Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 26.08.2004
Aktenzeichen: 1 KN 282/03
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 1 III
BauGB § 1 VI
BauGB § 214 III 2
Die Änderung eines Bebauungsplans, mit der ein Kinderspielplatz verlegt werden soll, weil ein Grundstückseigentümer im Tausch für das bisherige Kinderspielplatzgrundstück zusätzlich zu seinem - bisher als WA festgesetztes - Grundstück der Gemeinde ein stattliches "Aufgeld" bietet, ist nicht erforderlich i.S. des § 1 Abs. 3 BauGB.

Bei der Änderung eines Bebauungsplans muß das Interesse der Nachbarn an der Beibehaltung der bisherigen Festsetzung in der Abwägung berücksichtigt werden.

Zu handschriftlichen Korrekturen textlicher Festsetzungen.


Gründe:

I.

Die Antragsteller, die Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Wehrstraße 3 in J. sind, wenden sich gegen die Festsetzung des Nachbargrundstücks K. 5 als Spielplatz durch die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 "Mühlenwinkel" der Antragsgegnerin.

Das Grundstück der Antragsteller liegt auf der Nordwestseite der Wehrstraße, die bis auf wenige Lücken mit Wohnhäusern in offener Bauweise bebaut ist. Der Bebauungsplan Nr. 1 "Mühlenwinkel", der nach 6 Änderungen des Ursprungsplanes von 1978 im Jahr 1996 neu gefasst wurde, setzte in seiner bisherigen Fassung die Grundstücke auf beiden Seiten der Straße als allgemeines Wohngebiet, zweigeschossig, offene Bauweise, Einzel- und Doppelhausbebauung mit einer GRZ von 0,4 und einer GFZ von 0,6 fest. Das südöstliche Nachbargrundstück der Antragsteller, K. 5 ist ca. 1.000 m² groß und noch unbebaut. Im Gebiet desselben Bebauungsplanes war ca. 100 m Luftlinie nordwestlich an der Straße L. ein 700 m² großes Grundstück als öffentliche Grünfläche, Spielplatz, festgesetzt und entsprechend genutzt.

Die 1. Änderung des Bebauungsplanes setzt das Grundstück K. 5 als öffentliche Grünfläche, Spielplatz, fest und das Grundstück an der Straße M. als allgemeines Wohngebiet. § 2 der textlichen Festsetzungen lautete ursprünglich:

"Mit Inkrafttreten der 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 "Mühlenwinkel" tritt der Bebauungsplan Nr. 1 (Neufassung) sowie der Bebauungsplan Nr. 1 (Neufassung) einschließlich der 1. bis 6. Änderung außer Kraft."

Dieser Text ist handschriftlich wie folgt geändert:

"Mit Inkrafttreten der 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 "Mühlenwinkel" bleibt der Bebauungsplan Nr. 1 (Neufassung) sowie der Bebauungsplan Nr. 1 (Neufassung) einschließlich der 1. bis 6. Änderung bestehen."

Die Antragsgegnerin unterrichtete die Bewohner des Plangebietes durch Postwurfsendung vom 13. November 2002 über die beabsichtigte Verlegung des Spielplatzes, die sie mit der Vergrößerung und Neugestaltung des Spielplatzes begründete. Die Antragsteller wandten sich mit Schreiben vom 25. November 2002 gegen die Verlegung des Spielplatzes, weil sie Lärmbelästigungen und unbefugtes Betreten ihres Grundstückes befürchteten und keinen Anlass für eine Verlegung sahen. Der Rat der Antragsgegnerin hat am 28. November 2002 die Anregungen der Antragsteller zurückgewiesen und die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 "Mühlenwinkel" im vereinfachten Verfahren beschlossen. Die Begründung der 1. Änderung des Bebauungsplanes führt aus, dass der Spielplatz nach heutigen pädagogischen Gesichtspunkten vergrößert und umgestaltet werden solle. Der bisherige Standort des Spielplatzes in unmittelbarer Nähe eines Emsaltarms stelle eine potentielle Gefahrenquelle für Kinder dar. Der Spielplatz solle im Rahmen eines Grundstückstausches verlegt werden, der neben den Kosten der Verlegung der Gemeinde auch noch einen Mehrerlös bringen solle. Die Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 "Mühlenwinkel" ist im Amtsblatt Nr. 27 des Landkreises N. vom 13. Dezember 2002 bekannt gemacht worden.

Am 13. Oktober 2003 haben die Antragsteller das Normenkontrollverfahren eingeleitet. Sie beklagen, dass eine Neugestaltung unter Berücksichtigung heutiger pädagogischer Gesichtspunkte nicht verwirklicht worden sei, sondern nur die alten Spielgeräte vom Platz an der Straße Zum Emsblick auf den Platz an der Wehrstraße versetzt worden seien. Die Nähe des Emsaltarms sei für die Anlage des Spielplatzes an der Straße M. ebenso wenig ein Hindernis gewesen wie ein Strommast auf dem Grundstück. Das Grundstück K. 5 sei eine ungeeignete Ersatzfläche, weil nicht nur der Altarm der Ems, sondern auch der Dortmund-Ems-Kanal in der Nähe verlaufen. Das Spielplatzgrundstück an der K. sei nur mit einem niedrigen Zaun eingefriedet, so dass auch der auf ihrem, der Antragsteller, Grundstück angelegte Gartenteich eine Gefahrenquelle darstelle. Auf den Grundstücken an der K. wohnten auch keine jungen Familien, sondern vorzugsweise Rentner, weshalb der Standort auch von seiner Lage verfehlt sei. Schließlich seien die früheren Eigentümer des Grundstücks K. 5 weitläufige Verwandte des früheren Bürgermeisters der Antragsgegnerin, der die Änderung des Bebauungsplanes betrieben habe.

Die Antragsteller beantragen,

die am 28. November 2002 vom Rat der Antragsgegnerin beschlossene 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 "Mühlenwinkel" für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.

Sie entgegnet: Im Vordergrund der Überlegungen zur Verlegung des Kinderspielplatzes habe die Aussicht gestanden, die finanzielle Lage der Gemeinde zu verbessern, weil der frühere Eigentümer des Grundstücks K. 5 für einen Tausch seines Grundstücks gegen das Kinderspielplatzgrundstück an der Straße M. ein Aufgeld von 20.000,-- € geboten habe, das noch um 5.000,-- € für die Verlagerung des Spielplatzes erhöht worden sei. Der neue Standort des Spielplatzes sei aber auch ungefährlicher, weil der Altarm der Ems und der Kanal vom Spielplatz nicht einsehbar seien. Das Grundstück an der Straße L. sei früher wegen eines Hochspannungsmastes nicht als allgemeines Wohngebiet geeignet gewesen. Dieser Mast sei mittlerweile nicht mehr vorhanden. Ein weiterer Ausbau des neuen Spielplatzes sei mittelfristig geplant. Da das alte und das neue Spielplatzgrundstück von Wohnbebauung umgeben seien, werde es für die Nachbarn des neuen Spielplatzes nicht zu einer höheren Lärmbelästigung kommen als für die Nachbarn des alten Platzes. Wegen des Gartenteiches müssten die Antragsteller ihr Grundstück vor dem Betreten durch Kinder sowieso sichern. In der Nachbarschaft des neuen Spielplatzes wohnten mehr als 14 Kinder im Alter bis zu 12 Jahren. Schließlich bestünden zwischen den früheren Eigentümern des Grundstücks K. 5 und dem früheren Bürgermeister keine verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehungen.

Das ehemalige Kinderspielplatzgrundstück an der O. ist inzwischen mit einem Einfamilienhaus bebaut.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgänge und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

II.

Der Normenkontrollantrag hat Erfolg, weil die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 Mühlenwinkel nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB a.F. ist und zudem an Abwägungsfehlern leidet.

Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Das Interesse der Antragsteller am Fortbestehen des Bebauungsplanes Nr. 1 in seiner früheren Fassung ist abwägungsbeachtlich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.8.1992 - 4 NB 3.92 -, BRS 54 Nr. 21), weil die Festsetzungen eines Bebauungsplanes ein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, das Veränderungen, die sich für die Nachbarn nachteilig auswirken können, nur unter Berücksichtigung ihrer Interessen vorgenommen werden. Da das in § 1 Abs. 6 BauGB a.F. enthaltene Abwägungsgebot drittschützenden Charakter hinsichtlich privater abwägungsrelevanter Belange hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.9.1998 - 4 CN 2.98 -, DVBl. 1999, 100), bestehen keine Zweifel an der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags.

Die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 ist nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB a.F. Nach dieser Vorschrift haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. § 1 Abs. 3 BauGB a.F. erkennt die gemeindliche Planungshoheit an und räumt der Gemeinde ein Planungsermessen ein. Ein Bebauungsplan ist deshalb "erforderlich" im Sinne dieser Vorschrift, soweit er nach der planerischen Konzeption der Gemeinde erforderlich ist (BVerwG, Urt. v. 7.5.1971 - IV C 76.68 -, BRS 24 Nr. 15). Daran fehlt es nicht nur, wenn die Planung nur den privaten Interessen eines bestimmten Grundstückseigentümers dient (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.8.1993 - 4 NB 12/93 -, ZfBR 94, 100), oder das vorgeschobene Mittel ist, einen Bauwunsch zu durchkreuzen (BVerwG, Urt. v. 16.12.1988 - 4 C 48.86 -, DVBl. 1989, 458), sondern auch dann, wenn wesentliche Antriebsfeder der gemeindlichen Planung allein fiskalische Interessen sind. Der Bürgermeister der Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung auf Befragen eingeräumt, dass die in der Begründung des Bebauungsplanes angesprochenen pädagogischen Gesichtspunkte für eine Umgestaltung und Vergrößerung des Spielplatzes ebenso wenig bestimmend für die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 gewesen seien, wie die Nähe des Altarms der Ems als potentielle Gefahrenquelle für den alten Spielplatz, sondern dass schlicht und einfach die Aussicht auf ein stattliches "Aufgeld" bei dem Tausch des Grundstücks K. 5 mit dem alten Kinderspielplatz an der O. der entscheidende Grund für die 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1 gewesen sei. Das bestätigt auch die Einrichtung des Kinderspielplatzes auf dem Grundstück K. 5: Es sind nur die alten Spielgeräte umgesetzt worden, kein einziges neues Gerät ist dazugekommen, die Begrünung ist dürftig, so dass von einer Umgestaltung unter pädagogischen Gesichtspunkten keine Rede sein kann. Obwohl die Antragsgegnerin ein stattliches Aufgeld bei dem Grundstückstausch erhalten hat, ist die Umgestaltung nach pädagogischen Gesichtpunkten auf der Strecke geblieben und das Aufgeld der notleidenden Gemeindekasse zugute gekommen. Wenn es der Gemeinde um eine Umgestaltung des Spielplatzes unter pädagogischen Gesichtspunkten gegangen wäre, hätte es nahe gelegen, jedenfalls einen Teil des Aufgeldes für diesen Zweck zu nutzen. Die weitere Ausgestaltung des Kinderspielplatzes ist aber nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin im Normenkontrollverfahren "erst mittelfristig ins Auge gefasst" - und angesichts der notleidenden Gemeindefinanzen möglicherweise auf den "Sankt-Nimmerleins-Tag" verschoben. Da der Spielplatz an der O. viele Jahre bestand, ohne dass der nahe Altarm der Ems sich als Gefahrenquelle ausgewirkt hat, erweist sich auch dieser Punkt der Begründung als vorgeschoben.

Die 1. Änderung des Bebauungsplanes leidet auch an Abwägungsmängeln, die zur Unwirksamkeit der 1. Änderung führen. Die Antragsgegnerin hat das Interesse der Antragsteller an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes - Festsetzung eines Allgemeinen Wohngebietes auf dem Nachbargrundstück K. 5 - nicht gesehen und daher auch nicht in die Abwägung einbezogen. Die Festsetzung des Bebauungsplanes Nr. 1 (alt) "WA" begründet ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass Veränderungen, die sich für Nachbarn nachteilig auswirken können, nur unter Berücksichtigung ihrer Interessen vorgenommen werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.8.1992, a.a.O.). Auch wenn Kinderspielplätze im Wohngebiet zulässig sind, insbesondere die Lärmimmissionen auch im reinen Wohngebiet als zumutbar angesehen werden, ist nicht zu bestreiten, dass sich die Anlage eines Kinderspielplatzes für die unmittelbaren Nachbargrundstücke im Wohngebiet tatsächlich nachteilig auswirkt. Unter diesen Umständen durfte der Kinderspielplatz von der Straße L. zur K. nur dann verlegt werden, wenn die Interessen der Nachbarn in der K. in der Abwägung entsprechend berücksichtigt werden. Da die Antragsgegnerin die Interessen der Nachbarn des neuen Kinderspielplatzstandortes überhaupt nicht in den Blick genommen hat, leidet der Plan an einem Fehler im Abwägungsvorgang, der vor dem Hintergrund der Begründung der angefochtenen Planänderung auch offensichtlich ist (vgl. § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F.). Die Argumente, die für die Verlegung des Kinderspielplatzes sprechen, scheinen auf dem Papier plausibel, sind jedoch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und dem Stand der Planverwirklichung nur vorgeschoben. Unter diesen Umständen sind die Mängel des Abwägungsvorgangs auch auf das Ergebnis von Einfluss gewesen (vgl. § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F.), denn es genügt, dass nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Mangel das Ergebnis der Abwägung anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.8.1981 - 4 C 57.80 -, DVBl. 1982, 354). Ohne das unzulässige fiskalische Motiv der Planung erscheint es nahe liegend, dass die Antragsgegnerin bei Berücksichtigung der Interessen der Nachbarn des Grundstücks K. 5 an einem Fortbestand der alten Planung (Festsetzung des Grundstücks K. 5 als allgemeines Wohngebiet) zu einem anderen Abwägungsergebnis als der Verlegung des Kinderspielplatzes gekommen wäre.

Schließlich begegnet § 2 der textlichen Festsetzungen durchgreifenden Bedenken. In formeller Hinsicht ist nicht erkennbar, wann die handschriftliche Korrektur vorgenommen worden ist und wer sie vorgenommen hat. Damit bleibt auch offen, ob sie nachträglich nach Ausfertigung des Planes vorgenommen worden ist und ob sie vom Willen des Rates gedeckt ist (vgl. auch Urt. d. Sen. v. 21.4.1998 - 1 K 1087/96 -, BRS 60 Nr. 40).

In der Sache ist die Festsetzung unsinnig. Gemeint ist offensichtlich, dass die übrigen Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 1 bestehen bleiben sollen, weil die 1. Änderung nur 2 Grundstücke im Plangebiet betrifft. Beim Wort genommen, gelten für die von der 1. Änderung betroffenen Grundstücke mehrere sich widersprechende Festsetzungen: Öffentliche Grünfläche, Spielplatz und allgemeines Wohngebiet mit Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche. Einander widersprechende Festsetzungen für ein und dasselbe Grundstück sind unzulässig.

Die Fehler des § 2 der textlichen Festsetzungen würden bei isolierter Betrachtung allerdings nur zur Unwirksamkeitserklärung dieser textlichen Festsetzungen führen, weil davon auszugehen ist, dass die Antragsgegnerin auf diese Vorschrift ganz verzichtet hätte, wenn sie die Fehler dieser Vorschrift erkannt hätte.

Ende der Entscheidung

Zurück