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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 20.07.2005
Aktenzeichen: 7 KS 115/02
Rechtsgebiete: AbfAblV, KrW-/AbfG


Vorschriften:

AbfAblV § 6 II Nr. 3
AbfAblV § 6 III Nr. 2
KrW-/AbfG § 31 III
Das Entscheidungsprogramm der §§ 6 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 AbfAblV iVm den Nummern 10 und 11 der TA Siedlungsabfall stellt allein auf Sicherheitsbelange ab. Planungsrechtlich relevante Standortfragen sind nicht zu berücksichtigen.
Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine die Zentraldeponie Hannover-Altwarmbüchen/Lahe betreffende Anordnung der Bezirksregierung Hannover vom 30. April 2002.

Die wesentliche Erweiterung und der Betrieb dieser Deponie wurden der Landeshauptstadt Hannover, die als Inhaberin des Planfeststellungsbeschlusses Rechtsvorgängerin des Beigeladenen gewesen ist, mit Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Hannover vom 25. September 1978 genehmigt. Mit der 11. Änderung dieses Planfeststellungsbeschlusses vom 12. Juni 1995 wurde die abfallrechtliche Zulassung grundlegend neu gefasst und nachfolgend durch Anordnung vom 6. Juni 1997 nochmals geändert. Dadurch sind für die Ablagerung von Abfällen auf der Zentraldeponie Hannover die Zuordnungswerte des Anhangs B der TA Siedlungsabfall für die Deponieklasse II festgeschrieben worden (Teil A, Ziffer 1 der 11. Änderung), jedoch sind für die Ablagerung von Hausmüll, hausmüllähnlichen Gewerbeabfällen, Klärschlamm und anderen organischen Abfällen nach Nr. 12.1 der TA Siedlungsabfall näher konkretisierte Ausnahmen von diesen Zuordnungswerten "bis längstens zum 1. Juni 2005" zugelassen worden (Teil A Ziffer 2.1-a). Diese Ausnahme einschränkend wurde darüber hinaus angeordnet, dass Abfälle, die für den biologischen Teil ("Rotte") der mechanisch-biologischen (Rest)Abfallbehandlungsanlage geeignet sind, schon ab dem 1. Januar 2002 nicht mehr ohne biologische Vorbehandlung abgelagert werden dürfen (Teil A Ziffer 2.1-b). Die Ausnahme in Ziffer 2.1-a erweiternd wurde schließlich vorgesehen, dass über den dort genannten Zeitraum hinaus biologisch vorbehandelte Abfälle sogar noch bis zum 31. Mai 2020 abgelagert werden dürfen, wenn bestimmte, in der Anordnung näher präzisierte Kriterien erfüllt werden (Teil A Ziffer 2.1-c).

Die Klägerin erhob am 14. Juli 1997 Widerspruch gegen den Bescheid der Bezirksregierung vom 06. Juni 1997, der mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 1997 zurückgewiesen wurde. Ihre daraufhin zunächst beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht erhobene Klage (Az 7 K 5836/97) nahm die Klägerin im Februar 1998 zurück.

Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen verlängerte die Bezirksregierung Hannover mit Zwischenbescheid vom 16. Januar 2002 die Frist gemäß Ziffer 2.1-b zunächst bis zum 30. April 2002, um einen legalen Weiterbetrieb der Zentraldeponie bis zur endgültigen Bescheidung des Antrags zu gewährleisten. Mit Anordnung vom 30. April 2002 hob die Bezirksregierung Hannover die in Teil A Ziffer 2.1-b verfügte Einschränkung hinsichtlich der nur unter kürzerer Frist zugelassenen Ablagerung rottegeeigneten, aber gleichwohl nicht biologisch vorbehandelten Abfalls auf, verknüpfte diese Anordnung jedoch mit der aufschiebenden Bedingung, dass weitere Verfügungen des Bescheides zuvor unanfechtbar werden. In diesen weiteren Verfügungen werden u.a. die in Teil A Ziffer 2.1.-c vorgesehene Befristung für die Ablagerung biologisch vorbehandelter Hausmüllabfälle vom 31. Mai 2020 auf den 15. Juli 2009 vorverlegt (Verfügungspunkt 2 des Bescheides vom 30. April 2002) und in Abänderung der dort mit dem Bescheid vom 6. Juni 1997 aufgestellten Kriterien die Beachtung besonderer Anforderungen nach der Abfallablagerungsverordnung und der TA Siedlungsabfall, insbesondere die Herstellung eines bestimmten Basisabdichtungssystems, angeordnet (Verfügungspunkt 3 des Bescheides vom 30. April 2002).

Mit ihrer am 6. Juni 2002 erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Änderungsanordnung der Bezirksregierung Hannover vom 30. April 2002 und trägt vor, dass die Einschränkungen nach neuem Abfallrecht nicht weit genug gingen. Der Deponiebetrieb müsse vielmehr vollständig beendet werden. Auch durch die nunmehr zeitlich stärker beschränkte Nutzung werde sie in ihrer Planungshoheit und in ihrem Eigentumsrecht verletzt: Auf der Grundlage ihres Flächennutzungsplanes habe sie in der Nachbarschaft zur Deponie mehrere Bebauungspläne aufgestellt, in deren Geltungsbereich sich die Immissionen der Deponie auswirkten. Insofern sei ihre verfassungsrechtlich geschützte Planungshoheit beeinträchtigt. Auch sei sie in Ihren Rechten als Eigentümerin mehrerer Grundstücke, die an die Deponie angrenzten, betroffen, unter anderem als Eigentümerin des Altwarmbüchener Sees, der als Naherholungsgebiet besondere Bedeutung für die Region habe. Außerdem seien durch die Anordnung das baurechtliche Abwägungsgebot und das kommunale Abstimmungsgebot verletzt worden, da der angefochtene Bescheid zu einer - modifizierten - Verlängerung der Ablagerungsbefugnis führe. Es fehle an einer umfassenden einheitlichen Planungsentscheidung für die Deponie in ihrer neuen Gestalt. Anstelle sukzessiver Übergangsregelungen und Genehmigungsentscheidungen für einzelne Teilanlagen der Deponie müsse für die Gesamtanlage vielmehr ein neues Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden, bei dem die Umweltauswirkungen der neuen Deponiekonzeption und die vorgesehenen Nachfolgenutzungen am Standort der Deponie (z.B. eine geplante Müllverbrennungsanlage) insgesamt neu und einheitlich zu beurteilen seien.

Die Klägerin beantragt,

den Änderungsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 30. April 2002 zur Zentraldeponie Hannover in den Verfügungspunkten 2 und 3 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, in der Anordnung vom 30. April 2002 werde der rechtskräftig geregelte Genehmigungstatbestand der Zentraldeponie Hannover lediglich an die durch die Abfallablagerungsverordnung vom 20.2.2001 (BGBl. I S. 305) neu geschaffene Rechtslage angepasst. Vor allem aber sei die Klägerin nicht klagebefugt, da keine hinreichend konkrete Beeinträchtigung von subjektiven Rechten (Privatrechten und/oder von bestehenden gemeindlichen Planungen) erkennbar sei. Insbesondere könne eine Verkürzung der Betriebsdauer der Deponie nicht die Planungshoheit der Klägerin verletzen.

Zum 1. Januar 2003 sind die abfallwirtschaftlichen Aufgaben der Landeshauptstadt Hannover auf die Region Hannover übergegangen. Danach hat die Region Hannover die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers auf den Beigeladenen übertragen. Am 17. Februar 2003 hat die Bezirksregierung Hannover den Planfeststellungsbeschluss für die Zentraldeponie Hannover vom 25. September 1978 mit allen Rechten und Pflichten rückwirkend zum 1. Januar 2003 auf den Beigeladenen als neuen Inhaber des Planfeststellungsbeschlusses übertragen.

Der Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Aufhebung der Regierungsbezirke und Auflösung der Bezirksregierungen in Niedersachen zum 1. Januar 2005 ist ab diesem Datum darüber hinaus der Beklagte für die Entscheidung über Übergangsregelungen nach der Abfallablagerungsverordnung zuständig geworden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der im Parallelverfahren 7 KS 113/02 beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Bezirksregierung Hannover verwiesen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig (dazu I.), aber unbegründet (dazu II.).

I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere war nicht von vornherein auszuschließen, dass der Änderungsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 30. April 2002 die Klägerin möglicherweise in ihren Rechten verletzt (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO). Die Nichtbetroffenheit der Klägerin ergibt sich erst bei näherer rechtlicher Würdigung, so dass auch auf eine Beiladung gemäß § 65 Abs. 2 VwGO nicht verzichtet werden konnte (zum Streitstand hinsichtlich der Frage, ob eine Beiladung bei Unzulässigkeit der Klage unterbleiben kann vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 4. Aufl., § 65 Rn. 21).

II. Die Klage ist aber unbegründet. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Verwaltungsakt nicht in ihren Rechten verletzt.

1. Nur der Änderungsbescheid vom 30. April 2002 stand zur Entscheidung; die Auswirkungen anderer auf dem Gesamtgelände der Deponie geplanter Nachfolgenutzungen, gegen die die Klägerin ebenfalls um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz ersucht, sind in den jeweils darauf bezogenen Verfahren zu überprüfen. Anlass und Inhalt der vorliegend angefochtenen Maßnahme sind die verschärften Anforderungen, die insbesondere die 2001 in Kraft getretene Abfallablagerungsverordnung stellt. Planungsrechtliche Genehmigungsfragen, die mit dem Standort der Deponie und ihrem Abstand zu Siedlungsgebieten zu tun haben, werden dadurch nicht zur Disposition gestellt. Insoweit verbleibt es bei den früheren Genehmigungen, die unanfechtbar sind. Das Prüfprogramm einer Plangenehmigung nach § 31 Abs. 3 Nr. 2 KrW-/AbfG erstreckt sich auf die Änderung selbst, nicht aber muss Zulässigkeit der gesamten Anlage neu geprüft werden (Spoerr, in: Jarass/Ruchay/Weidemann, KrW-/AbfG, Stand: März 2005, § 31 Rn. 106 m.w.N.).

2. Der Änderungsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 30. April 2002 greift damit nicht in Rechtspositionen der Klägerin ein.

Es kann dahinstehen, ob sich die Klägerin in der vorliegenden Konstellation grundsätzlich auf ihr Eigentumsrecht, auf die über Art. 28 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich abgesicherte Planungshoheit oder auf die bauplanungsrechtlichen Abstimmungs- oder Abwägungsgebote berufen kann, denn die mit der Klage angegriffenen Verfügungspunkte des Änderungsbescheides der Bezirksregierung Hannover vom 30.04.2002 enthalten keine die Klägerin insoweit belastenden Regelungen.

a) Soweit Verfügungspunkt 2 der Anordnung vom 30. April 2002 die in Ziffer 2.1-c der Anordnung vom 6. Juni 1997 enthaltene Befristung "31.05.2020" auf "15.07.2009" ändert, führt das zu einer deutlichen Verkürzung der mit Anordnung vom 6. Juni 1997 zugelassenen maximalen Betriebszeit für eine Ablagerung biologisch vorbehandelter Abfälle, die auf den ersten Blick nur eine Begünstigung der Klägerin zu enthalten scheint. Eine solche Sichtweise ließe jedoch außer acht, dass Siedlungsabfälle und Abfälle, die wie Siedlungsabfälle entsorgt werden können, gemäß § 3 Abs. 1 der Verordnung über die umweltverträgliche Ablagerung von Siedlungsabfällen (Abfallablagerungsverordnung - AbfAblV) vom 20. Februar 2001 (BGBl. I S. 305) nur noch auf Deponien oder Deponieabschnitten abgelagert werden dürfen, die die Anforderungen für die Deponieklasse I oder II einhalten. Mit Blick auf diesen Grundsatz stellt sich die in Verfügungspunkt 2 der Anordnung vom 30. April 2002 in Verbindung mit der Ziffer 2.1-c der Anordnung vom 6. Juni 1997 zugelassene befristete Ablagerung biologisch vorbehandelter Abfälle auf der Zentraldeponie Hannover-Altwarmbüchen/Lahe als Gewährung einer Ausnahme dar, die ihre rechtliche Grundlage in § 6 Abs. 2 Nr. 3 AbfAblV findet. Danach kann die zuständige Behörde unter näher bestimmten Voraussetzungen Übergangsregelungen für die Ablagerung von Abfällen auf Altdeponien (Hausmülldeponien) zulassen. Die Gewährung einer solchen Ausnahme zugunsten des Beigeladenen ist selbst dann, wenn die zulässige Deponielaufzeit gegenüber einer früheren Anordnung verkürzt wird, für die Klägerin nicht lediglich begünstigend.

Rechte der Klägerin sind durch diese Ermessensentscheidung aber nicht verletzt. Denn das hierfür maßgebliche Entscheidungsprogramm der §§ 6 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 2 AbfAblV i.V.m. den Nummern 10 und 11 der Technischen Anleitung zur Verwertung, Behandlung und sonstigen Entsorgung von Siedlungsabfällen (Dritte Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Abfallgesetz - TA Siedlungsabfall) vom 14. Mai 1993 (BAnz Nr. 99 a) stellt allein auf Sicherheitsbelange (z.B. Stabilität des Deponiekörpers, Deponiegas- und Sickerwassererfassung) ab, während spezielle Belange der Klägerin als Gemeinde, insbesondere planungsrechtlich relevante Standortfragen, bei der Ermessensentscheidung nicht zu berücksichtigen sind. Dies ergibt sich bereits aus § 6 Abs. 2 Nr. 3 AbfAblV, der die Altdeponien gerade von einer Einhaltung der standortbezogenen Anforderungen der Nummern 10.3.1 - hier ist insbesondere gemäß Buchst. g) der Lage einer Deponie zu einem vorhandenen oder ausgewiesenen Siedlungsgebiet Rechnung zu tragen - und 10.3.2 der TA Siedlungsabfall suspendiert.

b) Soweit Verfügungspunkt 3 der Anordnung vom 30. April 2002 den Beigeladenen in Abänderung der mit Bescheid vom 6. Juni 1997 aufgestellten Kriterien zur Beachtung besonderer Anforderungen nach der AbfAblV und der TA Siedlungsabfall, insbesondere die Herstellung eines bestimmten Basisabdichtungssystems (Kombinationsdichtung), verpflichtet, werden damit die vom Beigeladenen einzuhaltenden Umweltschutzanforderungen verschärft. Auch insoweit ist nicht ersichtlich, in welcher Weise die von der Klägerin geltend gemachten Rechte durch eine solche Verschärfung der Umweltschutzanforderungen beeinträchtigt sein könnten.

Ende der Entscheidung

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