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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 28.06.2005
Aktenzeichen: 5 Sa 64/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 612 a
1. Sofern sich der Kläger im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreits auf das Maßregelverbot gemäß § 612 a BGB beruft, hat er den Kausalzusammenhang zwischen der Ausübung eigener Rechte und der Kündigung durch den Arbeitgeber darzulegen und ggf. zu beweisen. § 612 a BGB enthält im Gegensatz zu § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB (geschlechtsbezogene Benachteiligung) und § 612 Abs. 3 Satz 3 BGB (geringere Vergütung wegen des Geschlechts) keine besondere Beweislastregelung zugunsten der Arbeitnehmer.

2. Im Rahmen des § 612 a BGB können dem Arbeitnehmer indessen Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zugute kommen. Dies ist dann der Fall, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme (hier: Kündigung) und der Ausübung eines Rechts (hier: Stellung berechtigter Forderungen in angemessener Diktion) besteht.

3. Sofern der Kläger den prima-facie-Beweis erbracht hat, obliegt es dem Arbeitgeber, den Anschein durch einen vereinfachten Gegenbeweis zu erschüttern. Hierzu braucht der Arbeitgeber nur die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs zu beweisen. Die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, bedürfen indessen des Vollbeweises. Letztlich muss das Gericht aufgrund des Vortrags des Arbeitgebers davon überzeugt sein, dass - entgegen des ersten Anscheins - ein atypischer Geschehensablauf vorlag. Erst dann fällt die volle Darlegungs- und Beweislast an den klagenden Arbeitnehmer zurück.


Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 5 Sa 64/05

Verkündet am 28.06.2005

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 28.06.2005 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer und d. ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 14.12.2004, Az.: 5 Ca 1379 b/04, wird abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 15.04.2004, zugegangen am 16.04.2004, beendet worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 45-jährige Kläger ist verheiratet, einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet und zu 50 % schwerbehindert. Er ist seit dem 01.11.2003 als Kraftfahrer bei der Beklagten zu einem Monatsgehalt von € 1.700,-- beschäftigt. Der Kläger wies gegenüber der Geschäftsführerin der Beklagten wiederholt darauf hin, dass er die Ladung im LKW nicht sichern könne, da entsprechendes Befestigungsmaterial nicht ausreichend vorhanden sei. Anfang April 2004 transportierte der Kläger von P... nach F... auf Paletten geladene Wodka-Kartons. Weil entsprechendes Befestigungsmaterial fehlte, konnte die Ladung nicht ausreichend gesichert werden, sodass sie verrutschte und vier von sechs Paletten umfielen. Mit Schreiben vom 12.04.2004 (Ostermontag) forderte der Kläger die Beklagte daraufhin auf, die gesetzlich vorgeschriebenen Ladungssicherungsmitteln bereitzustellen (Bl. 60 d.GA.):

"...Sie wissen ganz genau das auf denn Wechselbrücken keine bzw. nur unzureichend Befestigungspunkte vorhanden sind und daß das Gurten, unter oder über der Bordwand, am Rahmen gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt und dieses grob fahrlässig ist.

Des weiteren fehlen stabile Spannbretter auf den Fahrzeugen um eine ausreichende Sicherung der Ladung zu gewährleisten.

Ich bitte diese Mängel so schnell wie möglich zu beheben bzw. zu beseitigen, um die Gefahr der Nötigung, zu Transporten ohne ausreichende Ladungssicherung, Ihrerseits auszuschließen.

mit freundlichen Grüßen"

Mit Schreiben vom 15.04.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist zum 25.04.2004 (Bl. 13 d.GA.).

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands, insbesondere des streitigen Parteivorbringens, wie er in der ersten Instanz vorgelegen hat, wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils einschließlich der Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsfeststellungsklage abgewiesen. Der Kläger könne sich mangels ausreichender Beschäftigungszeit weder auf Unwirksamkeitsgründe gemäß § 1 Abs. 1 u. 2 KSchG noch gemäß §§ 85, 90 Abs. 1 Ziff. 1 SGB IX berufen. Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 612 a BGB nichtig. Den klagenden Arbeitnehmer treffe insoweit die Darlegungs- und Beweislast, dass er wegen seiner Rechtsausübung vom Arbeitgeber durch Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden sei. Die Beklagte habe die Kündigung indessen damit begründet, dass der Kläger sich unfreundlich bei Kunden verhalten habe und er mit seiner ruppigen Art nicht in ihren Dienstleistungsbetrieb passe, sodass sie kurz vor Ablauf der Probezeit die Kündigung ausgesprochen habe. Die Beklagte habe zulässigerweise von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch gemacht. Der Kläger habe den Vortrag der Beklagten zwar bestritten, aber für die gegenteiligen Behauptungen keinen Beweis angeboten. Die Kündigung verstoße auch nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB. Da sich der Kläger noch in der sechsmonatigen Wartezeit befunden habe, gehe es im Rahmen der Prüfung von § 242 BGB darum, den Arbeitnehmer vor einer willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigung zu schützen. Derartige Gründe seien indessen nicht ersichtlich und vom Kläger - über den Einwand eines Verstoßes gegen das Maßregelverbot - auch nicht vorgebracht worden. Schließlich sei die Kündigung auch nicht sittenwidrig nach §§ 137, 138 BGB. Hierfür habe der Kläger nichts vorgetragen. Eine Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Bestehens des Arbeitsverhältnisses wegen - aus Sicht der Beklagten - bestehender Kundenbeschwerden sei nicht sittenwidrig, sondern liege im Rahmen des gesetzlich Gewollten - nämlich der Überprüfung, ob der Arbeitnehmer in den Betrieb passe.

Gegen dieses ihm am 26.01.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.02.2005 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 29.04.2005 am 29.04.2005 begründet.

Der Kläger greift

das angefochtene Urteil vollumfänglich an. Insbesondere ist er der Auffassung, dass die streitgegenständliche Kündigung gegen das Maßregelverbot des § 612 a BGB verstoße. Zwar obliege grundsätzlich dem Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast der Voraussetzungen des § 612 a BGB, indessen komme ihm eine Beweiserleichterung durch den sog. Anscheinsbeweis zugute, wenn es zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der Geltendmachung von Ansprüchen einen zeitlichen Zusammenhang gebe. Dies sei hier gegeben. Er, der Kläger, habe am 12.04.2004 auf die fehlenden Sicherungsmittel hingewiesen und hierauf habe die Beklagte mit dem Kündigungsschreiben vom 15.04.2004 reagiert. Soweit die Beklagte sich nunmehr darauf berufe, dass er, der Kläger, sich angeblich unfreundlich gegenüber Kunden verhalten habe, handele es sich um einen unzulässigerweise nachgeschobenen Kündigungsgrund.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichtes Kiel vom 14. Dezember 2004, Az: 5 Ca 1379 b/04, aufzuheben und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 15. April 2004, zugegangen am 16. April 2004, beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und verweist in Bezug auf den Vorwurf des Maßregelverbots auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Auslöser für den Ausspruch der Kündigung seien Rückmeldungen von Kunden über das Verhalten des Klägers gewesen. Bei der Fa. H... und F... GmbH habe sich der Kläger geweigert, sein Fahrzeug auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu parken, in dessen Zuge es zu einem heftigen Wortwechsel gekommen sei. Bei der Fa. H... & Co. habe der Kläger laut Auskunft dieses Kunden laut "herumgebrüllt", weil ihm die Ladezeiten zu lange dauerten. Auch gegenüber der Geschäftsführerin habe sich der Kläger mehrfach im Ton vergriffen. Bereits vor Ostern, also schon in der 15. KW habe sie entschieden, dem Kläger zu kündigen. In der Woche nach Ostern habe der ...verband ihr über die zuständige Person beim Integrationsamt Auskunft erteilt. Am 15.04.2004 habe sie den Sachbearbeiter des Integrationsamtes telefonisch über ihre Kündigungsabsicht unterrichtet und sodann die Kündigung ausgesprochen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 28.06.2005 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist dem Beschwerdewert nach statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Die Berufung ist auch begründet.

Die streitgegenständliche Kündigung erweist sich als rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten mit der Folge, dass die Kündigung gemäß § 134 BGB nichtig ist.

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Arbeitgeber außerhalb des Anwendungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes, d. h. innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses, grundsätzlich ohne Angabe und Vorliegen besonderer Kündigungsgründe unter Wahrung der gesetzlichen, tariflichen oder einzelvertraglichen Kündigungsfrist kündigen kann. Eine Grenze für die Ausübung eines solchen freien Kündigungsrechts stellen die Generalklauseln der §§ 242, 138 Abs. 1 BGB dar (ArbG Berlin, Urt. v. 07.03.2000 - 86 Ca 34037/99 -, zit. n. Juris). Sie schützen den Arbeitnehmer auch außerhalb der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes vor rechtsmissbräuchlichen, sittenwidrigen oder willkürlichen Kündigungen.

1. Im Bereich des Arbeitsrechts sind diese das gesamte Recht beherrschenden Grundsätze eigens normiert in § 612 a BGB. Nach dieser Vorschrift darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 22.05.2003 - 2 AZR 426/02 - grundlegend ausgeführt (AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 'Wartezeit'):

"Nach der Norm des § 612a BGB, die einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit betrifft, darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als "Maßnahmen" im Sinne des § 612a BGB kommen auch Kündigungen in Betracht (BAG 20. April 1989 - 2 AZR 498/88 - RzK I 8l Nr. 15; KR-Pfeiffer 6. Aufl. § 612a BGB Rn. 4).

Zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung muss ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen. Die zulässige Rechtsausübung muss der tragende Beweggrund, d. h. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet (BAG 12. Juni 2002 - 10 AZR 340/01 - AP BGB § 612a Nr. 8 = EzA BGB § 612a Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; Stahlhacke/Preis/Vossen-Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 300; ErfK-Preis 3. Aufl. § 612a BGB Rn. 11; KR-Pfeiffer 6. Aufl. § 612a BGB Rn. 7; kritisch: Kittner/Däubler/Zwanziger-Däubler KSchR 5. Aufl. § 612a BGB Rn. 17). Ist der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nicht nur wesentlich, sondern ausschließlich durch die zulässige Rechtsverfolgung des Arbeitnehmers bestimmt gewesen, so deckt sich das Motiv des Arbeitgebers mit dem objektiven Anlass zur Kündigung. Es ist dann unerheblich, ob die Kündigung auf einen anderen Kündigungssachverhalt hätte gestützt werden können, weil sich ein möglicherweise vorliegender anderer Grund auf den Kündigungsentschluss nicht kausal ausgewirkt hat und deshalb als bestimmendes Motiv für die Kündigung ausscheidet. Eine dem Maßregelungsverbot widersprechende Kündigung kann deshalb auch dann vorliegen, wenn an sich ein Sachverhalt gegeben ist, der eine Kündigung des Arbeitgebers gerechtfertigt hätte (BAG 20. April 1989 - 2 AZR 498/88 - RzK I 8l Nr. 15; KR-Pfeiffer 6. Aufl. § 612a BGB Rn. 8; aA Kort RdA 2003, 122). Während das Kündigungsschutzgesetz auf die objektive Sachlage zum Zeitpunkt der Kündigung und nicht auf den Beweggrund der Kündigung durch den Arbeitgeber abstellt und deswegen das Nachschieben materieller Kündigungsgründe - unbeschadet betriebsverfassungsrechtlicher Vorschriften - insoweit zulässig ist, schneidet § 612a BGB - ebenso wie § 613a Abs. 4 BGB - die Kausalkette für andere Gründe ab, die den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers nicht bestimmt haben. Kausal für die Kündigung ist dann vielmehr allein der ausschließliche Beweggrund der unzulässigen Benachteiligung gewesen. Den klagenden Arbeitnehmer trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er wegen seiner Rechtsausübung von dem verklagten Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden ist (BAG 20. April 1989 - 2 AZR 498/88 - RzK I 8l Nr. 15)."

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer uneingeschränkt an.

2. Das Arbeitsgericht hat mithin zutreffend festgestellt, dass die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Kläger wegen einer Rechtsausübung (hier: Forderung, geeignetes Sicherungsmaterial zur Verfügung zu stellen) seitens der Beklagten gekündigt worden ist, der Kläger trägt.

a) Der Kläger hat folglich neben der Benachteiligung, die bei einer Kündigung auf der Hand liegt, den Kausalzusammenhang zwischen der Rechtsausübung und der Benachteiligung darzulegen und ggf. zu beweisen (BAG, Urt. v. 20.04.1989 - 2 AZR 498/88 -, zit. n. Juris). § 612 a BGB enthält im Gegensatz zu § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB (geschlechtsbezogene Benachteiligung) und § 612 Abs. 3 Satz 3 BGB (geringere Vergütung wegen des Geschlechts) keine besondere Beweislastregelung zugunsten der Arbeitnehmer. Die Beweiserleichterung des § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB kann auf § 612 a BGB auch nicht im Wege der Analogie übertragen werden. Dies folgt schon daraus, dass § 612 a BGB zeitgleich wie § 611 a BGB in das BGB eingeführt worden ist. Hätte der Gesetzgeber die Absicht gehabt, bei § 612 a BGB ebenfalls vom allgemeinen Grundsatz der Beweisführung des Anspruchstellers abzuweichen, so hätte sich eine ausdrückliche Verweisung in § 612 a BGB auf § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB - wie bei § 612 Abs. 3 Satz 3 BGB geschehen - angeboten (LAG Hamm, Urt. v. 15.01.1985 - 7 (5) Sa 1513/84 -, LAGE § 20 BetrVG 1972 Nr. 5).

b) Im Rahmen des § 612 a BGB sind dem Arbeitnehmer allerdings Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu gewähren (BAG, Urt. v. 11.08.1992 - 1 AZR 103/92 -, AP Nr. 124 zu § 9 GG 'Arbeitskampf; ArbG Kiel, Urt. v. 30.04.1997 - 5 Ca 56 b/97 -, NZA-RR 1998, 303 f.; ArbG Augsburg, Urt. v. 07.10.1997 - 2 Ca 1431/96 N -, NZA-RR 1998, 542 f.;). Der Anscheinsbeweis kommt dem Arbeitnehmer insbesondere dann zugute, wenn ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der Ausübung eines Rechts besteht (LAG Schl.-H., Urt. v. 25.07.1989 - 1 (3) Sa 557/88 -, LAGE § 612 a BGB Nr. 4). Den Anscheinsbeweis kann der Arbeitgeber sodann seinerseits durch substantiierten Vortrag erschüttern mit der Folge, dass nunmehr der Arbeitnehmer den Vollbeweis führen muss.

c) Hieran gemessen hat der Kläger den Anscheinsbeweis geführt, dass sein Beschwerde- und Anspruchsschreiben vom 12.04.2004 kausal geworden ist für die Kündigung vom 15.04.2004.

aa) Es besteht ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Anspruchsschreiben des Klägers und der Kündigung der Beklagten. Der Kläger hat das strittige Schreiben am Ostermontag, d. h. am 12.04.2004, geschrieben, sodass es der Beklagten frühestens am folgenden Dienstag, den 13.04.2004, zugegangen ist. Zwischen dem Zugang des Anspruchsschreibens und der Ausfertigung der Kündigung liegen mithin nur zwei Tage. Hierbei ist zudem zu berücksichtigen, dass die Beklagte sich wegen der Schwerbehinderung des Klägers in der 16. KW, d. h. nach Ostern und damit nach Erhalt des Schreibens des Klägers, noch Rechtsrat bei dem ...verband eingeholt und anschließend noch das Integrationsamt von der beabsichtigten Kündigung informiert hatte. Unter Berücksichtigung dieser (beratenden und formellen) Erfordernisse folgte die Kündigung dem Anspruchsschreiben sozusagen "auf dem Fuße". Die unstreitige zeitliche Abfolge des Geschehens rechtfertigt den Schluss, dass ausschlaggebendes und damit tragendes Motiv für die Kündigung jenes Schreiben vom 12.04.2004 war. Nach der Lebenserfahrung handelte es sich mithin um einen typischen Geschehensablauf. Der Kläger hatte zuvor mehrfach erfolglos angemahnt, dass im LKW nur unzureichendes Befestigungsmaterial vorhanden war. Schließlich kam es wegen mangelhafter, vom Kläger aber nicht verschuldeter, Sicherung der geladenen Paletten, zu einem folgenschweren Verrutschen der Ladung. Daraufhin wandte sich der Kläger nochmals - nunmehr schriftlich - wegen des fehlenden Befestigungsmaterials an die Beklagte, worauf hin er nur drei Tage später die Kündigung erhielt. Die Kausalität zwischen Anspruchsschreiben und Kündigung ergibt sich mithin aus der zeitlichen Abfolge dieser Ereignisse. Damit ist der Anscheinsbeweis geführt.

bb) Die Beklagte hat durch ihren Vortrag den Anscheinsbeweis auch nicht zu entkräften vermocht. Sofern der darlegungs- und beweispflichtige Kläger den prima-facie-Beweis erbracht hat, obliegt des dem Prozessgegner, den Anschein durch einen vereinfachten Gegenbeweis zu erschüttern. Hierzu braucht der Beklagte nur die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs zu beweisen. Die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, bedürfen indessen des vollen Beweises, d. h. der Richter muss aufgrund gesonderter Beweiswürdigung, die ggf. auch die Grundsätze der Beweisvereitelung einbezieht, zur vollen Überzeugung von der ernsthaften Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs gelangen (Zöller/ Greger, ZPO, 25. Aufl., Rn. 29 Vor § 284 ZPO). Gelingt dem Prozessgegner, den Anscheinsbeweis zu erschüttern, so fällt die volle Darlegungs- und Beweislast an den Kläger zurück.

Dies zugrunde gelegt, hat die Beklagte den Anscheinsbeweis nicht durch substantiierten Tatsachenvortrag zu erschüttern vermocht. Die Beklagte hat schlicht behauptet, dass sie bereits vor Ostern beschlossen habe, dem Kläger innerhalb der Probezeit zu kündigen. Für diese innere Tatsache hat sie keinen Beweis angeboten. Insbesondere hat sie nicht vorgetragen, dass sie bereits den Kläger oder irgendjemand anderen vor Ostern über ihre Kündigungsabsicht informiert hatte. Zum Nachweis dieser inneren Tatsache hat sie sich darauf berufen, dass sich zwei Auftraggeber bei ihr über den Kläger beschwert hätten und der Kläger sich zudem mehrfach gegenüber der Geschäftsführerin im Ton vergriffen habe. Ob diese - strittigen - Tatsachen indessen tragendes Motiv für den Kündigungsentschluss waren, kann die Kammer nicht beurteilen. Unstreitig hat die Beklagte den Kläger zu keinem Zeitpunkt wegen ungebührlichen Verhaltens abgemahnt oder gerügt oder ihm zumindest mitgeteilt, dass Kundenbeschwerden vorliegen. Gegenteiliges hat die Beklagte nicht vorgetragen. Wenn aber die Beklagte die nunmehr im Prozess gerügten Vorfälle kündigungsrelevant gefunden hätte, so hätte es nahe gelegen, den noch in der Probezeit befindlichen Kläger nach den behaupteten Rückmeldungen durch die Kunden sogleich darauf anzusprechen. Offenbar hat die Beklagte selbst die Kundenbeschwerden nicht als so gravierend angesehen.

Zudem hat die Beklagte völlig offen gelassen, wann sich die Vorfälle bei den Firmen H... und F... GmbH und H... & Co. ereigneten und wann die Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte. Daten hierzu sind dem Beklagtenvortrag nicht zu entnehmen. Denkbar ist, dass die behaupteten Entgleisungen des Klägers schon zu Beginn des Arbeitsverhältnisses stattfanden und sich der Kläger seitdem nichts mehr hat zu schulden kommen lassen. Dann wäre es aber eher unwahrscheinlich, dass die Beklagte gleichwohl diese zwei Vorfälle Monate später zum Anlass einer Kündigung nahm.

Die Beklagte hat auch völlig offen gelassen, wann sich die Kunden bei ihr über den Kläger beschwert hatten. Erst nachdem sich der Kläger im Verlaufe des Prozesses auf das Maßregelverbot berufen hatte (im Gütetermin am 12.07.2004), hat sich die Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 01.10.2004 darauf berufen, dass der Kläger aufgrund des gerügten Verhaltens nicht in ihren Dienstleistungsbetrieb passe. Es wäre mithin auch denkbar, dass sich die Beklagte - aufgrund des im Prozess problematisierten Maßregelverbots - erst im Verlaufe des Prozesses bewusst an die strittigen Vorfälle bei den Kunden erinnert und diese nun als Kündigungsgrund in den Prozess eingeführt hat. Nicht auszuschließen ist auch, dass die Beklagte erst nach Ausspruch der Kündigung Erkundigungen über den Kläger eingeholt und nunmehr entsprechend vorgetragen hat. Es kann mithin seitens des Gerichts nicht überprüft werden, ob ungeachtet des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Zugang des Schreibens vom 12.04.2004 und des Ausspruchs der Kündigung gleichwohl tragendes Motiv für die Kündigung das impulsive Verhalten des Klägers gegenüber Kunden und der Geschäftsführerin war.

Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass sich die Beklagte auch darauf berufen hat, dass sie aufgrund des Ablaufs der Probezeit habe kündigen müssen. Die Probezeit lief erst 14 Tage später aus, sodass sie gerade nicht sogleich nach Erhalt des Anspruchsschreibens hätte kündigen müssen. Aus Sicht der Kammer hat die Beklagte auf das Anspruchsschreiben des Klägers mit der Kündigung reagiert. Es mag sein, dass die Beklagte auch andere Kündigungsgründe gehabt hätte, tragender Grund für die Kündigung war indessen das Schreiben des Klägers vom 12.04.2004. Die Beklagte hat mithin den prima-facie-Beweis trotz entsprechendem Hinweis im Berufungstermin nicht erschüttert.

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es vorliegend nicht darauf ankommt, ob die - strittigen - Vorfälle eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt hätten. Der Kläger genoss noch keinen Kündigungsschutz. Innerhalb der Probezeit darf der Arbeitgeber grundsätzlich Kundenbeschwerden oder Rügen von Vorgesetzten zum Anlass einer Kündigung nehmen, ohne diese auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen oder etwa den Arbeitnehmer zuvor anzuhören. Ihm steht es grundsätzlich frei, dem Arbeitnehmer innerhalb der Probezeit auch ohne irgendwelche Gründe zu kündigen. Im Rahmen der Erschütterung des Anscheinsbeweises einer Maßregelung nach § 612 a BGB muss er indessen - auch bei einer Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate - konkret darlegen, dass er aus anderen, konkret zu benennenden und ggf. zu beweisenden Gründen das Arbeitsverhältnis gekündigt hat.

3. Nach alledem war auf die Berufung des Klägers das angefochtene Urteil abzuändern und der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG. Gesetzliche Gründe, die die Zulassung der Revision geboten hätten, waren nicht vorhanden, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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