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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil verkündet am 05.12.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 375/06
Rechtsgebiete: ArbGG, BGB, BeschFG, TzBfG, BetrVG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 72 a
BGB § 123
BGB § 247
BGB § 779
BGB § 823 Abs. 2
BeschFG § 2
TzBfG § 4
BetrVG § 77 Abs. 3
ZPO § 278 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 6 Sa 375/06

Verkündet am 05.12.2007

In dem Rechtsstreit

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 05.12.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... als Vorsitzenden und die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass der Vergleich vom 04.12.2003 wirksam und der Rechtsstreit 6 Sa 375/06 damit erledigt ist.

2. Die Klägerin trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Fortsetzung des bei dem erkennenden Gericht mit dem Aktenzeichen 6 Sa 226/03 geführten Verfahrens.

In diesem Verfahren stritten die Parteien um Zahlungsansprüche aus einem beendeten Arbeitsverhältnis. Erstinstanzlich hatte die Klägerin zuletzt Zahlung von Vergütung aus nicht umgesetzten Lohnerhöhungen, von Schichtzulagen, Anwesenheitsprämien, Weihnachtsgeld, Urlaubsvergütung sowie Schadensersatz für das Vorenthalten eines subventionierten Handyvertrages verlangt.

Die Klägerin war vom 01.05.1998 bis 30.09. bzw. 31.10.2002 bei der Beklagten auf der Grundlage mehrerer befristeter Arbeitsverträge als Callcenter-Agentin tätig. Während des gesamten Beschäftigungszeitraums studierte die Klägerin. Sie arbeitete bei der Beklagten im Callcenter in K.... Dort waren im Wesentlichen Studenten auf Basis befristeter und unbefristeter Abrufarbeitsverträge tätig.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, nach den Betriebsvereinbarungen Gehalt 1999, 2000 und 2001 hätten auch die studentischen Abrufarbeitnehmer Anspruch auf Lohnerhöhung gehabt. Der Anspruch folge aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 2 Beschäftigungsförderungsgesetz sowie § 4 TzBfG. Ein Grund für die Schlechterstellung der studentischen Aushilfen, also auch für sie, habe nicht bestanden. Hinsichtlich der Schichtzulagen liege ebenfalls eine rechtswidrige Ungleichbehandlung vor. Die Anwesenheitsprämie stehe ihr zu, weil sie unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarungen vom 29.06.1996 und 01.02.1999 gefallen sei. Die Klägerin hat behauptet, alle fest angestellten Mitarbeiter hätten in den Jahren 1998 bis 2001 ein Weihnachtsgeld in Höhe eines Bruttomonatsgehalts erhalten. Deshalb habe auch sie Anspruch aufgrund Gleichbehandlung bzw. aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 2 Beschäftigungsförderungsgesetz.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Betriebsvereinbarungen Gehalt 1999 bis 2001 seien gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam. Die Klägerin unterfalle außerdem nicht dem Geltungsbereich dieser Vereinbarungen. Die studentischen Aushilfskräfte seien als Gruppe gleich behandelt worden. Im übrigen hat sich die Beklagte hinsichtlich des Gehaltserhöhungsverlangens auf Ausschlussfristen sowie auf Verjährung berufen. Zu den geltend gemachten Schichtzulagen hat die Beklagte vorgetragen, die Klägerin unterfalle der einschlägigen Betriebsvereinbarung nicht, denn sie sei nicht an feste Schichten gebunden gewesen. Die Beklagte hat die Anzahl der von der Klägerin behaupteten Stunden in Schichtarbeit sowie die Zahlung von Sonn- und Feiertagszuschlägen in Höhe von 125 % auf das Grundgehalt bestritten. Auch bezüglich der insoweit geltend gemachten Ansprüche hat sich die Beklagte auf die Ausschlussfristen sowie auf Verjährung berufen. Die Beklagte hat gemeint, die Betriebsvereinbarung vom 29.06.1996, in der die Anwesenheitsprämie geregelt worden ist, habe Abrufarbeitnehmer nicht umfasst. Darüber seien sich die Betriebsparteien einig gewesen. Die Differenzierung sei auch gerechtfertigt gewesen, weil Ausfälle durch Krankheit bei Abrufarbeitnehmern nicht durch die Prämie, sondern durch Steuerung der Einsatzzeiten vermieden worden seien. Die Beklagte hat bestritten, dass sämtliche fest angestellten Mitarbeiter ein Weihnachtsgeld in Höhe eines Bruttomonatsgehalts erhalten haben. Die Zahlung sei aufgrund vielfältiger einzelvertraglicher Regelungen erfolgt. Die studentischen Aushilfen seien ausgenommen worden, weil man an ihrer Betriebstreue kein Interesse gehabt habe. Auch bezüglich dieses Streitgegenstands hat die Beklagte sich auf die Ausschlussfristen berufen. Die Beklagte hat behauptet, die Urlaubshöhe sei einzelvertraglich festgelegt worden. Die Behauptung der Klägerin, alle fest angestellten Arbeitnehmer hätten einen 25. Urlaubstag in den Jahren 1998 bis 2001 erhalten, sei falsch. Die Beklagte hat bestritten, dass die Klägerin ihren Vorgesetzten jemals auf einen Handyvertrag angesprochen und dass sie einen Handyvertrag mit der Firma E-Plus abgeschlossen hat.

Das Arbeitsgericht hat der Klägerin Ansprüche auf Zahlung der Lohnerhöhungen sowie von Schadensersatz wegen der vorenthaltenen Anwesenheitsprämie zugesprochen, allerdings in geringerer Höhe als geltend gemacht. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Dieses Urteil ist der Klägerin am 22.04.2003 und der Beklagten am 17.04.2003 zugestellt worden. Die Beklagte hat hiergegen am 14.05.2003 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17.07.2003 - am 08.07.2003 begründet. Die Klägerin hat ihrerseits am 22.05.2003 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.07.2003 am 16.07.2003 begründet.

Die Klägerin hat ihre Ansprüche auf Zahlung der Schichtzulage, des Weihnachtsgeldes der Sonntagsschichten sowie auf Vergütung eines 25. Urlaubstags und auf Schadensersatz wegen des Vorenthaltens eines subventionierten Handyvertrags weiter verfolgt. Sie hat behauptet, ungeachtet jedweder Regelung sei an alle Mitarbeiter die Schichtzulage gezahlt worden. Ausgenommen worden seien lediglich Aushilfs- bzw. Teilzeitkräfte. Auch habe die Beklagte den fest angestellten Mitarbeitern ein 13. Monatsgehalt gezahlt. Die Klägerin hat weiter behauptet, an alle sogenannten fest angestellten Mitarbeiter Sonntagszuschläge gezahlt zu haben, wobei die Höhe möglicherweise nicht 125 %, sondern lediglich 50 % betragen habe. Für diese Behauptungen hat die Klägerin jeweils Beweis angeboten.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat zum einen vorgetragen, dass die Klägerin zu keiner Zeit Schichtdienst geleistet habe. Zum anderen hat sie behauptet, Schichtzulagen nur an Mitarbeiter gezahlt zu haben, die in regelmäßig wechselnden Schichten tätig gewesen seien. Sie hat weiter behauptet, sie habe lediglich einzelnen Mitarbeitern Weihnachtsgeld, anderen ein 13. Monatsgehalt, und wieder anderen Sonderzuwendungen gezahlt. Derartige Zahlungen seien überhaupt nur dann gewährt worden, wenn sie mit dem Mitarbeiter einzelvertraglich ausgehandelt wurden. Die Beklagte habe solche Zahlungen nur dann zugesagt, wenn der Mitarbeiter sie bei Vertragsschluss verlangt und die Gefahr bestanden habe, dass der Mitarbeiter ohne Zusage einer Sonderzuwendung, eines 13. Monatsgehaltes oder eines Weihnachtsgeldes den angestrebten Arbeitsvertrag nicht abschließen würde. Die Beklagte hat bestritten, an fest angestellte Mitarbeiter einen Sonderzuschlag in Höhe von 125 % oder 50 % gezahlt zu haben.

Das Berufungsgericht hat mit Verfügung vom 24.10.2003 darauf hingewiesen, dass die Beklagte mit ihrer Argumentation, die Klägerin sei Aushilfe gewesen, nicht durchdringen könne. Die Betriebsvereinbarung Gehalt 2001 und die Anwesenheitsprämie dürften daher für die Klägerin anwendbar sein. Ferner hat das Gericht darauf hingewiesen, dass die Berufung der Klägerin keine hinreichende Erfolgsaussicht haben dürfte, insbesondere sei die Betriebsvereinbarung Schichtarbeit auf die Klägerin nicht anwendbar. Auf dieser Grundlage hat das Gericht den Parteien den Abschluss eines Vergleichs gemäß § 278 Abs. 6 ZPO vorgeschlagen. Wegen des Inhalts der Verfügung im Einzelnen wird auf Bl. 405 d. A. verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 07.11.2003 hat die Klägerin den Vergleichsvorschlag kritisiert und um Konkretisierung gebeten. Die Beklagte hat die Annahme des Vergleichs erklärt, trotz Bedenken wegen der vorgeschlagenen Kostenregelung. Daraufhin hat das Berufungsgericht mit Verfügung vom 20.11.2003 weitere Hinweise erteilt. Es hat ausgeführt, dass die Voraussetzungen regelmäßiger Schichtarbeit im Sinne der Betriebsvereinbarung als nicht gegeben angesehen werden. Gleiches gelte für die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Weihnachtsgeld. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin sei nach wie vor pauschal, der Beweisantritt unsubstantiiert. Hinsichtlich des Sonntagszuschlags hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass eine Anspruchsgrundlage weder ersichtlich noch ausreichend dargelegt worden sei. Wegen des weiteren Inhalts der Verfügung wird auf Bl. 411 f. d. A. verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 01.12.2003 hat die Klägerin den Vergleichsvorschlag unter Bezugnahme auf die gerichtliche Verfügung vom 20.11.2003 angenommen. Daraufhin hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 04.12.2003 das Zustandekommen eines Vergleichs gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt. Der Vergleich hat folgenden Inhalt:

1. Die Beklagte zahlt an die Klägerin den im Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 03.04.2003 - Az. 1 Ca 2651 c/02 - ausgeurteilten Betrag in Höhe von 3.061,38 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz p. a. seit dem 07.11.2002.

2. Weitere in diesem Rechtsstreit gegenseitig geltend gemachte Ansprüche bestehen nicht.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

4. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit erledigt.

Diesen Vergleich hat die Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 02.02.2006 gegenüber den Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit der Begründung angefochten, die Beklagte habe in das gerichtliche Verfahren wissentlich wahrheitswidrige Tatsachen eingeführt.

Mit Schriftsatz vom 28.08.2006 hat sie unter Berufung auf die Anfechtung Fortsetzung des Verfahrens geltend gemacht. Sie trägt vor, die Beklagte habe in ihrem Schriftsatz vom 16.09.2003 wahrheitswidrig zur Weihnachtsgeldzahlung an die fest angestellten Mitarbeiter vorgetragen. Das habe die Beweisaufnahme in dem Parallelverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein zu dem Aktenzeichen 4 Sa 305/03 ergeben. Der dort vernommene Zeuge C... habe keineswegs bestätigt, dass das Weihnachtsgeld ausschließlich einzelvertraglich ausgehandelt worden sei. Es sei nicht im Einzelfall über Gratifikation oder Weihnachtsgeld gesprochen oder verhandelt worden. Alle fest angestellten Mitarbeiter hätten in den Jahren 2000 und 2001 ein Weihnachtsgeld erhalten. Auch der Zeuge W..., ein vollzeitangestellter Callcenter-Agent, habe bekundet, im Jahr 2001 ein Weihnachtsgeld ohne vorherige Absprache erhalten zu haben. Sie trägt ferner vor, der Zeuge L... habe bekundet, im Jahr 2001 und 2002 ein Weihnachtsgeld erhalten zu haben.

Ebenfalls mit Schriftsatz vom 16.09.2003 habe die Beklagte wahrheitswidrig behauptet, sie habe Schichtzulagen nur an Mitarbeiter gezahlt, die in regelmäßig wechselnden Schichten tätig gewesen seien. In dem erwähnten Parallelverfahren habe der Zeuge W..., der im Wesentlichen die gleiche Tätigkeit wie die Klägerin ausgeführt habe, bekundet, er habe die Schichtzulage ohne weiteres erhalten. Schließlich sei auch der Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 16.09.2003 zu den Sonntagszuschlägen unwahr. Die Beklagte habe wahrheitswidrig behauptet, keinem fest angestellten Mitarbeiter einen Sonntagszuschlag in Höhe von 50 % gezahlt zu haben. In dem Parallelverfahren hingegen habe die Zeugin O... bekundet, dass alle Mitarbeiter, die regelmäßig im Schichtbetrieb tätig waren, für jede am Sonntag geleistete Stunde einen Zuschlag in Höhe von 4,09 €, d. h. von 50 % ihres Stundenlohns (damals 16,-- DM), erhalten hätten.

Die Klägerin behauptet, sie habe aufgrund dieser Angaben der Beklagten in den nunmehr angefochtenen Vergleich eingewilligt. Die Beklagte habe in Kenntnis ihrer Darlegungs- und Beweislast bis zum Vergleichsabschluss bewusst die Unwahrheit vortragen lassen. Davon habe sie, die Klägerin, erst durch die E-Mail ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten vom 08.03.2005 erfahren, mit der ihr das Ergebnis der Beweisaufnahme in dem Parallelverfahren mitgeteilt worden sei.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass der Vergleich vom 04.11.2003 unwirksam ist und den Rechtsstreit zu dem Aktenzeichen 6 Sa 375/06 (vormals 6 Sa 226/03) nicht erledigt hat. Sowie nach Erlass eines entsprechenden Zwischenurteils:

2. Die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, an die Klägerin 11.189,38 € nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB p. a. seit dem 13.12.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

den auf Fortsetzung des Verfahrens gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Sie hält den Vergleich vom 04.12.2003 für wirksam. Die Beklagte habe die Klägerin nicht arglistig getäuscht. Vielmehr habe sie, die Beklagte, die aus ihrer Sicht zutreffende Sachlage umfassend und richtig dargestellt. An einer Täuschung fehle es schon deshalb, weil die Klägerin den Sachverhalt bis zuletzt anders dargestellt habe als die Beklagte. Zudem habe die Beklagte den Tatsachenvortrag in der Berufungsinstanz nicht geleistet, um die Klägerin zu dem vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich zu veranlassen, sondern um das erstinstanzliche Urteil zu verteidigen. Die Klägerin sei im Übrigen nicht durch die angebliche arglistige Täuschung zum Vergleichsabschluss veranlasst worden. Vielmehr sei der Vergleich auf Vorschlag des Gerichts zustande gekommen. Ausführungen der Beklagten seien gar nicht maßgeblich gewesen. Die Klägerin habe den Vergleich geschlossen, um der Zurückweisung ihrer Berufung aus den vom Landesarbeitsgericht angesprochenen Gründen zu entgehen. Schließlich meint die Beklagte, die Anfechtungsfrist sei abgelaufen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Rechtsstreit zwischen den Parteien ist erledigt. Der Vergleich vom 04.12.2003 ist wirksam, was durch Urteil festzustellen war.

Die Parteien haben, nachdem die Klägerin den Vergleich vom 04.12.2003 angefochten hatte, in diesem Verfahren darüber gestritten, ob der Vergleich wirksam ist und das Verfahren beendet hat. Das bestätigen sowohl ihre Ausführungen in den gewechselten Schriftsätzen als auch die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2007. Grundsätzlich bedarf es bei Streitigkeiten um die Wirksamkeit eines verfahrensbeendenden Vergleichs der Vorabentscheidung, ob der Vergleich wirksam ist. Wird der Vergleich als wirksam angesehen, so ergeht ein Endurteil dahin, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist. Wird die Erledigung hingegen verneint, so ist durch Zwischenurteil festzustellen, dass der Vergleich den Rechtsstreit nicht erledigt hat.

Der Vergleich vom 04.12.2003 ist wirksam. Die Klägerin hat ihn nicht wirksam angefochten. Es fehlt an einem Anfechtungsgrund.

1. Gemäß § 123 BGB kann auch ein gerichtlicher Vergleich angefochten werden, wenn eine Partei vom Prozessgegner oder einem Dritten, dessen Verhalten sich der Prozessgegner zurechnen lassen muss, durch arglistige Täuschung zum Abschluss des Vergleichs bestimmt worden ist. Das folgt aus der Doppelnatur des Prozessvergleichs (BGH 24.10.1984 - IV b ZR 35/83 - NJW 1985, 1962). § 779 BGB schließt die Anfechtung gemäß § 123 BGB nicht aus. Die Anfechtung kann sich auch auf die beim Vergleichsabschluss bestrittenen und zweifelhaften Punkte beziehen, denn im Unterschied zur Irrtumsanfechtung bildet jede arglistige Täuschung, die den Getäuschten zum Abschluss eines Vergleichs bestimmt hat, den er mit diesem Inhalt ohne die Täuschung nicht abgeschlossen haben würde, einen Anfechtungsgrund. Dabei ist der nach § 123 BGB notwendige Kausalzusammenhang schon dann zu bejahen, wenn die getäuschte Partei nur mit einer Täuschung in einem bestimmten Umfange gerechnet hat, später sich aber herausstellt, dass die Täuschung wesentlich weiter ging. Er ist jedoch zu verneinen, wenn die getäuschte Partei den Vergleich ohne Rücksicht auf den Umfang der Täuschung abgeschlossen hat, oder wenn sie den Umfang der Täuschung erkannt und sich dennoch - in zutreffender Kenntnis des Sachverhalts - zum Abschluss des Vergleichs entschlossen hat (BGH 27.04.1972 - II ZR 150/68 - WM 1972, 1443; 23.10.1975 - II ZR 109/74 - DB 1976, 141). Im Verschweigen von Tatsachen bzw. im Unterlassen einer Aufklärung kann eine zur Anfechtung berechtigende Täuschung nur dann liegen, wenn eine Offenbarungspflicht besteht, etwa weil das Verschweigen gegen Treu und Glauben verstößt und der Vertragspartner unter den gegebenen Umständen die Mitteilung der verschwiegenen Tatsachen hätte erwarten dürfen (BGH 27.04.1972 a. a. O.). Für die Annahme einer Täuschung ist in jedem Fall Vorsatz erforderlich, wobei bedingter Vorsatz genügt. Nicht ausreichend ist bloße Fahrlässigkeit, selbst wenn es sich um grobe Fahrlässigkeit handelt. Voraussetzung ist das Bewusstsein, dass der Vertragspartner ohne die Täuschung die Willenserklärung möglicherweise nicht oder nicht so abgegeben hätte (BGH 21.06.1974 - IV ZR 15/73 - NJW 1974, 1505). Dies gilt auch im Fall des Verschweigens von Tatsachen. Die Beweislast für die eine vorsätzliche Täuschung begründenden Umstände sowie deren Ursächlichkeit für die angefochtene Willenserklärung trägt der Anfechtende; das gilt auch, soweit es um eine Täuschung durch arglistiges Verschweigen geht (BAG 15.05.1997 - 2 AZR 43/96 -).

2. Nach diesen Grundsätzen fehlt ein Anfechtungsgrund. Die Klägerin konnte nicht darlegen, dass die Beklagte sie durch eine arglistige Täuschung zum Vergleichsabschluss veranlasst hat. Dabei kann offen bleiben, ob die Beklagte - wie von der Klägerin unter Bezugnahme auf das Beweisergebnis im Parallelverfahren behauptet - unwahr hat vortragen lassen.

a) Die Anfechtung scheitert bereits deshalb, weil die Erfüllung des Merkmals "Täuschung" weder von der Klägerin substantiiert behauptet noch aus den Umständen heraus ersichtlich ist. Eine Täuschung kann nur dann vorliegen, wenn beim Anfechtungsberechtigten eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorgerufen wurde. Die Täuschung muss also erfolgreich sein. Behauptet dagegen der Täuschende Tatsachen, die der Gegenüber für unrichtig hält, glaubt er dem Täuschenden also nicht, wird keine Fehlvorstellung erzeugt, die Täuschung ist erfolglos. So liegt es im Streitfall. Bis zuletzt standen sich die unterschiedlichen Sachverhaltsdarstellungen der Parteien zur Weihnachtsgeldzahlung, zur Gewährung von Schichtzulagen und Sonntagszuschlägen gegenüber.

Die Klägerin hat sich vom Vortrag der Beklagten nicht überzeugen lassen, sondern hat an ihrer Sachverhaltsdarstellung und ihren Beweisangeboten festgehalten. Sie hat den Behauptungen der Beklagten keinen Glauben geschenkt, ihr vielmehr bereits eingangs ihrer Berufungsbegründung (dort S. 2 unter 4.) unterstellt, sie habe nicht wahrheitsgemäß vorgetragen.

Auf S. 4 ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin behauptet, ungeachtet jedweder Regelung sei allen Mitarbeitern die Schichtzulage gezahlt worden, allein Aushilfs- und Teilzeitkräfte seien ausgenommen worden. Für diese Behauptung, mit der sie dem entgegenstehenden erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten (S. 29 des Schriftsatzes vom 16.01.2003 = Bl. 99 d. A.) entgegengetreten ist, hat sie Zeugen benannt. Die Beklagte hat in ihrer Berufungserwiderung vom 13.09.2003 an ihrer erstinstanzlichen Darstellung festgehalten, wonach nur die regelmäßig in wechselnden Schichten beschäftigten Mitarbeiter eine Zulage erhalten hätten. Sie hat weiter daran festgehalten, dass die Klägerin zu keiner Zeit Schichtdienst gearbeitet hat. Es ist nicht erkennbar und von der Klägerin nicht einmal behauptet, dass sie aufgrund dieses wiederholten Vortrags der Beklagten zu der Überzeugung gelangt ist, nicht ihre eigene Sachverhaltsdarstellung zu der Vergütung von Schichtarbeit, sondern die der Beklagten sei zutreffend. Ihr Schriftsatz vom 07.11.2003 macht im Gegenteil deutlich, dass sie sich durch die Ausführungen in der Berufungserwiderung bzw. durch die gerichtliche Verfügung vom 24.10.2003 in ihrer Sichtweise nicht hat beirren lassen. Denn sie spricht dort unter 1. von einer zumindest mit vertretbaren Argumenten geführten Diskussion über den Anspruch auf Schichtzulage und vermisst eine "für die Meinungsbildung" (zum vorgeschlagenen Vergleich) erforderliche Begründung des Gerichts. Wäre sie schon durch die Beklagte überzeugt worden, hätte es einer weiteren Begründung des Gerichts zu diesem Punkt nicht bedurft.

Auf S. 6 ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin unter Beweisantritt vorgetragen, die Beklagte habe allen nach ihrer eigenen Definition fest angestellten Mitarbeitern ein 13. Monatsgehalt gezahlt (Bl. 367 d. A.). Erst- aber auch zweitinstanzlich hat die Beklagte dagegen behauptet, bei ihr hätten durchaus unterschiedliche Regelungen über die Gewährung von Weihnachtsgeld, 13. Monatsgehalt, Sonderzuwendungen etc. bestanden, die jeweils einzelvertraglich ausgehandelt seien (S. 39 f im Schriftsatz vom 16.01.2003 = Bl. 110 d. A. sowie S. 3 der Berufungserwiderung vom 13.09.2003 = Bl. 397 d. A.). Dass die Klägerin dem keinen Glauben geschenkt hat, belegt zum einen ihr Schriftsatz vom 22.08.2003 (dort S. 2 = Bl. 391 d. A.). Dort setzt sie sich mit dem Vortrag der Beklagten zur Weihnachtsgeldgewährung nochmals auseinander und bezeichnet ihn als nicht zutreffend. Aus der E-Mail von Herrn M. ergebe sich zwangsläufig, dass entgegen der Einlassung der Beklagten im Jahr 2000 Weihnachtsgeld gezahlt worden sei. Zudem hat sich die Klägerin in diesem Schriftsatz auf eine weitere Zeugin berufen und zum Beweis für die Richtigkeit ihrer Behauptung eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag überreicht. Dass die Klägerin sich durch die Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags in der Berufungserwiderung nicht von der Darstellung der Beklagten zur Weihnachtsgeldgewährung hat überzeugen lassen, wird zum anderen aus ihrem Schriftsatz vom 07.11.2003 deutlich. Dort vermisst sie Aussagen des Gerichts u. a. zum Weihnachtsgeld. Hätte der (wiederholte) Tatsachenvortrag der Beklagten die Klägerin bereits überzeugt, hätte es einer ergänzenden Stellungnahme des Gerichts zu diesem Punkt nicht bedurft.

Auf S. 7 ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin unter Beweisantritt vorgetragen, die Beklagte habe an alle ihre sogenannten Festangestellten Sonntagszuschläge ausgezahlt, wobei die Zuschlagshöhe womöglich nicht 125 %, sondern lediglich 50 % betragen habe (Bl. 368 d. A.). Erstinstanzlich hat die Beklagte behauptet, keinem Arbeitnehmer einen Sonn- und Feiertagszuschlag von 125 % auf das Grundgehalt gezahlt zu haben (Schriftsatz vom 16.01.2003 S. 29 = Bl. 99 d. A.). In ihrer Berufungserwiderung hat die Beklagte - auf den geänderten Vortrag der Klägerin hin - auch bestritten, dass Festangestellten Sonntagszuschläge in Höhe von 50 % gezahlt worden sind (Bl. 399 d. A.). Auch zu diesem Punkt vermisst die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 07.11.2003 Aussagen des Gerichts. Das lässt erkennen, dass die Klägerin sich auch von den ergänzten Ausführungen der Beklagten zu diesem Punkt nicht hat überzeugen lassen.

b) Es fehlt aber nicht nur an einer erfolgreichen Täuschung, sondern auch an ihrer Kausalität für den streitgegenständlichen Vergleich. Die Klägerin wollte den Vergleich auf Grundlage des kontradiktorischen Vortrags und des ersten Hinweises des Gerichts vom 24.10.2003 gerade nicht abschließen. Erst auf den ausführlichen weiteren Hinweis vom 20.11.2003 (Bl. 411 d. A.) hat die Klägerin den Vergleich angenommen. In dem Hinweis spielte aber die Sachverhaltsdarstellung der Beklagten gar keine Rolle. Entscheidend war, dass das Gericht die Voraussetzungen einer regelmäßigen Schichtarbeit als nicht gegeben und den Vortrag der Klägerin zum Weihnachtsgeld und zum Sonntagszuschlag als nicht ausreichend bzw. zu pauschal angesehen hat. Demnach war der von der Klägerin als unwahr bezeichnete Vortrag der Beklagten für den Hinweis nicht maßgebend. Auf den Hinweis hin aber hat die Klägerin sich zur Annahme des Vergleichs entschlossen.

c) Die Klägerin kann den Prozessvergleich auch nicht wegen arglistiger Täuschung allein mit der Begründung angreifen, sie sei nunmehr in der Lage, die Unrichtigkeit der Behauptungen der Beklagten durch Zeugenaussagen nachzuweisen. Denn die Klägerin hat gerade in Kenntnis dessen, dass sie die Behauptungen der Beklagten für falsch hält, den Vergleich abgeschlossen. Ob das gesamte Geschehen so abgelaufen ist, wie es die Klägerin auf der einen und die Beklagte auf der anderen Seite geschildert haben, ist eine Frage der Beweiswürdigung, wie sie im Prozess vor Vergleichsabschluss hätte vorgenommen werden können.

d) Schließlich kommt es auf eine mögliche Täuschung des Gerichts bereits deshalb nicht an, weil es sich bei dem Vergleich um einen Vertrag zwischen den Parteien handelt, der nur durch Anfechtung der Willenserklärung einer der Parteien zu Fall gebracht werden kann.

II.

Die mit ihrem Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens unterlegene Klägerin hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Zur Zulassung der Revision sieht die Kammer keinen Anlass. Es handelt sich um eine ausschließlich am Einzelfall orientierte Entscheidung, die sich im Rahmen der höchtsrichterlich aufgestellten Grundsätze zur Anfechtung eines Vergleichs wegen arglistiger Täuschung hält.

Ende der Entscheidung

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