsvertrages vom 1. Januar 2003 ab 1. Januar 2003 als Mitarbeiterin im pharmazeutisch-wissenschaftlichen Außendienst ein. Als erstes Arbeitsgebiet ihrer Tätigkeit im Außendienst wird unter Punkt 1 g des Arbeitsvertrages das Gebiet 11411001 genannt, nämlich der Großraum Rottweil, Tübingen, Albstadt und Friedrichshafen.

Die Beklagte hat ihren Sitz im Bezirk des Arbeitsgerichts Elmshorn, der Wohnort der Klägerin liegt im Bezirk des Arbeitsgerichts Ulm.

Die Klägerin unterhielt für ihre Tätigkeit bei der Beklagten ein Home-Office an ihrem Wohnort. Dort erledigte sie die Buchhaltung, bereitete die Besuche der Kunden vor und führte ein Büro. Der ihr zugewiesene Außendienstbezirk beschränkte sich nicht nur auf den Gerichtsbezirk des Arbeitsgerichts Ulm. Vielmehr war sie als Außendienstmitarbeiterin auch in den Bezirken der Arbeitsgerichte Radolfzell, Freiburg und Reutlingen tätig.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses streiten die Parteien noch um Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung und wegen einer geltend gemachten Sonderzahlung des Jahres 2002.

Die Klägerin hat unter dem 29. Dezember 2007 beim Arbeitsgericht Elmshorn Klage erhoben und einleitend mit Klagerhebung in der Klagschrift beantragt, zunächst den vorliegenden Rechtstreit an das für ihren Arbeitsort zuständige Arbeitsgericht Ulm zu verweisen. In der Klage hat sie dazu ausgeführt, sie stelle mit der vorliegenden Klage zunächst einen Verweisungsantrag unter Bezug auf ihr Wahlrecht nach § 35 ZPO.

Das Arbeitsgericht Elmshorn hat mit Beschluss vom 1. Oktober 2008 (Bl. 67 d. A.) den Rechtstreit an das Arbeitsgericht Ulm verwiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe mit der Klagerhebung von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht und das Arbeitsgericht Ulm sei für die Entscheidung zuständig nach § 48 Abs. 1 a ArbGG.

Das Arbeitsgericht Ulm hat mit Beschluss vom 30. Oktober 2008 die Übernahme des Rechtstreits verweigert und den Rechtstreit zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein vorgelegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht Ulm ausgeführt, der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn sei offensichtlich gesetzeswidrig. Soweit das Arbeitsgericht Elmshorn sich auf § 48 Abs. 1 a ArbGG beziehe, trage die Begründung den Beschluss in keiner Weise. In erster Linie sei der Verweisungsbeschluss aber deshalb willkürlich, weil die Klägerin mit der Erhebung der Klage zum Arbeitsgericht Elmshorn ihr Wahlrecht nach § 35 ausgeübt habe. Der zeitgleich gestellte Verweisungsantrag ändere daran nichts. Schließlich sei die Klägerin nicht daran gehindert gewesen, die Klage von vornherein beim Arbeitsgericht Ulm zu erheben. Das Arbeitsgericht Elmshorn habe den Rechtstreit nicht mehr verweisen dürfen. Wegen der weiteren Begründung des Beschlusses wird Bezug genommen auf Bl. 79 - 82 der Akte.

II.

Gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO i. V. m. § 36 Abs. 2 ZPO war das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein berufen, das für den Rechtstreit zuständige örtliche Gericht zu bestimmen, denn verschiedene Gerichte, das Arbeitsgericht Elmshorn und das Arbeitsgericht Ulm, von denen eines für den Rechtstreit zuständig ist, haben sich für unzuständig erklärt. Auf die Vorlage des Arbeitsgerichts Ulm ist das Arbeitsgericht Ulm als örtlich zuständig für die Verhandlung und die Entscheidung des Rechtstreits zu bestimmen. Zwar ist der Beschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn offensichtlich rechtswidrig. Ungeachtet dessen ist das Arbeitsgericht Ulm dennoch örtlich für den Rechtstreit zuständig.

1. Grundsätzlich entfalten auch fehlerhafte Beschlüsse, mit denen ein Gericht seine örtliche Unzuständigkeit feststellt und den Rechtstreit an ein anderes als zuständig angesehenes Gericht verweist, gegenüber diesem bindende Wirkung. Die bindende Wirkung ist auch im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren des § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO zu beachten. Dies bedeutet: Es ist das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluss gelangt ist, es sei denn, dieser ist ausnahmsweise nicht bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzeswidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten. Offensichtlich gesetzeswidrig ist ein Verweisungsbeschluss dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefasst ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG, Beschluss vom 11.12.1995 - 5 AS 27/95 - zitiert nach JURIS, Rn. 7, 8).

Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn ist offenbar gesetzeswidrig. Denn das Arbeitsgericht stützt seinen Verweisungsbeschluss auf eine gesetzliche Regelung, die auf diesen Sachverhalt noch gar nicht anwendbar war. Die Klage wurde erhoben unter dem 29. Dezember 2007 beim Arbeitsgericht Elmshorn und der Beklagten zugestellt am 7. Januar 2008. Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 1. Oktober 2008 stützt sich auf die Vorschrift des § 48 Abs. 1 a ArbGG, womit die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Ulm begründet wird.

§ 48 Abs. 1 a ArbGG ist jedoch erst durch Art. 2 Nr. 5 des am 1. April 2008 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes eingefügt worden. Für vor dem 1. April 2008 rechtshängig gewordene Klagen kann diese Vorschrift daher keine Anwendung finden, auch wenn der Verweisungsbeschluss nach dem 1. April 2008 erfolgte. Ebenso wie gemäß § 261 Abs. 3 Ziff. 2 ZPO nach Eintritt der Rechtshängigkeit die Zuständigkeit des Prozessgerichts nicht durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände mehr berührt wird (perpetuatio fori), so können auch Gesetzesänderungen zur örtlichen Zuständigkeit nach Eintritt der Rechtshängigkeit die örtliche Zuständigkeit nicht mehr verändern.

Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Elmshorn ist deshalb mangels Anwendbarkeit der vom Arbeitsgericht genannten Zuständigkeitsnorm offenbar gesetzeswidrig, weshalb er keine Bindungswirkung entfaltet.

2. Ungeachtet der mangelnden Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses ist das Arbeitsgericht Ulm dennoch als das örtlich zuständige Gericht zu bestimmen.

a. Die Klägerin hat ihr Wahlrecht gemäß § 35 ZPO nicht deshalb verbraucht, weil sie die Klage beim Arbeitsgericht Elmshorn anhängig gemacht hat, das auch gemäß § 12 ZPO zuständig gewesen wäre.

Der Kläger trifft seine endgültige Wahl nicht schon mit der Klageinreichung (Anhängigkeit), sondern erst mit der Klagzustellung, also der Klagerhebung (Baumbach u. a., ZPO, 67. Aufl., § 35 Rn. 4). Die Ausübung des Wahlrechts ist daher bis zur Rechtshängigkeit möglich. Erst mit der Rechtshängigkeit erlischt die Wahlmöglichkeit, da mit der Entscheidung des Klägers sich der Beklagte auf den vom Kläger gewählten Gerichtstand einstellen muss (MüKo-Patzina, Zivilprozessordnung, § 35 Rn. 4).

Folglich kann das Wahlrecht gemäß § 35 ZPO noch zwischen Anhängigkeit der Klage, das heißt Eingang der Klage bei Gericht, und Rechtshängigkeit der Klage, also Zustellung der Klage beim Klaggegner (§ 261 Abs. 1 ZPO), ausgeübt werden. Dies ist geschehen, indem die Klägerin bei Anhängigkeit ihrer Klage, aber noch vor Rechtshängigkeit derselben mit dem Antrag auf Verweisung an das Arbeitsgericht Ulm ihr Wahlrecht ausübte.

Der Vorgehensweise der Klägerin kann auch nicht entgegengehalten werden, sie sei gehalten gewesen, die Klage direkt beim Arbeitsgericht Ulm zu erheben. Zwar stellt sich in der Tat die Frage, warum sie diesen Weg nicht gegangen ist. Möglicherweise wollte die Klägerin damit verhindern, dass das Arbeitsgericht Ulm seinerseits den Rechtstreit an das Arbeitsgericht Elmshorn bindend verweist, wenn es als erstes Gericht angerufen worden wäre. Unterstellt, die Klägerin hätte durch ihr Vorgehen dieses verhindern wollen, führte dies jedoch nicht dazu, dass sie das Prozessrecht zu verfahrensfremden Zwecken missbraucht hätte. Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn sich die Klägerin durch ihr Vorgehen die Zuständigkeit eines Gerichts hätte erschleichen wollen. Davon kann jedoch keine Rede sein, denn das Arbeitsgericht Ulm ist - wie nachstehend ausgeführt wird - auch örtlich zuständig.

b. Die Klägerin hatte die Wahl gemäß § 35 ZPO zwischen den Arbeitsgerichten Elmshorn und Ulm. Die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Elmshorn ergab sich aus § 12 ZPO, jene des Arbeitsgerichts Ulm aus § 29 ZPO.

Der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mehrfach entschieden, dass im Hinblick auf den Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) bei Arbeitsverhältnissen in der Regel von einem einheitlichen gemeinsamen Erfüllungsort auszugehen ist und das dies der Ort ist, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu erbringen hat (BAG Beschluss vom 12. März 1992 - 5 AS 10/91 -; BAG Beschluss vom 3. November 1993 - 5 AS 20/93 -, BAG Beschluss vom 30. März 1994 - 5 AS 6/94 -, BAG Beschluss vom 11. Dezember 1995 - 5 AS 27/95 -, zitiert nach JURIS, Rn. 12). In dem letztgenannten Beschluss hat der 5. Senat an der Rechtsprechung des Senats festgehalten, wonach Erfüllungsort für die Arbeitsleistung eines für die Bearbeitung eines größeren Bezirks angestellten Reisenden dessen Wohnsitz ist, wenn er von dort aus seine Reisetätigkeit ausübt. Dies soll unabhängig davon gelten, ob er täglich nach Hause zurückkehrt und in welchem Umfang er vom Betrieb Anweisungen für die Gestaltung seiner Tätigkeit erhält (BAG, Urteil vom 12. Juni 1986 - 2 AZR 398/85 - AP-Nr. 1 zu Art. 5 Brüsseler Abkommen).

Obgleich viele Instanzgerichte dieser Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht gefolgt sind, schließt sich die erkennende Kammer dieser Rechtsprechung an. Es handelt sich bei dieser Rechtsprechung weder um Besonderheiten des EU-Rechts noch um die Begründung eines in der Zivilprozessordnung nicht vorgesehenen "sozialen" Gerichtsstandes, sondern um die Anwendung des § 29 ZPO im Hinblick auf die Bestimmung des Erfüllungsortes.

Demnach ist die von der Klägerin gemäß § 35 ZPO getroffene Wahl des Arbeitsgerichts Ulm zu respektieren und dieses Gericht als örtlich zuständig zu bestimmen. Die Klägerin unterhält an ihrem Wohnsitz ein homeoffice und startet und beendet dort ihre Reisetätigkeit.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, § 37 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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