Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 23.11.2004
Aktenzeichen: 5 Sa 202/04
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 611 Abs. 1
BGB § 242
BGB § 273 Abs. 1
BetrVG § 77 Abs. 4
1. Eine beharrliche Arbeitsverweigerung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer trotz mehrfacher Aufforderung durch den Arbeitgeber bewusst und nachhaltig der Arbeitspflicht nicht nachkommt.

2. Eine beharrliche Verletzung der Arbeitspflicht rechtfertigt in der Regel eine außerordentliche Kündigung, zumindest aber den Ausspruch einer Abmahnung.

3. Eine vertragswidrige Arbeitsverweigerung liegt nicht vor, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit nicht aufnimmt, weil ihm ein Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung nach § 273 Abs. 1 BGB zusteht. Ein Zurückbehaltungsrecht setzt einen fälligen Gegenanspruch voraus.

4. Der Arbeitnehmer darf von einem bestehenden Zurückbehaltungsrecht nur in den Grenzen von Treu und Glauben Gebrauch machen. Danach darf der Arbeitnehmer unter anderem die Arbeit nicht verweigern, wenn

- der Lohnrückstand verhältnismäßig gering ist,

- nur eine kurzfristige Zahlungsverzögerung zu erwarten ist,

- dem Arbeitgeber ein unverhältnismäßig großer Schaden entstehen kann oder

- der Lohnanspruch auf andere Weise gesichert ist

(LAG Köln, Urt. v. 19.05.1999 - 2 Sa 1149/98 -).


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 5 Sa 202/04

Verkündet am 23.11.2004

In dem Rechtsstreit pp.

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 23.11.2004 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Otten-Ewer als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter Manfred Geng als Beisitzer und d. ehrenamtliche Richterin Gisela Jördens als Beisitzerin

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Elmshorn vom 4. März 2004, Az.: 3 Ca 2611 e/03, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Entfernung einer Abmahnung aus seiner Personalakte.

Der 53-jährige Kläger ist bei der Beklagten seit dem 13.03.1978 als Ladeschichtarbeiter beschäftigt. Laut Arbeitsvertrag kann er mit allen Arbeiten betraut werden, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechen. Im Juni 2002 und Juni 2003 rechnete die Beklagte für den Kläger "Prämien Pappm.", d. h. für dessen Einsatz in der Schweißbahnanlage, ab (Bl. 20 - 21 d. GA.).

Die Betriebsparteien schlossen am 19.06.2003 eine Betriebsvereinbarung über die Höhe der Prämienberechnung ab 01.07.2003 (im Folgenden: BV-Prämien). Nach lit. A BV-Prämien erhalten u. a. Mitarbeiter in Schweißbahnschichten Prämienzahlungen, deren Höhe in lit. B 2. BV-Prämien festgelegt ist. Ladeschichtarbeiter erhalten hiernach grundsätzlich keine Prämien. In lit. H BV-Prämien ist für deren Einsatz in den in lit. A aufgeführten Produktionsschichten Folgendes geregelt (Bl. 5 - 6 d. GA.):

"Prämien die von Ladeschichtarbeitern erbracht werden, werden nicht an den jeweiligen Mitarbeiter ausgezahlt. Die zu zahlenden Prämien werden auf einem Konto gesammelt und 1/2 jährlich jeweils zum 01.06. und 01.12. jeden Jahres, gleichmäßig an alle Ladeschichtarbeiter verteilt."

Diese BV-Prämien löste die Betriebsvereinbarung vom 23.05.2002 ab, die ab 01.06.2002 galt; wegen des Inhalts wird auf Bl. 74 - 75 d. GA. verwiesen.

Am 07.08.2003 wurde der Kläger von seinem Vorgesetzten aufgefordert, an der Schweißbahnanlage auszuhelfen. Der Kläger lehnte diese Arbeitszuweisung mit der Begründung ab, weil er für Tätigkeiten an der Schweißbahnanlage keine persönlichen Prämienzahlungen mehr erhalte. Mit Schreiben vom 11.08.2003 erteilte die Beklagte dem Kläger wegen der Arbeitsverweigerung vom 07.08.2003 eine Abmahnung (Bl. 4 d. GA.).

Wegen des streitigen Vortrags der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht Elmshorn hat die Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte abgewiesen. Die Arbeitszuweisung in der Schweißbahnschicht sei vom arbeitsvertraglichen Direktionsrecht gedeckt gewesen. Auch habe der Kläger kein Leistungsverweigerungsrecht gehabt. Entscheidend sei nur, dass die Beklagte auch nach der BV-Prämien nach wie vor an die Ladeschichtarbeiter für deren Arbeit in der Schweißbahnschicht Prämien zahle. Ob sich die Änderung der Prämienzahlungen für den Kläger nachteilig auswirken würde, habe der Kläger am 07.08.2003 noch gar nicht feststellen können.

Gegen dieses ihm am 13.04.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.05.2003 beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Berufung eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 14.07.2004 am 14.07.2004 begründet.

Der Kläger trägt vor,

ausweislich der eingereichten Abrechnungen habe die Beklagte ihm für Sondertätigkeiten bei der Fertigung von Schweißbahnen in der Vergangenheit Prämien individuell und monatlich abgerechnet. Die Parteien hätten damit geregelt und vereinbart, dass der Kläger einen Anspruch darauf habe, dass ihm am Monatsende nach Maßgabe der von ihm geschuldeten Stundensätze und Zuschläge/Prämien die Vergütung gezahlt wird. In eine getroffene Vergütungsregelung könne durch eine Betriebsvereinbarung nicht zulasten des Arbeitnehmers eingegriffen werden. Es unterliege auch keinem Zweifel, dass er aufgrund der BV-Prämien deutlich weniger Prämien erhalten wird als vorher. Da die Beklagte aufgrund der BV-Prämien von vornherein nicht mehr bereit gewesen sei, ihm für seine Tätigkeiten in der Schweißbahnschicht Prämien zu zahlen, habe er insoweit ein Zurückbehaltungsrecht gleich dem Grundsatz "keine Arbeit ohne Lohn" gehabt. Der Arbeitnehmer sei dann nicht vorleistungspflichtig, wenn der Arbeitgeber von vornherein erklärt, die geschuldete Vergütung nicht zahlen zu wollen. Das Zurückbehaltungsrecht entfalle auch nicht deshalb, weil er die Prämien auch im Wege einer Lohnklage hätte geltend machen können. Im Übrigen habe er am 07.08.2003 nur die Arbeit in der Schweißbahnschicht abgelehnt, zu seiner regelmäßigen Arbeit sei er unstreitig arbeitsbereit gewesen.

Der Kläger beantragt,

in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 04.03.2004, Az.: 3 Ca 2611 e/03 die Beklagte zu verurteilen, die als Anlage 1 überreichte Abmahnung der Beklagten vom 11.08.2003 gegenüber dem Kläger zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen und dem Kläger die Rücknahme aus der Personalakte zu bestätigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt

unter Hinweis auf ihr erstinstanzliches Vorbringen vor, dass sie mit dem Kläger zu keinem Zeitpunkt individualrechtliche Abreden über Prämienzahlungen getroffen habe. Vielmehr regele sie die Zahlungen von Prämien in Betriebsvereinbarungen, aus denen sich die Freiwilligkeit der Zahlungen ergebe. In Ziff. 9 des Arbeitsvertrages hätten die Parteien die Geltung der Betriebsvereinbarungen ausdrücklich vereinbart. Der Kläger habe auch in der Berufungsbegründung nicht dargelegt, welchen fälligen Gegenanspruch er am 07.08.2003 gegen die Beklagte gehabt habe, sodass er die Arbeit an der Schweißbahnanlage habe verweigern dürfen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist dem Beschwerdewert nach statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache hat die Berufung allerdings keinen Erfolg.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme der streitgegenständlichen Abmahnung vom 11.08.2003 und Entfernung derselben aus der Personalakte.

1. Ein solcher Anspruch, der sich aus §§ 611 Abs. 1, 242 BGB unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Fürsorgepflicht oder aus §§ 12, 862, 1004 BGB als Abwehranspruch herleiten lässt (vgl. LAG Frankfurt, Urt. v. 14.05.2003 - 2/1 Sa 1441/02-, zit. n. Juris; ErfK/Dieterich, 4. Aufl., Art. 2 GG, Rn. 102), setzt voraus, dass der mit der Abmahnung erhobene Vorwurf objektiv unrichtig ist und der Arbeitnehmer dadurch in seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigt werden kann (ErfK/Dieterich, a.a.O., Art. 2 GG, Rn. 102) oder dass die Abmahnung unverhältnismäßig ist (vgl. KR/Fischermeier, 6. Aufl., § 626 BGB, Rn. 274, m. Nachw.). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des in der Abmahnung vom 11.08.2003 enthaltenen Vorwurfs nicht erfüllt. Indem der Kläger am 07.08.2003 der Anweisung seines Vorgesetzten, an der Schweißbahnanlage auszuhelfen, nicht nachgekommen ist, hat er gegen die elementarste arbeitsvertragliche Pflicht verstoßen, er hat die Arbeitsleistung verweigert.

Eine beharrliche Arbeitsverweigerung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer trotz mehrfacher Aufforderung durch den Arbeitgeber bewusst und nachhaltig der Arbeitspflicht nicht nachkommt (ErfK/Müller-Glöge, a.a.O., Rn. 104 zu § 626 BGB). Eine beharrliche Verletzung der Arbeitspflicht rechtfertigt in der Regel eine außerordentliche Kündigung (BAG, Urt. v. 21.11.1996 - 2 AZR 357/95 -, AP Nr. 130 zu § 626 BGB; BAG, Urt. v. 05.04.2001 - 2 AZR 580/99 -, AP Nr. 32 zu § 99 BetrVG 1972), zumindest aber den Ausspruch einer Abmahnung (LAG Berlin, Urt. v. 12.07.2002 - 6 Sa 549/02 - zit. n. Juris).

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zählen u. a. auch Aushilfsarbeiten an der Schweißbahnanlage zu den arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers. Somit war die Beklagte - bzw. der Vorgesetzte des Klägers - kraft des ihr zustehenden Direktionsrechts berechtigt, dem Kläger am 07.08.2003 die Tätigkeiten an der Schweißbahnschicht zuzuweisen. Hiergegen erhebt der Kläger auch keine Einwände. Der Kläger hat der Arbeitsanweisung trotz dreifacher Aufforderung und Hinweises auf die Konsequenzen unstreitig nicht Folge geleistet und damit beharrlich gegen seine Arbeitspflicht verstoßen. Er hat sich damit einer beharrlichen Arbeitsverweigerung schuldig gemacht.

2. Entgegen der Auffassung des Klägers stand ihm auch kein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung nach § 273 Abs. 1 BGB zu. Nach dieser Vorschrift kann der Schuldner, der aus demselben Rechtsverhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat, sofern sich nicht aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergibt, die geschuldete Leistung verweigern, bis ihm die gebührende Leistung bewirkt wird. Dieses Zurückbehaltungsrecht kann auch der Arbeitnehmer an seiner Arbeitsleistung ausüben, wenn er einen fälligen Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber erworben hat, den dieser nicht erfüllt (BAG, Urt. v. 25.10.1984 - 2 AZR 417/83 -, AP Nr. 3 zu § 273 BGB; 09.05.1996 - 2 AZR 387/95 -, AP Nr. 5 zu § 273 BGB). Voraussetzung für ein Zurückbehaltungsrecht an der geschuldeten Arbeitsleistung ist mithin, dass der Arbeitgeber sich mit seiner Lohnzahlungspflicht in Verzug befindet. Unter diesen Voraussetzungen ist es dem Arbeitnehmer grundsätzlich nicht zumutbar, weitere Arbeitsleistungen zu erbringen und dem Arbeitgeber den als Gegenleistung geschuldeten Lohn zu kreditieren (LAG Köln, Urt. v. 15.09.1993 - 8 Sa 449/93 -, zit. n. Juris).

a) Vorliegend kann sich der Kläger schon deshalb nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen, weil sich die Beklagte am 07.08.2003 gerade nicht mit der Zahlung etwaig dem Kläger zustehender Prämienzahlungen in Verzug befand. Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer vorleistungspflichtig, sodass der jeweilige Lohn erst nach erbrachter Arbeitsleistung fällig wird. An diesem Grundsatz haben die Parteien in Ziff. 10 des Arbeitsvertrages festgehalten. Danach erhält der Kläger einen Lohnabschlag am 25. des laufenden Monats und den Endbetrag am 10. des Folgemonats. Am 07.08.2003 war mithin für im August zu leistende Arbeit noch gar kein Lohnanspruch fällig. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass Prämienzahlungen für zurückliegende Monate noch offen waren.

b) Der Kläger kann sich aber auch nicht mit Erfolg auf ein vermeintliches Zurückbehaltungsrecht berufen, weil die Beklagte durch die BV-Prämien von vornherein zum Ausdruck gebracht habe, Prämien an den Kläger nicht auszahlen zu wollen. Es kann insoweit auch dahingestellt bleiben, ob einem Arbeitnehmer auch dann ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, wenn ein Lohnanspruch zwar noch nicht fällig ist, der Arbeitgeber aber bereits erklärt hat, bei Fälligkeit den Lohn gleichwohl nicht zahlen zu wollen. Der Kläger hat nämlich nicht dargelegt, dass er überhaupt einen vertraglichen Anspruch auf individuelle Auszahlung von Prämien hatte. Unstreitig haben die Parteien in Ziff. 5 des Arbeitsvertrages keine Prämienleistungen vereinbart. Der Kläger behauptet auch nicht einmal, dass die Parteien im Laufe des Arbeitsverhältnisses eine Prämienzahlung vereinbart hätten. Eine dahingehende schriftliche Ergänzung zum Arbeitsvertrag hat er nicht vorgelegt. Einer mündlichen Abrede auf Zahlung einer Prämie stünde im Übrigen das Schriftformerfordernis Ziff. 13 des Arbeitsvertrages entgegen.

c) Der Kläger verkennt, dass die Prämienzahlungen bei der Beklagten durch Betriebsvereinbarungen geregelt sind, von denen er ggf. keine Kenntnis hatte. Die durch Abrechnungen nachgewiesenen Prämienzahlungen von Juni 2002 und Juni 2003 beruhen nicht auf einer einzelvertraglichen Abrede mit dem Kläger, sondern auf der Betriebsvereinbarung vom 23.05.2002. Nach dieser BV-Prämien 2002 wurden Prämienzahlungen für Arbeiten in den Produktionsschichten Teerschichten, Schweißbahnschichten, Kaschierschichten und Stanzdocken gezahlt, gleichgültig von welchen Arbeitern diese Arbeiten ausgeübt wurden. Der Kläger hatte mithin einen kollektiven Anspruch auf Prämienzahlungen im Juni 2002 und Juni 2003. Dieser kollektive Anspruch ist indessen an die Dauer und Wirksamkeit der jeweiligen Betriebsvereinbarung gebunden. Die BV-Prämien vom 23.05.2003 wurde durch die BV-Prämien vom 19.06.2003 abgelöst und verlor mithin ihre normative Wirkung. Dem Kläger stand für seinen geplanten Einsatz am 07.08.2003 in der Schweißbahnschicht nach der neuen BV-Prämien keine individueller Auszahlungsanspruch einer Prämie zu.

d) Die BV-Prämien vom 23.05.2003 verstößt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht gegen das Günstigkeitsprinzip. Danach hat eine Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 4 BetrVG nur dann zwingende normative Wirkung gegenüber einzelvertraglichen Absprachen, wenn die Betriebsvereinbarung im Verhältnis zu einer einzelvertraglichen Vereinbarung günstigere Regelungen enthält. Eine für den Arbeitnehmer günstigere einzelvertragliche Vereinbarung hat Vorrang vor einer entsprechenden kollektiven Regelung. Der Kläger hat - wie oben ausgeführt - nicht schlüssig vorgetragen, wann genau er mit der Beklagten für welche konkreten Arbeiten die Zahlung einer Prämie in welcher Höhe vereinbart hat.

Dem Vortrag des Klägers ist zu entnehmen, dass er sich hinsichtlich des behaupteten einzelvertraglichen Prämienanspruchs auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der betrieblichen Übung stützen will. Unter betrieblicher Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aus dem Verhalten des Arbeitgebers wird konkludent auf eine Willenserklärung geschlossen, die vom Arbeitnehmer gem. § 151 BGB angenommen werden kann. Dadurch wird ein vertragliches Schuldverhältnis geschaffen, aus dem bei Eintritt der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen ein einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwächst. Dabei kommt es nicht allein darauf an, ob der Arbeitgeber mit einem entsprechenden Verpflichtungswillen gehandelt hat. Die Wirkung einer Willenserklärung oder eines bestimmten Verhaltens tritt im Rechtsverkehr schon dann ein, wenn der Erklärende aus der Sicht des Erklärungsempfängers einen auf eine bestimmte Rechtswirkung gerichteten Willen geäußert hat. Ob eine für den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung auf Grund der Gewährung von Leistungen an seine Arbeitnehmer entstanden ist, muss deshalb danach beurteilt werden, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte gem. § 242 BGB und der Begleitumstände auf einen einzelvertraglichen Bindungswillen schließen durften (ständige Rspr.: siehe nur: BAG, Urt. v. 28.07.2004 - 10 AZR 19/04 -, NZA 2004, 1152 ff.). Einem einzelvertraglichen Rechtsbindungswillen auf Seiten des Arbeitgebers durch betriebliche Übung steht indessen entgegen, wenn der strittige, über Jahre erfüllte Anspruch in einer Betriebsvereinbarung geregelt ist. In einem solchen Fall gibt der Arbeitgeber zu erkennen, dass die Vergünstigung (hier: Prämie) nur im Rahmen der Gültigkeit einer mit dem Betriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarung gewährt wird. Ein einzelvertraglicher Anspruch durch betriebliche Übung kann mithin grundsätzlich nicht entstehen, wenn ein gleichartiger kollektiver Anspruch besteht.

Der Kläger hat auch nicht substantiiert dargelegt, dass vor der Betriebsvereinbarung vom 23.05.2002 bereits ein einzelvertraglicher Anspruch durch betriebliche Übung entstanden war, der nicht zu seinem Nachteil durch Betriebsvereinbarung abgeändert werden konnte. Die Beklagte hat die Begründung eines einzelvertraglichen Anspruchs stets bestritten, sodass es Sache des Klägers gewesen wäre, die Voraussetzungen eines Anspruchs aus betrieblicher Übung schlüssig darzulegen. Stattdessen hat er lediglich mehrfach behauptet, jahrelang Prämien für den Einsatz in den Produktionsschichten erhalten zu haben. Hierbei handelt es sich indessen um einen pauschalen, nicht einlassungsfähigen Vortrag, der der Schlüssigkeit entbehrt. Vielmehr hätte der Kläger konkret vortragen müssen, wann ihm für welche konkreten Arbeiten in welcher Höhe Prämien gezahlt worden sind, ohne dass gleichzeitig eine entsprechende Betriebsvereinbarung bestanden hätte.

e) Ungeachtet dessen, stand dem Kläger aber auch unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB kein Zurückbehaltungsrecht zu. Der Arbeitnehmer darf von einem bestehenden Zurückbehaltungsrecht gemäß § 242 BGB nur unter Beachtung des Grundsatzes von Treu und Glauben Gebrauch machen (BAG, Urt. v. 09.05.1996 - 2 AZR 387/95 -, a.a.O.; LAG Hessen, Urt. v. 26.11.1998 - 4 (19) Sa 1360/98 -, zit. n. Juris; LAG Köln, Urt. v. 19.05.1999 - 2 Sa 1149/98 -, zit. n. Juris). Danach darf der Arbeitnehmer unter anderem die Arbeit nicht verweigern, wenn

- der Lohnrückstand verhältnismäßig geringfügig ist,

- nur eine kurzfristige Verzögerung der Lohnzahlung zu erwarten ist,

- dem Arbeitgeber ein unverhältnismäßig großer Schaden entstehen kann oder

- der Lohnanspruch auf andere Weise gesichert ist.

In Anbetracht dessen, dass die Beklagte unstreitig die reguläre Vergütung für den Arbeitseinsatz des Klägers am 07.08.2003 zahlen und die erwirtschafteten Prämien für diesen Tag laut der BV-Prämien einem Ansparkonto gutschreiben wollte und auch noch gar nicht feststand, ob der Kläger durch die neue Regelung besser oder schlechter dastehen würde, weil er auch an den künftigen Einsätzen der übrigen Ladeschichtarbeiter in den Produktionsschichten profitieren würde, war die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts treuwidrig i. S. d. § 242 BGB. Erstens war der Anspruch noch gar nicht fällig, zweitens war der Anspruch im Verhältnis zu der Grundvergütung geringfügig und drittens hatte der Kläger durch die neue Prämienordnung halbjährlich ebenfalls einen anteilmäßigen Anspruch auf die - auch von anderen Mitarbeitern - angesammelten Prämien.

3. Nach alledem hatte der Kläger am 07.08.2003 kein Recht zur Zurückbehaltung seiner Arbeitsleistung in der Schweißbahnschicht. Er hat somit seine Arbeitspflicht schuldhaft beharrlich verweigert, sodass ihm die streitgegenständliche Abmahnung zu Recht erteilt worden ist.

Die Berufung war mithin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Gesetzliche Gründe zur Zulassung der Revision waren nicht vorhanden, da es sich um eine reine Einzelfallentscheiung ohne rechtsgrundsätzliche Bedeutung handelte, § 72 Abs. 2 ArbGG.



Ende der Entscheidung

Zurück