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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Beschluss verkündet am 04.09.2002
Aktenzeichen: 4 TaBV 8/02
Rechtsgebiete: ArbGG, BetrVG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 98
BetrVG § 77
ZPO § 528 S. 2
1. Im Einigungsstellenbesetzungsverfahren nach § 98 ArbGG hat der Kammervorsitzende allein und nicht die Kammer zu entscheiden. Diese Zuständigkeit besteht auch dann, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat darüber streiten, ob sie bereits eine sie bindende entsprechende Regelung vereinbart haben.

2. Die Einigung über die Person des Einigungsstellenvorsitzenden kann auch durch eine sog. Regelungsabsprache bzw. Regelungsabrede erfolgen. Die Regelungsabsprache bedarf zu ihrer Wirksamkeit eines entsprechenden Betriebsratsbeschlusses.

3. Ist dem Hauptantrag des Antragstellers im Beschlussverfahren durch das Arbeitsgericht entsprochen worden, so war über seinen Hilfsantrag nicht zu entscheiden. Auf die Beschwerde des Antragsgegners muss aber das Beschwerdegericht, das den Hauptantrag für unbegründet hält, gleichwohl über den Hilfsantrag entscheiden, ohne dass es eines besonderen Antrages oder gar des Ausschlussrechtsmittels des Antragstellers bedarf.

4. Streiten die Beteiligten über die Person des Vorsitzenden, indem sie jeweils eine andere Persönlichkeit vorschlagen, wird vom Arbeitsgericht regelmäßig ein Dritter zu bestellen sein, den kein Beteiligter benannt und gegen den kein Beteiligter berechtigte Einwendungen erhoben hat.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Beschluss

Aktenzeichen: 4 TaBV 8/02

Verkündet am 4. September 2002

Im Beschlussverfahren

hat die IV. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die Anhörung der Beteiligten am 29. August 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Müller als Vorsitzenden

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der beteiligten Arbeitgeberin wird, unter ihrer Zurückweisung im Übrigen der Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 15. Januar 2002 - 6 BV 71 b/01 - abgeändert.

Der Feststellungsantrag des Betriebsrats wird abgewiesen.

Auf den Hilfsantrag des Betriebsrats wird unter dessen Zurückweisung im Übrigen der Richter am Arbeitsgericht Dieter S. - Arbeitsgericht Lübeck - zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Neue Dienstpläne für den Zustellstützpunkt Reinfeld / Betriebsvereinbarung zu § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG" bestellt.

Gründe:

Die Beteiligten streiten mit ihren Hauptanträgen darüber, ob sie sich auf einen Einigungsstellenvorsitzenden geeinigt haben, ob überhaupt eine Einigungsstelle einzurichten ist und mit ihren Hilfsanträgen um die Person des Vorsitzenden der Einigungsstelle.

Wegen des Sach- und Streitstandes, wie er in erster Instanz vorgelegen hat, wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wie er in der Beschwerdeinstanz vorgelegen hat, auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts ist zulässig, sie ist in der rechten Form und Frist eingelegt und innerhalb der in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses aufgeführten Beschwerdebegründungsfrist auch begründet worden.

Die Beschwerde der Arbeitgeberin war in der Sache teilweise begründet. Auf den Hilfsantrag des Betriebsrats war unter dessen Zurückweisung im Übrigen ein Vorsitzender für die Einigungsstelle zu bestellen. Der Hilfsantrag der Arbeitgeberin war zurückzuweisen.

1. Im Verfahren hat der Vorsitzende allein und nicht die Kammer zu entscheiden, denn es handelt sich um einen Streit über die Besetzung der Einigungsstelle i. S. v. § 98 ArbGG. Daran ändert auch nicht das Feststellungsbegehren des Betriebsrats festzustellen, dass die Beteiligten sich auf den Richter am Arbeitgericht Hamburg, Gunnar R. , als unparteiischen Vorsitzenden der Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand Betriebsvereinbarung zur Umsetzung des Tarifvertrages TV 75 c für den Zustellstützpunkt Reinfeld geeinigt haben. Wenngleich der Streit vordergründig - formal - über die Frage geht, ob die Betriebsparteien sich geeinigt haben, ob also eine beide Beteiligten bindende Regelung getroffen worden ist, geht es der Sache nach darum, einen Vorsitzenden für die Einigungsstelle zu bestimmen oder festzustellen, dass er schon bestimmt ist. Das entspricht dem Sinn und Zweck der Regelung des § 98 ArbGG: Die Bestimmung eines Vorsitzenden bei Streit über seine Person oder über die Zuständigkeit der Einigungsstelle bei behaupteter offensichtlicher Unzuständigkeit.

Das Arbeitsgericht hat zwar durch die Kammer entschieden, obwohl der Vorsitzende alleine hätte entscheiden müssen. Das führt jedoch nicht bereits zur Abänderung der Entscheidung.

Da das Arbeitsgericht die Entscheidung durch die Kammer getroffen hat, war die Rechtsmittelbelehrung nicht die nach § 98 Abs. 2 ArbGG sondern die nach § 87 Abs. 2 ArbGG. An diese Rechtsmittelbelehrung hat die beteiligte Arbeitgeberin sich bei der Beschwerde gehalten, so dass die Beschwerde form- und fristgerecht eingelegt worden war.

2. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts war in der Sache abzuändern. Der zulässige Feststellungsantrag war nicht begründet. Die Beteiligten haben sich nicht wirksam auf den Richter am Arbeitsgericht Hamburg, Gunnar R. , als unparteiischen Vorsitzenden einer Einigungsstelle geeinigt.

2.1. Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass die Einigung über die Person des Vorsitzenden einer Einigungsstelle auch in einer sogenannten Regelungsabrede erfolgen kann. Eine Regelungsabrede ist jedoch nicht wirksam zustande gekommen. Es kann dahinstehen, ob, wie die Arbeitgeberin ihrerseits unter Vorlage ihrer Vollmachtsregeln vorgetragen hat, die für sie bei der Besprechung anwesenden Mitarbeiter Sch. , U. und Kr. bevollmächtigt waren, eine derartige Vereinbarung bzgl. des Einigungsstellenvorsitzenden zu treffen. Auch auf der Betriebsratsseite muss eine entsprechende Befähigung vorhanden sein, für den Betriebsrat verbindliche Erklärungen abzugeben. Auf Seiten des Betriebsrats erfordert die Regelungsabsprache stets einen ordnungsgemäßen Beschluss (Fitting/Kaiser, BetrVG 21. Aufl., Rdnr. 218 zu § 77). Daran fehlt es. Das Betriebsratsgremium war bei dem gemeinsamen Gespräche zur Echtzeiterfassung nicht vollständig vertreten, denn es nahmen nur die Betriebsratsmitglieder Ku. , Schu. , B. , von P. und Ko. teil. Dabei handelte es sich nach dem unstreitigen Vortrag in der Verhandlung vor dem Beschwerdegericht nur um einen Teil des Betriebsrats. Der von der Betriebsratsvorsitzenden Ko. in der Erörterung vor dem Beschwerdegericht eingebrachte Hinweis auf ein Verhandlungsmandat lässt nicht ansatzweise den Umfang dieses "Verhandlungsmandats" erkennen, zumal die beteiligte Arbeitgeberin darauf hingewiesen hatte, dass es sich ausweislich des Besprechungsvermerks der Betriebsrätin Ko. um eine Besprechung und nicht um eine Verhandlung bzgl. der BV zum TV 75 c gehandelt habe. Ob der Handlungsbevollmächtigte Sch. ausreichende Vollmacht hatte oder nicht, brauchte daher nicht abgeklärt zu werden.

Die Beteiligten haben sich daher in dem gemeinsamen Gespräch zur Echtzeiterfassung vom 13. Februar 2001 nicht wirksam über die Person des Einigungsstellenvorsitzenden geeinigt.

Der Hauptantrag des Betriebsrats war daher zurückzuweisen.

2.2.Trotz der Antragstellung des Betriebsrats, die Beschwerde zurückzuweisen, war auch über seinen und den Hilfsantrag der beteiligten Arbeitgeberin zu entscheiden.

§ 528 Satz 2 ZPO n. F. (i. V. m. §§ 98 Abs. 2 Satz 3, 87 Abs. 2 ArbGG) bestimmt zwar, dass der Beschluss des ersten Rechtszuges nur insoweit abgeändert werden darf, als eine Abänderung beantragt ist. Vom Wortlaut der Norm ausgehend würde über den Hilfsantrag aus erster Instanz und den der Beklagten nicht befunden werden dürfen. Es ist über den Hilfsantrag der Beteiligten nicht entschieden worden. Gleichwohl bedarf es keiner Anschlussbeschwerde des Betriebsrats, um über den Hilfsantrag erster Instanz zu befinden, (so aber MK/Rimmelspacher, § 536 Rdnr. 28; Stein-Jonas/Grunsky, § 537 Rdnr. 10), denn die Grundbedingungen des Klageverfahrens, die auch für das Beschlussverfahren heranzuziehen sind, gelten auch im Rechtsmittelzug weiter. Dazu gehört die Festlegung des Klagebegehrens, das durch ein Rechtsmittel des Beklagten nicht eingeschränkt werden kann (Ostrowicz in Ostrowicz/Künzl/Schäfer "Der Arbeitsgerichtsprozess" 2. Aufl. 2002, Rdnr. 278 a. S. 318 mit Hinweis auf BAG in AP-Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972). Zutreffend verweist Gummer, dem sich das Gericht anschließt (in Zöller, ZPO 23. Aufl. 2002, Rdnr. 20 zu § 528), darauf hin, dass nicht richtig sein kann, dass der Kläger, der in erster Instanz voll obsiegt hat, gegen dieses Urteil Rechtsmittel einlegen muss, um die volle Überprüfung seines unveränderten Klagebegehrens sicherzustellen. Das gilt gleichermaßen für das Beschwerdeverfahren (§§ 98 Abs. 2, 87 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 528 Satz 2 ZPO). Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers muss das Beschwerdegericht, das den Hauptantrag für unbegründet hält, daher über den Hilfsantrag entscheiden, ohne dass es eines besonderen Antrags oder gar des Anschlussrechtsmittels des Antragstellers bedarf (so für das Urteilsverfahren BGHZ, 41, 39 = NJW 1992, 117).

Über den Hilfsantrag der Beteiligten war zu befinden.

2.2.1. Die Einigungsstelle ist für das Begehren des beteiligten Betriebsrats nicht offensichtlich unzuständig.

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG hat der Betriebsrat in Angelegenheiten, die Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, sowie die vorübergehende Verkürzung und die Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit mitzubestimmen; kommt eine Einigung über eine Angelegenheit dieser Art nicht zustande, so entscheidet die Einigungsstelle. Das Mitbestimmungsrecht bei der Anordnung von Arbeitszeiten durch Dienstpläne und Dienstplanabweichungen, Ausgleich der Arbeitszeitkonten, Freizeitausgleich pp. wie die Gegenstände in dem Betriebsvereinbarungsentwurf des Betriebsrats (Anlage K 2) zu dem für die Beteiligten verbindlichen Vertragvertrag TV 75 c vorgeschlagen sind, betrifft diese Arbeitszeitfragen. Da hat der Betriebsrat mitzubestimmen. Ob sich diese Streitigkeiten aufgrund der Vereinbarung neuer Dienstpläne für den Zustellstützpunkt Reinfeld vom Sommer 2001 zunächst erledigt haben, kann wegen des komplexen Regelungsvorschlages des Betriebsrats in dem Betriebsvereinbarungsentwurf K 2 nicht festgestellt werden. Das gilt auch für den Betriebsvereinbarungsentwurf K 3, obwohl dieser einen geringeren Umfang ausweist. Es ist zwar zutreffend, dass das Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde und die Regelung für die Besetzung einer Einigungsstelle überflüssig wäre, hätten die Beteiligten bereits eine entsprechende Regelung. Ob die von der Arbeitgeberin benannten Dienstgespräche das Spektrum des TV 75 c und den Inhalt der streitigen Betriebsvereinbarung Anlage K 3 bzw. K 2 abdecken, ist jedoch nicht sofort zu erkennen. Derartige Feststellungen bleiben daher der Einigungsstelle vorbehalten.

2.2.2. Als Vorsitzender für die Einigungsstelle war auf den Hilfsantrag des Betriebsrats unter Zurückweisung seines Hilfsantrags im Übrigen und des Hilfsantrags der Arbeitgeberin der Richter am Arbeitsgericht S. zu bestellen. Einigungsstellen sind mit einem unparteiischen Vorsitzenden zu bestellen, bei dem die Beteiligten sich in der Regel auf einen erfahrenen Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit einigen (Gnade-Kehrmann-Schneider-Blanke, BetrVG 2. Aufl., § 76 Rdnr. 10). Ob der Umstand, dass der vom Betriebsrat benannte Richter am Arbeitsgericht Hamburg Gunnar R. etwa deshalb ungeeignet ist, weil er für die Beratungsstelle für Technologiefolgen und Qualifizierung gemeinsam mit dem Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats für diesen Rechtsstreit und für das Einigungsstellenverfahren, dem Rechtsanwalt Reinhard M. , und dem für den Betriebsrat als Besitzer für die Einigungsstelle ebenfalls benannten Wolfgang A. Seminare durchführt und deshalb Zweifel an seiner Objektivität auch gegenüber der beteiligten Arbeitgeberin bestehen, kann dahinstehen. Denn auch dann, wenn keine sachlich durchgreifenden Gründe gegen die Qualität des bestellten Vorsitzenden bestehen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Beschwerdegerichts, von der abzugehen kein Anlass besteht, ein Vorsitzender zu bestellen, den kein Beteiligter benannt und gegen den keiner der Beteiligten eine Einwendung erhoben hat (vgl. LAG Schl.-Holst., Beschl. v. 25. Januar 1990 - 4 TaBV 35/90 -; ebenso LAG Schl.-Holst., Beschl. v. 6. August 1992 - 4 TaBV 11/92; ebenso LAG Schl.-Holst., Beschl. v. 28. Januar 1993 - 4 TaBV 38/92 -). Es geht nämlich um die Akzeptanz des Verhandlungsführers, der möglichst eine Einigung herbeiführen soll, und nicht um Fragen der Besetzung eines staatlichen Gerichts und der darauf anzuwendenden Befangenheitsnormen. Entscheidend war hier, dass gegen die in der Beschwerdeinstanz erwogene Möglichkeit der Bestellung eines Richters des Arbeitsgerichts Lübeck keine Einwendungen erhoben worden sind. Der Richter am Arbeitsgericht Lübeck, Dieter S. , ist zur Übernahme der Tätigkeit bereit, bietet Gewähr für die Unparteilichkeit und besitzt aufgrund jahrelanger Erfahrung die erforderliche breite Sachkunde in betrieblichen, betriebsverfassungsrechtlichen und allgemein arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Der Hilfsantrag der Arbeitgeberin war aus den o. g. Gründen ebenfalls ohne Erfolg.

Eine Kostenentscheidung entfällt, da Gebühren und Auslagen im Beschlussverfahren nicht erhoben werden (§ 12 Abs. 5 ArbGG, BAG AP-Nr. 1, 6 zu § 12 ArbGG 1953).

Gegen diese Entscheidung findet kein Rechtsmittel statt (§ 98 Abs. 2 Satz 4 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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